DiSG® polarisiert: viele Anwender sind begeistert, auch viele BeraterInnen und TrainerInnen schätzen das Modell und die Instrumente. Gleichzeitig gibt es jede Menge Kritik. Da ist die Rede von unwissenschaftlich, da wird der Einsatz einer Typologie bemängelt.
Grund genug für einen gewissenhaften Menschen, der das Modell seit vielen Jahren einsetzt und schätzt, einmal die Stärken und Schwächen des Modells kompakt darzustellen.
DiSG® beschreibt unterschiedliche Verhaltensvorlieben mit den 4 Verhaltensdimensionen dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft. Natürlich kann jeder Mensch Verhaltensweisen aus jeder dieser Dimensionen zeigen, erfahrungsgemäß bevorzugen wir aber eine oder zwei. Die anderen Verhaltensweisen kosten uns mehr Energie, fallen uns seltener ein, erleben wir als „fremd“.
Jemand, der gerne auf fremde Menschen zugeht und dem es leicht fällt, sich für viele verschieden Menschen zu interessieren, der wird wahrscheinlich auch morgen nicht plötzlich sehr zurückgezogen agieren.
Wie kommt es aber zu diesen vier Verhaltensdimensionen und gibt es diese wirklich? Der Psychologe William Marston, der Urvater des heutigen DiSG®-Modells, fragte in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts nach den unterschiedlichen Reaktionen „normaler“ Menschen auf soziale Situationen. Und dabei fand er es hilfreich, zwei Unterscheidungen zu treffen. Zwei Unterscheidungen, die uns bis heute helfen, intelligente Hypothesen über Menschen zu bilden.
DiSG® hilft intelligente Unterscheidungen zu treffen
Aus zwei einfachen Unterscheidungen entsteht eine Landkarte des Verstehens. Und die beiden Unterscheidungen sind uns allen wohl vertraut und schon lange bekannt. Natürlich sind auch andere Unterscheidungen möglich und damit andere Landkarten von Verhaltensvorlieben. Die Stärke von DiSG® liegt auch nicht im „Wahrheitsmonopol“ der getroffenen Unterscheidungen, sondern in der praktischen Brauchbarkeit.
Zum ersten unterscheiden wir Menschen danach, wie sie bevorzugt auf neue Ereignisse reagieren: eher aktiv oder eher nachdenklich.
Eine aktiv reagierende Person erleben wir häufig als schnell, manchmal auch als laut. Die nachdenklich reagierende Person scheint erst einen Schritt zurück zu treten, sich mit einer Stellungnahme Zeit zu lassen. Und wirkt dadurch manchmal langsamer und manchmal auch leiser und vorsichtiger. Beide Pole sind sinnvoll, haben ihre Stärken und ihre Schwächen.
Natürlich kann jeder von uns sowohl aktiv als auch nachdenklich reagieren. Uns interessiert hier lediglich die Tendenz zu einem der beiden Pole. Das DiSG®-Modell beschreibt nämlich unsere Verhaltensvorlieben.
Die zweite Unterscheidung treffen wir nach der sozialen Kontaktbewegung von Menschen in diesen Situationen – mit der Absicht sich zu verbünden oder sich zu distanzieren.
Wenn jemand dazu neigt, in neuen Situationen auf den anderen zuzugehen, so bezeichnen wir dieses Verhalten als akzeptierend. Wir erleben gleichsam ein inneres „ja“ zum anderen.
Tendiert jemand zum Distanzieren, erleben wir das häufig als sachlich und kritisch. Diesen Verhaltenspol nennen wir im DiSG®-Modell in Frage stellend.
Natürlich gilt auch hier, dass jeder von uns akzeptierend und in Frage stellend sein kann, aber die meisten Menschen eine Vorliebe haben.
DiSG® ist das Ergebnis von Unterscheidungen und keine Typologie
Kombinieren wir die beiden Unterscheidungen, so erhalten wir ein 4-Quadrantenmodell mit zahlreichen Hinweisen auf Bedürfnisse, Vorlieben und Eigenschaften der beobachteten Person. Natürlich immer nur als Hypothese, die wir im Gespräch berücksichtigen können.
Probieren wir nun, die 4 Verhaltensdimensionen als Kombinationen der beiden Unterscheidungen zu verstehen:
Abb. 1: DiSG®-Modell
Die Kombination „aktiv“ und „in Frage stellend“ führt uns zur Verhaltensdimension dominant. Das bedeutet zum Beispiel:
- schnell
- ungeduldig
- auf Ergebnisse ausgerichtet
- Wettbewerb macht Spaß
- Druck gibt Kraft
Die Verhaltensdimension initiativ ergibt sich aus „aktiv“ und „akzeptierend“.
Das bedeutet zum Beispiel:
- Schnell auf andere zugehen wollen
- Freude an Kommunikation
- Hang zur Selbstdarstellung
- spontan
- fühlt sich besonders wohl, wenn „was los ist“, liebt Abwechslung
„Akzeptierende“ und „nachdenkliche“ Menschen stellen gerne konkrete Beziehungen in den Mittelpunkt. Daraus ergibt sich die stetige Verhaltensdimension.
Das bedeutet zum Beispiel:
- sicher und beschaulich
- beständig und loyal
- schätzt methodisches Vorgehen
- ehrlich und zuverlässig
- sorgfältig
Zu guter Letzt die Verhaltensdimension gewissenhaft, die Tendenz jener Menschen, die „in Frage stellend“ und „nachdenklich“ bevorzugen.
Das bedeutet zum Beispiel:
- starke Orientierung an richtig und falsch
- ein hohes Interesse an Qualität
- liebt es, genau und gut vorbereitet zu sein
- Verzetteln
- lieber keine Entscheidung treffen, als eine falsche
- recherchieren und „in die Tiefe“ gehen
- Zeitdruck ist „Gift“
DiSG® hilft uns flexibler mit anderen umzugehen
Warum aber ist diese Unterscheidung nach Verhaltensvorlieben für uns überhaupt wichtig? Weil wir unsere Verhaltensvorlieben gleichzeitig auch als Filter verwenden, mit denen wir andere Menschen verstehen und auf Grund derer wir unsere Erwartungen an diese bilden.
Stellen wir uns dazu einen Menschen vor, der leicht und schnell auf andere zugeht. Trifft diese Person jemanden, der genauso funktioniert, dann wird der Kontakt schnell und leicht laufen. Man „versteht sich“!
Trifft unser „Menschenfreund“ auf jemanden, der sich gerne zurückzieht und einem ihm Unbekannten nur langsam öffnet, dann kann das schnell auch als Ablehnung und Zurückweisung aufgefasst werden. Auf der anderen Seite erlebt der introvertierte Mensch den anderen vielleicht als aufdringlich.
Und genau hier setzt der Sinn des Einsatzes des DiSG-Modells an: kenne ich meine Verhaltensvorlieben so kenne ich auch meine Bewertungsschablonen für das Verhalten anderer und kann diese relativieren:
Wer sich in einer Situation anders verhält als ich, ist eben lediglich anders und weder besser noch schlechter! Aus dem unbewussten „Alle sollen so sein wie ich!“ wird das reifere „Menschen sind verschieden und das ist ok!“.
Und im nächsten Schritt kann ich mein Verhalten an den anderen anpassen, uns beiden die Kommunikation so einfach wie möglich machen. Wenn ich vermute, dass der andere schnell zum Punkt kommen möchte, dann kann ich mein Verlangen nach weiteren Details vielleicht doch zügeln …
Voraussetzung dafür ist neben der Kenntnis der eigenen Verhaltensvorlieben die Fähigkeit, aus Verhaltensbeobachtung anderer Ideen für deren wichtigste Verhaltensdimension abzuleiten – das sogenannte „people reading“.
Irrtümer und Grenzen des Modells
Ursache und Wirkung wird verwechselt
Manchmal verwechseln AnwenderInnen und auch TrainerInnen dabei aber Ursache und Wirkung: Nicht weil wir primär dominant, initiativ, stetig oder gewissenhaft sind, verhalten wir uns auf eine bestimmte Weise. Sondern weil ich mich bevorzugt mit bestimmten Verhaltensweisen zeige, kann ich als D, i, S oder G erkannt und bezeichnet werden.
Gerade für AnfängerInnen kann es ein sinnvoller Lernschritt sein in Schubladen zu denken. Wichtig ist, dass wir in unserem Verständnis des Modells nicht dort stehen bleiben.
Verhaltensvorlieben sind nur ein kleiner Teil von Persönlichkeit
Der zweite Aspekt: Verhaltensvorlieben sind nur ein Aspekt von Persönlichkeit. Zwar sehen wir diese Vorlieben relativ schnell – der Psychologe MacAdams nannte die Verhaltensvorlieben deshalb einmal treffend „die Psychologie der Fremden“ – aber zur Persönlichkeit zählen noch viele andere Dimensionen. Neben dem Verhalten machen uns Werte, Grundmotive, Leistungsdimensionen wie Kreativität und Intelligenz und nicht zuletzt persönliche Reife zu dem, was wir sind.
Ein Hauptfehler im Einsatz von DiSG® liegt also in der Überbewertung der Verhaltensvorlieben in der Gesamtpersönlichkeit. Ich persönlich spreche bei DiSG® auch lieber von einem Verhaltensprofil als von einem Persönlichkeitsprofil.
Persönlichkeit und situative Kräfte
Und die Verhaltensvorlieben werden überhaupt nur in sogenannten „weichen“ Situationen sichtbar. Wenn die Situation das Verhalten erzwingt, spielen persönliche Vorlieben kaum eine Rolle. Wenn es brennt und alle verlassen das Haus, so hilft uns DiSG® wenig. Aber auch Profimusiker in einem Orchester während des Konzertes können wir kaum zuordnen – erst der individuell andere Umgang bei der Premierenfeier liefert uns Hinweise.
Conclusio
Wer also glaubt, auf Grund eines DiSG®-Profils zu wissen, mit wem er es zu tun hat, der agiert wie jemand, der aus der Farbe eines Autos auf die Technik schließt (wobei Menschen noch um einiges komplexer sind als Autos).
Wer aber sein DiSG®-Verständnis einsetzt, um sich auf einen anderen Menschen flexibel einzustellen und die Kommunikation leichter zu machen, der bleibt im Interesse, mit wem er es denn da zu tun hat und nutzt DiSG® in intelligenter Weise.
Über den Autor:
Mag. Elmar Türk ist Berater und Trainer in Wien. Als Lehrtrainer für die Wiley-DiSG®-Instrumente unterstützt er seit 8 Jahren TrainerInnen und BeraterInnen dabei, das DiSG®-Modell sinnvoll einzusetzen. Er arbeitet mit verschiedenen psychometrischen Instrumenten und bietet gerne ein differenziertes Bild zum Einsatz jedes Modells.
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