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Beim Planen und Durchführen von Qualifizierungsmaßnahmen gleich welcher Art wird oft zu wenig der den Lerntransfer in die Praxis beachtet. Dabei entscheidet er über den Erfolg einer Maßnahme.

Inwieweit ist der Lerntransfer in den Arbeitsalltag gelungen? Dies ist die entscheidende Frage, wenn es darum geht, die Qualität und Effektivität von Weiterbildungsmaßnahmen zumindest im Business-Bereich zu beurteilen. Denn ihr Ziel ist es in der Regel, dass die Teilnehmer anschließend

  • ihre aktuellen Aufgaben besser, schneller oder einfacher machen können oder
  • für künftige bzw. neue Aufgaben und Herausforderungen gewappnet sind.

Ein Training ist somit zumindest im Business-Kontext nie ein Selbstzweck; entsprechendes gilt für Seminare – unabhängig davon, ob es sich hierbei um Präsenz- oder Online-Seminare handelt.*

Beim Transfer ist das Optimierungspotenzial groß

Einem Artikel im „Journal of Management“ zufolge setzen nur 10 bis 30 Prozent der Teilnehmer an einem Training, das Gelernte um. Das wäre angesichts der Kosten vieler Weiterbildungsmaßnahmen bereits ein niedriger Prozentsatz. Faktisch dürfte er in vielen Fällen jedoch noch niedriger sein, wenn man zudem bedenkt:

  • Welchen Anteil des Gelernten setzen die Teilnehmer um? Und:
  • Wie nachhaltig und konsequent wenden sie das Gelernte an?

Das zeigt: Beim Lerntransfer liegen noch hohe Optimierungspotenziale, wenn es darum geht, die Kosten-Nutzen- bzw. Input-Output-Relation von Weiterbildungsmaßnahmen zu verbessern. Und: Wenn dieses Ziel erreicht werden soll, lohnt es sich vermutlich mehr, den Transfererfolg unter die Lupe zu nehmen als wie so oft

  • die Dauer der Veranstaltungen zu kürzen oder
  • die Präsenzveranstaltungen durch ein reines Online-Lernen zu ersetzen.

Lerntransfer wird von vielen Faktoren beeinflusst

Haben Sie sich als Führungskraft und/oder Personalverantwortlicher in Unternehmen zum Beispiel schon mal gefragt: „Wer oder was ist eigentlich dafür verantwortlich, dass ein Lerntransfer erfolgt? Wenn ja, haben Sie vermutlich rasch gemerkt: Sehr viele Faktoren beeinflussen den Lerntransfer.

Ein erster Blick in Richtung Lerntransfer sollte bei jeder geplanten Qualifizierungsmaßnahme schon bei der Bedarfserhebung im Unternehmen erfolgen. Nicht jeder Weiterbildungsbedarf, den ein Mitarbeiter signalisiert, muss gleich in einem Seminar zum Thema münden. Manchmal ist es effektiver, den Mitarbeitern schlicht die Lektüre eines Buchs zu empfehlen oder ein Gespräch mit einem berufserfahrenen Kollegen zu organisieren.

Ebenso wenig ist es nötig, nach jedem Anruf in der Personalentwicklung wie „Unsere Führungskräfte/ Verkäufer bräuchten mal eine Weiterbildung zum Thema ‚…‘; organisieren Sie mal was“, sogleich ein Training zu konzipieren. Vielleicht wäre es sinnvoller, einen regelmäßig stattfindenden moderierten Gesprächskreis zu etablieren, in dem sich die Führungskräfte oder Verkäufer über ihre Erfahrungen und Probleme austauschen und Impulse von ihren Kollegen und dem Moderator erhalten.

Seminare und Trainings sind nur ein mögliches Tool

Seminare sind nur ein Tool im Werkzeugkoffer der Personalentwicklung. Hinterfragen Sie deshalb bei entsprechenden Anfragen, ob ein Seminar überhaupt die richtige Intervention ist? Die Antwort hängt unter anderem davon ab:

  • Welcher Inhalt soll vermittelt werden?
  • Welches Ziel hat die Maßnahme (z.B. Wissenszuwachs oder Einstellungs-/Verhaltensänderung)?
  • Wer sind Teilnehmer (z.B. lern- und veränderungsbereite Personen oder Menschen, die lieber wollen, dass alles so bleibt, wie es ist)?
  • Wie „dringlich“ ist die Intervention (z.B. muss sie in vier Wochen, weil dann die neue Vertriebssoftware online geht, abgeschlossen sein oder hat es noch Zeit)?

Ein zweiter Blick in Richtung Lerntransfer sollte in den Vorgesprächen zu einem Seminar geworfen werden. Nun geht es unter anderem darum, zu klären,

  • inwieweit kann ein Lerntransfer vom Trainer oder Anbieter überhaupt gewährleistet werden und
  • was bedarf es hierfür von Firmenseite.

Was den Lerntransfer fördert

Dabei sollte man nicht nur das(Online-) Seminar, sondern den gesamten Lernprozess im Blick haben, denn: Das Seminar liefert immer nur einen Impuls und bietet Übungsmöglichkeiten an. Der eigentliche Kompetenzerwerb, bei dem zum Beispiel das neue Denken oder Verhalten zur Routine, also automatisiert wird, erfolgt in der Praxis. Deshalb sind für den Lernerfolg immer auch die Rahmenbedingungen im Unternehmen und der Kontext, in dem der Transfer stattfindet, mit-entscheidend. Es fördert zum Beispiel schon den Lerntransfer, wenn Führungskräfte oder Personalentwickler vor dem Seminar oder Online-Kurs mit dem Teilnehmer kurz über die Ziele und Erwartungen sprechen und nach diesem mit ihm klären, was er nun konkret umsetzen möchten und welche Unterstützung er hierfür braucht.

Von zentraler Bedeutung für den Lerntransfer ist die Eigen-Motivation der Teilnehmer. Denn Lernen ist stets ein individueller Prozess. Gegen den Willen der Teilnehmer ist kein Lernen möglich. Also sollte im Vorfeld einer Qualifizierungsmaßnahme auch überlegt werden:

  • Wie können wir die Eigen-Motivation der Teilnehmer fördern und bewahren?
  • Welche Rahmenbedingungen sollten hierfür gegeben sein?
  • Wie sollte das Design der Maßnahme sein? Und:
  • Welche Unterstützung sollten wir dem Lerner bieten?
Fallen beim LerntransferDen Lerntransfer fördernde Faktoren
Fehlende Motivation

Ist der Teilnehmer nicht mit emotionaler Übereinstimmung dabei, sieht er keinen Nutzen in der Umsetzung des Neuen; Ursachen u.a.:

·      Zwangsverpflichtung ohne Begründung

·      Unfreundliches Wording in der Einladung (im Stile einer  Anweisung)

·      Unzureichende Info

Lernmotivation („Ich will es!)

Im Vorfeld einer Schulung sollte an der emotionalen Einstellung der Teilnehmer gearbeitet werden. Dies kann u.a. durch eine transparente Kommunikation, entsprechende Vorinformation, wertschätzende Einladungen erfolgen. Der Nutzen muss klar kommuniziert werden.

Euphorie-Falle
Zu hohe (unrealistische) Erwartungen führen oft zum Gegenteil; zu Frust, vorschnellem Resignieren
Geduld mit sich und Glaube („Ich schaffe es!“)

Lernen braucht Zeit und das Zutrauen, es schaffen zu können: Lernen bedeutet auch, Fehler zu machen.

Persönliche Lernmuster unzureichend

Wie „geübt“ sind die Teilnehmer im Lernen? Welche Erfahrungen haben sie bisher damit gemacht? Verfügen sie über effiziente Lernstrategien? Unterstützt das Design der Maßnahme ein nachhaltiges Lernen?

Konkrete Aktivitäten setzen („Ich weiß, was zu tun ist!“)

In die Schulung sollten Praxisübungen eingebaut sein; zudem sollten erste Aktivitäten zur Umsetzung geplant werden; ein regelmäßiges Reflektieren der ersten Schritte in das Seminar einbauen, erste Spuren im Gehirn ziehen, denn: Faktenwissen wird schneller vergessen als Anwendungswissen

Alte Gewohnheiten

Automatismen wirken sehr stark; sie haben sich in unserem Gehirn verankert. Bringt der Einzelne genug Motivation und Reflexionswillen für Neues mit?

Das Neue zur Gewohnheit machen („Ich bleibe dran und versuche es erneut!“)
Die neue Aktivität muss zunächst bewusst eingesetzt werden; über ein Reflektieren der Erfahrungen, „Fehler“ und ein erneutes Tun, verblassen allmählich die Gewohnheiten; das neue Verhalten verstärkt sich.Wichtig: den Lernprozess begleiten z.B. durch Follow-up, Übungen, Nachfragen. Hier sind Online-Tools hilfreich (Chat, Webinar, Links versenden, Lerntagebuch usw.)
Einfluss durch Bezugspersonen

Vorgesetzte, Kollegen aber auch das private Umfeld können die Umsetzung positiv und negativ beeinflussen.

Unterstützung durch Bezugspersonen („Ich habe Ressourcen, auf die ich zurückgreifen kann!“)

Vorgesetzte, Kollegen aber auch das private Umfeld sollten als Unterstützer ins Boot geholt werden; ins Seminardesign Transferübungen mit Bezugspersonen einbauen

Organisation und Rahmenbedingungen

Ist meine berufliche Umgebung schon „reif“ für mein neues Verhalten? Ist das neue Verhalten überhaupt erwünscht? Erhalte ich ausreichend Unterstützung durch die organisatorischen Rahmenbedingungen?

Rahmenbedingungen prüfen („Ich habe die Möglichkeit zur Umsetzung!“)

Vorab prüfen, ob die angestrebten Verhaltensänderungen bzw. das Umsetzen von Wissen zur derzeitigen Entwicklungsphase des Unternehmens/Teams passt; Rahmenbedingungen für den Transfer sicherstellen (Thema im Vorgespräch)

Tools zum Sichern des Lerntransfers

Zur Förderung oder Sicherung des Lerntransfers gibt es viele Tools. Zu den Klassikern im Seminarbereich zählen das „Lerntagebuch“, der „Brief an sich selbst“ sowie „Lernpartnerschaften“. Daneben bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten wie

  • Webinare als Follow-Up anbieten,
  • Wissenschecks generieren,
  • virtuelle Gruppen zum Erfahrungsaustausch einrichten und
  • regelmäßig To-do-Tipps oder kleine Transfer-Aufgaben an die Teilnehmer senden.

Auch das Lerntagebuch, eines der am häufigsten genutzten Transfer-Tools, weil es sehr einfach anzuwenden ist, kann digital noch effektiver gestaltet werden.

Beispiel Online-Lerntagebuch

Bei ihm bekommen die Teilnehmer vor und nach der Präsenzveranstaltung vom Trainer online meist drei bis fünf Reflexionsfragen gestellt, die sie in einer bestimmten Frist bearbeiten sollen. Die Antworten sind im Online-Lernportal für alle anderen Teilnehmer sichtbar; nicht selten auch deren Kommentare. Die Kommentare können gezielt eingefordert werden (z. B.: Jeder Teilnehmer soll drei Kommentare abgeben).

Das Führen eines Lerntagebuchs und die Kommentarabgabe bringen die Teilnehmer dazu, ihren Lernprozess zu reflektieren. Zudem können sie ihre Erfahrungen mit denen ihrer Kollegen vergleichen. Durch die Kommentarfunktion entstehen kooperative und selbst gestaltete Lernzusammenhänge.

Durch die Antworten bekommen auch die Trainer bzw. Lehrenden eine schnelle Rückmeldung über die  Lernfortschritte der Teilnehmer. Das Lerntagebuch ist somit auch eine Evaluationshilfe. Darüber hinaus kann es als Tool zur Kontrolle für das Erbringen der Leistungen, die für einen Abschluss nötig sind, dienen. Denn Anwesenheitslisten als Grundlage für das Ausstellen von Seminarbestätigungen haben im E-Learning-Zeitalter ausgedient.

*Die Begriffe Seminar, Training und Schulung werden im Folgenden aus Gründen der Lesbarkeit weitgehend synonym verwendet.

Ein Praxisbeispiel für die Anwendung eines Lerntagebuchs

1.       Vor dem Start der Ausbildung

Beantworten Sie im Lerntagebuch zunächst die nachfolgenden Fragen:

·         Was möchte ich in dieser Ausbildung lernen?

·         Was erwarte ich von meinen Lehrgangs-KollegInnen?

·         Was möchte ich selber zu dem Lehrgang beitragen?

Lesen Sie im 2. Schritt die Beiträge Ihrer KollegInnen und geben Sie zu mindestens 2 Einträgen einen persönlichen Kommentar ab.

2.       Nach jedem Modul der Ausbildung

Beantworten Sie im Lerntagebuch zunächst die nachfolgenden Fragen:

·         Was war im Präsenzmodul besonders bemerkenswert bzw. erkenntnisreich?

·         Was war für mich persönlich der wichtigste Lernaspekt der 3 Tage im Präsenzmodul?

·         Was war/ist das Erste, das ich umgesetzt habe (umsetzen werde)?

Lesen Sie im 2. Schritt die Beiträge Ihrer KollegInnen und geben Sie zu mindestens 2 Einträgen einen persönlichen Kommentar ab.

 

Autorin: Sabine Prohaska

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