Ich habe keine Zeit, ich bin im Stress

Stress, also Druck, ist weder (nur) gut noch schlecht. Er existiert einfach. Aber wie wir mit ihm zurande kommen, hat immer Konsequenzen. Positive oder negative, ermutigende oder erdrückende. Jedenfalls ist ein konstruktiver Umgang mit besonderen Herausforderungen und Belastungen eine wesentliche Grundlage für ein positives Lebensgefühl. Ein Gefühl, das nicht lähmt, sondern beflügelt. Einige Anmerkungen und Anregungen dazu.

Auch wenn es vorab ernüchtern mag – aber ein Wundermittel gegen Stress ist pure Illusion. Vor allem ein Mittel, das uns auf Dauer davor schützt, unter Druck zu geraten oder auch einmal ausgepowert zu sein. Denn Stress hat (zu) viele Gesichter, Ursachen und Auswirkungen, dass er sich so einfach zähmen ließe. So wie der Mensch selbst ein widersprüchliches Wesen ist, dessen (Lebens-)Umstände, Ansprüche und Reaktionen sich höchst variabel zeigen.

Die Widersprüchlichkeit offenbart sich etwa auch darin, dass einerseits das Lamento „Ich habe keine Zeit, ich bin im Stress!“ zur stereotypen Formel geworden ist. Andererseits scheint das Unter-Druck-und-gestresst-Sein vielfach auch zum Prestigeausweis für Wichtigkeit und Bedeutsamkeit geworden zu sein. Jedenfalls zahlt eine nervöse Leistungsgesellschaft des „Alles-gleichzeitig-und-zwar-Sofort“ einen Preis. Und der heißt: Stress. Viel Stress. Mitunter Dauerstress.

Stress ist Teil unseres Lebens

Stress ist per se weder (nur) gut noch (nur) schlecht. Aber er hat immer Konsequenzen. Er ist ein ganz normaler Teil unseres Daseins. Ohne (Luft-)Druck wären wir tot. Platt wie ein kaputter Reifen. Ohne Stress würden wir nicht in der Weise existieren, wie wir existieren – nämlich als lebendige, sich in Bewegung befindliche Menschen aus Fleisch und Blut. Menschen mit Gefühl und Verstand, manchmal auch mit Unverstand.

Stress-Impulse erzeugen Bewegung in uns, treiben uns mitunter zu außergewöhnlichen Leistungen an. Stress zeigt uns, dass wir leben! Allerdings gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Eine Überdosis tut uns nicht gut, macht krankt. Endungen auf „-itis“ deuten in der Medizin bekanntlich auf eine Form von Entzündung hin (wie Bronchitis, Gastritis etc.). Im Alltag schleichen sich mitunter auch akute bis chronische Entzündungen ein – zwar in anderer Verkleidung, aber mit ebenso schädigender Wirkung.

Stress dosieren und reduzieren

Einige Anregungen, die mithelfen können, den Stress so zu dosieren und zu reduzieren, dass er nicht „entzündlich“ wird. Mitunter auch augenzwinkernd gemeint, denn Humor und Selbstironie sind hilfreiche Türöffner, sich einem Problem ernsthaft zu stellen.

  1. „Kümmeritis“ minimieren:

  • D.h. gnadenlos ausmisten, sich vom Immer-mehr-haben-und-machen-Wollen trennen.
  • Das Sich-um-alles-Kümmern und das Aufgaben-Sammeln loslassen („Sammleritis“).
  • NEIN sagen lernen, sonst droht der JA-Sager-Fallstrick. Denn: Der Weg von „Everybody´s darling“ zu „Everybody´s Trottel“ ist kurz. Oder wie es auch heißt: „Wer für alles offen ist, der kann nicht ganz dicht sein!“
  1. „Perfektionitis“ reduzieren:

  • D.h. weniger nörgeln oder überbewerten, was nicht oder (noch) nicht perfekt gelungen ist; sondern mehr reden über das, was bereits gut gelungen ist.
  • Positives Feedback verstärken bei sich und anderen. Auch Fehler und Scheitern als Chance sehen.
  • Denn: Wer zu seinen Fehlern steht und nicht kniet, gewinnt an Rückgrat. Und: Wer zu sich süß ist, ist auch zu anderen weniger sauer – und erzeugt positive Resonanz.
  1. „Aufschieberitis“ eliminieren:

  • Unangenehme, große Arbeitsberge „aufschottern“ in verdaubare Portionen und sich eine kleine Belohnung am Ende des Arbeitstunnels gönnen.
  • Denn: Selbst die größten (Arbeits-)Berge lassen sich versetzen, wenn man sie aufteilt und auf anspornende Belohnung nicht vergisst!
  • D.h. aber nicht, sich dem „Immer-alles-sofort-Zwang“ auszusetzen. Denn auch die „Sofortitis“ kann zur stressigen Entzündung werden.
  1. „Telefonitis“ boykottieren

  • D.h. den „handy-manischen“ Trieb zum „Immer-und-überall-erreichbar-Sein“ auf ein homöopathisches Maß reduzieren.
  • Technik soll uns das Leben erleichtern und nicht die Tyrannei des „Jederzeit. Überall. Sofort.“ füttern.
  • Denn: Wer glaubt, selbst am WC erreichbar sein zu müssen, darf sich nicht wundern, dass zu viele Tage beschissen verlaufen.

Stressmanagement braucht Zeit und Disziplin

Empfehlungen wie oben zu beherzigen und dran zu bleiben, kann ein hilfreicher Weg sein, um ungesunden Stress zu reduzieren. Allerdings kratzt man damit auf Dauer wohl eher nur an der Oberfläche und schafft die wahren Stress-Ursachen nicht aus der Welt. Die schnelle, triviale Lösung funktioniert nicht – oder nur in den wenigsten Fällen.

Substanzielles Stressmanagement braucht Zeit und geht in die Tiefe. Verhaltungsmuster und Prägungen sind hartnäckig und lassen sich nicht einfach über Bord werfen. Es erfordert intensive, kritische Selbstreflexion, die auch Geduld und Disziplin abverlangt. Oder wie Robert Lembke es treffend formulierte: „In sich gehen ist die unbequemste Art der Fortbewegung.“ Aber sie bringst uns wohl auf besondere Weise voran. Diese Art der geistigen Fortbewegung hat zu tun mit Fragen wie:

  • Was ist mir wirklich wichtig und wesentlich?
  • Was will ich erreichen? Worauf lege ich Wert?
  • Wer oder was treibt mich an?
  • Woraus beziehe ich Kraft & Sinn?

Stress hat immer auch mit Sinn- und Wertefragen zu tun. Sinn beruht auf der Realisierung von bestimmten Werten, die subjektiv als wichtig und wesentlich erachtet werden. Gerät die Realisierung dieser Werte – v.a. des Selbstwertes – in Gefahr oder ist überhaupt unmöglich, entsteht das Gefühl von Sinnverlust. Verbunden mit Energieverlust. Und das erzeugt mächtig Stress, kann à la longue auch zu Burnout führen.

Stress ist die Zeit, die vergeht, während wir immer erschöpfter versuchen, eine schöpferische Pause zu machen. Deshalb das Wichtigste: Nehmen Sie sich immer wieder bewusst ZEIT. Für sich selbst. Sich selbst zuliebe. Selbstfürsorge als Stressvorsorge. Wenn nicht JETZT, wann dann?

Über den Autor:

FJ SchweiferMag. Dr. Franz J. Schweifer ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching. Training. Consulting.“ in Mödling b. Wien. Als Temposoph, Zeitforscher, FH-Lektor, Managementtrainer & Coach mit über 20 Jahren Beratungserfahrung hat er sich v.a. auf ZEIT-spezifische Themen und Widersprüche spezialisiert. Und das auf gesellschaftlicher, unternehmerischer wie persönlicher Ebene.

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