„Kein Mensch weiß, wie es mir wirklich geht“ − diese Aussage passt auf viele Männer, die in ihrem Beruf erfolgreich, aber zunehmend überlastet sind. Bevor sie sich Schwäche, Ängste und Überforderung eingestehen, bauen viele Betroffene eine strikte Fassade auf, hinter der sie sich verstecken. So erkennt das Umfeld häufig viel zu spät das dramatische Ausmaß der psychischen Befindlichkeit.
Auch der Fußballer Robert Enke verbarg sein Leiden jahrelang erfolgreich. Erst sein Selbstmord brachte seine Depression ans Licht und löste eine dringend notwendige Diskussion über den Umgang mit psychischen Erkrankungen im Spitzensport aus. Doch auch in anderen Bereichen und Berufsfeldern fällt es Männern häufig schwer einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen.
Stress, Überreizung und die dadurch hervorgerufenen Erkrankungen wie Burnout und Depression zählen mittlerweile zu den häufigsten Ursachen für Krankenstände, Berufsunfähigkeit und Frühpensionierungen. Die Zahl der jährlichen Krankenstandsfälle wegen psychischer Leiden stieg zwischen 1995 und 2010 um dramatische 89 Prozent, die der Krankenstandstage um 103 Prozent. Das Besondere dabei ist, dass ein normaler Krankenstand elf Tage dauert, bei seelisch bedingten Leiden laut Statistik der heimischen Gebietskrankenkasse aber ganze 33 Tage.
Gerade bei erfolgreichen Männern ist das Thema Depression absolut tabu. Eine Studie an 1000 Managern und Führungskräften hat ergeben, dass 66 Prozent von ihnen Überlastungssymptome, Ängste und verschiedene andere Suchtabhängigkeiten haben, aber 77 Prozent meinen, dass sie mit ihrem Befinden zufrieden sind. Grund für diese zwiespältigen Zahlen ist die Tatsache, dass Männer keine Schwäche zeigen, Gefühle dadurch oft unterdrücken und eigene Bedürfnisse nicht erkennen (wollen). Sie haben gelernt, keine Schwäche zuzulassen und halten deshalb die Fassade des erfolgreichen Mannes auch dann noch aufrecht, wenn der Körper schon laut um Hilfe schreit.
Überlastung, Burnout und Depression im Berufsleben
Immer wieder beobachtete ich, dass viele berufstätige Männer und insbesondere Führungskräfte extrem durch Stress und Burnout gefährdet sind, weil sie oft viel zu hohe Ansprüche an sich selbst stellen. Neben der Kundenbetreuung wollen sie die erfolgreichsten Manager, die engagiertesten Verkäufer, die beliebtesten Mitarbeiter oder die besten Chefs sein. Noch dazu ist das Image vieler erfolgreicher Menschen durch hohes Prestige, in einigen Fällen hohes Einkommen und die Erfüllung einer Berufung behaftet. Sätze wie: „Ich kann niemals zeigen, wenn ich mich schwach fühle, wo doch alle so hohe Erwartungen in mich setzen“, sind an der Tagesordnung.
Bis vor wenigen Jahren wurde Burnout als reine Managerkrankheit bezeichnet und galt teilweise sogar als schickes „Must-Have“ eines Workaholics. Heute wissen wir, dass es ein ernst zu nehmendes seelisches wie körperliches Problem für alle Bereiche des Arbeitslebens darstellt. Oft vernachlässigen berufstätige Männer wegen der hohen beruflichen Anforderungen zusätzlich ihre sozialen Aktivitäten und haben viel zu wenig Kontakt zu ihrer Familie. Dadurch finden sie auch zu Hause keinen Halt.
Sehr häufig verschwindet bei langer Überbelastung die anfängliche Begeisterung und es kommt zu Frustrationen, emotionaler Erschöpfung, Leistungseinbußen bis hin zu starker Ablehnung von anderen Menschen. Wer überlastet und gestresst ist, kann nur schwer mit Geduld und Freundlichkeit auf die Anforderungen der Anderen reagieren.
Erfolgreiche Männer und ihre vier Wege zur Depression
Männer, die sich beweisen müssen
„Ich werde es denen schon zeigen! Die werden mich noch kennen lernen! Ruhe gebe ich erst, wenn ich alle Konkurrenten aufgekauft habe!“ So oder ähnlich erlebe ich erfolgreiche Menschen, die beweisen wollen, dass sie die Besten, die Ersten, die Erfolgreichsten sind. Häufig erlebe ich bei genauer Betrachtung, dass solche Personen entweder aus einem ärmlichen Elternhaus stammen und allen zeigen möchten, dass sie es besser können oder in einer hoch sozialisierten oder angesehenen Familie nicht wahrgenommen wurden.
Im ersten Fall berichten Betroffene, dass sie sich dauernd benachteiligt fühlten, sich viele Sachen nicht leisten konnten und von den Eltern oft hörten: „Das können wir nicht, das dürfen wir nicht, und gegen die da oben haben wir sowieso keine Chance.“ Sie haben ihre Eltern als sehr unterwürfig erlebt und spüren noch im Erwachsenenalter tief im Inneren diese Hilflosigkeit. Nun versuchen sie, die Ohnmachtgefühle mit wirtschaftlichem Erfolg und Ansehen nach außen hin zu kompensieren. Sie wollen dadurch die Anerkennung bekommen, die sie sich als Kind so sehnlich gewünscht haben.
Männer mit sozialer Verwahrlosung
Bei der zweiten Gruppe stelle ich oft fest, dass diese materiell im Überfluss lebten. Designerkleidung und edle Markenjeans waren Standard und finanzielle Sorgen ein Fremdwort. Großzügige Geschenke waren an der Tagesordnung und das schönste Auto im Dorf stand nagelneu gekauft bereits vor der Führerscheinprüfung in der Garage. Viele dieser Personen können auf eine hochkarätige Ausbildung an Eliteschulen verweisen und hätten eigentlich die Möglichkeit, vom ererbten Geld der Eltern ein geruhsames und stressfreies Leben zu führen. Warum tun sie das aber nicht? Bei solchen Menschen erlebe ich oft eine hohe soziale Verwahrlosung verbunden mit Nichtbeachtung und Unaufmerksamkeit der Eltern.
Diese haben häufig über Generationen erfahren, dass einzig der wirtschaftliche Erfolg und die gesellschaftliche Anerkennung zählen. Die erwachsenen Kinder versuchen dann ein ganzes Leben lang, sich bemerkbar zu machen. Meistens wollen sie den Eltern mit ihrem eigenen wirtschaftlichen Erfolg zeigen, dass sie „wertvoll“ sind. Sie schreien förmlich nach deren Anerkennung und tun dies häufig auch dann noch, wenn diese längst verstorben sind. Es ist ihnen einfach nicht bewusst, was sie antreibt und wie stark dieser Drang „gesehen zu werden“ in ihnen ist.
Egal, ob jemand zur ersten oder zur zweiten Gruppe gehört, beide versuchen immer etwas mehr Arbeit anzunehmen, als sie bewältigen können. Deshalb hilft ihnen auch kein Zeitmanagement-Seminar. Sie füllen die frei gewordene Zeit sofort wieder mit neuen Aufgaben und Tätigkeiten. Wenn sie sich nicht auf den Weg machen, diese „Antreiber“ kennen zu lernen, dann werden sie bis an ihr Lebensende (oder bis sie eine Krankheit stoppt) auf der Suche nach Anerkennung und Beachtung rackern und schuften.
Männer, die keine Schwäche kennen
Eine weitere wichtige Gruppe sind Menschen, die in sehr fordernden Familien aufgewachsen sind. Bei eher ärmeren Menschen wirkt sich das so aus, dass die Eltern auf jegliche Ansprüche verzichten, um dafür zu sorgen, dass es zumindest den Kindern einmal besser geht. Das führt dazu, dass diese Kinder die beste Ausbildung erhalten, obwohl es sich die Eltern kaum leisten können. Sie werden in „Kostüme“ gezwängt, in denen sie sich eigentlich unwohl fühlen. Die Anforderungen und Erwartungen an das Kind sind geprägt von Sätzen wie „Aus dir muss etwas werden!“, „Du musst das schaffen!“, „Du darfst nicht aufgeben!“, oder „Mach es besser als wir!“ Genauso verhält sich dann das Kind als Erwachsener. Es unternimmt oft kräftezehrende Anstrengungen, um gut zu sein, übernimmt Aufgaben, die es eigentlich heillos überfordern und versucht, seine Angst mit Machtmissbrauch und Härte zu verdecken.
Männer, bei denen nur Leistung zählt
Bei jener Gruppe von Personen, bei denen das gesamte Weltbild von Erfolg, Macht und Ansehen geprägt ist, kann man folgende Verhaltensweisen erkennen: Sie können nicht abschalten, auch wenn sie längst pro Tag mehr an Zinsen verdienen als sie ausgeben können, selbst wenn das finanzielle Polster längst schon bis über das Lebensende hinaus reicht. Trotzdem werden jedes Jahr neue Firmen aufgekauft und weitere Geschäftsfelder erschlossen. Dass dies in der zweiten Lebenshälfte oft dazu führt, dass sie alles wieder verlieren, ist eine andere Sache. Sie haben kein Bild davon, dass man als Mensch auch dann etwas wert ist, wenn man keine Leistung erbringt. Dass es sich lohnt, das Leben einfach nur laufen zu lassen, ohne es mit unsinnigen Tätigkeiten auszufüllen. Von solchen Menschen hört man auch: „Am liebsten möchte ich bis ins hohe Alter arbeiten. Es gäbe nichts Schöneres für mich, als friedlich einzuschlafen, ohne vorher betreut werden zu müssen.“
Das Interessante ist, dass es durchaus Menschen gibt, die es genießen, bis ins hohe Alter aktiv zu sein. Allerdings haben diese gelernt, sich in der Freizeit einen Ausgleich zu schaffen, der sie dazu befähigt, sich ihre Vitalität und Gesundheit zu erhalten. Bei meinen Beispielen spreche ich von Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes nie gelernt haben zu leben. Sie haben einfach keine Vorstellung davon, dass Zeiten der Ruhe und des Ausgleichs die Grundvoraussetzung für ein erfülltes und lebenswertes Leben sind.
Wie erkennt man Männer, die in einem der vier Muster gefangen sind?
Es ist gar nicht so leicht zu erkennen, wer erfolgreich und ausgeglichen ist und wer sein Wohlbefinden nur vom Applaus der anderen abhängig macht. Es macht jedoch einen großen Unterschied, ob jemand den Applaus von außen als “Grundnahrungsmittel“ braucht, oder ihn sozusagen als das „Sahnehäubchen“ auf der Torte sieht. Solche Menschen freuen sich natürlich auch über Anerkennung und Erfolg, sind aber bei weitem nicht so abhängig davon, wie jene, die ohne diesen Erfolg scheinbar nicht leben können.
Typische Verhaltensmuster äußern sich darin, dass betroffene Personen trotz zahlreicher Beschwerden und Krankheiten ihren Verpflichtungen weiter nachgehen. Um die Überlastungssymptome auszuschalten, nehmen sie oft jahrelang starke Tabletten und wollen gar nicht wissen, welche Nebenwirkungen sie haben. Hauptsache, sie können ihren Arbeitsalltag so einigermaßen bewältigen.“ Dabei fungieren gerade diese Symptome als Botschafter, um Betroffene darauf aufmerksam zu machen, dass sie in ihrem Leben etwas verändern sollten.
Lesen Sie in Teil 2 mehr über Männerdepressionen und Lösungsansätze.
Über den Autor:
Gottfried Huemer leitet in Laakirchen/Oberösterreich ein Stresspräventionszentrum und Erwachsenenbildungsinstitut (www.instituthuemer.at). Neben seiner Tätigkeit als Führungskräftecoach und Lehrtrainer begleitet er seit 15 Jahren Menschen bei Lebensveränderungskrisen und stressbedingten Überlastungssymptomen.
Sein kürzlich im Kreuz Verlag erschienenes Buch „Männer haben keine Depressionen“ kann bei Amazon bestellt werden.
Weitere Informationen über Gottfried Huemer
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