Die meisten Leute, wenn sie nicht gerade Schauspieler sind, denken nicht besonders darüber nach, welche Gestalt sie ihren verschiedenen Funktionen (Rollen!) geben.
Wir haben wie jeder Schauspieler bestimmte Elemente zur Verfügung, mit denen wir unsere Alltagsrollen darstellen: unsere Körpersprache (Mimik und Gestik), unsere Stimme und unsere Sprache. Mit ihnen drücken wir unsere Gedanken und Gefühle aus. Einerseits bilden diese Elemente eine Einheit, denn wir nehmen einen Menschen als Ganzes wahr. Andererseits aber haben minimale Veränderungen in einem Element einen gewaltigen Effekt auf das Ganze, sie bringen das Ganze der Erscheinung zu einem ganz neuen Ausdruck.
Körper, Stimme, Sprache
Wo immer der Schauspieler anfängt, zuletzt hat er immer nur die drei Elemente zu Verfügung: Seinen Körper = Mimik und Gestik, seine Stimme und seine Sprache. Er muss mit diesen Elementen auskommen, um seine individuelle Interpretation der jeweiligen Rolle zu gestalten.
Auch in unserem Alltags-Rollenspiel haben wir nur diese Elemente, um unsere Gedanken und Gefühle darzustellen.
Wir können unsere Rollen sowohl als SchauspielerInnen als auch als „AlltagsakteurInnen“ von zwei Seiten annähern. Wir können mit einer starken Vorstellung anfangen, die sich auf unsere Körpersprache, Stimme und Sprache übertragen wird. Oder wir können formal vorgehen, das heißt von Körper-Mimik-Gestik und Sprachbewegungen ausgehen und fragen: Wie fühlst du dich, wenn du mit großen Gesten redest, wenn du mit aufgeblasenem Brustkorb gehst, wenn du jemanden begrüßt, ohne ihn/sie anzuschauen, oder wenn du ihm/ihr ein paar Sekunden zu lang in die Augen schaust? Wir lernen, dass die minimalste Änderung in unserem Körper, unserer Stimme und unserer Sprache zu ganz anderen Gefühle und Vorstellungen führen und umgekehrt! Die Rolle, die wir spielen, hängt unmittelbar von jeder Mikro-Komponente ab.
Die Rollenspielübungen, wie wir sie praktizieren, sind eine bestimmte Form von Intervention, die sowohl künstlerisch als auch „therapeutisch“ ist. Ich erfahre dabei, dass ich nicht etwas Festes, sondern zu jeder Zeit meiner Entwicklung ein Anderer, eine Andere bin. Es gibt Rollen, in die ich leichter schlüpfe, die ich besser gelernt habe, ja, die sich manchmal wie einprogrammiert festgesetzt haben, genau deshalb aber gibt mir das Rollenspiel auch die Möglichkeit, sie zu überschreiten und mich davon zu befreien.
Freiwilliges Rollenspiel
Das Rollenspiel unterscheidet sich von Schauspiel dadurch, dass wir nicht versuchen, uns in einen fremden Charakter hinein zu fühlen, sondern wir uns im Spiel verschiedener Rollen ganz bewusst auf unseren eigenen Charakter beziehen.
Ich benutze den Begriff „freiwilliges Rollenspiel“, um diese „autonome“ Reaktionsfähigkeit zu beschreiben. Das Gegenteil nenne ich „unfreiwilliges Rollenspiel.“
Denn jedes Mal, wenn wir auf jemanden reagieren, tun wir es bewusst oder unbewusst in einer Rolle. Meistens spielen wir diese Rollen, ohne sehr viel darüber nachzudenken, – wir gehen einkaufen und lächeln den Verkäufer an (eine freundliche Rolle), wir erwischen unsere Katze auf dem Tisch und rufen mit lauter, scharfer Stimme „Runter!“ (eine „böse“ Rolle) …
Unfreiwilliges Rollenspiel
Manchmal passiert es allerdings, dass wir in eine Situation geraten, in der wir das Gefühl haben, dass uns jemand eine Verhaltensart aufdrückt, mit der wir nicht einverstanden sind, weil wir uns unfrei in unseren Reaktionen fühlen.
Das Gefühl, eine unfreiwillige Rolle zu spielen / spielen zu müssen, hat entweder mit unbewusst bleibenden Machtverhältnissen oder mit unbewusst bleibenden Projektionen zu tun, – meistens mit beidem. Denn „unfreiwilliges Rollenspiel“ und „unbewusst bleibende Projektion auf den Anderen“ gehören zusammen. Es ist ja meistens nicht die wahre Macht des Anderen, die uns in das unfreiwillige, gehemmte und erzwungene Rollenspiel drängt, sondern etwas Unbewusstes, das in uns ist und uns entgeht. Es ist eine Art blinder Fleck in unserer Selbstwahrnehmung, der uns unsere Autonomie verlieren lässt und in uns das Gefühl der Machtlosigkeit hervorruft.
Der erste Schritt besteht darin, dass wir uns bewusst darüber werden, welche Rolle nicht zu uns passt, – und wann sie nicht zu uns passt.
In jeder Begegnung mit einem Anderen entsteht ein Kommunikationsprozess, und die kleinste Änderung des Verhaltens der Akteure ändert diesen Prozess. Wenn wir uns daher mit Gestaltung beschäftigen, geht es nicht darum, die absolute und einzige Lösung zu finden. Gestaltung heißt Forschung und neue Sachen ausprobieren.
Wir glauben oft, dass etwas „Großes“ passieren muss, um sich zu verändern. Dabei sind es gerade die kleinen Dinge, die „performativen“ Änderungen, die langsam zu nachhaltigen Veränderungen führen!
Über die Autorin
Jenny Simanowitz hält Workshops, Vorträge und Performances bei internationalen Unternehmen, sowie bei zahlreichen Konferenzen und Tagungen. Ihre Vorführungen sind eine Mischung aus präziser Wissensvermittlung, interaktivem Seminar und Show – sie sind für ihre positive Lebenseinstellung und ihren Humor bekannt!
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