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Welche Mitarbeiter sollen wir zu Agile Coaches ausbilden? Diesbezüglich sind Unternehmen oft unsicher – denn Agile Coaches brauchen neben dem erforderlichen Methoden-Knowhow, auch einen auf ein agiles Arbeiten ausgerichteten Mindset und eine agile Haltung, um die gewünschten Veränderungen zu bewirken.

Viele Unternehmen haben inzwischen die Erfahrung gesammelt: Für die agile Transformation einer Organisation genügt es nicht, nur agile Methoden einzuführen und die Strukturen zu verändern. Vielmehr ist auch ein agiler Mindset nötig, damit die Kultur im Unternehmen in Bewegung kommt und sich die Strategie mit Leben füllt. Doch dieser Mindset lässt sich nicht per Dekret verordnen und einführen. Er entwickelt sich in einem Changeprozess, bei dem die Mitarbeiter und Führungskräfte meist eine aktive Unterstützung brauchen – zum Beispiel durch sogenannte „Agile Coaches“ in der Organisation.

Darüber sind sich die Unternehmen inzwischen weitgehend einig; unklar ist ihnen jedoch oft noch, was genau die Rolle der Agile Coaches ist und welches Kompetenzprofil diese brauchen. Deshalb werden auch heute noch nicht selten Projektmanager, Scrum Master oder Organisationsentwickler – beispielsweise aufgrund ihrer Leidenschaft für das Thema und ihrer vermeintlichen Methodennähe – ohne eine spezielle Vorbereitung zu Agile Coaches ernannt. Doch Leidenschaft und Methodenkenntnis allein genügen in der Regel nicht, um die Rolle als Agile Coach adäquat wahrzunehmen.

Auswahl der Agile Coaches erfolgt oft ohne System

Deshalb senden immer mehr Unternehmen ihre angehenden Agile Coaches auf Fortbildungen, die sie für ihre künftigen Aufgaben qualifizieren sollen. Entsprechend viele Agile-Coach-Ausbildungen mit unterschiedlichen Ansätzen gibt es inzwischen im Markt, die den Teilnehmer das für ihre künftige Funktion erforderliche Know-how und Können vermittelt sollen.

Doch wie werden in den Unternehmen die Teilnehmer für diese Ausbildungen ermittelt? Es hat den Eindruck, als erfolge die Entscheidung, wer eine Agile-Coach-Ausbildung absolvieren darf, oft noch nach dem Zufallsprinzip. Ein Mitarbeiter erscheint den Entscheidern zum Beispiel als die logische Wahl, weil er bereits Scrum-Master und im Bereich Organisationsentwicklung tätig ist. Wieder ein anderer hat noch „etwas gut“ für ein erfolgreiches Projekt und interessiert sich für die Themen „Agilität“ und „Digitale Transformation“. Also bekommt er Fortbildung sozusagen als Incentive für die geleistete Arbeit. Fakt ist: Die Auswahl der künftigen Agile Coaches erfolgt oft noch sehr unsystematisch.

Agile Coaches brauchen einen agilen Mindset

Hinzu kommt: Bei der Auswahl wird häufig nicht ausreichend berücksichtigt, dass eine Agile-Coach-Ausbildung den Teilnehmern, außer der erforderlichen Methoden-Kompetenz, auch den Mindset vermitteln sollte, den agile Coaches für ihre Arbeit brauchen – denn dieser entscheidet letztlich darüber,

  • was die Agile Coaches ihren Kollegen vermitteln und
  • ob die Methoden adäquat eingesetzt werden.

Deshalb sollte eine Faustregel beim Konzipieren einer Agile-Coach-Ausbildung sein: 20 Prozent Technik/ Methodik und rund 80 Prozent Haltung. Denn den Mindset, der zu einer agilen Haltung führt, gilt es nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu verinnerlichen.

Agile Coaches sind letztlich Multiplikatoren. Also lautet die zentrale Frage: Was multiplizieren sie? Nur Methoden-Know-how oder auch die für ein agiles Arbeiten nötige Einstellung und Haltung? Die Antwort hängt, außer von der Auswahl der künftigen Agile Coaches, auch vom Konzept ihrer Ausbildung ab.

Die Frage, wie die Teilnehmer einer Agile Coach-Ausbildung richtig ausgewählt werden, lässt sich nicht einfach beantworten – vor allem, weil die Ausschluss- und Einstiegskriterien hierfür, wie so bei der Personalauswahl und -entwicklung, nicht immer hart messbar sind.

Auswahl der Kandidaten ist oft schwer

Zwei Beispiele. Angenommen Sie wählen als Verantwortlicher einen Mitarbeiter aus, der in der Scrum-Methodik schon fit ist und als Product Owner oder Scrum Master bereits erfolgreich in Ihrer Organisation arbeitet. Dann heißt dies nicht zwingend, dass er die Grundvoraussetzungen für einen Agile Coach in Gänze erfüllt, denn: Scrum ist nur eine von vielen Methoden in der agilen Arbeitswelt, und der Nutzen jeder Methode hängt auch davon ab, mit welchem Geist sie angewendet wird. Im schlimmsten Fall mutiert der Scrum-Master zu einem Methodenwächter, der zwar sklavisch auf das Einhalten der Regeln achtet, sich jedoch weder als Teamentwickler noch als Coach der Mitarbeiter eignet.

So hört man von erfahrenen Scrum-Mastern nicht selten, dass sie „von dem ganzen psychologischen Kram“ nichts halten – entsprechend gering ist gegebenenfalls ihre Bereitschaft zur Selbstreflexion. Ein agiler Coach sollte jedoch anpassungs- sowie lern- und entwicklungsfähig und vor allem auch -bereit sein.

Angenommen nun Sie denken, ein bereits ausgebildeter Coach sei die richtige Wahl. Dann stellt sich die Frage: Steht seiner Entwicklung zum Agile Coach möglicherweise das verinnerlichte Credo vieler Coaches im Weg, dass das Gegenüber stets die Lösung in sich selbst finden muss? Die Praxis zeigt oft: ja. Denn Agile Coaches müssen bei ihrer Arbeit eine große Rollenflexibilität zeigen. Mal stehen sie vor der Herausforderung, Mitarbeiter oder Kollegen zu coachen und die Lösung tatsächlich im Klienten zu suchen; mal gilt es jedoch auch zu beraten und nicht selten auch aktiv mitzugestalten. Zudem sind sie oft Sparringspartner für das Management, wenn es darum geht, wie die gewünschte Entwicklung vorangetrieben werden kann. Deshalb brauchen sie, neben gewissen „Macher-Qualitäten“, auch Rückgrat und ein gewisses Standing in der Organisation, sonst erleiden sie schnell Schiffbruch.

Vorab ein Anforderungsprofil definieren

Also sollten sich Unternehmen, bevor sie die Teilnehmer für eine Agile-Coach-Ausbildung benennen, intensiv mit der Frage befassen, welche Kompetenzen und vor allem welchen Mindset ein Kandidat braucht, um künftig die Rolle als Agile Coach erfolgreich auszuüben.

Die Praxis zeigt, dass hierfür unter anderem folgende Kompetenzen beziehungsweise Fähigkeiten wichtig sind:

  • beziehungsgestaltende Kompetenzen (z.B. ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten inkl. der Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu gestalten; Team- und Kooperationsfähigkeit, ein Agile Leadership-Verständnis),
  • kognitive und (selbst-/emotions-) regulatorische Fähigkeiten (u.a. geistige Wendigkeit, Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz),
  • Fähigkeit zur Selbststeuerung (z.B. das eigene Verhalten beobachten, differenziert bewerten und nachjustieren können).

Diese Fähigkeiten bzw. Kompetenzen erleichtern es in der Praxis unter anderem

  • Ambiguitäten, also Mehrdeutigkeiten, souverän zu begegnen,
  • Veränderungen offen anzugehen und
  • sich schnell in einen volatilen Rahmen einzufinden, der durch wechselnde Rollen statt durch starre (hierarchische) Strukturen geprägt ist.

Grundsätzlich können sich alle Mitarbeiter und Führungskräfte auf die „Agile Reise“ begeben. Wichtig ist es jedoch, den Start- beziehungsweise Ausgangspunkt der Reise der potenziellen Teilnehmer zu kennen, um ihnen als Mensch in ihrer individuellen Lebenswelt und persönlichen Entwicklungsstufe adäquat begegnen zu können.

Den Startpunkt der agilen Reise mehrstufig ermitteln

Deshalb hat sich für die Auswahl der Reise-Teilnehmer folgendes Konzept bewährt, das es den Entscheidern und potenziellen Teilnehmern ermöglicht, ihren Blick dafür zu schärfen, wer wo auf seiner ganz persönlichen Reise steht. Zielführend ist es zum Beispiel, mit einem offenen „Agile Awareness Workshop“ für Interessierte zu starten. Dieser Workshop dient dazu, ein Grundverständnis dafür zu schaffen, was

  • agile Transformation überhaupt bedeutet,
  • welche Dimensionen dieser (Change-)Prozess berührt und vor allem
  • was die Aufgaben und Rollen unter anderem eines Agile Coaches im Unternehmensalltag sind.

Dabei lautet ein, wenn nicht gar das zentrale Ziel: Bei den potenziellen Ausbildungsteilnehmern soll ein klares Bild entstehen, ob sie sich überhaupt auf die Reise in die Welt der Agile Coaches begeben möchten.

Lautet die Antwort ja und ist ihr Interesse geweckt, sollte ein strukturierter und transparenter Weg aufgezeigt werden,

  • wie und unter welchen Bedingungen sie für sich entscheiden können, ob sie an dieser Reise teilnehmen möchten, und
  • wie die Auswahl der Kandidaten für eine Agile-Coach-Ausbildung erfolgt.

Ein solcher Workshop schafft zudem ein erstes gemeinsamen Agilitäts-Verständnis im Unternehmen.

Die Selbstreflexion der Teilnehmer anregen

Wie geht es nun weiter für die Interessierten? Sie erhalten gegen Ende des Workshops zum Beispiel eine Hausaufgabe, um die eigene Motivation für die Ausbildung zu zeigen. Diese Aufgabe kann beispielsweise lauten, sich intensiv mit einer Selbstreflexionsaufgabe zu befassen. Außerdem werden sie gebeten, ein psychologisches Persönlichkeitsinventar auszufüllen, das beispielsweise auf dem BIG 5-Modell der Persönlichkeit basiert. Anschließend werden die Kandidaten zu einem „Agile Attitude Development Day“ eingeladen.

An diesem Tag wird unter anderem reflektiert, wie die Teilnehmer die Hausaufgabe angingen und lösten und von welchen Einstellungen sie sich hierbei leiten ließen. Dies dient als Einstieg in ein Gespräch mit ihnen darüber, was sie dazu motiviert, Agile Coaches zu werden, und mit welcher Haltung sie sich dem Thema Agilität nähern. Dabei werden sie in gemeinsamen Übungen auch spielerisch mit den agilen Prinzipien vertraut gemacht und setzen sich in verschiedenen Lern- und Reflexionssettings sowohl mit den Aufgaben als auch mit sich selbst auseinander. Dr. Kraus & Partner nutzt dafür unter anderem ein eigens hierfür entwickelten Kartenspiel, das für eine tiefe Reflexion sorgt und als Tool dazu dient, die individuelle Haltung besprechbar zu machen.

Gegen Ende des Workshops sollten alle Teilnehmer ein ausführliches individuelles Feedback und die Auswertung des vorab ausgefüllten Persönlichkeitsinventar erhalten, um für sich fundiert entscheiden zu können:

  • „Ja, ich will ein Agile Coach werden“ oder
  • „Ich kann in einer anderen Funktion mehr zum Steigern der Agilität unserer Organisation beitragen“.

Selbstverständlich liegt es auch im Interesse des Unternehmens zu schauen, an welchem Startpunkt der (agilen) Reise ihre Mitarbeiter stehen – unter anderem, um die Entwicklung aller Ausbildungsteilnehmer individuell und bedarfsorientiert zu planen. Faktisch beginnt deren Entwicklung bereits an dem „Agile Attitude Development Day“ – zumindest wenn ihnen in dem Workshop auch konkrete, individuelle Entwicklungsempfehlungen gegeben werden.

Auch agile Coaches reifen allmählich

Der Vorteil eines solchen mehrdimensionalen Verfahrens ist: Es ist und wirkt nicht künstlich, da sich die Teilnehmer bereits intensiv mit dem für Agilität nötigen Mindset auseinandersetzen. Zudem wird von Anfang an deutlich, wie wichtig eine wechselseitige Wertschätzung, eine hohe Transparenz und eine Kommunikation auf Augenhöhe sind, damit Menschen ihre Einstellungen und ihr gewohntes Agieren reflektieren und zu einer Änderung ihrer Haltung und ihres Verhaltens bereit sind. Denn nicht nur für Agile Coaches gilt bezogen auf das Thema Agilität „20 Prozent sind Technik/ Methodik und 80 Prozent sind Haltung“; dies gilt auch für die Personen, die sie in dem Veränderungsprozess begleiten.

Die Ausbildung zum Agile Coach sollte modular aufgebaut sein und sich über einen längeren Zeitraum, zum Beispiel sechs oder neun Monate, erstrecken, damit bei den künftigen Agile Coaches die für ihre Arbeit nötige Einstellung und Haltung reifen können. Zudem sollte in der Ausbildung neben der Methodenvermittlung stets auch das Thema Selbstreflexion und Reflexion der gemachten Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen. Denn nur so entwickeln sich die Coaches bezogen auf ihre Funktion weiter, und es entsteht bei ihnen allmählich die Haltung und damit auch Verhaltenssicherheit, die sie in ihrem Arbeitsalltag in einem sich verändernden Umfeld brauchen.

Über die Autoren:

von Bergen, KatjaKatja von Bergen arbeitet als Unternehmens- und Managementberaterin für die international agierende Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, die u.a. Agile Coaches ausbildet. Die Betriebswirtin ist auf die Themenfelder agile Transformation sowie Unternehmensentwicklung spezialisiert.

Böckmann, LarsLars-O. Böckmann studierte Betriebswirtschaftslehre sowie Arbeits- und Organisationspsychologie. Er arbeitet ebenfalls als Unternehmens- und Managementberater für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Als HR-Experte mit langjähriger Führungserfahrung (Konzern und Mittelstand) liegt sein Fokus vor allem im Bereich HR und HR-Development.

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