Kluge Querdenker sprühen vor Ideen und sind so ein echter Wettbewerbsvorteil. Doch häufig ecken sie an und stoßen auf Widerstand. Managementberaterin Anne M. Schüller plädiert für eine Querdenkerkultur, die unkonventionelle Ideen zulässt und Killerphrasen verbannt.
Dringender als je zuvor benötigen die Unternehmen jetzt Ideengeber mit innovativen Gedanken, Mut, Biss und Tatendrang. Solche Menschen werden interne Querdenker oder bisweilen auch Organisationsrebellen genannt. Sie sind Wachrüttler, Infragesteller, Andersmacher, Vorwärtsbringer, Zukunftsgestalter. Sie sprühen vor Ideen, wie man das, was in die Jahre gekommen ist, besser machen könnte, sollte und müsste.
Sie reden Klartext, wenn sie Verfahrensweisen aufgespürt haben, die aus der Zeit gefallen sind. Sie zeigen auf alles, was für Kollegen und Kunden eine Zumutung ist. Sie sind offen für Fortschritt und treiben mit frischem Wind den Wandel voran. Sie wagen sich auch dorthin, wo noch niemand vor ihnen war. Sie kämpfen sogar gegen Windmühlen an. Und all das tun sie, weil ihre Firma ihnen wirklich am Herzen liegt.
Mit vielen klugen Köpfen löst man jedes Problem
Wer sich aus Belanglosigkeit und Mittelmaß lösen will, braucht ständig neue, frische, freche Ideen – von Menschen, die außergewöhnliche Dinge denken und tun. Indem man die Initiativen seiner Querdenker einfallsreich nutzt, macht man sich spannend – und damit begehrlich. Man kann gar nicht genug verrückte Ideen haben, um seine Kunden immer wieder neu zu betören. Querdenker sind dafür geradezu prädestiniert.
„Meine Mitarbeiter haben aber keine guten Ideen“, meinte neulich einer. Manche Obere glauben tatsächlich noch immer, sie müssten alles selbst am besten wissen und ihren Leuten sagen, wie die Dinge zu laufen haben. Sie können sich schlecht auf fremde Sichtweisen einlassen und nur schwer akzeptieren, wenn auch andere mit Einfällen glänzen. Dabei gelingt es am besten gemeinsam, Ideen zu entwickeln, die zuvor noch niemand hatte, und auf die man allein nicht gekommen wäre.
Mitarbeiter geben ihre Ideen aber nur dann preis, wenn sie glauben, dass diese Wertschätzung erfahren. Und wenn sie wissen, dass Fehler kein Beinbruch sind. Denn Fehler sind der Preis für Evolution und Innovation. Fehler machen bedeutet: Üben, um siegen zu lernen. Mit einer solchen Einstellung können bahnbrechende Erfolge gelingen. Um eine Querdenkerkultur zu initiieren, helfen folgende Vorgehensweisen.
Neuen Ideen weht oft eine steife Brise entgegen
Gute Ideen sind sehr zerbrechlich und werden leicht totgetrampelt. Ihre Schöpfer tun sich oft schwer, weil sie sich gegen Bremser und Bewahrer zur Wehr setzen müssen. Wie kommt es überhaupt, dass sich die Bedenkenträger vielfach so breit machen können? Die Harvard-Psychologin Teresa Amabile hat dazu verschiedene Experimente durchgeführt. Sie kam zu dem Schluss, dass Kritiker oft als intelligenter wahrgenommen werden, man spricht ihnen ein spitzfindigeres Urteilsvermögen zu.
„Schwarzseher erscheinen leicht als scharfsinnig und weitsichtig, während positive Äußerungen schnell als naiv abgetan werden“, sagt sie. Da Ungewisses womöglich Gefahr für Leib und Leben bedeutet, hat es Vorfahrt im Hirn. So rückt vorsorgliche Abwehr schnell in den Vordergrund. Ferner werden die potentiellen Risiken, die die Zukunft bringt, oft überbewertet. Die „guten, alten Zeiten“ hingegen werden verklärt.
Sondieren Sie also ruhig einmal per einfacher Strichliste: Wie oft reden wir denn hier über das, was nicht funktioniert? Und wie viel läuft denn wirklich schief? Wie oft ist ein Negativfall denn tatsächlich eingetreten – oder in der Realität zu befürchten? Wie viele Kunden sind denn tatsächlich schwierig? Um wie viel besser ist die Konkurrenz denn effektiv? Oder hat sie vielleicht nur die Beschäftigten mit der besseren Einstellung?
Der „Engelsadvokat“ gibt Ideen eine Chance
Kein Sportler würde ständig über seine Misserfolge reden, wenn er zum nächsten Sieg eilen will. Ganz im Gegenteil: Er führt sich seine größten Triumphe vor Augen. Also: Beugen Sie vor! Installieren Sie dazu in ihren Meetings die Rolle eines „Engelsadvokaten“. Dieser hat nach der Vorstellung einer Idee immer das erste Wort. Er findet zunächst das Gute darin und gibt ihr so eine Überlebenschance.
Dazu muss er eine eingehende Begründung liefern, Worte wie „super“ oder „klasse“ oder „hilfreich“ allein reichen nicht aus. Nun sind zumindest schon mal zwei Personen im Raum dafür, und Querdenker erhalten die so dringend benötigte Rückendeckung. Die hiernach einsetzende Diskussion verläuft dann meist auch konstruktiver.
Darüber hinaus kann man dem Engelsadvokaten eine Zimbel geben. Wird viel gejammert, wird eine Idee mal wieder zerfleddert, wird es zynisch oder ein Angriff „persönlich“, kann sie erklingen. Für die Dauer des zarten Nachhalls überlegt nun jeder still, wie man es besser machen könnte und sollte. Danach wird darüber gesprochen.
Wie man Ideenverhinderer zügig entlarvt
Weil Querdenker schnell ins Abseits geraten, brauchen sie Schutzzonen für ihre innovativen Gedanken, einen gefahrlosen Meinungsaustausch und Versuchslabore für neuartiges Tun. Nur dann kann sich ihre Kreativität voll entfalten. Leider gibt es eine Vielzahl taktischer Vorgehensweisen, um einen Querdenker und seine Initiativen loszuwerden oder seine Vorstöße ins Nirvana zu schicken. Zum Beispiel?
Der Ansprechpartner sagt, er kümmere sich um die Sache und prüfe das, tut es aber dann doch nicht. Er „vergisst“, den Vorschlag oder schiebt ein „Nein“ von oberster Stelle vor. Oder er erklärt, dass die Idee nicht in die zukünftigen Planungen der Firma passt. Oder er behauptet, dass man genau das schon einmal erfolglos versucht hat. Ziel ist es, den Ideengeber zu verunsichern und mundtot zu machen. Geschieht das öffentlich, soll derjenige herabgewürdigt, diskriminiert und isoliert werden.
Auch innerhalb eines Teams kann es passieren, dass versucht wird, vielversprechende Einfälle mit sogenannten Totschlagargumenten abzuwiegeln oder zu Fall zu bringen. Dies hat meist damit zu tun, dass ein Anderer aus welchen Gründen auch immer sein derzeitiges Verhalten nicht ändern will. In solchen Fällen kommen gern Killerphrasen zum Einsatz. So sterben selbst die besten Ideen.
Der Killerphrasen-Friedhof für Totschlagargumente
Achtung: Auf manche Entgegnungen fällt man leicht herein. „Das machen wir doch schon“, ist eine solche. Da muss nachgefragt werden: Wie denn genau? Wie früher? Wie immer? Wie alle? Wer das neue am Neuen nicht sieht, ist besonders gefährdet. Oft wird das neue am Neuen auch überhört, weil unser Hirn das Vertraute so liebt.
Manche Erwiderungen sollen ganz einfach verletzen. Das klingt dann etwa so: „Sie wollen was ändern? Die Phase hat am Anfang hier jeder. Das geht vorbei.“ Auf solche Spielchen geht man besser gar nicht erst ein. Oder jemand sagt: „Wie du dir das vorstellst, das klappt nie.“ Statt mit einem „Wieso?“ in ein argumentatives Hin und Her zu geraten, fragt man in die Runde: „Peter meint, bei ihm geht das nicht. Wie seht ihr das in Bezug auf euren Bereich? Wie könnte das bei euch funktionieren?“
Und wie schafft man Totschlagargumente auf Dauer aus der Welt? Zunächst braucht es eine gemeinsame Erkenntnis, dass man damit nicht weiterkommt. Dann beginnt man, diese zu sammeln. Diese werden schließlich begraben, indem man einen Friedhof für Ideenkillerphrasen erschafft. Dies visualisiert man in Form eines Posters, etwa so, wie die Abbildung zeigt. Das hängt man an der Wand im Meetingraum auf. Und lassen Sie Platz für neue Phrasen. Irgendjemandem fällt bestimmt noch was ein.
Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller
Querdenker verzweifelt gesucht – Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt
Mit einem Vorwort von Gunter Dueck
Gabal Verlag 2020, 240 Seiten, 29,90 Euro