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Wenn Unternehmen international rekrutieren, müssen zahlreiche Aspekte beachtet werden. Das reicht von der Einreisebestimmungen, Anerkennung von Berufsabschlüssen bis hin zur Wohnungssuche und Kinderbetreuung. Im Interview mit Weiterbildungsmarkt.net schildert die Expertin für Integration und Diversity Elke Müller, was Firmen bei der Personalauswahl internationaler Bewerber beachten müssen.

Weiterbildungsmarkt.net: Welche Probleme tauchen beim internationalen Recruiting in der Praxis häufig auf?

Elke Müller: Vorab: Wir sprechen hier vor allem über Probleme, die entstehen, wenn Mitarbeiter aus den sogenannten Drittstaaten rekrutiert werden. Denn diese sind betroffen von Einreisebestimmungen, der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse usw. Interkulturelle Themen wie zum Beispiel im Auswahlinterview sind natürlich auch bei Bewerbern aus dem europäischen Ausland relevant.

Das Hauptproblem ist unserer Ansicht nach, dass beim internationalen Recruiting genauso vorgegangen wird, wie immer, sprich wie mit lokalen Bewerbern. Da steckt der Gedanke dahinter; dass sich ja der Brasilianer, die Inderin, der Japaner oder die Französin bei einem deutschen Unternehmen bewirbt und somit mit den Gepflogenheiten eines Bewerbungs- und Auswahlprozesses vertraut sein sollte.

Natürlich ist auch der Mehrzahl der internationalen Bewerber vorher nicht klar, dass ein Auswahlprozess kulturell geprägt ist. Erst während eines Interviews wundern sich beide Seiten über „komische“ Fragen und „seltsame“ Antworten.

Im besten Fall macht sich eine Organisation oder ein Unternehmen Gedanken, wie der Onboardingprozess aussehen sollte, bevor der erste internationale Bewerber angesprochen wird. Dazu sollte auch gehören, dass es eine Richtlinie gibt, die regelt, welche Zusatzleistungen neue internationale Mitarbeiter bekommen sollen. Sprich, erhalten diese generell Unterstützung durch einen Relocationservice bei der Wohnungssuche und den Behördengängen und wenn ja, in welchem Umfang. Wird der internationale Umzug auch finanziell unterstützt? Wann darf die Familie mitkommen (im Hinblick auf eine Probezeit) und welche Unterstützung (Sprachkurse, interkulturelles Training) bekommt diese?

Ist dieses nicht klar geregelt, wird es zu zig Lösungen kommen, je nachdem wie gut ein neuer Mitarbeiter verhandelt hat oder wie wichtig er oder sie für das Unternehmen ist. Und hier vergessen viele Recruiter oder Personalbetreuer, dass die internationalen Mitarbeiter sich untereinander austauschen und so rasch Unzufriedenheit bei einzelnen entstehen kann.

Weiterbildungsmarkt.net: Was sollten Unternehmen speziell bei der Personalauswahl internationaler Bewerber beachten?

Elke Müller: Der erste Schritt wäre, den gesamten Prozess (Personalsuche, Bewerbermanagement, Auswahlprozess) darauf anzuschauen, wo dieser diskriminiert. Ganz konkret könnte das im Auswahlprozess so aussehen, dass man sich den Interviewleitfaden genau anschaut und untersucht, welche Antworten wie gewertet werden. Also: Stellen wir Fragen, die ein internationaler Bewerber nicht in unserem Sinne beantworten kann? Können wir die Fragen verändern und / oder das Bewertungsschema?

Die Recruiter sollten in interkultureller Kommunikation geschult sein, um auch im Gespräch kultursensibel reagieren zu können und Antworten der Bewerber anders bewerten zu können. Interkulturelle Kompetenz trägt auch dazu bei, sich seiner eigenen, meist unbewussten Stereotypen und Vorurteile bewusst zu werden und sich damit aktiv auseinanderzusetzen. Für die Bewerberauswahl heißt das, bewusster eine neutralere Haltung einzunehmen und Antworten nicht so schnell mit „na klar, der Chinese antwortet schwammig und will sich nicht festlegen“ zu bewerten.

Grundsätzlich spielt auch die Sprache, in der Auswahlgespräche geführt werden eine Rolle. Meist werden Gespräche mit internationalen Bewerbern auf Englisch geführt, was ja in den seltensten Fällen die Muttersprache für alle Beteiligten ist. Und da stellt sich die Frage, inwieweit durch falsch verstandene Inhalte falsche Rückschlüsse (auf beiden Seiten) gezogen werden.

Und ein Punkt, der mir ganz besonders am Herzen liegt: Internationale Bewerber benötigen ausführliche Informationen zu den Lebenshaltungskosten, dem Wohnungsmarkt und, wenn Kinder involviert sind, zum Schulsystem und den Möglichkeiten der Kinderbetreuung am möglicherweise neuen Lebensmittelpunkt. Auch sollten Fragen zur Familie (inwieweit diese den internationalen Umzug mitträgt, welche Erwartungen ggfs. bestehen) fester Bestandteil eines Auswahlinterviews sein.

Und last but not least: Oft ist dem Personalbereich gar nicht klar, welche Voraussetzungen ein internationaler Bewerber erfüllen muss, um die entsprechende Arbeitserlaubnis zu erhalten. Sprich die Prüfung der Anerkennung des Berufsabschlusses sollte fester Bestandteil des Auswahlprozesses sein. Denn sonst kann es passieren, dass der Bewerber eine Zusage bekommt, er aber letztendlich über keinen anerkannten Abschluss verfügt und somit kein Visa und in der Folge keine Arbeitserlaubnis erhält. Auch ist den wenigsten Unternehmen klar, dass der Visaprozess vor der Einreise durchaus sehr langwierig sein kann und der neue Mitarbeiter nicht schon in vier sondern erst in 10 Wochen einreisen kann.

Weiterbildungsmarkt.net: Was ist wichtig im Rahmen der Integration neuer Mitarbeiter aus anderen Ländern und Kulturkreisen in die Organisation?

Elke Müller: Grundsätzlich ist es wichtig überhaupt zu verstehen, dass internationale Mitarbeiter mit einem lokalen Arbeitsvertrag viel mehr Informationen benötigen, um gut ankommen zu können als lokale Mitarbeiter. Da geht es um Fragen der Kranken- und Sozialversicherung, denn das jeweilige System kann ein ausländischer Mitarbeiter nicht kennen oder um steuerliche Fragen, aber auch um ganz praktische Themen wie die Erledigung von Behördengängen.

Wir haben im vergangenen Jahr eine Bachelorthesis zum Thema „Onboarding internationaler Fach- und Führungskräfte“ betreut. Erschreckend fanden wir das Ergebnis, dass 90% der von uns befragten 20 Unternehmen der Meinung waren, dass „Sondermaßnahmen“ nicht nötig seien. Insgesamt dauern die Onboardingsprozesse meist nur wenige Tage und sind viel mit einer Holschuld der neuen Mitarbeitenden verbunden. „Bitte fragen Sie nach, wenn Sie Informationen benötigen!“ – Was aber, wenn die neue Mitarbeiterin die Frage gar nicht kennt?

Oft wird auch die Veränderung der bestehenden Organisationskultur durch die internationalen Mitarbeiter nicht mitbedacht. Mitarbeiter mit einem anderen kulturellen Hintergrund bringen andere Sicht- und Arbeitsweisen, ein anderes Hierarchieverständnis und andere Kommunikationsmuster mit. Leider werden dann diese Verhaltensmuster oft als „falsch“ oder „unprofessionell“ bewertet und nicht wertgeschätzt. Denn: vielfältig zusammengesetzte Teams sind kreativer – man muss diese Kreativität fördern und die Unterschiede sichtbar machen und wertschätzen.

Weiterbildungsmarkt.net: Wie können Trainings/Beratung helfen?

Elke Müller: Trainings können den Onboardingprozess unterstützen und die Integration der ‚Internationals‘ erleichtern. Beratung bringt den Blick von außen und kann somit viel kritischere Fragen nach dem „Warum läuft das so ab?“ stellen.

Weiterbildungsmarkt.net: Was bringen Sie den Teilnehmenden in den Trainings bei? Bitte geben Sie uns Einblick in Ihr Training.

Elke Müller: Bei den Trainings gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen und nahliegend ist ein „Incoming Germany“-Training, indem es darum geht, wo Unterschiede zum Herkunftsland liegen und wo es Gemeinsamkeiten gibt. Wird der Mitarbeiter von seiner Familie begleitet, sollte auch diese unbedingt am Training teilnehmen. Sind Kinder dabei, sollten diese im schulpflichtigen Alter sein und werden dann selbstverständlich auch in ein Training integriert. Handelt es sich um eine Gruppe von Mitarbeitern mit Familien kann ein Kindertraining parallel zu dem Seminar für die Eltern durchgeführt werden.

Schwerpunkt der Trainings ist die Businesskultur – also Erwartungen von Kunden, Kollegen, Kommunikationsverhalten, Gesprächsführung. Aber mindestens ebenso wichtig sind Alltagsthemen, um die soziale Integration zu unterstützen. Dazu gehören Themen wie „Freizeitgestaltung“, „Umgang mit Kulturschock“ oder der Umgang mit dem Vermieter und den Nachbarn.

In einem Kindertraining stehen Fragen im Mittelpunkt wie „Wo finde ich neue Freunde?“, „Wie kann ich Kontakt zur Familie und Freunden im Heimatland halten?“, „Was ist die liebste Freizeitbeschäftigung der Gleichaltrigen?“ usw. Eine eher spielerische Herangehensweise ist hier das A und O, immer abgestimmt auf das Alter der Kinder

Eine weitere Möglichkeit für ein Training wäre ein Teamtraining mit dem neuen Fachbereich oder der Abteilung. Das macht natürlich nur Sinn, wenn mehrere neue internationale Mitarbeiter integriert werden sollen. In einem solchen Workshop steht das Miteinander und Voneinander lernen im Mittelpunkt. Hier geht es vor allem um die gegenseitige Wertschätzung und das „Aushandeln“ von Teamregeln, die von allen Teammitgliedern mitgetragen werden.

Weiterbildungsmarkt.net: Welche weiteren Maßnahmen wären noch hilfreich?

Elke Müller: Sinnvoll ist es, internationale Mitarbeitende (und ihre Familien) bei der Wohnungssuche und der Erledigung der notwendigen Behördengänge zu unterstützen. Denn meist fehlen ja noch die Sprachkenntnisse und die Kenntnisse der Region, so dass eine Wohnungssuche sehr schnell frustrierend werden kann. Mit einem externen, professionellen Relocationdienstleister an der Seite reduziert sich der Stress des neuen Mitarbeiters entscheidend

Bewährt haben sich Mentorensysteme in den Unternehmen, bei dem ein internationaler Mitarbeiter für die ersten drei oder sechs Monate einen Mentor, sprich einen erfahrenen Kollegen, eine erfahrene Kollegin zur Seite gestellt bekommt. Diese können sowohl Fragen, die die Organisation betreffen klären aber auch Hilfestellung im Alltag geben. Somit kann sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln, in dem beide Seiten voneinander lernen können. Ein solches Mentorensystem kann also gleichzeitig die interkulturelle Kompetenz aller Mitarbeiter fördern.

Ich finde die Etablierung einer Willkommenskultur in den Unternehmen und Organisationen ganz entscheidend. Das mag gerade am Anfang etwas mehr Aufwand bedeuten, langfristig erhöht dies die Bindung an das Unternehmen und senkt somit die Fluktuation. Denn: Oft wird vergessen, dass internationale Mitarbeiter sehr viel schneller einen Arbeitsplatzwechsel in Kauf nehmen, wenn sie sich nicht gut aufgehoben fühlen.

Weiterbildungsmarkt.net: Frau Müller, vielen Dank für das spannende Interview.

Über die Interviewpartnerin:

ElkeMüllerElke Müller beschäftigt sich seit 20 Jahren als Trainerin und Beraterin mit den Auswirkungen von Vielfalt auf das Arbeitsleben. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Stärkung der interkulturellen Kompetenz in Unternehmen, die Internationalisierung im Personalbereich sowie Beratung und Trainings rund um die Themen Integration und Diversity.

Weitere Informationen über die compass international gmbh

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