In einer Zeit, in der laufend neue Ideen, Technologien und auch Wettbewerb auftauchen, gleicht das Streben nach einer stabilen Struktur eher einer Illusion. Dennoch versuchen viele Manager und Führungskräfte, ihre Organisationen ständig neu zu strukturieren, um optimale Performance zu erreichen. Sie verfolgen dabei oft das Ziel, eine dauerhaft passende Aufbaustruktur zu finden. Die agilen Methoden mit ihrer starken Forderung nach autonomen Teams und Wertströmen verstärken dies sogar noch. Reorganisieren als Schlüssel zu mehr, zu optimaler Performance? Sinnvolles Streben oder eben doch der Griff ins Nichts?
Die dauerhaft passende Aufbaustruktur war gestern
Früher, das heißt noch vor weniger als 25 Jahren, mussten Unternehmen aufgrund begrenzter IT-Kommunikations- und Rechenkapazitäten auf eine stabile Aufbaustruktur setzen – es war die einzige Möglichkeit, sich als Organisation und den Mitarbeitenden Halt zu verschaffen. Heutzutage ist jedoch nahezu jede Information sofort verfügbar, wodurch die Notwendigkeit einer festen Aufbauorganisation in Frage gestellt wird. Strukturen per se sind zwar immer noch wichtig, da wir Menschen soziale Wesen sind und uns in kleineren Teams oder Geschäftseinheiten besser entwickeln und voranbringen. Aber: Strukturen dienen nicht weiter als primäres Mittel, um den Arbeitsfluss zu optimieren – dafür gibt es besseres.
Der Fokus auf Flow – oder: der „Stoffwechsel“
Am Ende des Tages sind Mitarbeitende am produktivsten, innovativsten und glücklichsten, wenn sie sehen, dass ihre Arbeit zu sinnhaften Ergebnissen führt. Doch was sind sinnhafte Ergebnisse? Wenn Mitarbeitende erkennen, wie ihr Beitrag das Produkt oder das Leben des Kunden besser macht. Oder die Lieferperformance des Unternehmens erhöht. Oder den Wertschöpfungsprozess innerhalb des Unternehmens optimal unterstützt. Ist das der Fall, ist auch das nachhaltige Wachstum des Unternehmens (fast) gesichert – eine echte Win-Win-Situation. Es gilt daher, das Management vollständig auf den Flow, sprich die Wertschöpfung, auszurichten – den „Stoffwechsel“ einer Organisation.
Drei klare Rollen …
Als Schlüssel zu mehr Flow, bietet die Theory of Constraints (TOC) eine Reihe an Konzepten, die sich nicht auf die Aufbauorganisation konzentrieren, sondern auf den „Stoffwechsel“ – also darum, wie Liefergegenstände, respektive Produkte, Dienstleistungen oder Projekte (Initiativen), entstehen. Um den Flow zu optimieren, müssen lediglich wenige klare Rollen definiert und drei Schritte befolgt werden:
- Derjenige, der die Lieferung vom „Ende her denkt“ und mit den Beteiligten klärt, was in welcher Reihenfolge zu tun ist. In der Produktion ergibt sich das meist vorab und logisch von selbst. Im Projekt (egal ob klassisch, agil oder hybrid) ist das eine verantwortungsvolle und grundlegend wichtige Aufgabe.
à früher: der Projektmanager, heute: jeder, der für eine Lieferung verantwortlich ist.
- Derjenige, der die Ressourcen managt und dafür sorgt, dass das Dringlichste für den Gesamterfolg mit optimalen Ressourcen ausgestattet wird. Nur dann können Prozesse in höchster Qualität schnell abgewickelt werden.
à früher: der Teamleiter, heute: oft das Team selbst.
- Derjenige, der sicherstellt, dass nur die wichtigsten Aufträge gestartet werden, damit der Engpass (die Stelle, die als „schwächstes“ Glied in der Kette von allen gebraucht wird und damit die praktische Durchlaufmenge bestimmt) weder über- noch unterlastet wird.
à früher und heute: das Top-Management.
… und drei Schritte optimieren den Flow
Sind die drei Rollen klar zugeteilt und erfüllt, ist der Weg frei für drei entscheidende Schritte hin zu optimalem Flow:
- Unterlast erzeugen: Dies erfordert einen stabilen Engpass, an dem strategische Entscheidungen ausgerichtet werden können – sei es auf Gesamtunternehmensebene oder in einzelnen Geschäftseinheiten. Oft wird der Engpass auch an einer typischen Stelle bewusst fixiert (siehe Tabelle).
- Ein Signal, das die Dringlichkeit zeigt, erzeugen und nutzen: Beispielhaft kann dieses Signal von einer Fieberkurve ausgehe, die visualisiert, welche Aufträge oder Projekte wie viel Fortschritt aufweisen und wie viel Puffer verbraucht ist. Es muss deutlich sichtbar werden, welche Projekte oder Aufträge dringend angegangen oder unterstützt werden müssen. Und: Dieses Signal steht jedem zur Verfügung – so kann jeder mit freien Kapazitäten dort unterstützen, wo es wirklich Sinn macht.
Auch Querschnittsabteilungen profitieren von einem einheitlichen Signal, das ihnen hilft, sich effizient auszurichten und gleichzeitig optimal für alle zu arbeiten. Wenn jeder zu jeder Zeit sieht, wo er seine Energie operativ einsetzen kann, um dem „großen Ganzen“ zu helfen, profitieren letztlich alle. Im Business vergessen wir allzu oft: Wir Menschen brauchen die Gruppe und der Gruppe zu helfen, erzeugt ein gutes Gefühl.
Durch den ausschließlichen Fokus auf den Flow können temporär unterschiedliche Substrukturen entstehen, die je nach Bedarf optimal zusammenarbeiten. Beispiele hierfür sind autonome/agile Teams in Wertströmen, fokussierte Teams in größeren Projekten oder komplexere Netzwerke.
- Prozesse schnell und übergreifend verbessern: Da für alle Aufträge/Projekte das einheitliche Dringlichkeitssignal existiert, sind Störungen im Flow leicht auszumachen – nämlich immer dann, wenn ein Auftrag oder Projekt einen Sprung in den roten Bereich macht. Die vorrangige Managementaufgabe liegt daher in der dauerhaften und bereichs- beziehungsweise abteilungsübergreifenden Beseitigung der Flussstörungen. Damit entsteht ein echter, fokussierter, kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
Flow funktioniert, wenn jeder Mitarbeitende die Vorteile (er-)kennt
Ein möglicher Schmerzpunkt, um Flow in Organisationen zu erzeugen, ist die Incentivierung. Es ist daher wichtig, dass jeder Mitarbeitende einen Vorteil erkennt, der es wert ist, sich dem Gesamtziel zumindest teilweise unterzuordnen. Die TOC unterstützt dies, indem sie auf den Engpass fokussiert und somit Schutzkapazitäten in Geschäftseinheiten und Teams ermöglicht. Incentives können beispielsweise zu 50 Prozent und mehr an der globalen Sinn- und Gewinnentwicklung ausgerichtet werden, während der Rest individuell gestaltet werden kann. So ordnen alle ihr strategisches Handeln entlang des gemeinsamen Engpasses.
Nachhaltiges Wachstum trotz Risikoarmut
Anstatt ständig nach einer dauerhaft passenden Aufbaustruktur zu suchen und unnötige Reorganisationen durchzuführen, können Unternehmen durch den Fokus auf Flow mit Konzepten der TOC ihre Prozesse optimieren und damit optimale Performance erreichen. Die Beibehaltung kleinerer Teams und Geschäftseinheiten ermöglicht dabei eine stärkere soziale Interaktion und Zusammenarbeit, während TOC dazu beiträgt, die Interessen und Anreize aller Beteiligten – ergo: das Gesamtziel der Organisation – zu berücksichtigen. Ein Unternehmen muss also nicht zwangsläufig umstrukturiert werden, um optimale Performance zu erreichen! Strukturen, die sich bewähren, überleben und bleiben. Solche, die den Fluss stören, werden so oder so ab- beziehungsweise umgebaut. Stattdessen sollten Manager sich auf die Optimierung von Prozessen und das Schaffen eines Umfelds konzentrieren, in dem Mitarbeitende und Teams ihr volles Potenzial entfalten können. Die Konzepte der TOC bieten dafür einen ebenso einfachen wie eleganten und risikoarmen Weg, der die Interessen von Mitarbeitenden und Unternehmen in Einklang bringt. Für mehr Flow, fast von selbst.
Über den Autor:
Wolfram Müller ist Experte für agiles Multiprojektmanagement sowie Gründer von BlueDolphin. Seine Passion: selbstorganisierte Veränderungen und Engpassmanagement. Über 40 Unternehmen, vom Start-up über den Mittelständler bis hin zu Konzernen, in allen Branchen haben bisher von seinem Wissen und Methoden profitiert. Sein Ziel beim Kunden: deutlich mehr Projekte mit gleichen Ressourcen sowie eine Verkürzung der Projektlaufzeiten innerhalb weniger Wochen.