Für viele Unternehmen ist es keine Ausnahme mehr sondern die Regel: Teams, die über den Globus verteilt an einem Projekt arbeiten. Diese Form der Zusammenarbeit bietet den beteiligten Mitarbeitern und Führungskräften eine Reihe von Vorteilen, stellt sie gleichzeitig aber auch vor große Herausforderungen. Entscheidend für den Erfolg dieser Teams ist es, dass die Herausforderungen aktiv angegangen werden.
Was sind die größten Herausforderungen virtueller Teams?
Das ist zum einen der Faktor „Distanz“: In einem Team, welches über mehrere Länder hinweg verteilt arbeitet, ist der persönliche Kontakt unter den Teammitgliedern äußert eingeschränkt. Dies beeinflusst die Kommunikation, da diese verstärkt über E-Mail, Videokonferenzen, in Chaträumen oder am Telefon abläuft. Alle diese Medien wirken wie Filter, so gehen vor allem nonverbale Informationen verloren. Hinzu kommt, dass in globalen Teams in einer Lingua Franca, meist Englisch kommuniziert wird und ggfs. nicht alle Teammitglieder das gleiche sprachliche Niveau haben. So können verstärkt Missverständnisse entstehen.
Sich über Probleme am Telefon oder nur schriftlich auszutauschen und dabei den Gesprächspartner kaum zu kennen, fällt vielen schwer – und hierbei spielt auch die kulturelle Prägung eine sehr große Rolle. Die Folge davon: Informationen gehen verloren bzw. kommen erst gar nicht auf den Tisch.
Räumlich Distanz kann dazu führen, dass Zuständigkeiten intransparent werden, Rollen im Team doppelt oder gar nicht besetzt sind und als Folge die Identifikation mit dem Projekt und die Motivation sinkt.
Der Faktor „Kultur“ stellt eine weitere Herausforderung dar: Kulturell bedingtes Verständnis von Hierarchie, von Führung, von Zeit, von Motivation aber auch von Abläufen kann zu Missverständnissen oder Konflikten führen. Da dieser Faktor weniger offensichtlich als der Faktor Distanz ist, wird er in sehr vielen Fällen völlig unterschätzt. Besonders der Umgang mit Konflikten ist international sehr unterschiedlich und somit fällt die Einschätzung, ob ein Konflikt vorliegt oder nicht, unterschiedlich aus.
Je heterogener das Team ist, desto wichtiger ist das gemeinsame Ziel. Besteht von vorneherein ein unterschiedliches Verständnis, ist es die Aufgabe der Führungskraft im Team den Konsens aktiv herzustellen.
Als drittes ist der Faktor „Zeit“ zu nennen: Zum einen arbeiten globale virtuelle Teams in der Regel über mehrere Zeitzonen hinweg, was wiederum die Kommunikation erschwert. Zum anderen muss die Zeitdauer von Prozessen betrachtet werden: Angefangen beim Teambildungsprozess über Abstimmungsprozesse bis hin zum Aufbau klarer Regeln benötigen diese Dinge bei virtuellen Teams deutlich mehr Zeit.
Welche Auswirkungen können diese Herausforderungen auf die Teammitglieder haben?
Medienkompetenz und eine hohe kommunikative Kompetenz sind die Schlüsselqualifikationen für die Arbeit im virtuellen Team. Jeder Mitarbeiter muss in der Lage sein zu entscheiden, welches Kommunikationsmittel er wählt, um Fragen, Probleme oder Konflikte anzusprechen und zu lösen.
Missverständnisse, die in den anderen Kommunikationsmöglichkeiten und interkulturellen Unterschieden begründet liegen, führen schnell zu Unzufriedenheit. Hinzu kommt, dass durch die Distanz die „echten“ Kontakte unter den Teammitgliedern geringer sind, die Folge davon ist eine geringere gegenseitige Unterstützung bis hin zu einer gewissen Isolation.
Für Teammitglieder gilt, dass sie über ein hohes Maß an Selbstmotivation und Selbststeuerung verfügen sollten und eigenverantwortliches Arbeiten zu den Stärken gehört. Sind diese Eigenschaften nicht vorhanden, können sich Prozesse noch mehr verlangsamen.
Die Arbeit über Zeitzonen hinweg führt oft zu Frustration und einer immensen Arbeitsbelastung Einzelner, insbesondere dann, wenn keine klaren Regeln zur Erreichbarkeit vereinbart wurden.
Durch die veränderte Art und Weise der Kommunikation (verstärkt schriftlich, über E-Mail oder innerhalb der Groupware) kann rasch eine wahre Informationsflut entstehen. Ohne klare Regeln, wer wann über was wie informiert sein muss, werden im schlimmsten Fall alle Informationen an alle kommuniziert. Für den Einzelnen bedeutet das einen enormen Aufwand, um die für ihn relevanten Informationen auszusieben.
Und was bedeutet dies für die Führungskraft eines virtuellen Teams?
Die Führungskraft sollte eine hohe Unsicherheitstoleranz mitbringen: „virtuell“ getroffene Vereinbarungen werden als weniger verbindlich angesehen; die Überprüfung von Leistungen ist aufwändiger, Fehler schwieriger zu entdecken.
Eine Führungskraft sollte viel Zeit für die Teambildung aufbringen, klare Regeln der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern vereinbaren und als echtes Bindeglied zwischen den einzelnen „Stationen“ fungieren. Das bedeutet unter Umständen gerade in der Startphase einen erhöhten Reiseaufwand und im laufenden Projekt einen erhöhten Kommunikationsaufwand.
Für die Führungskraft ist eine hohe interkulturelle Kompetenz die Schlüsselqualifikation schlechthin: Kann sie erkennen, welche Probleme, Missverständnisse und Herangehensweisen kulturell bedingt sind, kann sie integrierend wirkend. Darüber hinaus ist sie dann in der Lage, die kulturelle Vielfalt für das Projekt bewusst zu nutzen.
Wie sieht es mit den Vorteilen aus?
Alle genannten Faktoren, Distanz, Kultur und Zeit sind nicht nur die Herausforderungen sondern in gleichem Maße auch die Vorteile.
Flexibilität – das Unternehmen kann Teams „der Besten“ für das jeweilige Projekt zusammenstellen und eine lokale Verankerung der Mitarbeiter schafft Zugang zu neuen Märkten. Für die Mitarbeiter gibt es oft weniger starre Arbeitszeiten, was in den meisten Fällen als großer Vorteil gesehen wird. Ein weiterer Vorteil aus Mitarbeitersicht ist, dass im Rahmen des Projektes wenig Reisetätigkeit anfällt und sie im gewohnten kollegialen und sozialen Umfeld arbeiten.
Großer Wissenspool – unabhängig vom Standort können Spezialisten einbezogen werden, es gibt qualitativ und quantitativ mehr Ressourcen, um Themen und Projekte zu bearbeiten.
Kulturelle Vielfalt schafft Kreativität und als Folge davon entstehen neue Lösungen, werden andere Lösungswege beschritten, die Teammitglieder lernen voneinander und können sich gegenseitig motivieren.
Erhöhte Produktivität – Arbeit über Zeitzonen hinweg ermöglicht im besten Fall 24-Stunden-Tage.
Beteiligung aller – virtuelle Zusammenarbeit bezieht jedes Teammitglied stark in den Gesamtprozess ein, was motivationsfördernd wirkt. Im virtuellen Team liegt der Fokus weniger auf sozialer denn auf fachlicher Kompetenz. Somit werden Teammitglieder, die sich mit informeller Kommunikation eher schwer tun im virtuellen Team als Spezialisten wahrgenommen und sich verstärkt einbringen.
Fazit
Globale virtuelle Teams bringen viele Vorteile mit sich – allerdings nur, wenn die entsprechenden Faktoren bewusst in die Arbeit einbezogen werden.
So schafft kulturelle Vielfalt alleine keine erhöhte Produktivität – erst wenn das Team in die Lage versetzt wird, die Synergien zu erkennen, eine eigene Teamkultur entwickeln kann und die Unterschiede wertschätzend wahrgenommen werden – erst dann tritt der positive Effekt ein. Dieses gilt für alle genannten Faktoren gleichermaßen.
Über die Autorin:
Elke Müller, Geschäftsführende Gesellschafterin der compass international gmbh in Stuttgart.
Seit 1996 als Trainerin aktiv mit Trainingsschwerpunkten Interkulturelle Kompetenz, internationale Teamentwicklung, Reintegration nach Auslandsaufenthalten, Diversity. Darüber hinaus begleitet sie Team- und Organisationsentwicklungen und Prozesse zur Einführung von Diversity in kleinen und mittelständischen Unternehmen.
2014 wurde sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin als Vorbildunternehmerin ausgezeichnet.
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