„Führungskräfte sollten Coachs ihrer Mitarbeiter sein“ – das steht heute in fast jedem Führungshandbuch. Doch geht das wirklich? Experten meinen: Ja, wenn man den Begriff „coachen“ mit „anleiten“ übersetzt.
„Was sollen Führungskräfte noch alles sein“, stöhnt Hubert Hölzl. Sie sollen „Entrepreneurs“ sein, betont der Führungskräftetrainer aus Lindau – „also unternehmerisch denken und handeln“. Sie sollen „Leader“ sein – „also Persönlichkeiten, an denen sich ihre Mitarbeiter orientieren können“. Und der neueste Schrei: Sie sollen „Coachs ihrer Mitarbeiter“ sein – also diese in ihrer Entwicklung und beim Erbringen ihrer Leistung unterstützen.
Kernaufgabe gerät ins Vergessen
„Aufgrund dieser Aufgabenvielfalt vergisst so manche Führungskraft, was ihre Kernaufgabe ist“, kritisiert Hölzl. Sie lautet: sicherstellen, dass ihr Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Dieser Aufgabe ordnen sich alle anderen Führungsaufgaben unter – auch das Fördern der Mitarbeiter.
Trotzdem findet man die Aussage „Unsere Führungskräfte sollen Coachs ihrer Mitarbeiter sein“ heute in den Führungsleitlinien vieler Unternehmen. Entsprechend boomen Seminare, die Führungskräfte auf diese Aufgabe vorbereiten. „Dabei wird oft nicht ausreichend reflektiert, dass Führungskräfte auch die disziplinarischen Vorgesetzten ihrer Mitarbeiter sind“, warnt Julia Voss, Führungskräftetrainerin aus Hamburg. Sie entscheiden also weitgehend über deren beruflichen Erfolg.
Nicht ausreichend bedacht laut Aussagen der Wiener Managementberaterin Sabine Prohaska: „Die Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter ist eine Zweckbeziehung – und keine familiäre.“ Ein Vater fördert seinen Sohn, damit dieser ein glücklicher Mensch wird und ein zufriedenes Leben führt. „Eine Führungskraft hingegen möchte primär erreichen, dass der Mitarbeiter jetzt und in Zukunft gute Leistungen erbringt.“
Anleiten heißt nicht Anweisen
Dieser Rahmen steckt der Coachingfunktion von Führungskräften enge Grenzen. Sie beschränkt sich laut Aussagen des Personalberaters Dr. Hans-Peter Luippold, Frankfurt, weitgehend darauf, die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit anzuleiten. Das ist heute aber vielfach verpönt. Denn oft wird Anleiten mit Anweisen gleichgesetzt. „Fälschlicherweise“, betont Luippold. Denn Anleiten bedeute nicht, anderen Personen Befehle „Tue dies“ und „Tue das“ zu erteilen, sondern ihnen die nötigen Hilfestellungen zu geben – seien diese fachlicher oder mentaler Art.
Ein weiterer Grund für das schlechte Image des Anleitens: Es wird weitgehend mit dem Bereich Ausbildung assoziiert. „Zu Unrecht“, findet Julia Voss. Denn was tut ein Anleiter? „Er kaut seinen Schützlingen nicht die Lösung vor, sondern fragt sie: Wie würdet ihr diese Aufgabe angehen?“ Er motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und wenn er sieht, dass sie Unterstützung brauchen? Dann gibt er ihnen Hilfestellungen, bevor er sich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt“, erklärt Voss die Rolle eines Anleiters. Doch damit ist sein Job noch nicht beendet. Er fragt vielmehr beim Umsetzen immer wieder nach „Gibt es Probleme?“, „Was habt ihr zwischenzeitlich erreicht?“, um bei Bedarf korrigierend und unterstützend einzugreifen. So stellt er sicher, dass seine Schützlinge Lernprozesse durchlaufen und die gewünschten Ergebnisse erzielen.
Auf das Wesentliche besinnen
„Eine Anleitung in diesem Sinne brauchen auch erfahrene Mitarbeiter“, mahnt Führungskräftetrainer Hölzl, „vor allem, wenn sie neue Aufgaben übernehmen, mit deren Lösung sie noch wenig Erfahrung haben.“ Denn sonst bleibt es dem Zufall überlassen, welche Arbeitsergebnisse die Mitarbeiter erzielen. Genau dies soll, laut Hölzl, vermieden werden, wenn gefordert wird: Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter coachen. „Dann heißt dies übersetzt: Führungskräfte, leitet eure Mitarbeiter an und bietet ihnen die Unterstützung, die sie zum Erfüllen ihrer – aktuellen und künftigen – Aufgaben brauchen.“
Auf diese klassische Führungsaufgabe sollten sich die Verantwortlichen in den Unternehmen, laut Managementberaterin Sabine Prohaska wieder stärker besinnen – „statt stets neue Attribute für ihre Führungskräfte zu erfinden“. Denn hiermit schärfen sie deren Bewusstsein für ihre Kernaufgabe. Und dies beugt wiederum der Gefahr vor, dass ihre Führungskräfte sich im Arbeitsalltag verzetteln – „was mittelfristig häufig zu einem Burn-out führt“.