Wohin gehöre ich? Soll ich in meiner Studienstadt bleiben? Was ist mein Traumjob? War die Entscheidung richtig, mit meiner Freundin zusammen zu ziehen? Was will ich eigentlich im Leben? Dies sind typische Fragen junger Hochschulabsolventen/innen, zumeist im Alter etwa zwischen 25 und 35 Jahren, die nach etwa einem Viertel-Jahrhundert bisher nichts wirklich Wertvolles in ihrem Leben erreicht zu haben glauben. Die oft damit verbundene, klassische Sinnkrise gründet in einem inneren Zwiespalt gerade der akademisch Gebildeten, die sich in einer Gleichzeitigkeit von Mangel an Sicherheit und Orientierung und einem Überfluss im Sinne einer Vielfalt an Bildungs- und Konsummöglichkeiten gefangen sehen…
Hochschulabschluss, und wie weiter?
Die Unübersehbarkeit vergrößert dabei psychologisch nicht die empfundene Freiheit aufgrund steigender Wahloptionen, sondern kann wegen gleichfalls gestiegener Unvergleichbarkeit der einzelnen Möglichkeiten im Gegenteil zu Stress führen (sog. „Polylemma“). Einerseits streben diese jungen Erwachsenen oftmals nach ihrem ersten Hochschulabschluss sowohl nach sicheren Arbeitsplätzen und einer eigenen Familie, möchten aber auch finanziell unabhängig sein, Abenteuer erleben und das „ernste Leben“ lieber später beginnen. Beispielsweise konkretisiert sich nach dem ersten Hochschulabschluss eine der nachweislich größten Zukunftsängste, keinen bzw. keinen passenden Einstiegsjob zu finden.
Versuche der jungen Erwachsenen, diese Problematik gemäß den auf den Hochschulen für den akademischen Bereich erlernten Bewältigungsstrategien (problemorientiert) allein durch Nachdenken in den Griff zu bekommen, statt (lösungsorientiert) auf die befreiende Kraft der Aktivierung setzend „raus in die Welt“ zu gehen und durch Handeln neue Möglichkeitsräume zu kreieren, ist auch der generellen Angst geschuldet, Fehler zu machen bzw. bei richtungsweisenden Zukunftsentscheidungen machen zu dürfen. Das zuvor stets erstrebte „Erwachsenwerden“, um sich von zuhause nach eigenen Vorstellungen zu etablieren zu können, ist nicht mehr sonderlich ersehnenswert sondern möchte möglichst lange aufgeschoben werden. Im Durchschnitt ziehen junge Erwachsene erst mit dem 26. Lebensjahr aus dem elterlichen Haus aus, um sich auch in räumlicher Veränderung der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft zu stellen – Tendenz steigend!
Identitätskrise, eine Frage der (Jugend-) Generation?
Außer einigen populärwissenschaftlichen Beiträgen sowie in zahlreichen Internetforen wird bislang kaum die Wichtigkeit und Eigenständigkeit dieser Krisenproblematik erkannt, einerseits weil die hiermit verbunden Zukunftsängste schlicht als Teil der Phänomens „Erwachsenwerden“ gedeutet werden, andererseits da die immer besser werdenden objektiven Rahmenbedingungen dieses „Erwachsenenwerdens“ automatisch als Verbesserung der Übergangsphase schlechthin angesehen werden. Gerade aus dem Grunde der guten Ausgangsbedingungen heraus ist die Erfolgserwartung im Sinne einer Rentabilität der Studienzeit nicht nur in den Köpfen der Hochschulabsolventen/innen hoch, sondern ebenso in Bezug auf die im Wettbewerb stehenden Freunde/innen wie gegenüber der (gegebenenfalls vor-finanzierenden) Familie.
Nachdem die Symptome der Krisenproblematik von dem kanadischen Psychologen Elliott Jaques im Jahre 1965 als eine Verwirrung und Selbstunsicherheit von Zwanzigjährigen nach Abschluss der Ausbildung bereits erstmals wissenschaftliche Erwähnung gefunden hatte, wurde hierfür etymologisch angelehnt an den weithin bekannten Begriff der Mittlebenskrise ab etwa Mitte 30 bis Ende 40 (sog. „Midlife Crisis“) im Folgenden derjenige der Viertellebenskrise (sog. „Quarterlife Crisis“) entwickelt. Während bei beiden als Krisenursache die unsichere Übergangsperiode in einen neuen Lebensabschnitt herhält, geht der Mittlebenskrise zumeist trotz Stabilität eine gefühlte Stagnation voraus, innerhalb welcher man das eigene Leben selbstreflexiv Revue passieren lässt. Bei der Viertellebenskrise hingegen fehlt es an Stabilität selbst, da ein weithin geschützter Bereich von (Hoch-) Schule und (Aus-) Bildung nun verlassen werden soll und die plötzliche Verantwortlichkeit beispielsweise für das eigene Einkommen, eine gegebenenfalls zu gründende Familie, die einzuschlagende Jobrichtung usw. in den Vordergrund tritt und zunehmend an Effizienzgesichtspunkten gemessen werden will.
Als typische psychosoziale Symptome der Viertellebenskrise gelten seither Identitätsverwirrung und Zukunftsangst, der Rückzug in die Einsamkeit, eine Nostalgie für das Hochschulleben, die Enttäuschung mit dem ersten Einstiegsjob sowie eine allgemeine finanzielle Unsicherheit. Nach Untersuchungen des britischen Psychologen Oliver Robinson aus dem Jahre 2010 dauert die Viertellebenskrise immerhin zwei Jahre im Durchschnitt und geht oftmals mit dem Bruch von Freundschaften, der Trennung von einer Beziehung oder dem Wechsel der Arbeitsstelle einher. In neuerer Zeit griff erstmals im Jahre 1991 der kanadische Publizist D. Coupland die Unfähigkeit junger Erwachsener auf, außerhalb der Hochschule zu funktionieren, da es spätestens nach erfolgtem erstem Hochschulabschluss unter anderem zu Enttäuschungen über die bisherigen sozialen Netzwerke komme (sog. „Mid-Twenties Breakdown“), und beschrieb damit die Viertellebenskrise der in den 1960er/1970er Jahren Geborenen in seinem gleichnamigen Episodenroman (sog. „Generation X“).
Der formale Hochschulabschluss kann ein auslösendes Ereignis für die Viertellebenskrise sein, manchmal tritt diese jedoch schon bei absehbarem Studienende oder erst bei anschließender Arbeitsplatzsuche auf. Typischerweise steht am Studienende die Auflösung oder starke Verschiebung des eigenen (Studien-) Freundeskreises aufgrund von Wohnortwechseln, sei es wegen der Beendigung der alten Studien-WG, weil ausländische Studienkollegen/innen wieder in ihre Heimatländer zurückgehen bzw. inländische in ihre Heimatstädte, oder jemand einen guten Job in der Ferne findet – anders als bei Auslandssemestern sind diese Veränderungen aber oft von Dauer.
Gruppentrainings und -Coachings als moderne „Heranwachsendenbildung“?
Institutionell finden sich non-formale Lernsettings derzeit hauptsächlich für Altersgruppen ab etwa 14 bis Mitte 20 im Bereich der außerschulischen Jugendförderung auf der einen und für Altersgruppen ab etwa Mitte 30 bis Ende 40 im Bereich der Mittlebenskrise (sog. „Midlife Crisis“) auf der anderen Seite und haben sich beiderseits bewährt. Da zuletzt genannte Lebensphase nicht nur Ähnlichkeiten bezüglich der Krisenursache der unsicheren Übergangsperiode in einen neuen Lebensabschnitt mit der Viertellebenskrise aufweist (vgl. oben), sondern es zudem von der (vergeudeten) Lebenszeit aktuell betroffener Hochschulabsolventen/innen her betrachtet logisch anmutet, die Lebensunsicherheiten möglichst noch in jungen Jahren neu zu ordnen als in späteren, erstaunt das mangelnde institutionelle Angebot für die hier bezeichnete Gruppe. Dies verwundert umso mehr, als Betroffene einer gemeisterten Viertel- signifikant seltener eine Mittlebenskrise überhaupt zu durchschreiten genötigt sind, wobei zuerst Genannte zwei Jahre im Durchschnitt, zuletzt genannte jedoch aufgrund des zusätzlichen Eindrucks zwischenzeitlich verpasster Chancen bei (subjektiv) nahender Lebensendlichkeit nicht nur schwerer in den psychischen Auswirkungen daherkommen sondern wegen womöglich bereits (falsch) gestellten und gleichsam schwerer zu ändernden Lebensweichen auch noch von längerer Dauer sein kann.
Trotz der Ähnlichkeiten zwischen Viertel- und Mittlebenskrise verlangen deren Unterschiede (Instabilität und gesellschaftlicher Druck bei zuerst, Stagnation und innerer Druck bei zuletzt Angeführter) sehr wohl ein auf diese Lernenden zugeschnittenes, kontextuelles Lernsetting mit entsprechenden Lerninhalten. Non-formale Bildung setzt dabei in einer so verstandenen „Heranwachsendenbildung“ auf freiwilliger, ganzheitlicher und prozessorientierter Basis bei den Bedürfnissen der Lernenden an. Das Umfeld der Viertellebenskrise junger Hochschulabsolventen/innen als einer stark problemzentrierten Unsicherheit zu Beginn eines neuen Lebensabschnittes kann als erfolgreicher Motivator fruchtbar gemacht werden, die eigenen Schlüsselqualifikationen weiter zu entwickeln, da die jungen Hochschulabsolventen/innen aus Eigeninteresse nicht nur viel Energie in die die eigene Lebenssituation akut betreffende Problemlösung zu investieren bereit sind sondern über das Lernen auch ein duales Erfolgserlebnis verbuchen, sowohl was das erfolgreiche Meistern des Einzelproblems als auch das Erlernen der Lösungsmethoden anbelangt. Das Gefühl von Macht- und Einflusslosigkeit zu überwinden und Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen, um nicht nur Autonomie und Selbstbestimmung zu erhöhen sondern gleichzeitig die eigenen Interessen selbstverantwortlich zu leben (sog. „Empowerment“), kann in einer derart zielgruppenorientierten „Heranwachsendenbildung“ über verschiedene Beratungstools erreicht werden; es bieten sich die Persönlichkeitscoachings sowie -trainings an.
Durch Persönlichkeitstraining können die Lernteilnehmer/innen ihre geistigen Fähigkeiten in einem geschützten Raum testen, weiterentwickeln und ausprobieren. Hierbei ist es vor allem wichtig, fern ab der Alltagsproblematiken verborgene Talente und Energiespender zu entdecken, seine Ziele und Motive zu hinterfragen und sich eine auf die aktuelle Lebenssituation angepasst eine individuelle Lösungsstrategie zu erarbeiten, um der Viertellebenskrise wirksam zu begegnen. Anders als noch die Geburtenjahrgänge aus den Jahren 1960 und 1970 (sog. „Generation X“) empfinden die in den 1980er/1990er Jahren Geborenen (sog. „Generation Y“) Persönlichkeitstrainings und -coachings nicht als Korrekturmaßnahmen persönlicher Unzulänglichkeiten oder als Mängel eigener Fähigkeiten sondern als Option charakterlicher Weiterentwicklung an. Mit Fragestellungen sehr stark bezogen auf die Sinngebung persönlichen Ausgleichs (z.B. zum Berufseinstieg) oder auch mit gesellschaftspolitischer Relevanz (z.B. zu Unternehmensethiken, globalem Umweltschutz etc.) gehen zuletzt genannte mehr und mehr neugierig, offen und veränderungsbereit mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung um.
Beide Beratungstools passen vom Lernsetting aufgrund der befristeten Terminbindungen wie dem Selbstverständnis als bloßes Angebot zum Wissens- bzw. Kompetenztransfer statt Lern- und Prüfungsdruck auch gut zum Generationenverständnis der jungen Hochschulabsolventen/innen, die (zunehmend auch digital) gewohnt ist, möglichst effizient das für sie als individuell wichtig und passend Erachtete zu filtern und für sich selbst zu nutzen. Im Rahmen von Persönlichkeitstrainings und -coachings picken sich diese jungen Erwachsenen nur das für sie dienliche heraus (und sollen dies sogar!), wie sie auch direkt, unkompliziert und mit hoher Aufmerksamkeit der/s Persönlichkeitstrainers/in bzw. -coachs kritisch nachhaken und diskutieren können. Der Persönlichkeitsentwicklung statt den rein berufsbezogenen Soft-Skills-Trainings gehört daher die Zukunft – generationenangemessen und einer modernen „Heranwachsendenbildung“ gemäß.
[gekürzter Vorabdruck aus:
Literaturpodium (Hrsg.): „Zeiten, Literatur und Zukunft – Essays und Beiträge zu Geschichte, Philosophie, Politik, Ethik und Ökologie“ (Engelsdorfer Verlag/ Dorante Edition; Berlin 2015)
Über den Autor:
Dr. MMag. René Merten ist Dozent, freier Schriftsteller, langjähre Führungskraft im Public Management und Trainer der Erwachsenenbildung. Mit der ABSOLVENTENAKADEMIE hat er das erste private Trainingsinstitut gezielt für die Persönlichkeitsentwicklung junger Hochschulabsolventen/innen gegründet.
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