Viele Probleme der hybriden und virtuellen Zusammenarbeit sind psychologischer Natur. Es ist wichtig, diese zu kennen, um für sich selbst und andere eine optimale Lern- und Arbeitsumgebung zu schaffen.
Eine typische Herausforderung bei der hybriden und virtuellen Zusammenarbeit ist der sogenannte Proximity Bias. Dieser Begriff bezeichnet eine Urteilsverzerrung des menschlichen Gehirns, die dazu führt, dass wir das bevorzugen, was uns räumlich näher ist. So neigen Menschen dazu, Personen, die ihnen räumlich näher sind, mehr zu mögen als solche, die weiter entfernt sind. Außerdem halten sie deren Meinungen, Wünsche und Bedürfnisse oft für wichtiger und lassen sie eher in ihr Handeln einfließen.
Räumliche Nähe kann Bevorzugung bewirken
Dieses psychologische Phänomen kann im Betriebsalltag unter anderem dazu führen, dass Mitarbeitende im Homeoffice
- real benachteiligt werden oder
- sich, weil sie dieses Phänomen kennen, zumindest benachteiligt fühlen.
Wie verbreitet Proximity Bias ist, zeigt sich, wenn man mit Menschen spricht, die primär im Homeoffice oder fern der Unternehmenszentrale arbeiten. Dann äußern diese recht häufig den Eindruck oder Verdacht, dass im Betrieb Dinge besprochen und verabredet werden, von denen sie im Homeoffice nichts oder nur am Rande etwas mitbekommen. Unter anderem deshalb fühlen sich nicht selten außen vor gelassen.
Und selbst wenn ihre Vermutung unzutreffend ist, so zeugt die Tatsache, dass sie einen solchen Verdacht artikulieren, doch von einer persönlichen Verunsicherung. Auch dies ist eine Folge des psychologischen Wahrnehmungsphänomen Proximity Bias, das zu besagter Urteilsverzerrung des menschlichen Gehirns führt.
Mitarbeiter im Homeoffice wollen Vertrauen spüren
In hybriden und virtuellen Arbeitsumgebungen kann der Proximity Bias außerdem zu der falschen Annahme führen, Mitarbeitende, die im Büro arbeiten, seien produktiver und loyaler als ihre weiter entfernt arbeitenden Teamkollegen. Wird dieses Phänomen ignoriert, riskieren Unternehmen, dass Mitarbeitende im Büro bereits aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit ein höheres Vertrauen ihrer Führungskräfte genießen und deshalb zum Beispiel auch bessere (Aufstiegs-)Chancen haben. Das heißt, sie werden aufgrund der größeren Vertrautheit mit ihnen bei der Verteilung von Verantwortlichkeiten, Beförderungen und Belohnungen eher berücksichtigt. Das wirkt sich, sofern dies die Mitarbeitenden zum Beispiel im Homeoffice real registrieren oder auch nur befürchten, negativ auf deren Motivation aus.
Deshalb gilt es das Bewusstsein der Führungskräfte, aber auch Mitarbeitenden für dieses psychologische Phänomen zu schärfen, denn es spielt nicht nur in der Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter, sondern auch in der Beziehung der Mitarbeitenden untereinander eine Rolle.
Dem „Proximity Bias“ entgegenwirken
Wie kann man also diesem Phänomen entgegenwirken. Hier einige Tipps und Hinweise.
- Das Kennen und Erkennen dieses Phänomens ist der erste Schritt zum Bewältigen seiner Risiken.
- Führungskräfte sollten sich vor der Annahme hüten, dass Mitarbeitende, die im Büro sichtbar sind, zwangsläufig produktiver, loyaler, effektiver usw. sind als diejenigen, die außerhalb ihrer Sichtweite arbeiten. Zudem sollten sie ihr Verhalten diesbezüglich reflektieren.
- Meetings sollten grundsätzlich, sofern möglich, mit allen Teammitgliedern – auf Augenhöhe – durchgeführt werden, entweder bei persönlichen Treffen oder per Video-Call.
- Hybride Meetings, bei denen sich einige Personen zum Beispiel im selben Raum im Betrieb befinden, und andere zuhause beispielsweise am heimischen Rechner sitzen, bergen Gefahren. Sie führen schnell zu einer „Zweiklassengesellschaft“, wenn sie nicht gut moderiert werden.
- Für das Team wichtige Infos sollten stets allgemein online geteilt werden statt sie in (Online-)Meetings oder im Vorbeigehen Teilgruppen oder Einzelpersonen mitzuteilen. Dann ist gewährleistet, dass auch die Mitarbeitenden im Homeoffice immer gut informiert und einbezogen sind und niemand vergessen wird.
- Eine Liste kann Führungskräften und Projektmanagern dabei helfen, einen Überblick zu bewahren, wie oft und wie lange sie mit den einzelnen Teammitgliedern unabhängig von deren Arbeitsort kommuniziert haben. Das beugt einem Vergessen von Einzelpersonen vor. Zudem kann diese Übersicht im Konfliktfall als Beleg für eine relative Gleichbehandlung dienen.
- Klare und transparente Kriterien für die Leistungsbeurteilung der Teammitgliedern, die systematisch angewandt werden, wirken einer unbewussten Bevorzugung von Mitarbeitenden in der persönlichen Nähe entgegen.
An die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden appellieren
Wichtig ist es aber auch, allen Teammitgliedern immer wieder zu vermitteln, dass sie auch selbst zumindest mitverantwortlich sind, wie sichtbar sie und Leistungen sind. Gerade Mitarbeitende im Homeoffice benötigen auch ein Bewusstsein dafür, dass sie zuweilen auch selbst die Initiative ergreifen müssen, um beim mobilen Arbeiten nicht in Vergessenheit zu geraten. Loben Sie deshalb in (Online-)Meetings als Führungskraft gezielt auch einzelne Mitarbeitende für ihre Initiativen mit Ihnen oder Kollegen in einen Dialog zu treten. Das wirkt sich auch auf das Verhalten der anderen Teammitglieder aus.
Autorin: Sabine Prohaska