Eine Entsendung ist sehr viel mehr als ein normaler Umzug an einen anderen Standort. Es ist ein Prozess, der sich über die gesamte Entsendedauer hinzieht und nachhaltig begleitet werden sollte. Abgebrochene Entsendungen oder Kündigungen kurz nach der Rückkehr kosten jedes Unternehmen ein Vielfaches der Summe, die eine individuelle Vorbereitung und kontinuierliche Begleitung kostet.
Noch immer sind erstaunliche Argumente zu hören, warum eine interkulturelle Vorbereitung auf eine Entsendung nicht nötig sei. Häufig genannt wird „der Mitarbeiter kennt das Land, er war mehrfach auf Geschäftsreise vor Ort …“ oder „die Familie benötigt bestimmt keine Vorbereitung, die Kinder sind viel zu klein und die Ehefrau arbeitet ja nicht …“. Und natürlich gibt es kostenfreie Angebote wie „die chinesische Kollegin aus dem Marketing erklärt unserem Mitarbeiter die wichtigsten Themen …“ oder „viele Informationen kann man ja bei Bedarf im Internet recherchieren.“
Diese und andere Argumente sind zu hören, wenn Unternehmen nicht die Notwendigkeit einer speziellen interkulturellen Vorbereitung auf einen längeren Auslandseinsatz oder für eine Entsendung sehen.
Klar kann man in unzähligen Ratgebern nachlesen, wie eine Visitenkarte zu überreichen ist, welche Gastgeschenke mitgebracht werden können und welche Small-Talk-Themen opportun sind. DAS sollten jedoch keine Themen einer interkulturellen Vorbereitung sein und wenn, dann höchstens als Auflockerung nach der Mittagspause angesprochen werden! Und sicher kann die chinesische Kollegin einige gute Ratschläge geben. Aber erlebte Geschichten sind bzw. ersetzen kein interkulturelles Training, in dem es um die Bearbeitung und Erarbeitung konkreter Lösungsstrategien für genau den betroffenen Mitarbeiter gehen soll. Kann die chinesische Kollegin einschätzen, ob sich der deutsche Projektleiter eher leicht oder schwer tut, „gesichtswahrend“, „beziehungsorientiert“ und vor allem indirekt zu kommunizieren?
Eine Entsendung ist keine verlängerte Geschäftsreise. Das heißt, selbst wenn der Mitarbeiter bereits die Kollegen und Mitarbeiter und einige Kunden vor Ort kennt, ändert sich seine Rolle, in der nun zukünftig unterwegs sein wird. Er ist dann nicht mehr der Projektleiter aus der deutschen Zentrale, der alle drei Monate für diverse Meetings zum Projektstatus und zur weiteren Abstimmung mit Kunden nach zum Beispiel Shanghai kommt. Als Expat ist er der Vertreter der deutschen Zentrale für die kommenden zwei oder drei Jahre und somit der wichtigste Repräsentant des Unternehmens vor Ort. Er ist nun auch Ansprechpartner für externe Kontakte, wie Behördenvertreter, wichtige Kunden, Banken oder Netzwerkpartner. Werden in der internen Zusammenarbeit kleinere (oder größere) Fettnäpfchen oder gar Fehler im Umgang entschuldigt, so kann der kulturunsensible Umgang mit wichtigen Behördenvertretern spürbare Konsequenzen für das Unternehmen haben.
Eine mehrjährige Entsendung zeichnet aus:
- Großes Aufgabenspektrum mit hoher Verantwortung.
- Verlust des sozialen Umfeldes durch den internationalen Umzug und somit ein völlig unbekanntes privates Umfeld für die ersten Monate.
- Der mitausgereiste Partner / Partnerin hat ggfs. eine erfolgreiche Berufstätigkeit aufgegeben, Kinder müssen auf eine fremdsprachliche Schule wechseln und verlieren ihr eigenes soziales Umfeld. Das bedeutet eine hohe familiäre Belastung. Neben den veränderten beruflichen Aufgaben sieht sich der Mitarbeiter mit den Herausforderungen konfrontiert, dass der mitausgereisten Familie die Integration im neuen Umfeld gut gelingt.
- Individuelle Belastung mit anderen Mentalitäten umgehen zu müssen, täglich ggfs. in einer Fremdsprache kommunizieren zu müssen und dennoch den hohen Anforderungen aus der Zentrale zu genügen / Umgang mit Intransparenz, weil regionale Strukturen nicht bekannt sind.
- Hohe physische und psychische Belastung (Klima, längere Arbeitszeiten, Verkehr, Sicherheits- und Gesundheitssituation vor Ort, usw.)
Eine gute Vorbereitung und Begleitung als Basis für eine erfolgreiche Entsendung
Die Zufriedenheit der mitausreisenden Familie ist für die entsandten Mitarbeiter der wichtigste Faktor für eine gelingende Entsendung. Trotz Unterstützung durch Sprachtrainings, interkulturelle Seminare und Relocationdienstleistungen werden laut dem Cartus Mobility Report von 2014 noch immer 61% der Familienentsendungen frühzeitig abgebrochen. Gleichzeitig ist auch die Fluktuation zurückgekehrter Fach- und Führungskräfte sehr hoch. Hier entstehen für die betroffenen Unternehmen Kosten in Millionenhöhe.
Daher ist es unumgänglich, die Erwartungen der begleitenden Familie im Vorfeld zu klären: Wie viel Zeit werden wir als Familie für uns haben? Kann ich als Partner vor Ort beruflich tätig sein, kann ich eine sinnvolle Ausbildung absolvieren? Welche Möglichkeiten – neben dem Besuch der internationalen Schule – gibt es für Kinder, sich rasch zu integrieren? Können gewohnte Hobbys weiterhin ausgeübt werden?
Ein interkulturelles Training sollte nicht nur ‚nice-to-have’ sein, sondern integraler Bestandteil einer jeden Entsendung. Hier geht es nicht um die Vermittlung von ‚Do’s and Don’t’s“, sondern um Strategien und Businessziele, um der neuen Aufgabe gerecht zu werden. Mindestens genauso wichtig sind soziale Themen, um Handlungsalternativen für den privaten Bereich ausprobieren und erleben zu können. Auch bei einem interkulturellen Training sollten Kinder ab 6 Jahren integriert werden bzw. ein auf sie zugeschnittenes Kindertraining erhalten. Im besten Fall werden Eltern und Kindern parallel in „eigenen“ Seminaren vorbereitet und können sich zum Abschluss austauschen.
Eine gute interkulturelle Vorbereitung auf eine Entsendung stellt den jeweiligen Mitarbeiter mit seiner Position im Ausland und seinen Aufgaben vor Ort in den Mittelpunkt. Es berücksichtigt, ob die Familie mit ausreisen wird und welche Familienmitglieder betroffen sind. Hier geht es nicht um die Vermittlung von allgemeinem Wissen, wie zum Beispiel „Chinesen sind sehr beziehungsorientiert“, sondern darum, wie der Mitarbeiter diese Beziehungsorientierung in Gesprächen mit Mitarbeitern oder externen Partnern umsetzen kann. Konkrete Situationen können mit dem Trainer / Coach im Rollenspiel geübt und ausprobiert werden. So kann der Mitarbeiter herausfinden, wie seine ganz individuelle Art von beziehungsorientierter Gesprächsführung aussehen kann und wo er auch an persönliche Grenzen stößt.
Optimal ist, das vorbereitende interkulturelle Training im Gastland fortzusetzen. So wünschen sich mehr als zwei Drittel der Entsandten eine kontinuierliche interkulturelle Begleitung, einen kompetenten Sparringspartner, um erlebte Situationen gemeinsam reflektieren zu können – dieses ist jedoch bei den meisten Unternehmen die absolute Ausnahme.
Jede Entsendung geht zu Ende –
Reintegration beginnt am ersten Tag der Entsendung
Leider ist selbst nur bei wenigen Global Playern das Rückkehrmanagement integraler Bestandteil der Personalpolitik. Es wird sowohl vom Unternehmen als auch in gleichem Maße vom Mitarbeiter verantwortet. Nur ein regelmäßiger Austausch während der gesamten Entsendung, das Informieren der internationalen Mitarbeiter in Veränderungen an ihrem originären Standort, das Aufzeigen von Karrieremöglichkeiten bzw. von Karrierewünschen, kontinuierliche Personalentwicklung auch im Ausland – all das trägt dazu bei, dass Mitarbeiter gerne wieder zurück kommen und das Unternehmen nicht kurz nach der Rückkehr verlassen.
Alle Beteiligten – das Unternehmen, der Expat, die Familie – verändern sich in der Zeit der Entsendung – was viel zu oft unterschätzt bzw. gar nicht beachtet wird. Ist zum Beispiel ein begleitendes Coaching im Gastland Bestandteil der Entsendung, kann dieses auch die Rückkehr optimal vorbereiten. Hier gilt es, ähnliche Fragen wie bei der Entsendevorbereitung zu klären: Wie gehen wir als Familie mit der erneuten Veränderung um? Was hat uns bereichert, was werden wir vermissen? Wie gelingen ein guter Abschied vom Gastland und ein gutes Ankommen?
Fazit: Zu einer erfolgreichen Entsendung gehört mehr als der richtige Entsendevertrag, die notwendigen Versicherungen und eine neue Visitenkarte in Landessprache! Die persönlichen Belange des Mitarbeiters und seiner Familie sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren für das Gelingen eines mehrjährigen Auslandsaufenthaltes. Einem interkulturelles Training, auf den konkreten Bedarf des Mitarbeiters zugeschnitten sowie die Unterstützung bei der Reintegration sollten die gleiche Bedeutung zugemessen werden, wie das richtige Visum für den Aufenthalt vor Ort!
Über die Autorin:
Elke Müller, Geschäftsführende Gesellschafterin der compass international gmbh in Stuttgart.
Seit 1996 als Trainerin aktiv mit Trainingsschwerpunkten Interkulturelle Kompetenz, internationale Teamentwicklung, Reintegration nach Auslandsaufenthalten, Diversity. Darüber hinaus berät sie Unternehmen zu Fragen der Internationalisierung im Personalbereich.
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