Ich bin nun seit über zehn Jahren Coach. In manchen Jahren lief das Business glänzend, manchmal bescheiden und dann wieder völlig normal. Wirtschaft eben – oder wie man heute sagt: die Volatilität halt. Und obwohl ich am Coaching hänge und mir meine Kunden, jeder einzelne, viel bedeutet, glaube ich, dass wir gerade Zeuge des Niedergangs von Coaching werden. Dass das Business implodiert.
Die Coaching-Blase steht kurz vor dem Platzen
Auf den ersten Blick scheint meine These vielleicht absurd: Erstens ist Coaching mittlerweile als festes Instrument in der Personalentwicklung etabliert. Zweitens ist Coaching im Mainstream angekommen: Nicht nur der hochrangige Manager kann sich ein Coaching leisten, sondern auch der „normale“ Angestellte. Drittens hat die Branche eine gewisse Marktreife erreicht mit ihren bis zu zwanzig Verbänden in Deutschland, schätzungsweise 35.000 (Teilzeit-)Coaches und mit durchaus vernünftigen Ausbildungen. Doch wie bei der Immobilienblase ist eine Überhitzung offensichtlich, das Angebot übersteigt die Nachfrage bei Weitem, und die Coaching-Blase steht kurz vor dem Platzen. Warum ist das so?
Der Markt ist geprägt von Beliebigkeit
Ich will hier gar nicht darüber streiten, was „gutes“ Coaching ist oder „schlechtes“, welche Qualitätsstandards man bräuchte oder eben nicht etc. Neutral betrachtet diffundiert der Begriff „Coaching“ heute ins Nichts. Es gibt Business Coaching, Life Coaching, Back-Coaching und, jawohl, Immobilien-Coaching. Coaching ist alles und nichts. Das sollte nicht nur Begriffsästheten besorgen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen in einem Schuhgeschäft einen Turnschuh kaufen, und der Verkäufer bringt Ihnen einen Gummistiefel. Weil der doch auch „irgendwie an die Füße passe“. Das würde verärgern und erstmal zu Diskussionen führen, was ein Turnschuh ist und was ein Gummistiefel. Wenn jedoch der Kunde nicht einschätzen kann, was Coaching ist bzw. wenn Coaching alles ist, wird Coaching beliebig und austauschbar. Und Beliebigkeit und Austauschbarkeit waren schon immer ein Garant für sinkende Preise. Was wiederum den Druck auf die Anbieterseite verschärft.
Coaching: ein tolles Produkt, das aber keiner haben will
Ein zweiter Grund für das mittelfristige Platzen der Coachingblase liegt im Desinteresse der Kunden. Nach einer Erhebung der Plattform kununu bieten 26 % aller befragten Unternehmen ihren Mitarbeitern Coaching an. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Von den Mitarbeitern dieser Unternehmen interessieren sich aber nur 7 % dafür. Der Schluss liegt nahe, dass Coaching-Anbieter und Unternehmen die Akzeptanz und Wertigkeit von Coaching als viel höher einschätzen als der gemeine Arbeitnehmer. Was nützt das tollste Produkt, wenn es der Kunde schlicht nicht haben will? Meiner Meinung nach wird der Coaching-Markt von den Akteuren als voluminöser dargestellt als er tatsächlich ist. Das ist verständlich, denn schließlich geht es um das eigene Geschäftsmodell. Aber hilfreich für eine realistische Einschätzung der ökonomischen Situation ist es nicht.
Der Coaching-Markt ist strukturiert wie ein Pyramiden-Trickbetrug
Im Coaching-Markt ist es wie in vielen Weiterbildungsmärkten: Viele Coaches überleben nur, weil sie wiederum Coaches ausbilden. Das geht gut, solange es genügend Beute zu verteilen gibt. Aber irgendwann kannibalisiert sich der Markt selbst und es gibt zu wenig Kunden. Die Selektion und das Coach-Sterben setzt ein. Ich persönlich sehe diesen Punkt längst erreicht. Mein Verdacht: Viele Coaches leben bereits von der Substanz oder haben andere Einnahmequellen. Nicht umsonst erbrachte die letzte Marburger Coaching-Studie, dass fast 50 % aller befragten Coaches höchstens 25 % ihres Jahreseinkommens mit Coaching bestreiten. Dieser Anteil dürfte in Zukunft eher ab- als zunehmen. Und was bedeutet das eigentlich für eine Profession, die sich selbst ständig als Nebenerwerb erlebt?
Coaching geht Inhouse
Immer mehr Coaching-Kompetenz verlagert sich von externen Anbietern in die Organisationen. Trends wie „Die Führungskraft als Coach“ oder das Aufsetzen interner Coachingpools sollen die Prozesskompetenz im Haus halten und natürlich Kosten sparen. Auch von der anderen Seite bekommen externe Coaches Druck: So werden zum Beispiel viele Gesundheitsthemen inzwischen von Therapeuten abgedeckt, Burnout von den Krankenkassen, Karriereberatung von der Arbeitsagentur. Kommt auch noch das Megaprojekt, viele Weiterbildungen zentral von der Arbeitsagentur verwalten und ausüben zu lassen, können viele Weiterbildner einpacken. Auf welchem Qualitätsniveau dann gearbeitet wird, ist hierbei gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass der Kunde weniger zahlen muss und einen kürzereren Weg hat. Weil er schon angedockt ist: mit seiner Krankenversicherung, seinem Agentur-Sachberarbeiter oder eben seinem Unternehmen.
Coaching: Go, create!
Wie wird die Zukunft des Coaching aussehen? Sicher weiß das natürlich keiner. Ich persönlich jedoch glaube, dass uns eine Marktbereinigung bevorsteht – was nicht schlecht sein muss. Allerdings sollten wir uns heute schon Gedanken machen, wie wir neue und attraktive Formen von Coaching schaffen und an die Kunden kommunizieren. Wie sich externe Coaches zusammenschließen können und eventuell Coaching Companies gründen können. Und wie wir als Coaches den Spaß an der Sache nicht verlieren. Denn Blase hin oder her – Coaching ist einfach großartig.
Über den Autor:
Markus Väth ist Psychologe und New Work – Vordenker. Er arbeitet seit über zehn Jahren als freiberuflicher Referent und Coach. Seine Themen sind New Work, Unternehmenskultur und persönliches Wachstum. Außerdem ist er Kolumnist und Autor mehrerer wirtschaftspsychologischer Bücher zu den Themen New Work, Zukunft der Arbeit und Produktivität.