Hybride Teams führen ist wie Flöhe hüten

Seit dem Wegfall der corona-bedingten Homeoffice-Pflicht sehen sich viele Führungskräfte mit den unterschiedlichsten Mitarbeiterwünschen konfrontiert, wo sie wann arbeiten möchten. Allen gerecht werden, kann man nicht; hierauf angemessen reagieren schon. Davon ist Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter, überzeugt.

? Frau Liebermann, aktuell hört man oft die Forderung „Jeder Mitarbeiter soll künftig selbst entscheiden, wann er wo arbeitet – zum Beispiel zuhause oder im Büro“. Was halten sie davon?

Barbara Liebermeister: In der Praxis ist diese Forderung selten realisierbar, denn heute werden die Unternehmensleistungen oft in bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht. Daraus ergeben sich auch Notwendigkeiten für die Zusammenarbeit, die nicht selten eine Präsenz erfordern. Also gilt es die Präsenzzeiten zu koordinieren.

? Das ist vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Wünsche der Mitarbeiter oft schwierig?

Liebermeister: Ja. In den zurückliegenden Wochen klagten mir viele Führungskräfte ihr „Leid“. Eine Abteilungsleiterin in einem Konzern sagte zu mir, sie fühle sich oft wie die Pflegedienstleiterin eines Krankenhauses, die darum betteln muss, dass ihre Mitarbeitenden kommen, damit der Betrieb läuft. Und ein Bereichsleiter meinte sarkastisch: „Hybride Teams führen ist wie einen Sack Flöhe hüten.“

Führungskräfte fühlen sich zuweilen überfordert

? Die Führungskräfte fühlen sich also zum Teil hilflos.

Liebermeister: Ja, und nicht selten alleine und im Stich gelassen. Deshalb plädiere ich unter anderem für Richtlinien in den Unternehmen, die einen Rahmen vorgeben.

? Können Sie das ausführen?

Liebermeister: Ich habe zuweilen den Eindruck, viele obere Führungskräfte – speziell in international agierenden Grossunternehmen – unterschätzen, wieviel Konfliktpotenzial das Arbeiten in hybriden Teams in sich birgt und welche Risiken damit verbunden sind. Denn ihre Meetings mit Kollegen im In- und Ausland fanden schon vor Corona weitgehend virtuell statt, und dabei sammelten sie die Erfahrung: Das funktioniert. Also gehen sie unbewusst davon aus: Das funktioniert auch auf der operativen Ebene. Sie übersehen dabei, dass dort die Arbeitsinhalte und Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit ganz andere als auf der Top-Ebene sind.

? Inwiefern?

Liebermeister: Wenn sich das Top-Team eines Unternehmens virtuell trifft und dabei ein Teilnehmer in Frankfurt, ein anderer in London und ein weiterer in Shanghai sitzt, dann geht es in der Regel darum, sich über die strategische Marschrichtung zu verständigen und gewisse Grundsatzentscheide zu treffen. Das Top-Team hat also primär eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion, es ist aber kaum in den eigentlichen Leistungserbringungsprozess involviert – im Gegensatz zu den nachgeordneten Ebenen.

Führungskräfte stehen vor vielen Herausforderungen

? Mit welchen Problemen kämpfen Führungskräfte dort beim hybriden Führen?

Liebermeister: Vielen! Auf der Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene hat eine Führungskraft zum Beispiel stets auch Mitarbeiter, die noch eingearbeitet oder an das Wahrnehmen komplexer Aufgaben herangeführt werden müssen, also einer individuellen Förderung bedürfen. Diese ist, wenn die Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeiten, oft schwierig. Zudem gibt es, außer den Mitarbeitern, die sich selbst führen und organisieren können, auch solche, die das Eingebunden-sein in ein Team für ihre Motivation und Selbstorganisation brauchen. Das heißt nicht, dass sie schlechte Mitarbeiter sind, aber wenn sie im Homeoffice weitgehend alleine gelassen werden, können sie sich schnell zu solchen entwickeln. Erfahrene Führungskräfte wissen das. Deshalb haben sie ihre Mitarbeiter auch in der Vergangenheit schon abhängig von ihrer fachlichen und persönlichen Reife unterschiedlich geführt. Wenn die Mitarbeiter aber einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, fällt ihnen dies schwer. Zudem erhöht sich das Konfliktpotenzial.

? Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Liebermeister: Das fängt bei der Frage an, wem gestatte ich in welchem Umfang ein Arbeiten zuhause. Sagen Sie mal einem Mitarbeiter, der weitgehend zuhause arbeiten möchte: „Dein Kollege darf zwar drei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten, aber du solltest maximal einen Tag dort arbeiten, weil du dich schlechter selbst führen und motivieren kannst.“ Da kommen Sie als Führungskraft in Teufels Küche. Oder sagen Sie ihm: „Bei Ihnen würde ich es begrüßen, wenn Sie weitgehend im Büro arbeiten würden, weil Sie häufig Flüchtigkeitsfehler machen.“ Dann haben sie als Führungskraft schnell einen Dauerkonflikt.

Es existiert noch keine Kultur des hybriden Arbeitens

? Zumindest solange sich die Führungskraft nicht auf betriebliche Regelungen berufen kann.

Liebermeister: Ja. Hinzu kommt: Wenn ein großer Teil ihrer Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeitet, müssen die Führungskräfte auch ihr Führungs- und Kommunikationsverhalten neu justieren. Sie müssen viele Führungsroutinen, die sie nicht selten im Verlauf von Jahren zum Beispiel beim Delegieren von Aufgaben oder Feedback geben entwickelt haben, über Bord werfen und neue entwickeln. Das erfordert seine Zeit – auch, weil in den meisten Betrieben noch keine gewachsene Kultur des hybriden Arbeitens existiert.

? Das klingt so, als hätten Sie Vorbehalte gegenüber einem hybriden Teamwork?

Liebermeister: Im Gegenteil. In meinem Institut, also beim IFIDZ, arbeiten wir seit dessen Gründung 2014 fast ausschließlich virtuell zusammen. Ich plädiere jedoch dafür, dass den Führungskräften in der Übergangsphase in das „Neue Normal“ die nötige Unterstützung gewährt wird. Zudem plädiere ich dafür, dass die Unternehmen beim Versuch, eine Kultur der hybriden Zusammenarbeit in ihrer Organisation zu etablieren, auch die möglichen Folgewirkungen bedenken.

? Was meinen Sie damit?

Liebermeister: Zum Beispiel, wie sich das hybride Arbeiten auf die Identifikation mit dem Unternehmen auswirkt. Ich höre heute schon oft von Führungskräften, dass sie den Eindruck haben, dass, wenn die Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeiten, deren Teamspirit sinkt und Wechselbereitschaft steigt. Mal angenommen nun ein Unternehmen stellt sich, weil seine Belegschaft zu 50 Prozent zuhause arbeitet, die logische Frage, ob dann noch jeder Mitarbeiter seinen eigenen Schreibtisch im Betrieb braucht. Rein rational betrachtet lautet die Antwort gewiss „nein“. Unmittelbar verbunden damit ist aber die Frage, ob die Lust der Mitarbeiter ins Büro zu kommen nicht noch weiter sinkt, wenn sie dort keinen eigenen Platz mehr haben – und auch ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Schließlich ist nicht jeder gern ein „digitaler Nomade“.

Lösungen nach dem Schema F gibt es nicht

? Wie lautet Ihre Antwort?

Liebermeister: Wir haben als Institut hierfür noch keine allgemeingültige Antwort – ebenso wie auf viele andere Fragen, die mit dem hybriden Arbeiten verbunden sind. Dies auch, weil außer den Mitarbeitern auch die Geschäftsmodelle der Unternehmen und somit ihre Bedürfnisse sehr verschieden sind. Deshalb müssen vermutlich auch die Lösungen individuelle sein.

Das Interview führte Lukas Leist

Zur Interviewpartnerin:

Liebermeister-BarbaraBarbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Ende August erscheint im GABAL-Verlag das neuste Buch der Vortragsrednerin und Managementberaterin „Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt“.

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