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Je qualifizierter Mitarbeiter sind, umso selbstbewusster sind und agieren sie meist auch. Das heißt unter anderem: Sie hinterfragen Entscheidungen ihrer Vorgesetzten; außerdem konfrontieren sie diese mit Erwartungen, die aus ihrer Warte berichtigt sind. Vielen Führungskräften fällt das Führen solcher Mitarbeiter schwer.

Woran wird die Leistung einer Führungskraft gemessen? An der Leistung ihrer Mitarbeiter! Erbringen sie als Team die vom Unternehmen geforderte Leistung nicht, steht auch ihre Führungskraft in einem schlechten Licht da. Erfüllen sie ihre Aufgaben hingegen mit Bravour, kann auch ihre Führungskraft eventuell auf eine Gehaltsverbesserung und einen Karrieresprung hoffen.

Entsprechend wichtig ist es auch für das berufliche Fortkommen von Führungskräften, ihre Mitarbeiter so führen, dass sie sich für das Erreichen der Ziele engagieren, und ihr Bereich seine Funktion in der Organisation erfüllt. Das war, salopp formuliert, schon immer so. Deshalb lautete spätestens seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Anforderung an Führungskräfte: „Führen Sie Ihre Mitarbeiter situativ.“ Also: „Passen Sie Ihr Führungsverhalten den Erfordernissen der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Gegenüber an.“

Auch die Erwartungen der Mitarbeiter ändern sich

Diese Forderung stellte eine Reaktion darauf dar, dass man zu diesem Zeitpunkt in den westlichen Industrienationen bereits spürte: Die Arbeitsbeziehungen und -inhalte in den Betrieben wandeln sich; ebenso die Erwartungen der Mitarbeiter an ihre Vorgesetzten – insbesondere in den Unternehmensbereichen, in denen die Qualität der Leistung stark davon abhängt, inwieweit sich die Mitarbeiter mit all ihren Kompetenzen einbringen. Dort können die Mitarbeiter nicht mehr rein mit Anweisungen sowie nach dem Prinzip Befehl-Gehorsam geführt werden. Vielmehr gilt es sie als Mitstreiter zu gewinnen – weshalb zum Beispiel in den Forschungs- und Entwicklungsbereichen der Unternehmen auch zuvor bereits eine andere Führungskultur herrschte als in deren produzierenden Einheiten, in denen die Mitarbeiter oft jahrein, jahraus weitgehend dieselben repetitiven Teilaufgaben verrichteten.

Hinter diesem Bewusstseinswandel im Bereich Personalführung steckten auch folgende Erkenntnisse:

  • Je komplexer und anspruchsvoller Aufgaben sind, umso stärker müssen sich die Mitarbeiter auch als Person einbringen.
  • Je qualifizierter Mitarbeiter sind, umso selbstbewusster sind und agieren sie.
  • Je eigenständiger und eigenverantwortlicher Mitarbeiter im Arbeitsalltag agieren sollen, umso mehr Infos sowie größere Handlungs- und Entscheidungsspielräume benötigen sie.

Eigenverantwortung erfordert Information und Mitsprache

Daran hat sich grundsätzlich nicht geändert. Weiterentwickelt haben sich jedoch, unter anderem aufgrund des Siegeszugs der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie, die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen. Während noch vor 30, 40 Jahren in den meisten Betrieben nur in wenigen Teilbereichen der Organisation die Leistung in Teamarbeit erbracht wurde, ist heute zumindest in den Kernbereichen fast aller Unternehmen die bereichs- und oft hierarchieübergreifende Team- und Projektarbeit die gängige Arbeitspraxis. Außerdem lautet ein Grundanforderung an alle Mitarbeiter: Sie sollen ihre Aufgaben weitgehend eigeninitiativ und eigenverantwortlich wahrnehmen. Das setzt voraus, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren – unter anderem, weil sie

  • selbst die gewünschte Wertschätzung erfahren,
  • wissen, was die Ziele des Unternehmens sind, und
  • ihr Tun und Handeln als sinnvoll erfahren.

Das wiederum setzt einen anderen Führungsstil und ein verändertes Führungsverhalten voraus.

Ein verändertes Führen ist auch nötig, weil die Führungskräfte heute, anders als in den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit, bezogen auf viele Aufgaben oft keinen fachlichen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor ihren Mitarbeitern mehr haben. Denn bei ihren Mitarbeitern handelt es sich häufig um hochqualifizierte Spezialisten, die, wenn es um das Erfüllen gewisser Fachaufgaben geht, ein größeres Know-how und Tiefenwissen als ihre disziplinarischen Vorgesetzten haben. Entsprechend selbstbewusst sind diese Mitarbeiter meist – insbesondere wenn sie wissen, dass außer ihrem Vorgesetzten auch das Unternehmen auf ihre Expertise angewiesen ist. Entsprechend selbstbewusst treten sie ihrem Vorgesetzten entgegen, und in der Alltagskommunikation mit ihm wollen sie die Wertschätzung spüren, die ihnen und ihrer Arbeit nach ihrer Auffassung gebührt. Sonst sinkt ihre Arbeitsmotivation, und im Extremfall wechseln sie den Arbeitgeber – insbesondere in einer Arbeitsmarktsituation, in der für viele Tätigkeitsfelder gilt: Hochqualifizierte Spezialisten sind eine heiß umkämpfte Mangelware.

Führungskräfte müssen mehr und anders kommunizieren

Solch selbstbewusste Mitarbeiter zu führen, fällt vielen Führungskräften schwer – auch, weil sie nicht selten zumindest insgeheim noch das Credo verinnerlicht haben: Mitarbeiter haben die Anweisungen ihrer Vorgesetzten blind zu befolgen. Das tun besagte Mitarbeiter aber nicht: Sie hinterfragen mehr oder minder offen die Anweisungen und Entscheidungen ihrer Führungskräfte. Zumindest wollen sie von ihrer Führungskraft eine in ihren Augen plausible Begründung haben, warum aus deren Warte gewisse Dinge nötig sind, beziehungsweise warum sie gewisse Entscheidungen traf.

Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen mehr und anders als früher mit ihren Mitarbeitern kommunizieren. Anstelle von top-down-Anweisungen sind ein Einbeziehen in Entscheidungsprozesse und eine Kommunikation auf Augenhöhe angesagt. Und wenn dies nicht möglich ist? Dann müssen die Führungskräfte zumindest akzeptieren, dass ihre Mitarbeiter ihre Entscheidungen hinterfragen. Doch nicht nur dies. Sie müssen auch akzeptieren, dass nicht nur sie selbst zuweilen das Verhalten ihrer Mitarbeiter hinterfragen; ihre Mitarbeiter tun dies umgekehrt auch.

Zumindest theoretisch ist dies heute den meisten Führungskräften bewusst – zumindest denen, die Bereiche führen, in denen die Mitarbeiter ein recht hohes Qualifikationsniveau haben. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie im Führungsalltag stets das richtige Führungsverhalten zeigen. Im Betriebsalltag registriert man oft, dass Führungskräfte gerade in Situationen, in denen sie selbst unter Anspannung stehen, ein Führungsverhalten zeigen, das eher einem autoritären als partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil entspricht. Dadurch provozieren sie in der Beziehung zu ihren Mitarbeitern oft Konflikte, die bei einem anderen Führungsverhalten vermeidbar wären.

Die Mitarbeiter „ticken“ unterschiedlich

Im Betriebsalltag registriert man zudem immer wieder bei Teams, die aus vielen selbstbewussten Mitarbeitern bestehen: Mit einigen Mitarbeitern haben die Führungskräfte eigentlich nie Probleme; in der Beziehung zu anderen tauchen hingegen fortwährend Irritationen oder gar Konflikte auf, weshalb die betreffenden Mitarbeiter von ihren Führungskräften schon mit dem Etikett „schwierig“ oder gar „Nörgler“ oder „Querulant“ versehen wurden.

Analysiert man die Ursachen hierfür, dann stellt man meist fest: Stimmt die Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter, dann haben die Führungskräfte meist

  • ein ähnliches Wertesystem wie die Mitarbeiter, mit denen sie gut harmonieren, und/oder
  • ihre Verhaltenspräferenzen korrespondieren mit den Erwartungen, die die Mitarbeiter aufgrund ihres Wertesystems an ihre Führungskraft haben.

Anders sieht es bei den „schwierigen Mitarbeitern“ aus. Sie haben entweder ein anderes Wertesystem als ihre Führungskraft, weshalb ihnen bei der Arbeit (und in ihrem Leben) auch andere Dinge wichtig sind. Oder sie haben aufgrund ihres Wertesystems Erwartungen an ihre Führungskraft, die diese aufgrund ihrer Präferenzen nicht erfüllt.

Sich der Unterschiedlichkeit der Wertesysteme bewusst sein

Die divergierenden Wertesysteme und Erwartungen bezüglich des Verhaltens wären im Betriebs- und Führungsalltag kein Problem, wenn diese den Führungskräften bewusst wären. Denn dann könnten sie sich hierauf einstellen. Viele Führungskräfte kennen aber ihr eigenes Wertesystem und ihre eigenen Verhaltenspräferenzen nicht – zum Beispiel, weil sie diese nie reflektiert haben. Und noch weniger kennen sie die Wertesysteme und die hieraus resultierenden Verhaltensmuster und Erwartungen ihrer Mitarbeiter. Dabei wird dies für das erfolgreiche Führen von Mitarbeitern immer wichtiger – nicht nur aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt.

Darüber, ob die Menschen in den westlichen Industriestaaten heute individualistischer sind als vor 30, 40 Jahren, kann man streiten. Auf alle Fälle haben sich jedoch die Lebensstile in unserer Gesellschaft stark ausdifferenziert. Außerdem sind heute weniger Menschen dazu bereit, fraglos irgendwelche nicht selbst gewählten Autoritäten zu akzeptieren. Zudem hat sich das Verhältnis der meisten Berufstätigen zur Erwerbsarbeit verändert. Früher sahen die meisten Menschen in ihr ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Und die sogenannte „Selbstverwirklichung“? Sie erfolgte primär im privaten Bereich beziehungsweise in der Freizeit.

Anders ist dies heute – zumindest bei vielen hochqualifizierten Mitarbeitern. Für sie hat die Arbeit eine identitätsstiftende Funktion. Das heißt, sie wollen sich in ihrer Arbeit verwirklichen können und diese als sinnvoll erfahren. Sie stellen also höhere Anforderungen an ihre Arbeit und somit auch an ihre Führungskräfte. Und die Führungskräfte? Sie sehen vor der Herausforderung, diese zu erfüllen, damit sich ihre Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren können und die gewünschte Leistung bringen.

Auf die individuellen Bedürfnisse angemessen reagieren

Das setzt voraus, dass die Führungskräfte nicht nur die Wertesysteme und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, sondern auch ihr eigenes Wertesystem kennen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie ihre Werte-Messlatte bei allen anderen Menschen anlegen. Außerdem können sie nur dann ermitteln, wo ihre eigenen blinden Flecken sind, weshalb sie

  • entweder bestimmte Aspekte nicht wahrnehmen oder
  • auf gewisse Verhaltensmuster oder Vorgehensweisen ihrer Mitarbeitern zum Beispiel allergisch reagieren.

Führungskräfte sollten, wenn sie ihre Mitarbeiter individuell, also ihren Bedürfnissen entsprechend, führen möchten, aber auch wissen:

  • Wie „tickt“ mein Mitarbeiter?
  • Was treibt ihn an?
  • Wie sieht die Welt durch seine „Brille“ aus? Und:
  • Was braucht er, um seine Leistungsfähigkeit voll zu entfalten?

Denn nur dann können Führungskräfte ihr Führungsverhalten wirklich dem Gegenüber anpassen. Außerdem können sie nur dann mit jedem einzelnen Mitarbeiter eine tragfähige Vereinbarung darüber treffen, was dieser braucht, um seine Arbeit und die Zusammenarbeit als befriedigend, weil sinnstiftend und mit seinem Wertesystem vereinbar, zu erfahren.

In vielen Unternehmen besteht ein großer Bedarf, in diesem Bereich die Kompetenz ihrer Führungskräfte zu schulen – insbesondere in solchen, die sich zu High-Performance-Organisationen entwickeln möchten. Denn dieses Ziel lässt sich nur mit hochqualifizierten, selbstbewussten Mitarbeitern erreichen, die sich voll mit ihrer Arbeit und den Zielen des Unternehmens identifizieren. Und diese Mitarbeiter erwarten eine individuelle, also eine sie als Person wahrnehmende und wertschätzende Führung.

Über den Autor:

Schwartz, MichaelMichael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis (ilea), Esslingen bei Stuttgart, das auch ein Seminar mit dem Titel „Individualisten führen und motivieren“ anbietet. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit fast zwei Jahrzehnte als Führungskraft sowie Projektmanager in der (Software-)Industrie.

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