Fach- und Führungskräfte fast jeder Couleur sind heute ein knappes Gut. Das haben viele Personalabteilungen und -verantwortliche noch nicht verinnerlicht. Deshalb fällt es ihnen oft schwer, solche bei Bedarf zu finden und an ihre Organisation zu binden.
Gute Fach- und Führungskräfte sind aktuell eine Mangelware. Das spüren insbesondere Klein- und Mittelunternehmen, die nicht jeder Stellensucher kennt, schmerzhaft, wenn sie zum Beispiel Stellenanzeigen schalten – sei es in Print- oder Online-Medien. Dann erhalten sie nicht selten, wenn überhaupt, nur ein, zwei Bewerbungen, die halbwegs ihren Anforderungen entsprechen. Deshalb setzen inzwischen viele Betriebe bei der Personalsuche auf die sogenannte Direktansprache. Sie kontaktieren also selbst mögliche Kandidaten,
- die Mitarbeiter des Unternehmens vom Hören-sagen kennen oder
- deren Namen sie über solche Plattformen wie Xing, LinkedIn und Gulp ermittelt haben.
Bei der Personalarbeit flexibler und dynamischer sein
Bei der Personalsuche gehen also viele Unternehmen bereits für sie neue Wege. Trotzdem können sie vakante Stellen am Ende oft nicht besetzen, unter anderem aufgrund folgender Mankos:
- Ihre Personalauswahlprozesse dauern zu lange. Nicht selten verstreichen bei qualifizierten Stellen zwischen dem Erstkontakt und der Stellenzusage drei, vier Monate; und die Unternehmen sind dann völlig überrascht, wenn ein Bewerber zu ihnen sagt: „Tut mir leid, vor vier Wochen habe ich einen Arbeitsvertrag bei einem anderen Unternehmen unterschrieben.
- Das Verhalten der Personalverantwortlichen ist zu wenig bewerberorientiert. Wäre es der aktuellen Situation angemessen, würden sie zum Beispiel Vorstellungsgespräche mit heißen Kandidaten, die sie von anderen Unternehmen loseisen möchten, auch mal am Wochenende führen. Oder sie würden sich, sofern nötig, ins Auto setzen und die Kandidaten an ihrem Wohnort oder nach Feierabend auf halbem Weg treffen.
- Die Unternehmen suchen die eierlegende Wollmilchsau. Sie erwarten, dass der Neue zu der 100-Prozent ihren Wunschvorstellungen entspricht (oder gar ein Klon des bisherigen Stelleninhabers ist). Sie definieren im Vorfeld nicht die Muss-Anforderungen und auf welche Erfahrungen oder Kompetenzen sie gegebenenfalls verzichten können. Entsprechend mäkelig und reserviert-distanziert wirken sie oft im Kontakt mit den Bewerbern: „Ja, aber haben Sie nicht …!“ Deshalb haben diese das Gefühl „Ich bin nicht deren Wunschkandidat, sondern nur deren zweite oder gar dritte Wahl.“ Also erteilen sie dem Unternehmen bei dessen Zusage eine Absage, weil sie kein Notnagel sein möchten.
Die Personalpolitik und -führung insgesamt überdenken
Das heißt: Vielen Personalabteilungen und -verantwortlichen ist noch nicht klar, dass sie aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen außer ihrem Personalsuche-, auch ihren Personalauswahlprozess überdenken und zum Teil neu definieren müssen; außerdem, dass die wirklich guten Kandidaten mit einer gefragten Qualifikation eigentlich stets mehrere Eisen im Feuer, also Optionen haben. Entsprechend konsequent und ausdauernd müssen sie um ihre Gunst buhlen.
Doch dies allein genügt nicht. Denn wie viele und wie oft ein Unternehmen neue Mitarbeiter braucht, hängt auch davon ab, wie es gut es ihm gelingt, hochqualifizierte und -motivierte Mitarbeiter an sich zu binden. Deshalb muss, wenn es darum geht, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und zu bleiben, eigentlich die gesamte Personalpolitik und -führung auf den Prüfstand. Denn im Rahmen des sogenannten Wertewandels haben sich auch die Anforderungen der Mitarbeiter an ihre Arbeit und ihre Arbeitgeber geändert.
Dies gilt insbesondere für Spezialisten gleich welcher Couleur. Sie sind zumeist sehr selbstbewusst – speziell, wenn sie wissen, dass ihr Arbeitgeber auf ihre Expertise angewiesen ist. Sie wollen zudem im täglichen Miteinander die Wertschätzung spüren, die ihnen ihrer Auffassung nach gebührt. Ansonsten sinkt ihre Arbeitsmotivation und im Extremfall wechseln sie das Unternehmen.
Mit dem Team mehr und anders kommunizieren
Solche selbstbewussten Mitarbeitenden zu führen, fällt vielen Führungskräften schwer. Gehäuft ist dies bei den Angehörigen der sogenannten Generation Y der Fall, die nach 1980 geboren wurden und heute bereits das Rückgrat zahlreicher Unternehmen bilden. Denn sie hinterfragen oft die Entscheidungen ihrer Chefs und wollen eine in ihren Augen plausible Begründung haben, warum gewisse Dinge nötig sind.
Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen mehr und anders als früher mit ihren Mitarbeitern kommunizieren. Statt Top-down-Anweisungen ist heute ein Einbeziehen der Beschäftigten in die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse gefragt.
Theoretisch ist dies den meisten Führungskräften bewusst. Trotzdem registriert man bei vielen, dass sie, speziell wenn sie selbst angespannt sind, zu einem autoritären statt partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil neigen – aus nachvollziehbaren Gründen. Dies provoziert jedoch unnötige Konflikte. Deshalb sollten Führungskräfte heute zur Gefühlsteuerung in der Lage sein, damit sie auch, wenn es im Betrieb heiß hergeht, im Mitarbeiterkontakt die nötige Souveränität und Gelassenheit ausstrahlen.
Die Mitarbeiter ihren Wertesystem entsprechend führen
Im Betriebsalltag registriert man zudem oft: Mit einigen Mitgliedern ihres Teams haben die Führungskräfte eigentlich nie Probleme; in der Beziehung zu anderen tauchen hingegen fortwährend Konflikte auf, weshalb sie die betreffenden Mitarbeiter gedanklich mit dem Etikett „schwierig“ versehen.
Analysiert man die Ursachen, stellt man meist fest: Die „schwierigen“ Mitarbeiter
- haben ein anderes Wertesystem als ihre Führungskraft und
- ihre Verhaltenspräferenzen korrespondieren deshalb nicht mit deren Erwartungen.
Zum Problem wird dies in der alltäglichen Zusammenarbeit, weil viele Vorgesetzte nicht einmal ihr eigenes Wertesystem und ihre eigenen Verhaltenspräferenzen kennen: noch weniger ist dies bezogen auf ihre Mitarbeiter der Fall. Dies ist für ein erfolgreiches Führen in einer Zeit, in der immer mehr, gerade gut- und hochqualifizierte Mitarbeiter auch bei ihrer Arbeit nach Selbstverwirklichung streben, jedoch zunehmend wichtig.
Möchten Vorgesetzte ihre Mitarbeiter individuell und gemäß ihrer Wertesysteme führen, müssen sie im Kontakt und Gespräch mit ihnen eruieren:
- Wie „tickt“ mein Mitarbeiter?
- Wie sieht die Welt durch seine „Brille“ aus? Und:
- Was braucht er, um seine Leistungsfähigkeit zu entfalten?
Mit den Mitarbeitern tragfähige Vereinbarungen schließen
Denn nur dann können sie ihr Führungsverhalten dem Gegenüber anpassen. Außerdem können sie nur dann mit jedem Mitarbeiter eine tragfähige Vereinbarung schließen, was dieser braucht, um seine Arbeit als befriedigend, weil sinnstiftend und mit seinem Wertesystem korrespondierend, zu erfahren.
Hilfreich sind in diesem Prozess oft Tests, die das Wertesystem der Mitarbeiter und deren Verhaltenspräferenzen analysieren. Ihre Aussagekraft ist zwar begrenzt, ihre Ergebnisse eignen sich jedoch meist gut als Einstieg in ein Gespräch darüber, was dem Mitarbeiter warum wichtig ist.
Über den Autor:
Joachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert. Er ist Autor des im Haufe-Verlag erschienen Buchs „Selbstverantwortung im Unternehmen: Was Sie als Führungskraft dafür tun können“. und Co-Founder der (Self-)Leadership-Coaching-App Mindshine (www.mindshine.app).