Aufgrund ihrer stets dynamischeren Märkte müssen die Unternehmen ihre Vertriebskonzepte immer häufiger überdenken und neu justieren. Folglich müssen auch ihre Mitarbeiter flexibler und lernbereiter sein. Darauf reagieren die firmeninterne Personalentwicklung und die Vertriebstrainer- und -beraterzunft.
„Welche Trends gibt es im Markt?“ Diese Frage stellen Fachzeitschriften zum Jahreswechsel gern Branchenexperten. Und regelmäßig löst diese Frage bei den Befragten Schweigen aus. Denn auf Anhieb können sie meist keine neuen Trends nennen, obwohl sie sich tagein, tagaus im Markt bewegen.
Das überrascht Dr. Bernhard Höveler, Geschäftsführer der Einkaufsmanagementberatung Höveler Holzmann Consulting, Düsseldorf, nicht. Denn die meisten Marktveränderungen verlaufen schleichend. So zum Beispiel die Globalisierung der Märkte. Oder die Veränderung des Einkaufsverhaltens der Kunden. Das heißt, die Marktteilnehmer nehmen sie im Alltag oft nicht bewusst wahr. Erst im Rückblick stellen sie fest, wie viel sich in den zurückliegenden Jahren geändert hat.
Gerade weil die meisten wirklich relevanten Veränderungsprozesse schleichend verlaufen, ist es laut Höveler wichtig, sich ab und zu losgelöst von der Alltagshektik zu fragen: Welche Entwicklungstendenzen gibt es im Markt? Zum Beispiel im Rahmen einer Managementklausur, bei der man sich gezielt mit Zukunftsfragen befasst. Denn nur wenn ein Unternehmen die Entwicklungslinien im Markt kennt, kann es seine Strategie daran ausrichten, betont Christian Herlan, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Ansonsten, so der Vertriebsexperte, sei die Gefahr groß, dass zum Beispiel die Produkte sukzessiv veralten und auch die Marketing- und Vertriebsstrategie irgendwann nicht mehr den Marktanforderungen entspricht. Die Folge: Das Unternehmen verliert, ebenfalls schleichend, seine Wettbewerbsfähigkeit, und irgendwann droht ihm das Aus.
Schlüsselfrage: Wie entwickelt sich die Wirtschaft?
Das gilt für alle Unternehmen – speziell jedoch für Dienstleistungsunternehmen wie Unternehmensberatungen, die letztlich „Zulieferer“ der Unternehmen sind. Bei ihnen greift die Frage „Was geschieht in unserem Markt?“ zu kurz. Davon ist Peter Schreiber, Inhaber der Vertriebsberatung Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld, überzeugt. Denn: „Der Beratungsmarkt reagiert nur auf die Veränderungen, die sich in der Wirtschaft vollziehen.“ Folglich laute die Kernfrage beispielsweise für Vertriebsberatungen eigentlich: Welche Veränderungen vollziehen sich bei unseren Kunden und in deren Markt, und was folgt daraus für uns und unsere Arbeit? Denn sonst könnten die Beratungsunternehmen keine neuen Problemlösungen entwickeln, die dem Bedarf ihrer Kunden entsprechen.
Die Märkte fast aller Unternehmen werden stets zappeliger und unberechenbarer. Das ist ein Megatrend, den alle befragten Berater konstatieren. Längerfristige Umsatz- und Ertragsprognosen sind deshalb, so Herlan, gerade für global agierende Unternehmen heute immer schwieriger. Entsprechend häufig müssen sie ihre Vertriebsstrategien und -konzepte überdenken und ihre Maßnahmen neu justieren.
Neue Kompetenzen sind gefragt
Das setzt auch bei den Vertriebsmitarbeitern eine größere Verhaltensflexibilität voraus. Sie müssen lernen, ihr Verhalten schneller den jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen. Thematisiert wird dieser Sachverhalt in Personalerkreisen seit Jahren unter dem Stichwort „Employability“, sprich Beschäftigungsfähigkeit – „bis vor zwei, drei Jahren jedoch weitgehend theoretisch“. Doch nun, so der Eindruck von Michael Reichl, Geschäftsführer der auf Dienstleistungsunternehmen spezialisierten Unternehmensberatung im-prove, Schwäbisch Gmünd, gibt es „erste Umsetzungskonzepte“.
Diesen neuen Personalentwicklungskonzepten liegen laut Dr. Daniela Kudernatsch, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Kudernatsch Consulting & Solutions, Straßlach bei München, in der Regel folgende Erkenntnisse zugrunde:
- Der Change- und somit Lernbedarf der Organisationen und ihrer Mitarbeiter wird immer größer. Er kann mit zentral konzipierten Maßnahmen allein immer schwieriger bewältig werden.
- Der Lernbedarf der einzelnen Mitarbeiter beziehungsweise Mitarbeitergruppen wird immer individueller. Er kann immer schwieriger zentral erfasst und mit standardisierten Entwicklungsmaßnahmen befriedigt werden.
Daraus folgt: Die Mitarbeiter müssen sich in Richtung „Selbstentwickler“ entwickeln. Sie müssen selbst erkennen, wo bei ihnen ein Lern- und Entwicklungsbedarf besteht und entweder in der Lage sind, diesen selbst zu befriedigen oder für sich die hierfür notwendige Unterstützung zu organisieren.
Trend zur Individualisierung der Weiterbildung
Das erklärt für Hans-Werner Bormann auch den sogenannten Coaching-Boom, den die Fachpresse häufig konstatiert. Der Geschäftsführer der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden spricht jedoch lieber von einer „Individualisierung der Weiterbildung“. Denn faktisch würden unter dem Begriff „Coaching“ zahlreiche Fördermaßnahmen subsumiert, die alle darauf abzielen, dass beispielsweise die Verkäufer eines Unternehmens die Kompetenz erwerben, weitgehend eigenständig ihre Lernbedarfe zu erkennen und das eigene Lernen zu organisieren. Als Beispiele nennt Bormann neben dem klassischen Training-on-the-job solche Stichworte wie Mentorenprogramme, Supervision und kollegiale Beratung. Auch diese Maßnahmen zum Kompetenzauf- und -ausbau boomen, während das klassische Training an Bedeutung verliert. „Zumindest in der Form, dass die Mitarbeiter sozusagen auf Vorrat geschult werden – gemäß der Maxime ‚Training schadet nie‘“, schränkt Julia Voss ein.
Damit bezieht sich die Geschäftsführerin des Trainings- unternehmen Voss+Partner, Hamburg, auf einen weiteren Punkt den alle Berater konstatieren: Die Weiterbildung erfolgt heute stets bezogen auf konkrete unternehmerische Ziele. Zum Beispiel bezogen auf das Ziel, ein Unternehmen möchte sich neue Märkte oder Kundengruppen erschließen. Oder ein Industrieunternehmen möchte mehr Umsatz mit Serviceleistungen erzielen. Oder ein Dienstleister möchte seine Gewinnmarge steigern. Das heißt, die übergeordnete Frage lautet stets: Wie erreichen wir als Unternehmen dieses Ziel – und zwar in der Regel in einer möglichst kurzen Zeit?
Aus Beratern werden Problemlöser
Deutlich spürt Michael Reichl diesen Wandel an den Anfragen, die bei seinem Unternehmen eintreffen. Bis vor vier, fünf Jahren erhielt es noch oft Anfragen wie: „Wir möchten ein Training zum Thema Einwandbehandlung durchführen. Bitte unterbreiten Sie uns ein Angebot.“ Solche Anfragen erhielt im-prove in den letzten Jahren fast nicht mehr. Stattdessen lauten die Anfragen nun zum Beispiel: „Wir spüren immer stärker die Konkurrenz der Direkt-Versicherungen. Deshalb suchen wir einen Ansatz, wie wir ….Könnten Sie uns einen Lösungsvorschlag unterbreiten, wie wir ….“
Das Entwickeln solcher Lösungsvorschläge setzt bei externen Beratern ein verändertes Kompetenz-Profil voraus. Sie müssen das Geschäft ihrer Kunden kennen und verstehen. Sie müssen zum Beispiel wissen, dass sich die Vertriebskonzepte von Konzernen nur bedingt auf den Mittelstand übertragen lassen. Oder dass der Verkauf von Konsumgütern anders als der Verkauf von Investitionsgütern funktioniert. Oder dass selbstständige Handelsvertreter im Außendienst meist anders „ticken“ als angestellte Verkäufer. Ohne diese Branchen- oder Felderfahrung werden Vertriebsberater immer seltener von den Unternehmen akzeptiert. Dafür ist der Veränderungsdruck in ihnen zu hoch.
Doch nicht nur dies. Der Veränderungsbedarf ist vielfach auch zu groß, um ihn mit externen Beratern allein zu decken. Das haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb feilen sie an Konzepten, wie sie mehr Kompetenz in Sachen Changemanagement im eigenen Haus aufbauen können; des Weiteren an Konzepten, wie sie ihre Mitarbeiter im Arbeitsalltag jobbegleitend schulen können. Entsprechend boomen Change- sowie Vertriebs- und Sales-Coachausbildungen; des Weiteren Train-the-trainer-Ausbildungen für Führungskräfte und erfahrene Vertriebsmitarbeiter.
Führung muss sich neu definieren
Eine Hauptzielgruppe dieser Weiterbildungen sind die Führungskräfte. Denn ihre Funktion hat sich laut Julia Voss stark gewandelt. Ihre Kernaufgabe ist und bleibt es, dafür zu sorgen, dass ihr Bereich seine Funktion in der Organisation erfüllt – also die erforderlichen Umsätze erzielt werden. Zusätzlich müssen sie aber die strategischen Vorgaben auf der Vertriebsebene umsetzen. Und zunehmend entwickelt es sich zu ihrer Aufgabe, Lernprozesse bei ihren Mitarbeiter anzustoßen und zu begleiten.
Diese veränderte Funktion verunsichert viele Führungskräfte im Vertrieb – auch weil in dem gewandelten Unternehmensumfeld viele klassische Führungsinstrumente an ihre Grenzen stoßen. Als Beispiel nennt Christian Herlan das „Führen mit Zielen“. Herlan sammelt die Erfahrung: „Das Marktumfeld vieler Unternehmen ändert sich heute so rasch, dass es nicht mehr genügt, sich ein, zwei Mal pro Jahr mit den Mitarbeitern zusammenzusetzen und mit ihnen Ziele zu vereinbaren.“ Die Führungskräfte müssten heute vielmehr in einem permanenten Dialog mit ihren Mitarbeitern stehen, um deren Arbeit und Verhalten bei Bedarf neu zu justieren.
Lean Leadership-Konzepte sind auf dem Vormarsch
Aufgrund der veränderten Anforderungen stellen viele Unternehmen ihre bisherigen Führungskräfteentwicklungskonzepte in Frage. Gefragt sind zunehmend Entwicklungskonzepte, die sich „an den Grundmaximen des Lean Leadership-Development-Modells orientieren“. Diesen Eindruck hat Dr. Daniela Kudernatsch. Dieses Modell unterscheidet in der Entwicklung von Führungskräften vier Stufen.
Stufe 1: Sich als Führungskraft selbst entwickeln. Dahinter steckt die Annahme, dass künftig eine Kernkompetenz von Führungskräften ist, das eigene Verhalten und Wirken zu reflektieren und die eigene Performance systematisch zu erhöhen.
Stufe 2: Andere Menschen coachen und entwickeln. Die zweite Kompetenz-Stufe besteht in der Fähigkeit, als Führungskraft andere Personen so zu entwickeln, dass diese ihrerseits die Kompetenz erwerben, ihr Verhalten und ihr Wirken zu reflektieren und eigene Lernprozesse zu initiieren.
Stufe 3: Das tägliche Sich-Verbessern (Kaizen) unterstützen. Hier geht es darum, Gruppen von Mitarbeitern (zum Beispiel Teams) in eine Richtung auszurichten und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu sichern.
Stufe 4: Eine Vision schaffen und die Ziele abstimmen. In die letzte Entwicklungsstufe sind idealerweise alle Führungskräfte eingebunden. Nun geht es darum, das Bereichsdenken zu überwinden und alle Aktivitäten so aufeinander abzustimmen, dass die übergeordneten Unternehmensziele erreicht werden.
Von einer Führungskräfteentwicklung, die sich an diesem Kompetenz-Modell orientiert, versprechen sich viele Unternehmen eine Steigerung der Innovations- und Vertriebskraft ihrer Organisation; des Weiteren eine sukzessive Entlastung ihrer Führungskräfte – und zwar in dem Maße wie ihre Mitarbeiter über die Kompetenz verfügen, eigenständig ihr Verhalten zu reflektieren und sich zu entwickeln. Insofern sehen sie hierin auch eine Maßnahme, um einem Burn-out ihrer Führungskräfte vorzubeugen. Denn eine Fiktion ist es, so Kudernatsch, anzunehmen, dass der Veränderungsdruck, der auf den Unternehmen und ihren Mitarbeitern lastet, in den kommenden Jahren sinkt. Also müssen die Mitarbeiter lernen, damit umzugehen.
Der Online-Konkurrenz Paroli bieten
Dem stimmt der Vertriebstrainer und -berater Walter Kaltenbach, Böbingen, nur bedingt zu. Er erachtet den Stress, den viele Verkäufer empfinden, teilweise als „hausgemacht“. Häufig hätten die Verkäufer und ihre Vorgesetzten noch nicht ausreichend reflektiert, dass sich das Einkaufsverhalten der Kunden aufgrund von Internet & Co stark gewandelt hat und sie deshalb ein verändertes Verkäuferverhalten zeigen müssen. Der auf den technischen Vertrieb spezialisierte Berater nennt ein Beispiel: Kunden können sich heute sehr schnell mit Hilfe des Internets einen Überblick über die Anbieter bestimmter Produkte verschaffen. Deshalb flattern den Verkäufern heute viele Anfragen von „Interessenten“ auf den Tisch, bei denen sie keine realistische Auftragschance haben. Da die Verkäufer aber nicht gelernt haben, die nicht-erfolgversprechenden von den erfolgversprechenden Anfragen zu unterscheiden, behandeln sie diese weitgehend gleich. Deshalb stehen sie permanent unter Strom und haben zu wenig Zeit für die wirklich erfolgversprechenden Kunden. Kaltenbach sieht hier einen enormen Schulungsbedarf in den Unternehmen.
Einen weiteren Schulungsbedarf sieht der Verkaufstrainer und -berater Ingo Vogel – und zwar im Bereich der emotionalen und individuellen Kundenansprache. Denn via Internet könnten Onlinehändler zwar sehr gut potenzielle Kunden über ihre Produkte informieren. Eine individuelle Kundenansprache sei aber nicht möglich; auch eine emotionale Kundensprache nur bedingt. Denn diese setzt laut Vogel voraus, „dass ich meinen Kunden kenne und weiß, was ihm wichtig ist und wie er tickt“. In diesem Bereich seine Mitarbeiter zu schulen, darin sieht der „Experte für emotionales Verkaufen“ den größten Bedarf beispielsweise beim Fachhandel. Denn wenn den Verkäufern die emotionale Kundenansprache gelingt, dann können sie auch die Kunden für sich und ihre Produkte begeistern. Dann muss ihnen vor der Online-Konkurrenz nicht bange sein.