Es ist manchmal herausfordernd, unserer Arbeit Sinn zu geben, doch es lohnt sich sowohl für Arbeitgeber und Mitarbeiter, um Gesundheit zu erschaffen und zu erhalten sowie erfüllende Karrieren und florierende Unternehmungen hervorzubringen, wie Ulrike Haiden und Harald Kastner, Gründer und Beratungsteam der Integralen Praxis in Wien im Interview mit Weiterbildungsmarkt.net, betonen.
Weiterbildungsmarkt.net: Wo sehen Sie derzeit im Arbeitsleben die größten Schwierigkeiten, den Sinn in der eigenen Tätigkeit zu finden?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Unserer Erfahrung nach fehlt ein ganzheitlicher Betrachtungsrahmen für Arbeit – denn hätte man diese ganzheitliche Sicht auf das Arbeitsleben und würde man zugrunde legen, dass innere und äußere Bereiche gleich wichtig sind, könnte man leicht erkennen, dass
- das Übergewicht der Wahrnehmung von Arbeit auf sichtbaren Bereichen im Außen liegt: der Kompetenz, der Funktionalität;
- die inneren, unsichtbaren Bereiche, die seelische und kulturelle Beteiligung an der Arbeit, unterrepräsentiert, ja zum Teil auch unerwünscht sind.
Das Fehlen der ganzheitlichen Sicht führt dazu, dass in Organisationen Angst und Frustration die Führung übernehmen, anstelle von Inspiration, Kreativität und Funktionalität. Konflikte werden nicht ausgetragen, Reifungschancen verstreichen ungenutzt, sowohl individuell als auch organisatorisch. „Wir haben einen Job zu erfüllen!“ – das ist die Keule, mit der geistig-seelische und kulturelle Aspekte von Arbeit niedergeschlagen werden.
Sowohl in traditionell hierarchisch geführten Unternehmen als auch in modern fließend und anlassbezogen organisierten Strukturen der Zusammenarbeit gibt es kaum Möglichkeiten, neben dem Effizienzdiktat auch sinngeleitete Aspekte integrieren zu können.
Weiterbildungsmarkt.net: Was denken Sie, sind die Gründe für das Fehlen eines Sinns?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Wir werden schon in der Schule auf Erfüllungsgehilfen eines hierarchisch organisierten und erfolgsorientierten Systems reduziert (Stichwort Noten und Klassenerfolg). Diese Struktur setzt sich bis in die Universitäten fort. Die heutigen Bildungseinrichtungen dienen nicht mehr wie noch in den 1970er und 80er Jahren der Bildung der Menschen für ihre selbstbestimmte Lebensgestaltung sondern der Berufsausbildung. Sie zweckoptimieren Lernende für ein bestimmtes Einsatzgebiet. Die „echt freie Lehre“, die „echt freie Menschen“ hervorbringt, ist in den Bildungsinstitutionen unter die Räder gekommen.
Die Sinnfrage wird im Schulwesen selten beantwortet „Wozu soll ich das lernen?“ wird autoritär niedergebügelt. Später ist es dann in der Firma die Frage: „Wozu soll ich das machen?“, die aus lauter Angst vor der Kündigung nicht gestellt wird. Und falls die Frage nach dem Wozu doch gestellt wird, wird sie auf die Kompetenz und Funktionalität, auf das Außen gerichtet und nicht auf das Innen, auf die geistig-seelische und kulturelle Entwicklung.
Projekte für junge Menschen nützen nichts, solange die Lehrenden und Führenden dabei Tradiertes vorleben und die Jungen zu Erfüllungsgehilfen der Systeme der „Alten“ ausbilden und nicht für Veränderung und Gestaltung im Sinne der Jungen.
Solange unternehmerischer Erfolg hauptsächlich in Geldwert gemessen wird und Sinn & Zweck sowie resultierende Wertehaltungen von Mitarbeitern mittlerweile im Management zwar als diskutierbar angekommen sind, der Begriff des Humankapitals aber weiterhin dem unternehmerischen Erfolg untergeordnet und nicht gleichgestellt ist, bleiben Sinn & Zweck außen vor und können von Mitarbeitern nur in Freizeit und Privatleben umgesetzt werden.
Aber auch Selbständige „strecken sich nach der Decke“, indem sie vorwiegend das anbieten, was gekauft wird und nicht das, was für sie den größten Sinn macht.
Weiterbildungsmarkt.net: Es häufen sich die Fälle von Burnout und Erschöpfung? Sehen Sie hier einen Zusammenhang?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Das Fehlen eines Sinns der Arbeit hängt aus Sicht der Salutogenese mit Burnout und Erschöpfung direkt zusammen. Aaron Antonovsky, der Begründer der Salutogenese, hat die Faktoren der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit erforscht: Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit.
Solange wir Menschen als Räder im Getriebe behandeln, die nichts von den Zusammenhängen des Systems verstehen, die nicht lernen, ihrer Arbeit einen Sinn zu geben und ihre Arbeitssituation aus diesem Verständnis und dieser Haltung meistern zu können, ist es wenig überraschend, wenn sie wie Maschinenteile „Materialermüdung“ bekommen, nach einiger Zeit erschöpft und ausgebrannt sind.
Sinnentsprechend auf einen passenden Zweck hinzuarbeiten ist wahrscheinlich der wirkungsvollste Schutz vor Burnout und Erschöpfung. Wesentliche Voraussetzung ist dabei, auf sein Inneres und den eigenen körperlichen Zustand zu hören, was in einem adäquaten Arbeitsumfeld auch dem Organisationssinn & -zweck sowie den daraus resultierenden geteilten Werten entsprechen würde. Auf längere Sicht ist eine solche gelebte Arbeitsweise nicht nur gesünder, sondern auch effizienter und letztlich gewinnbringender.
Weiterbildungsmarkt.net: Welche Rahmenbedingungen sollten Unternehmen schaffen, um Beschäftigten eine als sinnvoll erlebbare Aufgabe zu geben?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Die Unternehmensführung selbst sollte den Sinn & Zweck des Unternehmens, der über das Geld Verdienen hinausgeht, klären und der Geschäftstätigkeit voranstellen.
Die Unternehmensführung sollte alle Maßnahmen ergreifen, die dazu notwendig sind, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voll bewusst im Nutzen ihrer Aufgabe in Bezug zum Spirit, der Funktion, der Kultur und des gesellschaftlichen Wirkens des Unternehmens stehen und wirken können.
Bei der Personalauswahl eines sinngesteuerten Unternehmens sollte der individuelle Sinn & Zweck formal geeigneter Kandidaten erfasst werden.
Bereichs- und hierarchieübergreifende Arbeitskreise können dazu dienen, die aktuelle Arbeit auf Basis des gemeinsamen Sinns & Zwecks zu gestalten. In dieser Form des Austausches helfen Menschen und Organisation einander gegenseitig. Ein solcher Arbeitskreis kann als Kreativraum genutzt werden, in dem Ideen und Grundlagen für Gestaltungsprozesse entwickelt werden, die allen Mitarbeiter und dem Unternehmen dienen. Erarbeitete Übereinstimmungen aus individuellem und unternehmerischem Sinn & Zweck sowie daraus resultierende Werte bilden dann die Basis für eine gemeinsam lebbare Firmenkultur.
Beschäftigte sollten sich in individuellem Setting über den Sinn & Zweck und Handhabbarkeit ihrer Arbeit offen austauschen können und lernen, ihre Sichtweise in den gemeinsamen Gestaltungsprozess konstruktiv einzubringen.
Mitarbeiter sollten sich in individuellen wie in gemeinschaftlichen Settings in ihrer Selbstführungskompetenz und Transparenz im Zusammensein mit anderen weiterentwickeln können. Es müsste zur Unternehmenskultur gehören, dass Emotionen nicht verdrängt werden, sondern wesentliche Hinweise für Entwicklungs- und Führungsarbeit beinhalten.
Personalarbeit in sinngeleiteten Unternehmungen sollte auf Kenntnissen der Werte- und Persönlichkeitsentwicklung Erwachsener aufbauen, denn was zu einem früheren Zeitpunkt für uns Sinn gemacht hat, kann sich verändern.
Weiterbildungsmarkt.net: Sehen Sie hierbei Unterschiede zwischen Angestellten und Selbständigen? Wenn ja, welche?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Aus unserem Blickwinkel erkennen wir, dass sich sowohl Selbständige als auch Angestellte Einschränkungen gegenüber sehen, wenn es darum geht, ihren persönlichen Sinn in der Arbeit zu leben. Angestellte erfahren den Unternehmensrahmen durch Arbeitsregeln und Vorgaben als einschränkend, während Selbständige das geschäftliche Umfeld und Regularien als limitierend erleben.
Um diese Limitierungen zu überwinden oder eine Neugestaltung des Umfelds zu erreichen, ist der oder die Einzelne (selbst)verantwortlich gefordert, über den eigenen Sinn entsprechende Wirkung zu erzielen. Ohne den persönlichen Sinn ins Arbeitsleben einzubringen bleiben Erwerbstätige in deprimierenden Arbeitstagen stecken, egal in welcher Lebens- und Arbeitsform, ob angestellt oder selbständig.
Weiterbildungsmarkt.net: Wie können Trainings und Coachings den Betroffenen helfen?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Wenn wir erkannt haben, dass wir in bestehenden Bildungseinrichtungen nicht lernen, wie wir unsere Ideen vom Leben und Arbeiten verwirklichen können, sollten Trainings und Coachings Betroffenen genau diesen Entwicklungsraum bieten.
Um wirklich frei arbeiten zu können und sinngeleitete Erfolgskreisläufe in Gang zu setzen, brauchen wir folgende Kompetenzen:
- zur Bestimmung des Sinns & Zwecks brauchen wir die Kompetenzen der Selbstwahrnehmung, Selbstermächtigung, Achtsamkeitspraxis;
- für das Erschaffen unserer Vision brauchen wir das Vertrauen und die Entschlossenheit, uns von unserem Sinn & Zweck leiten zu lassen, die Fähigkeit, uns auf den Wendepunkt, an dem wir nichts wissen, einzulassen, damit Kreativität geschehen kann und wir darauf aufbauend neue, klare Vorstellungen unserer Zukunft erschaffen können;
- für das Umsetzen unserer Vision brauchen wir Planungskompetenzen, Durchhaltevermögen, Kooperationskompetenzen, PR- & Marketingfähigkeiten und digitale Kompetenzen;
- für das Ernten unserer Ergebnisse brauchen wir Bewertungs-, Reflexions-Prototypisierungs- und Steuerungs-Fähigkeiten;
- für unsere Gesundheit brauchen wir die Fähigkeit zu feiern, dankbar anzunehmen, was wir gelernt haben und die Bereitschaft, einen Zyklus abzuschließen.
Coaching und Training bieten geschützte (Übungs)Räume, in denen Teilnehmende diese Veränderungs- und Gestaltungskompetenzen erwerben können. Sowohl im Training als auch im Coaching stellen Trainer oder Coach den Raum für erfahrungsorientiertes Lernen bereit. Im Einzelsetting und Gruppensetting kann sinngesteuerte Veränderung gefahrlos getestet werden.
Auf diese Art können Angestellte wie Selbständige ihren Sinn klären, ihre Nische bestimmen und sich auf den Weg zu ihrer idealen Arbeit machen, in der sie sich voll entfalten können.
Weiterbildungsmarkt.net: Was bringen Sie den Teilnehmenden in den Trainings und Coachings bei?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Wir leiten unsere Coachees und Trainingsteilnehmer dazu an, neue sinngeleitete Erfolgskreisläufe in ihrer angestellten oder selbständigen Arbeit in Gang zu setzen. Wir legen dabei die von uns oben beschriebenen 5 Punkte zugrunde.
Methodisch reicht der Bogen vom Geschichtenerzählen, über das Raumgeben für Wendepunkte und dem Beistehen im Tal der Ängste, Frustrationen, Tränen, bis zur Stille, um eine neue Geschichte zu ermöglichen. Wir arbeiten mit unserer eigens entwickelten Leitstern-Aufstellung, in der Betroffene ihren Sinn & Zweck umfassend und tiefgehend klären können. Und wir nutzen den von uns entwickelten Fülle-Projektplaner, um den erkannten Sinn & Zweck so ins Leben zu bringen, dass unsere Klienten ihren Lebensunterhalt auf erfüllende Art und Weise nachhaltig verdienen können.
Weiterbildungsmarkt.net: Wie würden Sie Ihren inhaltlichen Schwerpunkt kurz beschreiben?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Unser gemeinsames Kernthema ist die integrale berufliche Neuorientierung und klare (Re-)Positionierung in einer schnelllebigen, unsicheren, komplexen, mehrdeutigen Arbeitswelt, in der es keine feste Lebens- und Laufbahnplanung mehr gibt. Gemeinsam entwickelten wir ein Karriere-Navigations-Modell, das diesen Veränderungsdynamiken Rechnung trägt. Arbeitsuchende, Karriereumsteiger und Gründer können mit uns auf den Punkt herausfinden, was ihre zentrale Arbeitsmotivation unter den gegebenen individuellen und gesellschaftlichen Aspekten ist. Damit erleichtern wir Menschen lebenswichtige berufliche Entscheidungen, kurz-, mittel- und langfristige Zielsetzungen und die Verwirklichung erfolgreicher und erfüllender Berufswege.“ Für eine kompakte Einführung in das Thema der bewussten Karriereentwicklung stellen wir auch kostenlos ein eBook zur Verfügung.
Weiterbildungsmarkt.net: Welche weiteren Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht für die Sinnvermittlung in der Arbeitswelt in Zukunft noch hilfreich?
Ulrike Haiden und Harald Kastner: Wir denken, dass integrale Perspektiven in der Bildungs- und Führungsarbeit die Voraussetzungen dafür schaffen können, dass in jedem Lebensbereich eine Ausgewogenheit der inneren und äußeren sowie individuellen und kollektiven Betrachtungen entstehen und sinnbasierte Aus- und Weiterbildung etabliert werden kann.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte sinnstiftender Neuorientierung starken Auftrieb geben. Könnte jeder Mensch wirklich erkennen, wofür er in der Welt ist, käme es vermutlich zu einem gesellschaftlichen Umbau, der dem einzigartigen Leben, das jeder und jedem von uns geschenkt ist, würdig ist.
Weiterbildungsmarkt.net: Vielen Dank für das interessante Interview!
Über die Interviewpartner:
Ulrike Haiden ist seit 1999 geschäftsführende Gesellschafterin der haiden + kastner GnbR | Integrale Praxis. Sie ist Pädagogin, Marktkommunikations-, Psychosoziale Beraterin und Karrierecoach mit über 25 Jahren Berufserfahrung in Berufs-, Bildungs- und Karriereentwicklungs-Beratung.
Ing. F. Harald Kastner ist seit 1999 geschäftsführende Gesellschafter der haiden + kastner GnbR | Integrale Praxis. Er ist Unternehmensberater, IT-Techniker, Dipl. Erwachsenenbildner und Karrierecoach mit über 25 Jahren Berufserfahrung in Personalevaluation, -auswahl, -ausbildung, Organisations- & Ressourcenplanung/-entwicklung, Laufbahnentwicklungsberatung.
Weitere Informationen über die haiden + kastner GnbR | Integrale Praxis