KI-Anwendungsfälle im Betrieb identifizieren
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Das KI-Tool ChatGPT hilft Führungskräften beim Beantworten von Zukunfts- und Entscheidungsfragen. Doch wie identifiziert mit ihm die mögliche KI-Anwendungen im Betrieb und qualifiziert sie? Dr. Jens-Uwe-Meyer erläutert, wie das neue Brainstorming funktioniert.

Für die künstliche Intelligenz bzw. KI-Tools gibt es viel potenzielle Anwendungsfelder. Doch wie identifiziert man die lukrativen und effektiven? Angenommen Sie erwägen als Unternehmensführer mit Hilfe der KI Ihren Kundenservice zu verbessern. Dann können Sie selbstverständlich die Top-Entscheider in Ihrem Betrieb zu einem Workshop einladen und diese fragen: „Wer hat Ideen für den KI-Einsatz im Kundenservice?“ Ein solches Vorgehen bzw. Brainstorming ohne (Ziel-)Vorgaben wäre jedoch vermutlich recht ineffektiv, denn um bei der Suche nach „zündenden“ Ideen erfolgreich zu sein, bedarf es eines systematischen Vorgehens, das die Gedanken in eine zielführende Richtung lenkt.

Deshalb habe ich sogenannte KI-Templates entwickelt, die Sie für die Suche nach erfolgversprechenden KI-Anwendungen nutzen können – sei es

  • analog, indem Sie sich die betreffenden Fragen selbst oder im Kollegenkreis stellen, oder
  • digital, indem Sie diese zum Beispiel bei ChatGPT oder Copilot eingeben und sich von dem KI-Tool Vorschläge unterbreiten lassen.

So funktionieren KI-Templates

Beim Entwickeln der Templates stellte ich mir folgende Situation vor: Eine künstliche Intelligenz bewirbt sich bei einem Betrieb als Mitarbeiter. Nennen wir den Bewerber KIRA; dieses Kürzel steht für „Künstliche Intelligenz, Robotik und Automatisierung“. Das Bewerbungsgespräch könnte wie folgt verlaufen:

  • Personalleiter: „Was sind Ihre Stärken?“
  • KIRA: „Ich kann Dinge sehr schnell erkennen.“
  • Personalleiter: „Schneller als ich?“
  • KIRA: „Viel schneller.“
  • Personalleiter: „Wie viel schneller?“
  • KIRA: „Zehn- bis hunderttausend Mal schneller. Und ich mache weniger Fehler.“
  • Personalleiter: „Das klingt interessant, doch was können wir mit Ihrer Fähigkeit anfangen?“
  • KIRA: „Ich kann zum Beispiel Fehler bei der Produktion erkennen und damit die Qualität verbessern, Einsparmöglichkeiten beim Einkauf und der Lagerhaltung identifizieren und damit den Betrieb rentabler machen, die Personaleinsatzpläne erstellen und so helfen, Zeit und Geld zu sparen. Wenn Sie einen geeigneten Anwendungsfall für mich haben, stelle ich mein Talent gerne unter Beweis.“
  • Personalleiter: „Wenn ich Sie richtig verstehe, muss ich mich nur fragen: In welchen Bereichen können wir durch schnellere Objekterkennung was genau erreichen?“
  • KIRA: „Genau das ist die Frage.“

Aus diesem Gedankenspiel entstanden die Templates. Die 10 wichtigsten stellt ich Ihnen vor und erläutere Ihnen, wofür Sie als Führungskraft diese nutzen können. Jedes Template besteht aus einer Frage, die Sie jeweils bezogen auf Ihre Organisation, Ihre Zielgruppe, Ihren Anwendungsfall, Ihre Ziele usw. spezifizieren müssen.

Das Fehlertemplate

Künstliche Intelligenz kann wie ein Detektiv Fehler aufspüren. Sie verwendet zum Beispiel optische Sensoren und überwacht Datenströme, um Abweichungen vom Soll-Zustand zu erkennen. Bei einer Abweichung schlägt das KI-System Alarm. So hilft es Unternehmen, Schwachstellen beispielweise in der Fertigung, Lagerhaltung oder Kundenbetreuung zu erkennen und zu beheben, bevor aus ihnen große Probleme resultieren. Durch das Verwenden des Fehlertemplates wird der Prozess des Identifizierens von solchen Anwendungsfällen effizienter und weniger fehleranfällig. Sie sparen wertvolle Zeit, die Sie ansonsten für das Sammeln von Daten und Analysieren von Prozessen und Abläufen benötigen würden.

Das Prognosetemplate

Künstliche Intelligenz kann auf der Basis von Musteranalysen Vorhersagen treffen. Sie kann zum Beispiel prognostizieren,

  • wie stark Ihre Zielkunden unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel schönes/schlechtes Wetter, staatliche Förderung ja/nein) gewisse Leistungen Ihres Unternehmens nachfragen oder
  • wie wahrscheinlich eine Fertigungsanlage beim Erfüllt-sein bestimmter Parameter in naher Zukunft Probleme bereitet.

Doch was nützt es Ihnen bzw. Ihrem Betrieb, wenn eine KI-Lösung solche Entwicklungen bzw. Ereignisse vorhersagen kann? Das können Sie ermitteln, indem Sie in dem Prognosetemplate die beiden Elemente „was genau?“ und „was erreichen?“ konkretisieren und dies anschließend zum Beispiel ChatGPT oder Copilot fragen.

Das Beschleunigungstemplate

Viele Aufgaben, die in Unternehmen noch manuell erledigt werden, können künftig automatisiert werden. Denken Sie als Manager nur daran, wie viel Zeit Sie oder Ihre Mitarbeiter heute benötigen, um aus verschiedenen Quellen die Daten zusammenzutragen, die sie beispielsweise für Kostenvoranschläge, nötige Dokumentationen usw. sowie zum Erfüllen gesetzlicher Vorschriften brauchen. Oder wie viel Zeit Ihre Service-Mitarbeiter in das Beantworten von Wissensfragen von Kunden investieren.

Das Beschleunigungsmodell hilft Ihnen, Anwendungsfälle für eine Automatisierung zu identifizieren. Gehen Sie hierfür in Gedanken die Tätigkeiten durch, die in Ihrem Betrieb noch manuell ausgeführt werden. Fügen Sie in das Template dann die relevanten Aufgaben ein. Zerlegen Sie hierfür den jeweiligen Prozess, in die damit verbundenen Teilaufgaben, denn: Je konkreter Ihre Angaben sind, umso besser werden die Ergebnisse.

Das Individualisierungstemplate

Heute gilt für viele Menschen – seien dies Ihre Mitarbeiter, (potenziellen) Kunden oder Geschäftspartner: Sie werden von Infos überflutet. Deshalb scannen sie diese nur kurz bezüglich ihrer Relevanz und entscheiden dann im Bruchteil einer Sekunde, ob und wie sie darauf reagieren.

Für fast alle Kommunikationsprozesse gilt deshalb: Sie erreichen die Empfänger Ihrer Botschaften besser, wenn Sie die Ansprache individualisieren. Doch jede Individualisierung statt Standardisierung – sei es bei der Kundenansprache oder -betreuung oder Leistungserbringung – erfordert ein Mehr an Zeit. Deshalb stellt sich für Sie die unternehmerische Frage: Wo (also zum Beispiel bei welchen Kunden-/Personengruppen oder Leistungen) lohnt es sich, unsere Ansprache und Betreuung oder Leistung individueller zu gestalten? Diese Frage hilft Ihnen das Individualisierungstemplate zu beantworten.

Das Genauigkeitstemplate

Was wir tun, entscheiden wir oft intuitiv rein aufgrund unseres Wissens und unserer Erfahrung. Deshalb sind unserer Einschätzungen oft ähnlich ungenau bzw. fehleranfällig, wie wenn

  • ein Arzt seine Diagnosen rein auf die Aussagen eines Patienten und dessen Blutwerte stützt oder
  • ein Jurist eine Rechtslage nur aufgrund einer kurzen Literaturrecherche beurteilt oder
  • ein Marketingfachmann die Ergebnisse einer Kundenbefragung rein intuitiv interpretiert.

Oft führt ein solches Vorgehen zwar zu guten Entscheidungen, doch für Sie als Entscheider in Ihrem Unternehmen stellt sich die Frage: Gibt es Bereiche, in denen eine Erhöhung der Genauigkeit zu besseren Ergebnissen führt? Zuweilen wäre beim Entscheiden gewiss ein KI-Tool hilfreich, das beispielsweise systematisch gewisse technische Daten oder Markt- und Kundendaten erfasst und auswertet, um die Entscheidungen auf ein solideres Fundament zu stellen. Doch wie groß wäre der betriebswirtschaftliche Nutzen eines solchen Tools? Lohnt sich also die hierfür erforderliche Investition? Das hilft Ihnen das Genauigkeitstemplate einzuschätzen.

Das Zufriedenheitstemplate

In jedem Unternehmen ergeben sich in der Zusammenarbeit mit Kunden, Partnern, Mitarbeitern und Lieferanten zuweilen Schwierigkeiten. Zum Beispiel, weil die eine Seite Informationen benötigt, die die andere aktuell nicht liefern kann. Oder weil Termine nicht eingehalten werden können, da Mitarbeiter erkrankt sind. Oder weil Leistungen nicht wie erwartet erbracht werden. Die Folge: Die Zufriedenheit sinkt.

Das Zufriedenheitstemplate hilft Ihnen, Anwendungsfälle in Ihrem Betrieb zu identifizieren, die dazu beitragen, die Zufriedenheit der von Ihnen adressierten „Stakeholder“ zu erhöhen – seien dies Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten oder Kapitalgeber.

Das Entscheidungstemplate

In vielen Bereichen überlassen wir Entscheidungen einem bereits Algorithmus oder einer künstlichen Intelligenz. So zum Beispiel beim Autofahren. Angenommen vor Ihnen bildet sich ein Stau und das Navigationsgerät schlägt eine Ausweichroute vor. Dann wählt das Gerät aus Tausenden von Möglichkeiten, den Stau zu umfahren, selbstständig die beste aus und schlägt sie Ihnen vor. Würde Ihr Auto autonom fahren, würde es sogar die Entscheidung selbst treffen.

In Unternehmen sind Entscheidungsprozesse oft langwierig. Je mehr Personen, Abteilungen usw. in den Prozess involviert sind, umso komplexer und somit aufwendiger und teurer wird dieser in der Regel. Mit dem Entscheidungstemplate können Sie gezielt nach Anwendungsfällen in Ihrem Betrieb suchen, bei denen Sie durch automatisierte Entscheidungen Zeit und Geld sparen.

Das Rentabilitätstemplate

Warum gibt es bei uns noch keine Nachrichtenportale, in denen die Bewohner eines Stadtteils

  • alles sofort erfahren, was in ihrem Viertel passiert, und
  • über alle Neuigkeiten, die auch ihren Stadtteil betreffen, fundiert informiert werden?

Die Menschen interessieren doch Nachrichten aus ihrem nahen Umfeld am meisten! Die Antwort lautet, ein solches Nachrichtenportal zu pflegen, würde mindestens fünf Vollzeitstellen erfordern: Eine für die technische Wartung, zwei für die Produktion der Inhalte und zwei für die Finanzierung durch Werbung und Abonnements. Das Geschäftsmodell Stadtteil-Nachrichtenportal war bisher schlichtweg nicht lukrativ.

Die KI kann das ändern! So nutzt heute zum Beispiel bereits das Portal fussifreunde.de künstliche Intelligenz, um Spielberichte über Spiele in den Kreis- und Bezirksligen zu verfassen. Das Prinzip ist einfach: Aus den wichtigsten Informationen zum Spiel (Wer spielte gegen wen? Wie hieß der Schiedsrichter? In welcher Minute schoss wer ein Tor?) wird automatisch ein Bericht erstellt. Ähnlich agieren heute schon viele (Online-)Medien Finanzdienstleister, um ihre Leser bzw. Zielkunden zeitnah zum Beispiel über das Geschehen an der Börse zu informieren. Teilweise verdienen sie mit diesen „Serviceleistungen“ sogar unmittelbar Geld.

Mit dem Rentabilitätstemplate gehen Sie auf die Suche nach Geschäftsmodellen zum Beispiel, die sich bislang für Ihr Unternehmen noch nicht rechneten, künftig aber bei einem KI-Einsatz eventuell lukrativ sein könnten.

Das Vereinfachungstemplate

Sind Sie schon mal an Photoshop verzweifelt? Wenn Sie zum Beispiel Objekte freistellen wollen, finden Sie im Internet Anleitungen wie diese: „Wählen Sie den Zauberstab oder die Schnellauswahl, fahren Sie einmal mit der Maus über das Objekt, damit Photoshop die Ränder des Objekts selbstständig markiert. Abschließend können Sie das markierte Objekt mit „Strg + C“ kopieren oder mit „Strg + X“ ausschneiden.“ Und wie funktioniert das Ganze auf dem iPhone? Dort tippen Sie auf das betreffende Objekt, lassen den Finger eine halbe Sekunde auf dem Display und schon ist es ausgeschnitten, und Sie können es einfach in ein anderes Bild einfügen oder den Bildausschnitt per Mail verschicken.

Das Beispiel zeigt: Durch den KI-Einsatz können Anwendungen sehr vereinfacht werden. Das Vereinfachungstemplate hilft Ihnen, in Ihrem Betrieb systematisch Anwendungsfälle zu eruieren, bei denen Sie durch eine Vereinfachung neue Kunden gewinnen oder die Zufriedenheit bestehender Kunden steigern.

Das Bedürfnistemplate

Der zunehmende KI-Einsatz in ihrem Umfeld schafft bei Personen und Organisationen neue Bedürfnisse und
Erwartungen – und zwar nicht nur im Bereich Kommunikation und Information, sondern auch bezüglich Schnelligkeit, Nutzerfreundlichkeit, Effizienz usw.. Das gilt auch für Ihre (Ziel-)Kunden. Auch deren Erwartungen, Bedürfnisse und Erfordernisse ändern sich. Daraus erwachsen für Ihr Unternehmen neben Risiken auch Chancen. Also sollten Sie als Manager bzw. Unternehmer überlegen, bei welchen Kunden durch die KI neue Bedürfnisse und somit Chancen für Sie entstehen. Dabei hilft Ihnen das Bedürfnistemplate.

KI statt Brainstorming

Mit den zehn Templates können Sie den Prozess der Ideengenerierung für einen potenziellen KI-Einsatz in Ihrem Betrieb systematisieren und so strukturieren, dass die Qualität der Vorschläge steigt. Sie entwickeln vermutlich zwar weniger Ideen als beim klassischen Brainstorming, doch dafür hochwertigere, da Sie Ihr Denken und Handeln von vornherein auf bestimmte Bereiche und Anwendungsfälle fokussieren.

Beim Generieren von Ideen mit den zehn Templates werden Sie merken: Die Vorschläge, die Ihnen zum Beispiel ChatGPT unterbreitet, sind oft verblüffend, manchmal aber auch oberflächlich und banal. Also bleibt es Ihre Aufgabe als Manager bzw. Unternehmer, die Ergebnisse zu bewerten und gegebenenfalls zu modifizieren bzw. als Grundlage für eigene Überlegungen zu nutzen. Von einem KI-Tool wie ChatGPT oder Copilot kann man vieles erwarten, Wunder aber nicht.

Über den Autor:

Meyer, Jens-Uwe DrDr. Jens-Uwe Meyer ist CEO der Innolytics AG, Leipzig, die unter anderem Ideen-, Wissens- und Qualitätsmanagement-Software entwickelt. Von dem Digitalisierungs- und Innovationsexperten erschien im Oktober 2023 das Buch „Die KI-Roadmap: Künstliche Intelligenz im Unternehmen erfolgreich einsetzen“. Der Autor von 13 Büchern zum Themenkomplex Innovation und digitale Transformation ist auch ein Vortragsredner.

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