Durch Corona hat sich die Relevanz des Themas „Führen auf Distanz“ erhöht – auch weil die Mitarbeiter der Unternehmen vermehrt im Homeoffice arbeiten. Ein zentraler Erfolgsfaktor beim Führen virtueller und hybrider Teams ist Vertrauen. Dies gilt es bei der Auswahl der Führungskräfte und Teammitglieder zu beachten.
Schon vor der Corona-Pandemie wurden in vielen Unternehmen die Problemlösungen zunehmend in virtuellen und hybriden Teams erarbeitet – also in Teams, deren Mitglieder alle oder teilweise an unterschiedlichen Orten arbeiten. Ermöglicht wurde diese Form der Zusammenarbeit durch die moderne, digitale Informations- und Kommunikationstechnik. In den zurückliegenden zwei Jahren hat sich dieser Trend beschleunigt – unter anderem, weil corona-bedingt
- viele Reisemöglichkeiten entfielen und persönliche Treffen oft nicht möglich waren und
- ein großer Teil der Mitarbeiter aufgrund der geltenden Gesundheits- und Hygieneregeln im Homeoffice arbeitete und deshalb auch aus der Ferne geführt werden musste.
Virtuelle Teams haben Vor- und Nachteile
Dabei erkannten viele Unternehmen: Virtuelle Teams und hybride Teams, bei denen die Mitglieder sich (teilweise) an verschiedenen Orten befinden und virtuell zusammenarbeiten, haben gegenüber der konventionellen Form der Zusammenarbeit auch Vorzüge. So können zum Beispiel aufgaben- und zielabhängig die jeweils „besten Köpfe“ an den unterschiedlichen (Stand-)Orten in die Suche einer Problemlösung eingebunden werden. Zudem tragen solche Teams zu einer bereichs- und standortübergreifenden Netzwerkbildung bei und erhöhen so die Identifikation mit dem Gesamtunternehmen. Außerdem entspricht die mit der virtuellen Zusammenarbeit meist verbundene Flexibilität bei der Arbeitsgestaltung bezüglich Arbeitsort und -zeit den Lebensbedürfnissen vieler, insbesondere junger Mitarbeiter. Deshalb ist sie für sie attraktiv.
Diesen Vorteilen stehen jedoch Nachteile gegenüber. So ist zum Beispiel die Kommunikation in virtuellen und hybriden Teams meist schwieriger als in Teams, deren Mitglieder alle am selben Ort ihren Arbeitsplatz haben und sich regelmäßig treffen. Außerdem ist, weil man sich nicht spontan als Team treffen und besprechen kann, eine stringentere Arbeitsplanung nötig. Deshalb stellt das Führen virtueller Teams an Führungskräfte höhere Anforderungen als das Führen konventioneller Teams.
Ergebnisse einer Befragung von 154 Führungskräften, die bereits vor der Corona Pandemie virtuelle Teams leiteten.
Anforderungen an die Leiter virtueller Teams
Für die Leiter virtueller sowie hybrider Teams gilt zunächst: Sie müssen selbstverständlich die klassischen Aufgaben jeder Führungskraft erfüllen – also zum Beispiel Ziele vereinbaren und (im Team) erreichen sowie Mitarbeiter motivieren, fördern und entwickeln. All diese Aufgaben nehmen sie jedoch unter anderen Rahmenbedingungen wahr. Und hieraus resultieren auch neue (Kompetenz-)Anforderungen.
Ein zentraler Erfolgsfaktor beim Führen virtueller und hybrider Teams ist Vertrauen. Denn aufgrund der räumlichen Distanz zumindest zu einem Teil der Mitarbeiter erhält die Führungskraft weniger Detailinformationen und informelle Informationen. Also ist auch weniger Kontrolle möglich, was wirklich passiert. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen ihre Mitarbeiter an einer „längeren Leine“ führen. Und die Teammitglieder müssen mehr Verantwortung übernehmen. Also muss auch die Vertrauensbereitschaft der Führungskraft größer sein.
Hieraus resultieren folgende Anforderungen an die Kompetenz und Persönlichkeit der Frauen und Männer, die ihre Mitarbeiter weitgehend auf Distanz führen:
- Sie sollten ein positives Menschenbild und ein niedriges Kontrollbedürfnis haben.
- Sie sollten eine klare, die Mitarbeiter motivierende Vision haben, wie sich die Zusammenarbeit gestalten und von welchen Werten das Miteinander geprägt sein soll. Und:
- Sie sollten sensibel für die Wertesysteme und Bedürfnisse anderer Menschen sein – insbesondere, wenn diese in anderen Kulturen oder gesellschaftlichen Milieus zuhause sind.
Die Führungskräfte müssen zudem mit ihren Mitarbeitern auch auf Distanz realistische Ziele vereinbaren und ihnen ein konstruktives, ihre Entwicklung förderndes Feedback geben können. Außerdem sollten sie gute Kommunikatoren sein und eine hohe Affinität zu den modernen Kommunikationstechnologien haben.
Zusammenfassend kann man sagen, die wichtigen Führungsaufgaben der Leiter virtueller und hybrider Teams sind:
- geeignete Teammitglieder aussuchen und qualifizieren,
- Vertrauen auf- und ausbauen,
- die Kommunikation und Information sicherstellen,
- adäquate Arbeitsroutinen etablieren und
- das Team entwickeln.
All diese Aufgaben gestalten sich beim Führen auf Distanz anders als bei der konventionellen Zusammenarbeit, weil die Rahmenbedingungen andere sind.
Teammitglieder aussuchen und qualifizieren
Generell gilt: Das Arbeiten in virtuellen Teams stellt höhere Anforderungen an alle an diesem Prozess beteiligte Personen. Das wird vielen Unternehmen zunehmend bewusst. Denn daraus, dass die Teamleitung beim Führen mehr Verantwortung abgeben muss, folgt: Die Teammitglieder müssen diese Verantwortung professionell wahrnehmen können. Sie müssen
- eigenständig und selbstorganisiert arbeiten,
- ihre Handlungs- und Entscheidungsspielräume effektiv nutzen und
- sich selbstständig vernetzen
können. Deshalb sind Mitarbeiter, die aus fachlichen oder persönlichen Gründen (noch) einer engen Führung bedürfen, in virtuellen Teams schlecht aufgehoben; auch ein Arbeiten im Homeoffice ist bei ihnen nur bedingt möglich. Die Mitglieder virtueller und hybrider Teams müssen zudem – wie die Teamleitung – eine hohe Affinität zur modernen Informations- und Kommunikationstechnik sowie eine gewisse Kompetenz und Erfahrung im Umgang mit ihr haben. Fehlen (potenziellen) Teamgliedern diese Eigenschaften und Fähigkeiten noch, gilt es sie, soweit möglich, bei ihnen zu entwickeln.
Vertrauen auf- und ausbauen
Die wichtigste Komponente für das Funktionieren virtueller und hybrider Teams ist Vertrauen. Dieses gilt auch für konventionelle Teams. Bei einer weitgehend virtuellen Zusammenarbeit ist es jedoch schwieriger, Vertrauen aufzubauen.
Beim Vertrauen gilt es, zwischen
- dem Vertrauen in die fachliche und persönliche Kompetenz der anderen Teammitglieder und
- dem persönlichen Vertrauen zwischen den Teammitgliedern
zu unterscheiden. Das Vertrauen in die Kompetenz lässt sich durch eine entsprechende Auswahl der Mitglieder sowie (Weiter-)Qualifizierung von ihnen realisieren. Persönliches Vertrauen hingegen entsteht nur, wenn die Teammitglieder sich persönlich kennenlernen und ein Gespür dafür entwickeln, wie der jeweils andere „tickt“. Wie verhält er sich? Was ist ihm wichtig? Wie reagiert er, wenn …?
Deshalb sollte, sofern möglich, bevor virtuelle Teams ihre Arbeit aufnehmen, ein Kick-Off stattfinden, bei dem die Mitglieder sich „beschnuppern“ und Auge in Auge miteinander kommunizieren, so dass sie den jeweils anderen auch als Individuum wahrnehmen. Zudem sollten regelmäßig Treffen stattfinden, bei denen die Teammitglieder über die gemeinsame Arbeit sprechen und ihre persönliche Beziehung vertiefen. Je besser sich die Mitglieder bereits kennen, umso seltener sind solche Treffen nötig.
Vertrauen entwickelt sich stets mit der Zeit und durch eine regelmäßige Kommunikation. Sich gut informiert zu fühlen, ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen. Deshalb sollte virtuellen und hybriden Teams auch eine Plattform für die informelle Kommunikation zur Verfügung stehen. Diese Funktion können soziale Netzwerke, Chat-Tools und ähnliche Instrumente erfüllen.
Die Kommunikation und Information sicherstellen
Eine Kernaufgabe der Teamleitung ist es, für eine regelmäßige, offene und umfassende Kommunikation zu sorgen. Hierfür ist es nötig, Kommunikations- und Informationsroutinen zu etablieren, die vom Team angenommen und unterstützt werden. Regelmäßige virtuelle Team-Meetings gehören ebenso dazu wie Vier- und Mehr-Augen-Gespräche.
Die für die Kommunikation genutzte Informations- und Kommunikationstechnik sollte unter anderem folgende Funktionen erfüllen:
- eine gemeinsame Datenhaltung, die eine Konsistenz der Daten ermöglicht,
- eine unkomplizierte Terminabstimmung,
- verteilte Besprechungen und
- eine informelle Kommunikation.
Es gibt immer mehr (Kollaboration-)Tools, die eine oder mehrere dieser Funktionen abdecken. Auch für verteilte Besprechungen gibt es inzwischen zahlreiche Lösungen, die unter anderem folgende Funktionen ermöglichen:
- Audiokonferenz,
- Videokonferenz,
- Moderation,
- File Sharing,
- simulierte Kartenabfragen,
- Brainstorming und
Schwierig gestaltet sich bei der virtuellen Zusammenarbeit jedoch oft noch das Aufrechterhalten der informellen Kommunikation. Für den privaten Bereich gibt es viele Apps, die eine informelle Kommunikation über Distanz ermöglichen. Als Beispiele seien Skype, Facebook, Twitter und WhatsApp genannt. Auch im Business-Bereich finden solche Lösungen zunehmend Verbreitung, denn die Unternehmen erkennen immer stärker, wie wichtig die informelle Kommunikation für eine gute Zusammenarbeit in verteilten Arbeitsumgebungen ist.
Das virtuelle bzw. hybride Team entwickeln
Wie traditionelle Teams durchlaufen auch virtuelle und hybride teamdynamische Prozesse. Die vier Entwicklungsphasen nach Tuckman (forming, storming, norming, performing) werden auch bei ihnen durchlebt (siehe Kasten). Bei neu formierten virtuellen und hybriden Teams ist die Gefahr jedoch größer, dass das Team in der Storming-Phase stecken bleibt – insbesondere dann, wenn nun auftretende Konflikte nicht nachhaltig bearbeitet werden.
Das Bearbeiten der auftretenden Konflikte ist der Dreh- und Angelpunkt der Effektivität auch in den klassischen Teams. In virtuellen und hybriden Teams werden vorhandene und sich anbahnende Konflikte von der Teamleitung jedoch oft erst später erkannt. Deshalb sollte in ihnen eine Kultur der Offenheit, des konstruktiven Feedbacks sowie Respekts bestehen. Denn dann können
- Konflikte,
- Interessengegensätze sowie
- unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen, aus denen Konflikte erwachsen könnten,
leichter angesprochen und bearbeitet werden. Dessen ungeachtet muss die Teamleitung für eventuelle Unstimmigkeiten sehr sensibel sein, denn diese artikulieren sich bei einer virtuellen Zusammenarbeit oft versteckt – zum Beispiel in Mails und Memos.
Zusammenfassung
Eine virtuelle Zusammenarbeit stellt höhere und teils andere Anforderungen an die Teammitglieder und die Teamleitung als die traditionelle Form der Zusammenarbeit. Das wird vielen Unternehmen, bei denen in den zurückliegenden zwei Jahren das Arbeiten in virtuellen oder hybriden Teams – oft unter dem Label „New work“ – neu eingeführt bzw. forciert wurde, zunehmend bewusst. Da in ihnen die Teammitglieder aufgrund ihrer räumlichen Entfernung eigenständiger und -verantwortlicher arbeiten, ist Vertrauen ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Wird dies beim Zusammenstellen der Teams und bei der Teamführung bedacht, dann können virtuelle und hybride Teams eine zentrale Säule der künftigen Arbeitsorganisation in den Unternehmen sein, da sie es den Unternehmen ermöglichen, flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Zudem entsprechen sie oft dem Bedürfnis der Mitarbeiter, bei ihrer Arbeitsgestaltung zeit- und ortsunabhängiger zu sein. Entsprechend groß ist bei einer adäquaten Führung ihre Akzeptanz.
Die vier Phasen einer Teamentwicklung
Jedes Team durchläuft, bevor es voll leistungsfähig ist, einen längeren Prozess der Selbstfindung. Er gliedert sich in die vier Phasen „Forming“ (Orientierungsphase), „Storming“ (Konfliktphase), „Norming“ (Organisationsphase) und „Performing“ (Integrationsphase).
Forming: In der „Forming-Phase“ beschnuppern sich die Teammitglieder wechselseitig. Sie versuchen zu ermitteln: Was können die „neuen Kollegen“? Welche Interessen verfolgen sie und ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihnen möglich? In dieser Phase empfindet sich das Team noch nicht als Team.
Storming: Die „Storming-Phase“ ist von Auseinandersetzungen geprägt. In ihr werden sozusagen die Rangkämpfe ausgefochten. Nun geht es unter anderem darum: Wer hat welche Aufgabe und Rolle im Team? Wie stark werden die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt? In dieser Phase kochen oft unterschwellige Konflikte zwischen den Bereichen und Funktionsgruppen im Unternehmen hoch, und die Teammitglieder sind stärker mit Status-Kämpfen als mit ihrer Aufgabe beschäftigt.
Norming: In der „Norming-Phase“ glätten sich die Wogen allmählich. Nun entwickeln die Teammitglieder zum Beispiel Spielregeln für den Umgang miteinander; außerdem vereinbaren sie erste Maximen, an die sich alle beim Lösen der Aufgabe halten. Erst wenn ein Team diesen Punkt erreicht hat, entfaltet es allmählich seine Vorzüge.
Performing: In der „Performing-Phase“ ist aus den einzelnen Teammitgliedern (beziehungsweise der Arbeitsgruppe) ein Team geworden, das sich gemeinsamen Werten und Zielen verpflichtet fühlt. Nun werden im Team bessere Ergebnisse erzielt, als wenn seine Mitglieder alleine arbeiten würden.
Über den Autor:
Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy). Dieses bietet u.a. das Online-Führungskräfteentwicklungsprogramm „360° Leadership Programm“ an, das Führungskräfte für das Führen von Mitarbeitern auf Distanz qualifiziert.