Teams arbeiten effizienter als Einzelpersonen. So lautet ein weitverbreitetes Credo. Das ist nicht immer der Fall. Oft schöpfen Teams ihr Potenzial nicht aus. Diese Gefahr ist speziell bei virtuellen Teams gross.
Kennen Sie den Ringelmann-Effekt? Maximilian Ringelmann, ein französischer Agraringenieur, untersuchte 1882 die Leistung von Pferden. Er fand heraus: Die Leistung zweier Pferde beim gemeinsamen Ziehen einer Kutsche ist nicht doppelt so hoch wie die eines einzelnen Pferds. Fasziniert von dieser Entdeckung dehnte Ringelmann seine Untersuchungen auf Menschen aus. Beim Tauziehen stellte er fest: Je mehr Personen an einem Seil ziehen, umso geringer ist die Leistung des Einzelnen.
Anhand seiner Untersuchungsergebnisse entwickelte Ringelmann eine Formel, um zu berechnen, wie effektiv Teams sind. Dieser Formel zufolge erbringen zwei Personen, die gemeinsam eine Aufgabe verrichten, nicht 2 x 100 Prozent, sondern nur etwa 2 x 93 Prozent Leistung – und drei Personen nur 3 x 85 Prozent und 8 Personen gar nur 8 x 49 Prozent. Das heißt: Acht Personen leisten gemeinsam weniger als vier Personen. Ringelmanns Erklärung: Je größer eine Gruppe ist, umso weniger wird die individuelle Leistung wahrgenommen. Entsprechend sinkt der persönliche Einsatz. Dieses Phänomen kann man auch in Unternehmen beobachten. Amerikanische Psychologen haben hierfür den Begriff „Social Loafing“ geprägt – also, sich ausruhen auf Kosten anderer.
Virtuelle Teams erfordern anderes Führungsverhalten
Sich mit diesem Phänomen zu befassen, ist insbesondere in Zeiten wie der aktuellen nötig, in denen aus vielen Teams corona-bedingt virtuelle Teams wurden. Damit entfällt teilweise die soziale Kontrolle, die entsteht, wenn sich die Teammitglieder täglich sehen. Zudem erhöht sich die Gefahr, dass Mitglieder das Gefühl haben: Meine Leistung wird nicht wahrgenommen. Das kann bei Mitarbeitern, die zuvor von ihren Kollegen mitgezogen wurden, dazu führen, dass sie sich einem Müssiggang hingeben. Und bei den Top-Performern, die auch im Homeoffice ein hohes Engagement zeigen? Bei ihnen kann dies mittelfristig zu leistungsminderndem Frust führen, weil sie das Gefühl haben: Mein Engagement wird von den Vorgesetzten (und Kollegen) nicht wertgeschätzt.
Deshalb sollten Führungskräfte in dieser veränderten Situation auch ihr Führungsverhalten überdenken und gegebenenfalls neu justieren, damit die Teamleistung nicht sinkt.
Gefühl: Meine Leistung trägt wenig zum Erfolg bei
Für Unternehmen ist der Ringelmann-Effekt einer der größten Feinde der Effizienz und eine Schattenseite der Teamarbeit. Mit Teamarbeit kann zwar ein hoher Output erzielt werden – speziell bei Aufgaben, die unterschiedliche Expertisen erfordern. Es kann aber auch die gegenteilige Wirkung eintreten – insbesondere in virtuellen Teams oder wenn, wie aktuell, Teammitglieder im Homeoffice arbeiten und somit auch die soziale Kontrolle teilweise entfällt.
Stimmen Ringelmanns Berechnungen, dann müssten speziell Grossunternehmen sehr ineffizient arbeiten. Entsprechend gross wäre die Effizienzsteigerung, wenn der Ringelmann-Effekt vermieden würde. Hierfür müssen die Unternehmen aber zunächst wissen, welche Faktoren zur Minderung der Leistung führen. Laut Ringelmann sind dies:
- Das Bewusstsein, dass die eigene Leistung nur wenig zum Gesamterfolg beiträgt.
- Die Tatsache, dass es in der Gruppe nicht auffällt, welchen Beitrag der Einzelne leistet. Und:
- Das Nicht-Verspüren eines höheren Effekts, wenn man sich besonders anstrengt.
Wer viele Ressourcen hat, (ver-)braucht diese auch
Cyril Northcote Parkinson, ein englischer Soziologe, kam 1957 zu ähnlichen Erkenntnissen. Er untersuchte die Entwicklung des Britischen Marineministeriums, das ursprünglich das gesamte britische Empire verwaltete. Nach dessen Zerfall reduzierte sich die Mitarbeiterzahl des Ministeriums nicht. Im Gegenteil: Sie erhöhte sich. Daraus schloss Parkinson: Die Mitarbeiterzahl von Unternehmen korreliert nur bedingt mit deren Arbeitsvolumen. Und: Organisationen neigen dazu, sich selbst zu beschäftigen.
Parkinson ermittelte hierfür unter anderem folgende Ursachen:
- Wie viel Zeit jemand für eine Aufgabe braucht, hängt auch von der zur Verfügung stehenden Zeit ab. Sie wird schlicht verbraucht.
- Menschen investieren ihre Zeit primär in Tätigkeiten, die wahrgenommen sowie belohnt bzw. sanktioniert werden – und nicht in diejenigen, die nötig wären.
- Macht, Prestige und Anerkennung sind in vielen Unternehmen an die Mitarbeiterzahl gekoppelt. Deshalb streben Führungskräfte stets eine höhere Anzahl an.
- Der Führungsnachwuchs schafft neue künstliche Bedarfe an Mitarbeitern und Führungspositionen, um sich bessere Karrierechancen zu eröffnen.
Auch Unternehmen setzen oft „Speck“ an
Treffen diese Befunde zu, dann sollten Unternehmensführer gegen diese „natürlichen“ Effekte ankämpfen. Hierfür lassen sich in Anlehnung an Ringelmann und Parkinson folgende Handlungsempfehlungen formulieren:
- Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeiter spüren: Mein Engagement wird registriert und meine Leistung lohnt sich – für mich.
- Schaffen Sie eine Erfolgsgemeinschaft. Jedes Mitglied der Gruppe sollte das Gefühl haben „im selben Boot“ zu sitzen. Sprich: Wenn unsere Leistung top ist, profitiere auch ich davon. Ebenso verhält es sich im umgekehrten Fall.
- Rütteln Sie Ihre Mitarbeiter regelmäßig auf. Sonst verfallen sie in lähmende Routinen. Starten Sie immer wieder neue aufrüttelnde Projekte und Initiativen, die Ihre Mitarbeiter motivieren, sich besonders anzustrengen.
- Koppeln Sie die Vergütung, die Karrieren und das Prestige in Ihrer Organisation nicht an der Zahl der Mitarbeiter. Fördern Sie Projekt- und Expertenlaufbahnen.
- Fragen Sie sich als Führungskraft: Sende ich an die Mitarbeiter die richtigen Signale, was (mir) wichtig ist? Wenn Sie zum Beispiel top-gestaltete PowerPoint-Präsentationen honorieren, „züchten“ Sie Mitarbeiter, die vor Sitzungen tagelang Folien „basteln“.
- Führen Sie regelmässig Prozessanalysen durch. Jede Organisation neigt dazu, „Speck“ anzusetzen. Deshalb sind alle zwei, drei Jahre „Diät-Kuren“ nötig.
- Reduzieren Sie für bestimmte Aufgaben „scheinbar willkürlich“ die Ressourcen. Nötigen Sie Ihre Mitarbeiter und Teams, sich so zu organisieren, dass sie mit weniger Ressourcen auskommen. Oft werden so effizienzsteigernde Ideen geboren. Und wenn Ihre Kürzungen sich als übertrieben erweisen? Dann können Sie ja wieder Ressourcen freigeben.
Über den Autor:
Prof. Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist u. a. Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.