Kunden- und Serviceorientierung sind zwei Paar Schuhe

Viele Unternehmen überdenken aktuell ihre Servicestrategie – meist mit dem Ziel künftig mehr „Services“ zu verkaufen. Dabei reflektieren sie oft nicht, wodurch sich Kunden- und Serviceorientierung unterscheiden. Und dass man mit „Services“ zwar Geld verdienen kann, jeder Service aber auch Geld kostet.

„Deutschland ist eine Servicewüste.“ Diese Aussage liest man oft in Artikeln und Posts zum Thema Kunden- und Serviceorientierung. Meist sind diese wie folgt aufgebaut: Zunächst werden zwei, drei Beispiele geschildert, wie Unternehmen durch ihr Verhalten Kunden vor den Kopf stoßen. Dann folgt die Botschaft „Es geht auch anders“, woraufhin mehrere Beispiele von Unternehmen aufgelistet werden, die ihren Kunden einen „Top-Service“ bieten. Etwa, weil sie alle Autos, die sie reparieren, auch reinigen. Oder ihren Kunden eine „lebenslange“ Produktgarantie bieten.

Befasst man sich mit diesen Veröffentlichungen näher, stellt man meist fest: Die Begriffe Service- und Kundenorientierung werden in ihnen weitgehend synonym verwendet. Und die als Vorbilder erwähnten Unternehmen werden in der Regel für – scheinbar – kostenlose Zusatzleistungen gelobt, die sie ihren Kunden bieten. Service wird also weitgehend mit Zusatzleistungen gleichgesetzt.

Zugleich geistert jedoch ein zweiter Service-Begriff durch fast alle Veröffentlichungen zum Thema. So zum Beispiel, wenn die Kellner eines Hotels als Servicemitarbeiter bezeichnet werden. Oder die Mitarbeiter, die Aufzüge bei Kunden warten, als Servicetechniker. Hier wird jede Dienstleistung – entsprechend dem englischen Begriff „services“ – als Service verstanden.

Nicht jede Dienstleistung ist ein Service

Diese begriffliche Unklarheit führt im Betriebsalltag oft zu Verwirrung. So glauben zum Beispiel die Mitarbeiter mancher Unternehmen: „Wir müssen unseren Kunden nur möglichst viele Zusatzleistungen bieten; dann sind wir service- und kundenorientiert.“ Andere wiederum hegen die Illusion: Wir sind kunden- und serviceorientiert, weil wir unseren Kunden neben dem eigentlichen Kernprodukt auch Dienstleistungen wie zum Beispiel das Warten der verkauften Maschinen offerieren.

Also stellt sich die Frage: Was ist überhaupt ein Service? Ist es zum Beispiel ein Service, wenn ein Friseur seinen Kunden die Haare schneidet? Nein! Denn dann wäre jede Dienstleistung ein Serviceleistung, und ein Dienstleister, der seinen Job gut macht, würde seinen Kunden automatisch einen guten Service bieten. Dann wäre die gesamte Servicediskussion überflüssig.

Nicht jede Dienstleistung ist also eine Serviceleistung. Ein Friseur, der seinen Kunden die Haare schneidet, erledigt zwar seinen Job. Er bietet seinen Kunden aber noch keinen Service – selbst, wenn er die Haare gut schneidet. Dann kann man dem Friseur zwar attestieren, dass er sein Handwerk versteht. Serviceorientiert ist er deshalb aber noch lange nicht.

Dies ist der Friseur selbst dann nicht, wenn er

  • sich bei seinen Kunden vor dem Haareschneiden genau erkundigt, wie sie die Haare gerne geschnitten hätten,
  • ihnen vor dem Schneiden ein Frisiertuch umhängt und
  • ihnen zum Schluss die abgeschnittenen Haare mit einem Pinsel aus dem Nacken streicht.

Denn dies ist aus Sicht der Kunden ein Bestandteil der angebotenen Leistung. Also erwarten sie ein solches Verhalten ganz selbstverständlich.

Selbstverständlichkeiten sind kein Service

Obige Ausführungen mögen selbstverständlich erscheinen. Sie sind es aber nicht! Denn als Kunde stellt man zum Beispiel nicht selten fest: Manche Verkäufer betrachten es bereits als Service, wenn ihr Geschäft Waren umtauscht oder zurücknimmt, die Mängel aufweisen. Dabei ist ihr Unternehmen per Gesetz hierzu verpflichtet. Ebenso erachten sich nicht wenige Betriebe schon als serviceorientiert, wenn sie zum Beispiel bei Aufträgen auf Kundenwunsch nötige Nachbesserungsarbeiten ausführen. Dabei ist auch dies ihre Pflicht. Ähnlich verhält es sich, wenn Handwerker nach getaner Arbeit den verursachten Dreck wieder beseitigen. Auch dann ist dies – zumindest aus Kundensicht – kein Service. Denn die Kunden erachten dies in der Regel als selbstverständlich.

Die Serviceerwartung der Kunden variiert

Generell gilt: Als Service erleben Kunden nur Leistungen, die über diejenigen hinausgehen, die sie als selbstverständlich erachten (siehe Kasten 1 – exzellenter Service). Doch wann bietet ein Unternehmen einem Kunden mehr Leistung als erwartet?

Dies sei an einem Alltagsbeispiel erläutert: Eine junge Mutter kommt nach dem Einkauf mit ihren drei Kindern in eine McDonald´s-Filiale. Sie geht zur Theke und bestellt mehrere Portionen Pommes, zwei Junior-Tüten, drei Cheeseburger und vier Getränke. Deutlich sieht man der Mutter beim Bezahlen an, dass sie überlegt: Wie soll ich die Einkaufstüten, meine Kinder und das Tablett zugleich zu einem der Tische bringen? Doch Rettung naht. Eine McDonald´s-Mitarbeiterin bietet der Frau an: „Ich trage Ihnen das Tablett zum Tisch.“ Das ist für die junge Mutter ein „guter“ Service, denn: Kein Kunde erwartet in einem Fastfood-Restaurant, dass ihm ein Mitarbeiter das Essen an den Tisch trägt.

Anders wäre dies in einem normalen Restaurant. Dort würde die junge Frau es nicht als Service empfinden, wenn der Kellner ihr das Essen zum Tisch trägt. Dort wäre dieselbe Handlung für sie ein Bestandteil der offerierten Leistung. Das heißt: Was Kunden als guten Service empfinden, hängt davon ab, was sie als Kernprodukt/-leistung eines Unternehmens betrachten und welche Erwartungen sie

  • an die Produkte und Leistungen selbst und
  • an die Gestaltung des damit verbundenen Leistungserbringungsprozesses haben.

Was folgt hieraus für das Thema Serviceorientierung? Serviceorientiert ist ein Unternehmen dann, wenn es die Erwartungen seiner Kunden übertrifft – und zwar regelmäßig. Das setzt voraus, dass die Verantwortlichen zunächst analysieren: Wer sind unsere Kunden, und welche Erwartungen haben sie an uns und unsere Leistung? Denn erst dann können sie in ihrer Organisation alle Prozesse so gestalten, dass sämtliche Erwartungen ihrer Kunden erfüllt werden und zwar regelmäßig; also unabhängig davon,

  • wann diese das Unternehmen kontaktieren und
  • von welchem Mitarbeiter sie betreut werden.

Die Servicequalität muss sozusagen garantiert sein – selbst, wenn sie vertraglich nicht zugesichert wurde. Dies auch, weil die Kunden sich rasch an jeden Service gewöhnen. Erfahren sie ihn mehrfach, wird er für sie selbstverständlich. Sie erwarten ihn also stets; sonst sind sie enttäuscht. Deshalb sollten Unternehmen regelmäßig überprüfen, ob ihre Prozesse noch geeignet sind, die Serviceerwartungen ihrer Kunden zu erfüllen – zumal sich diese im Verlauf der Kundenbeziehung oft schleichend ändern (siehe Kasten 2 – veränderte Service-Erwartung).

Die Kernleistung muss stimmen

Bleibt die Frage: Ist ein Kunde automatisch zufrieden, wenn ein Unternehmen ihm einen guten Service bietet? Nein! Vielmehr gilt: Der beste Service nutzt einem Unternehmen wenig, wenn der Kunde mit dessen Kernleistung unzufrieden ist. Dann denkt er irgendwann: Die sollten sich ihren ganzen Service-Schnickschnack lieber sparen und dafür sorgen, dass ihre Kernleistung stimmt… Und er kehrt dem Unternehmen enttäuscht den Rücken zu.

Das heißt: Kundenorientiert muss jedes Unternehmen sein – sonst überlebt es auf Dauer im Markt nicht. Es muss sich also gezielt fragen: Was sind die zentralen Bedürfnisse unserer Zielkunden, die wir auf alle Fälle erfüllen müssen, damit diese zufrieden sind? Wie serviceorientiert ein Unternehmen sein muss, hängt hingegen primär davon ab, in welchem Marktsegment es agiert. Zählt es in ihm zum Beispiel eher zu den Billig- oder Premiumanbietern?

Kernfrage: Was ist unser Markt? Wer sind unsere Kunden?

Daraus folgt: Kundenorientierte Unternehmen müssen ihren Kunden nicht automatisch auch viel Service bieten. Im Gegenteil! Viele kundenorientierte Firmen bieten ihren Kunden sogar bewusst wenig Service, um deren zentrale Bedürfnisse besser befriedigen zu können. Als Beispiel sei der Discounter ALDI genannt: ein extrem kundenorientiertes Unternehmen. Er hat genau analysiert: Welche Erwartungen haben unsere Kunden? Dabei kamen die Verantwortlichen zum Ergebnis: Unsere Kunden erwarten von uns primär gute Waren zu einem günstigen Preis. Also reduzierte das Unternehmen gezielt den Dienstleistungsanteil an seiner Leistung, um seinen Kunden den gewünschten Hauptnutzen zu bieten.

Deshalb kann man zwar sagen: ALDI ist nicht so serviceorientiert wie die meisten Einzelhändler. Weniger kundenorientiert ist das Unternehmen aber nicht, denn: Das Unternehmen erfüllt die Erwartungen seiner Kunden. Deshalb beschwert sich auch kein ALDI-Kunde darüber, dass das Unternehmen ihm wenig Service bietet. Im Gegenteil. Das Unternehmen hat seine eigene Fangemeinde.

Viele Firmen machen sich diese Zusammenhänge nicht ausreichend bewusst. Sie glauben nicht selten: Je mehr Service wir unseren Kunden bieten, um so kundenorientierter sind wir. Die Folge: Sie versprechen ihren Kunden immer mehr Services und erzeugen so bei ihnen eine Erwartung, die sie nur schwer erfüllen können – und erzeugen so letztlich unzufriedene Kunden.

Viele Unternehmen begehen zudem folgenden Denkfehler: Sie glauben, je mehr Service wir unseren Kunden bieten, um so attraktiver sind wir für sie. Sie vergessen dabei, dass jeder Service letztlich seinen Preis hat. Das heißt, in irgendeiner Form müssen die Kunden ihn bezahlen. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass die in Artikeln und Büchern für ihren guten Service gelobten Unternehmen stets im hochpreisigen Marktsegment zu Hause sind. Deshalb muss jedes Unternehmen aufgrund seiner Positionierung im Markt irgendwann entscheiden: Sollen uns unsere Kunden eher aufgrund unserer niedrigen Preise oder unseres exzellenten Services loben und die Treue halten? Beides zugleich geht in der Regel leider nicht.

Strategische Entscheidung: Was bedeutet für uns „Service Excellence“?

Dies machen sich aktuell zum Beispiel viele produzierende Unternehmen nicht ausreichend bewusst, die erwägen, außer ihren Produkten ihren Zielkunden auch mehr Dienstleistungen als „Services“ zu offerieren – sei es, um höhere Umsätze und Erträge zu generieren oder ihre Kunden stärker an sich zu binden (siehe Kasten 3 – neue Service-Konzepte).

In diesem Kontext stellen sich ihnen auch Fragen wie:

  • Welche (Service-)Erwartungen werden unsere Kunden in naher Zukunft an uns haben – unter anderem aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung (wozu auch der KI-Einsatz zählt)?
  • Welche Serviceleistungen offerieren wir künftig unseren Kunden kostenlos und welche Service- bzw. Dienstleistungen wollen wir ihnen – in welchen „Packages“ und zu welchem Preis – verkaufen? Und:
  • Das Erfüllen welcher Kundenwünsche/-bedürfnisse können bzw. sollen wir mit Hilfe der modernen IT- und Kommunikationstechnik digitalisieren bzw. automatisieren und welche nicht?

Auf all diese Fragen gibt es keine Standardantwort, da hierbei auch solche Faktoren zu beachten sind wie:

  • In welcher Branche ist das Unternehmen tätig?
  • Wer sind seine Zielkunden?
  • Inwieweit möchte es sich durch seinen Service von seinen Mitbewerbern differenzieren?
  • Über welche Stärken, Ressourcen usw. verfügt es?

Folglich muss jedes Unternehmen – gerade, wenn es kundenorientiert sein möchte – sich irgendwann entscheiden, ob es eher die Service- oder Preisführerschaft in seinem Markt anstrebt und entsprechende Service-Levels für sich definieren (siehe Kasten 3 – Service-Levels).

Ein exzellenter Service erfordert geschulte Mitarbeiter

Das Implementieren neuer Service-Konzepte und -Levels in einer Organisation setzt neben einem entsprechenden Gestalten der relevanten Prozesse stets auch eine gezielte Schulung der Mitarbeiter voraus, denn: Nur wenn sie die Servicestrategie ihres Unternehmens kennen und wissen, was dieses aufgrund seiner Positionierung im Markt unter „Service Excellence“ versteht, können sie im Betriebsalltag und Kundenkontakt das erwünschte Verhalten zeigen. Zudem müssen sie, da heute bereits viele Services digital unterstützt erbracht werden, in der Handhabung der für genutzten Tools geschult werden.

Kurzum, ein aus Kundensicht exzellenter Service setzt voraus, dass die Mitarbeiter

  • die Kundenerwartungen und -bedürfnisse kennen und verstehen und
  • über die Kompetenz verfügen, im Betriebsalltag der Servicestrategie des Unternehmens entsprechend zu agieren.

Zudem muss in der Organisation das Bewusstsein bestehen, dass Service Excellence kein statisches Konzept ist. Vielmehr lautet die Herausforderung letztlich, sich kontinuierlich den Erwartungen der Zielkunden anzupassen, denn nur dann kann das Unternehmen, langfristig seine Kunden begeistern und sich vom Wettbewerb differenzieren.


Exzellenter Service – aus Kundensicht:

Kunden lassen sich bei ihrem Urteil, ob ein Unternehmen ihnen einen exzellenten Service bietet, oft von folgenden Kriterien leiten:

  • Schnelligkeit und Effizienz. Kunden erwarten kurze Reaktionszeiten und ein schnelles Lösen ihrer Anliegen.
  • Persönliche und bedarfsgerechte Betreuung. Unternehmen, die individuell auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen, werden als serviceorientiert wahrgenommen.
  • Proaktive Kommunikation. Guter Service bedeutet nicht nur reagieren, sondern auch antizipieren. Unternehmen, die Kunden eigeninitiativ für sie relevante Informationen übermitteln, gewinnen deren Vertrauen.
  • Zuverlässigkeit und Transparenz. Kunden möchten sich darauf verlassen können, dass Unternehmen offen und ehrlich kommunizieren sowie Zusagen einhalten.
  • Problemlösekompetenz: Ein exzellenter Service zeichnet sich auch dadurch aus, dass Probleme schnell, kundenfreundlich und kulant gelöst werden.

Christian Herlan, Kraus & Partner


Über den Autor:

Herlan, ChristianChristian Herlan arbeitet als Senior Berater für die Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem auf die Themenfelder Vertriebsmanagement und -führung sowie Changemanagement spezialisiert.

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