FJSchweifer

Achtung – Obergrenze!



„Das wahrhaft knappe Gut in naher Zukunft wird die menschliche Aufmerksamkeit sein.“ So kommentiert Microsoft-Chef Satya Nadella eine kanadische Studie, wonach die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne mittlerweile auf acht Sekunden geschrumpft ist. So lange dauert etwa auch das Lesen dieser zwei Sätze. Durchschnittlich. Sind Sie noch dabei? Kompliment. Bleiben Sie dran.

Die Annahme, dass nichts mehr länger als acht Sekunden dauern darf, ehe Ablenkung her muss, mag etwas überzogen und fragwürdig verallgemeinernd sein. Zudem nach voreiligem Kulturpessimismus riechen. Aber Aufmerksamkeitsdefizite scheinen tatsächlich ein zunehmend virulentes Thema zu sein. Jedenfalls lohnt sich ein kritischer Blick darauf. Am Ende werden Sie mit einem Kompliment belohnt. Wenn Sie durchhalten. Mehr als acht Sekunden.

Acht Sekunden Obergrenze?



„Ampel rot. Griff zum Smartphone. Kassaschlange größergleich eins. Griff zum Smartphone. Kaffeemaschine fährt hoch. Griff zum Smartphone.“ Die pointiert-hastige Diagnose von Birgit Braunrath (Kurier 26.01.2016, S. 1) kommt einem irgendwie bekannt vor. Und beschreibt den kurzatmigen Aufmerksamkeitsmodus brillant.

Als Journalistin ist sie hautnah dran am „Nachrichten-Stakkato“. Will heißen: „Acht Sekunden pro Meldung. Maximal. Dann Nächste. Botschaft in acht Sekunden angekommen? Nein? Dann weg!“ Frei nach der Devise: „Sag es knapp. Oder vergiss es. Wortgewaltig war gestern. Heute ist schlagwortartig.“ Denn „Wer ´Wir müssen differenzieren´ sagt, hat schon verloren. Wer ´Obergrenze´ sagt, bekommt noch sechs Sekunden.“

Zeitensprung in Ihre Wirklichkeit. Wie sieht Ihre durchschnittliche, persönliche Obergrenze der Aufmerksamkeit aus? „8ung“ im buchstäblichen Sinn? Oder oszilliert sie eher als Richtwert – mal so, mal so? Je nach Tages- oder Nachtverfassung? Wer oder was treibt Sie an, eher kurzgetaktet zu switchen? Kommen Sie gut damit zurecht? Oder leisten Sie erfolgreich Widerstand gegen die Un8samkeitsgrenze? Mhm. Nachdenkpause. Acht Sekunden.

Anti-Trend Achtsamkeit

Jeder Trend hat seinen Gegentrend. So auch der Obergrenzen-Trend. Und Achtsamkeit sei vielleicht der mächtigste aller Anti-Trend-Trends, so Matthias Horx in einem aktuellen Paper des Zukunftsinstituts. Harry Gatterer, Chef des Wiener Ablegers, pflichtet ihm bei. Seine Begründung: Unsere Gesellschaft habe einen Punkt erreicht, an dem wir durch die Digitalisierung ständig mehr an Orientierung verlieren würden – auch als Effekte von Beschleunigung und Verdichtung. Menschen seien so permanent in unterschiedlichen Kontexten unterwegs und dem Flirren von Information ausgesetzt.

Das hat, nebst Ermüdung, auch andere Konsequenzen. Dass etwa Wahrnehmungsfehler unterlaufen. Dass Wahrnehmung jedenfalls getrübt oder verzerrt ist. Oder zeitweise zur „Nichtwahrnehmung“ wird. Denn durch ein Zuviel bzw. Zuschnell von Informationen „können wir oft nicht mehr einordnen, wie relevant, wie wahr, wie wichtig diese Informationen sind – und wie sie im Verhältnis zum größeren Ganzen stehen.“ Umso plausibler, dass man seine Wahrnehmung dann neu justieren kann, wenn man phasenweise aussteigt und „sich aus dem Problem rausnimmt“. So Gatterers Diagnose (Kurier-Karrieren, 09.01.2016, S. 16). Der Hausverstand pflichtet wohl bei. Oder? Mhm. Nachdenkpause. Acht Sekunden.

OMline als neues Offline?

Im Sog des Achtsamkeitstrends scheint laut Zukunftsinstitut ein weiterer im Kommen: der OMline-Trend. Gemeint ist damit ein Shift zur bewussten Entwicklung des Selbst („Selfness“). Gepaart mit dem Fokus auf die geistige Ebene („Mindness“). Eine aktuelle Titelstory im Time-Magazin mit dem Slogan „Die Mindness-Revolution“ scheint das zu unterstreichen. Das heißt nicht, dass alle plötzlich nur noch Achtsamkeits-Mantras summen oder sich in Yoga-Trance üben. Aber es ist auch als Gegentrend zum Zuviel des Digitalen zu verstehen.

Ein Indiz: In Kalifornien sind schon jetzt sog. „Offline-Wochen“ in Hotels angesagt. Und eine aktuelle Tourismus-Studie will herausgefunden haben: Ein schönes Zimmer allein reicht nicht mehr, der Gast will was Besonderes erleben. Ob es ein Zen-Buddhismus-Retreat, eine Nacht im Baumhaus – oder eben die Offline-Woche ist.

Gleichzeitig seien, so Horx, die meisten Phänomene, die wir „Trends“ nennen, in Wirklichkeit uralt. Und am Ende würde wir immer dieselben bleiben: „Wir suchen das Schnelle, Andere und Aufregende, nur um uns nach dem Kuscheligen, Harmonischen, Gemeinschaftlichen zu sehnen.“ Fazit: „Die Welt ändert sich nicht. Sie entfaltet sich nur.“ Ahm. Nachdenkpause. Acht Sekunden.

Kompliment

Sie sind mit Ihrer Aufmerksamkeit immer noch dabei? Kompliment. Damit haben Sie die Acht-Sekunden-These eindrucksvoll widerlegt. Sie sind drangeblieben und dabei vielleicht einen oder zwei (Geschwindigkeits-)Schritte zurückgegangen. Sie werden deswegen wohl kaum belächelt. Eher im Gegenteil. Warum? Eine treffliche Antwort könnte Hieronymus aus dem 5. Jhdt. geben: „Lach nicht über jemanden, der zwei Schritte zurückgeht. Bedenke, er könnte Anlauf nehmen…“



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Franz J. Schweifer
Mag. Dr. Franz J. Schweifer ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching.Training.Consulting.“ in Mödling b. Wien.Als Zeitforscher, FH-Lektor, Managementtrainer & Coach mit über 20 Jahren Beratungserfahrung hat er sich v.a. auf ZEIT-relevante Themen spezialisiert. Und das im persönlichen, unternehmerischen wie gesellschaftlichen Kontext.Ein wesentlicher Leitsatz: "Die Seele braucht Zeit, sonst schrumpft sie."