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Jeder kennt sie, Kollegen oder Vorgesetzte, die fachlich Spitze sind, doch menschlich unausstehlich. Sie können jedes Betriebsklima vergiften – insbesondere, wenn ihre Chefs sich von ihnen abhängig fühlen und ihnen deshalb volle Rückendeckung geben.

Der Leiter der IT-Abteilung war brillant. Er implementierte im Unternehmen viele neue, digitale Problemlösungen und lieferte dabei stets Top-Ergebnisse. Nur eines machte den Geschäftsführer stutzig: die permanenten Personalwechsel im IT-Bereich und die ewige Suche nach neuen Mitarbeitern; außerdem die schlechten Bewertungen des IT-Bereichs in Stellenportalen.

Also bat er den Personalleiter, die Mitarbeiterfluktuation in den verschiedenen Unternehmensbereichen zu ermitteln. Der konkrete Anlass hierfür: Dem Unternehmen fiel es immer schwerer, Mitarbeiter mit dem erforderlichen IT-Know-how nicht nur für die IT-Abteilung, sondern auch für die Fachabteilungen, die mit ihr eng kooperierten, zu finden. Das Ergebnis war: Die Fluktuation im IT-Bereich ist fast drei Mal so hoch wie in den anderen Abteilungen und über die Hälfte der neuen Mitarbeitern dort kündigt spätestens zum Ende der sechsmonatigen Probezeit.

Das Problem wird oft lange unter den Teppich gekehrt

Darauf angesprochen erwiderte der Leiter der IT-Abteilung: „ITler ticken eben anders als ‚normale‘ Mitarbeiter; außerdem sind sie stark umworben. Also wechseln sie auch häufiger.“ Dem widersprach der Geschäftsführer nicht, doch er dachte sich: Mitarbeiter wechseln in der Regel doch nur den Arbeitgeber, wenn sie mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden sind. Also beauftragte er den Personalleiter, diese zu analysieren. Das Ergebnis war: Die Gehälter im IT-Bereich sind top – auch verglichen mit den Mitbewerbern. Auch die Arbeitsinhalte und Aufstiegsmöglichkeiten stimmen, da das Unternehmen eine Wachstumsstrategie verfolgt und die Unternehmensleitung der Digitalisierung bei deren Realisierung eine Schlüsselrolle beimisst.

Als Schwachstelle beim Aufbau einer schlagkräftigen IT-Mannschaft sowie Finden und Binden neuer Mitarbeiter entpuppte sich jedoch der IT-Leiter. Er erachtete sich offensichtlich als der einzige brillante Kopf im Unternehmen, und dies ließ er seine Mitarbeiter und Kooperationspartner im täglichen Miteinander auch spüren. Ja, er habe geradezu eine Vorliebe dafür, Mitarbeiter fertigzumachen und öffentlich an den Pranger zu stellen. Das betonten zum Beispiel Ex-Mitarbeiter der IT-Abteilung, die der Personalbereich kontaktierte und nach den Gründen für ihren Wechsel fragte. Regelmäßig hätten sie sich vor dem IT-Leiter, auch im Beisein von Kollegen für reale und angebliche Fehler und Versäumnisse rechtfertigen müssen und seien mit Vorwürfen überhäuft worden. Für dieses Ritual habe es im Kollegenkreis sogar einen Namen gegeben: „heißer Stuhl“. Und auf dem habe jeder irgendwann mal unverhofft und meist wegen Nichtigkeiten gesessen.

Die Chefs haben mit den Jerks oft nur sporadisch Kontakt

Der Geschäftsführer traute seinen Ohren nicht; er hatte den IT-Leiter anders erlebt. Das überraschte niemand! Denn er arbeitete mit ihm ja auch nicht Tag für Tag zusammen. Er begegnete ihm nur sporadisch in Meetings, in denen der IT-Leiter meist von „seinen Projekterfolgen“ berichtete.

Immer wieder trifft man in Unternehmen auf Mitarbeiter, die zwar fachlich Spitze sind, jedoch im alltäglichen Umgang die einfachsten Regeln des menschlichen Miteinanders missachten. Im Englischen gibt es für solche Personen den Begriff „brillant jerk”. Er bedeutet frei übersetzt „brillantes Arschloch“ oder „brillanter Kotzbrocken“. Solche Mitarbeiter kann es in Unternehmen in allen Bereichen und auf allen Hierarchiestufen geben. Sie verfügen in der Regel über ein weit überdurchschnittliches bzw. im jeweiligen Kontext seltenes und wichtiges Wissen und Können. Deshalb sind sie beruflich meist überaus erfolgreich und tragen maßgeblich zum Geschäftserfolg bei.

Zugleich neigen sie jedoch dazu, sich zu überschätzen und sich aufgrund ihres Wissens und Könnens für etwas Besseres zu halten. Von ihren Kollegen werden diese toxischen Egos geschätzt und gefürchtet, und nicht selten fühlen sie sich ihnen hilflos ausgeliefert, weshalb sie irgendwann die Reißleine ziehen und gehen. Denn Brillant Jerks sind meist auch gute Schauspieler und gewiefte Manipulatoren. Sie beherrschen das gezielte Herabsetzen von Kollegen und Inszenieren der eigenen Leistung bravourös.

Die Chefs geben den Jerks oft zu lange Rückendeckung

Deshalb und weil sie fachlich oder organisatorisch oft wirklich Spitze sind, fällt es den Jerks meist leicht, ihre Vorgesetzten für sich einzunehmen und für ihre Ziele einzuspannen. Deshalb werden Mitarbeiter, die sich über ihr Verhalten beschweren, von den Vorgesetzten oft nicht ernst genommen. Denn die Kritik ernst zu nehmen und darauf angemessen zu reagieren, würde voraussetzen, dass der Chef sein Bild von dem Jerk hinterfragt und sich eingesteht: Dieses war, wenn nicht falsch, so doch eindimensional.

Das tun viele Entscheider nicht. Sie sehen, solange ein Jerk ihre Erwartungen (über-)erfüllt, meist keinen Grund einzugreifen, denn: Die Ergebnisse sprechen in ihren Augen für den Gescholtenen. Dieses Zögern kann fatale Folgen haben. Diese werden oft zu spät erkannt. Eine schlechte Arbeitsatmosphäre und ein allzu harscher Umgangston können zum Beispiel dazu führen,

  • dass eigentlich gute Mitarbeiter innerlich kündigen und nur noch Dienst nach Vorschrift machen, sofern sie nicht die Flucht ergreifen und den Arbeitgeber wechseln,
  • dass Probleme nicht mehr offen benannt werden, weil jeder befürchtet „Dann stehe ich am Pranger“,
  • dass Unternehmen sich in eine Sackgasse manövrieren, weil niemand sich mehr traut, Bedenken gegen die von dem Brillant Jerk vorgeschlagenen Problemlösungen zu artikulieren und die Geschäftsleitung ihm blind vertraut, oder
  • dass Stammkunden abwandern, weil sie sich nicht mehr wertgeschätzt fühlen und mit der Leistung des Unternehmens zunehmend unzufrieden sind.

Brillant Jerks sind nur zu sich selbst loyal

Brillant Jerks haben nicht einfach einen „schlechten Charakter”; Psychologen würden ihnen vielmehr meist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder gar psychopathische Störung attestieren. Besonders häufig findet man solche Persönlichkeiten in Umgebungen, in denen messbare Erfolge, effektive Prozesse und hierarchische Abhängigkeiten eine hohe Bedeutung haben.

Vorgesetzte denken oft, solche Mitarbeiter seien besonders fleißig und loyal. Dies ist ein Trugschluss, denn das primäre Anliegen der Jerks ist es,

  • ihr Ego und ihr übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen und
  • immer wieder die Wertschätzung und Bedeutung zu spüren, die ihnen und ihrer Arbeit nach eigener Auffassung gebührt.

Deshalb lassen sie ihren Wissens- oder Erfahrungsvorsprung in der Kommunikation nicht nur ihre Kollegen, sondern auch Vorgesetzten spüren. Und weil diese Exzellenz in gewissen Bereichen meist auch existiert, wird ihnen die gewünschte Anerkennung auch gewährt  – insbesondere wenn sie systemrelevant sind oder hierfür erachtet werden. Deshalb verfügen diese Mitarbeiter in der Regel über viel Macht. Das ist gefährlich, auch weil Brillant Jerks sich schnell existenziell beleidigt fühlen, wenn sie ihres Erachtens nicht mehr die ihnen gebührende Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Dann verkehrt sich ihre scheinbare Loyalität gegenüber dem Unternehmen oder Vorgesetzten oft abrupt ins Gegenteil. Nicht selten kehren sie dann Knall auf Fall der Firma den Rücken zu.

Chefs stehen beim Umgang mit den Jerks oft vor einem Dilemma

Chefs befinden sich beim Umgang mit solchen Persönlichkeiten oft in einem Dilemma: Auf der einen Seite sind diese Mitarbeiter nicht selten zum Beispiel für die weitere Unternehmensentwicklung oder zum Aufrechterhalten des laufenden Betriebs enorm wichtig. Also müssen sie in einer gewissen Weise hofiert und bei Laune gehalten werden – gerade in Zeiten, in denen gute Fachkräfte und Manager sowie ausgewiesene „Experten für…“, gerade in vielen MINT-Berufen, rar sind. Auf der anderen Seite werden heute zumindest die Kernleistungen der Unternehmen in der Regel nicht mehr von Einzelkämpfern, sondern in einer funktions- und oft auch bereichsübergreifenden Teamarbeit erbracht. Damit diese funktioniert, müssen sich alle Mitarbeitenden an gewisse Verhaltensregeln halten. Hierzu zählen auch ein sachlicher Umgang mit Problemen und ein wertschätzender Umgang mit Kollegen, aber auch Kunden, Dienstleistern und Lieferanten.

Der toxische IT-Leiter im obigen Beispiel wurde wegen seines ego-zentrierten bzw. nicht-wertschätzenden Führungsstils entlassen. Vor allem, weil die Geschäftsleitung erkannte: Diese Schlüsselposition, in der bereichsübergreifend so viele Fäden zusammenlaufen und die eine zentrale Rolle beim Erreichen unserer strategischen Ziele spielt, ist viel zu wichtig, um sie mit einem Brillant Jerk zu besetzen. Denn mit ihm können wir zwar sogenannte „Quick wins“, also kurzfristige Erfolge erzielen, aber kein tragfähiges Fundament aufbauen. Also beauftragte die Geschäftsleitung insgeheim einen Headhunter, einen geeigneten Nachfolger für den IT-Leiter zu suchen, bevor sie ihm den Laufpass gab.

Etappenziel: Die Macht und den Einfluss des Jerk reduzieren

Im Betriebsalltag fällt es insbesondere Klein- und Mittelunternehmen oft schwer, sich von einem Brillant Jerk zu trennen. Zum Beispiel, weil er die einzige Person ist, die sich mit gewissen IT-Lösungen oder technischen Verfahren auskennt. Oder weil er über ein Spezialwissen im kaufmännischen Bereich verfügt. Oder weil der Geschäftsführer weiß: Selbst wenn einen passenden Ersatz für ihn finden, dann muss dieser erst noch eingearbeitet werden. Und wer macht das?

Wenn Sie in einer solchen Zwickmühle stecken, haben Sie meist keine andere Möglichkeit, als dem Brillant Jerk regelmäßig das gewünschte positive Feedback zu geben, um sein Bedürfnis nach Bedeutung und Anerkennung zu befriedigen. Zugleich sollten Sie aber versuchen, ihn soweit möglich zu isolieren, damit sein toxisches Verhalten nicht zu einem unerträglichen Problem für andere Mitarbeiter oder ganze Abteilungen wird.

Nach möglichen Ersatzbefriedigungen Ausschau halten

Brillant Jerks haben oft ein psychologisches Problem, dessen Wurzeln in ihrer Kindheit liegen. Dieses kann, wenn überhaupt, nur ein Therapeut beheben. Deshalb können Sie als Führungskraft, wenn ein entsprechender begründeter Verdacht besteht, nur versuchen, die Kollateralschäden vorausschauend zu minimieren. Sie können dem Jerk zum Beispiel recht spezielle, aber relevante Aufgaben übertragen, die ein eher geringes Maß an Kooperation erfordern. Doch Vorsicht! Achten Sie darauf, dass sich bei ihm hierdurch nicht noch mehr erfolgsrelevantes informelles Wissen oder Spezialwissen anhäuft, sodass die Abhängigkeit von ihm weiter steigt.

Einzelgespräche und (Team-)Coachings können das Betriebsklima zuweilen kurzfristig verbessern, doch sie lösen das Grundproblem nicht, denn: Für Brillant Jerks hat das Befriedigen der eigenen Bedürfnisse oberste Priorität; für die Bedürfnisse anderer Menschen fehlt ihnen die nötige Empathie. Deshalb sollten Sie solche Mitarbeiter keinesfalls als Belohnung für gute Leistungen in (höhere) Führungspositionen befördern – selbst dann nicht, wenn sie damit drohen, ansonsten das Unternehmen zu verlassen. Überlegen Sie stattdessen, welche alternativen Möglichkeiten das Ego des Jerk und seinen Wunsch nach Anerkennung zu befriedigen, es gibt – zum Beispiel,

  • ihm ein größeres Büro oder einen Firmenwagen gönnen oder
  • ihn zum Berater der Geschäftsleitung in Sachen „…“ ernennen und ihm eine entsprechende Visitenkarte drucken oder
  • dafür sorgen, dass er in einer renommierten Fachzeitschrift einen Fachartikel publizieren oder auf einem Kongress einen Vortrag zu seinem Lieblingsthema halten kann.

Der Weg zum Ziel: Die Abhängigkeit von dem Jerk auflösen

Zugleich sollten Sie aber darauf hinarbeiten, dass Sie Ihre Abhängigkeit bzw. die Ihres Unternehmens von dem Brillant Jerk allmählich auflösen. Zum Beispiel, indem Sie andere Mitarbeiter durch entsprechende Schulungen an das betreffende Aufgaben-/Themenfeld heranführen. Oder indem Sie gewisse Aufgaben schlicht anders als bisher lösen. Und wenn trotz aller „Präventionsmaßnahmen“ eine Eskalation des Konflikts droht und deshalb zeitnah eine Trennung von dem Mitarbeiter nötig ist? Dann sollten Sie zum Beispiel darüber nachdenken, ob ein externer Dienstleister vorübergehend die bei einer Trennung entstehende Wissens- oder Kompetenzlücke schließen kann – selbst wenn dies kurzfristig Mehrkosten verursacht.

Über den Autor:

Simon,JoachimJoachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert. Er ist Autor des im Haufe-Verlag erschienenen Buchs „Selbstverantwortung im Unternehmen“ und Co-Founder der (Self-)Leadership-Coaching-App Mindshine (www.mindshine.app).

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