Franz J. Schweifer ist Temposoph und Zeitforscher. Der Inhaber des Beratungsunternehmens „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching. Training. Consulting.“ in Mödling bei Wien hat sich in über 20 Jahren Beratungserfahrung auf Zeit-spezifische Themen und Phänomene spezialisiert. Im Interview mit Weiterbildungsmarkt.at verrät er, wieso klassische, rein effizienzorientierte Zeitmanagement-Hebel zu kurz greifen und regt zum Nachdenken an, im Umgang mit der eigenen Zeit.
Weiterbildungsmarkt.at: Wie lange sind Sie bereits in der Weiterbildung und Beratung tätig? Wie sind Sie in diesen Bereich gekommen?
Franz J. Schweifer: „Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke.“ Kaum eine andere zündende Erkenntnis beschreibt besser meinen „bunten“ Weg. Sei es als Trainer und Coach, als Zeitforscher und FH-Lektor oder als Vortragender und Buchautor.
Dabei begann dieser bunte Weg schon vor meiner Selbstständigkeit als Gesellschafter eines Wiener Beratungsunternehmens für Personal- und Organisationsentwicklung ab 1993. Bis dahin sammelte ich wertvolle Erfahrungen etwa als Pädagoge an der AHS und als Wissenschaftler am IFF – Interuniversitäres Forschungsinstitut, als Bildungsmanager, Personalentwickler und Trainer am bfi Wien.
Und weil ich eben nicht auf gewohnten Strecken bleiben, sondern immer wieder andere inspirierende Wege gehen wollte, wagte ich gemeinsam mit meiner Frau ein neues Experiment. Indem wir Anfang 2000 ein Institut für Coaching, Training & Consulting gründeten und später neu firmierten: Die ManagementOASE – Schweifer & Partner. Ein bis heute geglücktes und stimmiges Experiment, das ich zu schätzen weiß.
Ein wesentlicher Motor dabei war von Beginn an ein „3-B-Motiv“: Begeistern. Bewegen. Beflügeln. D.h. andere für etwas Neues, Ermutigendes, vielleicht auch Ungewohntes zu begeistern. Querzudenken. Und sie zu bewegen und zu beflügeln – um etwas zu ermöglichen, das zuvor nicht oder nur schwer möglich schien. Gleichzeitig respektvoll einen Kernsatz Galileo Galileis anerkennend: „Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“
Weiterbildungsmarkt.at: Ihr Kernthema ist Zeitmananagement? Wo liegt Ihr Ansatz im Umgang mit der Zeit?
Franz J. Schweifer: Mein besonderes Faible gilt einem Themenfeld bzw. Phänomen, das uns wohl alle berührt und betrifft, uns sprichwörtlich ein Leben lang begleitet, rund um die Uhr. Eines, das uns aber auch mit Widersprüchen konfrontiert: ZEIT
Gerade weil Zeit per se schwer zu fassen ist, sind mir in meiner Haltung und Handlung als Berater, Forscher und „Temposoph“ © zwei Momente besonders wichtig: Ganzheitlichkeit und Differenziertheit. Das schließt die kritische Auseinandersetzung mit Polaritäten und Widersprüchen mit ein. Mit Widerspruch – also „wider den Spruch“ – meine ich auch: Skepsis gegenüber die vorgefasste Meinung, die vorschnelle Einsicht, den vordergründigen Effekt. Und dosierte Vorsicht und Umsicht im Umgang mit sogenannten Wahrheiten.
Deshalb verstehe ich mich auch als Dialektiker und Querdenker, der auf´s Ganze schaut, d.h. ökonomische wie ökologische, gesellschaftliche wie individuelle, rationale wie emotionale, harte wie weiche Faktoren berücksichtigt. Das zeichnet auch eine gehaltvolle, temposophische Herangehensweise aus. Die klassischen, rein effizienzorientierten Zeitmanagement-Hebel greifen hier wohl zu kurz. Weil sie eindimensional ansetzen und das Zeitnotübel nur noch besser organisieren.
Eine meiner Maximen lautet deshalb auch – frei nach Laotse: „Wenn du glaubst, die Wahrheit zu haben, denke dir ihr Gegenteil. Erst dann hast du die ganze Wahrheit.“
Weiterbildungsmarkt.at: Wie kam es dazu, dass Sie sich so intensiv mit dem Thema Zeit beschäftigen?
Franz J. Schweifer: Zeit bzw. die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen war schon immer etwas, das mich außerordentlich faszinierte. Vielleicht liegt es auch an meiner Herkunft, zumal das Waldviertel, insbesondere auch der angrenzende Böhmerwald, vielfach den Nimbus des Mystischen, Verborgenen, Tiefgründigen hat. Und schon als Kind wandte ich mich an die gleichsam „zeitmächtigen“ Eltern, sie mögen doch umgehend die Uhr anhalten, damit endlich die Zeit stehen bliebe und ich mehr von ihr hätte.
Die Sehnsucht nach mehr Zeit – und die Möglichkeit, sie anzuhalten, stillstehen zu lassen – ist geblieben. Auch weil sich in dieser stillen, stillstehenden Zeit so köstlich und ergiebig philosophieren ließe. Und genießen. Unberührt vom grassierenden „Eiligtum“, das die westliche Tempokultur zum Heiligtum erhoben hat – mit der Konsequenz, dass ihr die Zeit immer eiliger davonzulaufen droht.
Weiterbildungsmarkt.at: Was war in der letzten Zeit das Highlight in Ihrer Tätigkeit im Training und als Autor?
Franz J. Schweifer: Es gab und gibt immer wieder außergewöhnliche, erbauliche Momente. Ob in Workshops, Beratungen, Vorträgen oder auch im Rahmen meiner Arbeit als FH-Lektor. Zwei Beispiele seien hier herausgegriffen.
Das erste bezieht sich auf ein Feedback eines Seminarteilnehmers eines internationalen Großunternehmens. Für mich v.a. deshalb etwas Spezielles, weil es auf eine Facette meiner Arbeit Bezug nimmt, die ich besonders mag – den Einsatz von (auch spielerisch-handfesten, humorvollen) Metaphern: „Das Seminar [Zeit- & Selbstmanagement] war das Beste, das ich im Unternehmen mitgemacht habe. Was mir sicherlich ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf gehen wird, ist die kleine Motorsäge, die habe ich jetzt immer dabei.“
Das zweite Highlight: eine berührende wie bereichernde Reaktion eines Lesers des zuletzt erschienenen Buches „Ach du liebe Zeit“. Berührend und bereichernd auch deshalb, weil sie eine Zeit-Facette ausleuchtet, die im gewohnten Alltagsmodus kaum Platz hat, dennoch essentiell ist. Das Feedback stammt von jemandem, der seit vielen Jahren an einer äußerst schmerzhaften, chronischen Krankheit laboriert, die unheilbar ist. Umso beeindruckender seine Worte. Worte, die demütig machen, aber auch ermutigen. Zum achtsamen Umgang mit einer besonderen Kostbarkeit. ZEIT.
„Die Zeit hat für mich noch eine andere Dimension. Die Zeit – und damit jeder Tag – bedeutet für mich eine Kostbarkeit in meinem Leben am Limit, laufend an der Grenze zwischen Leben und… Damit stellt sich für mich besonders jetzt die Frage: Wo liegen die inneren Weichenstellungen zwischen Krankheit und Gesundheit? Das Medizinische ist das eine – der Weg nach Innen das ganz andere.“
Weiterbildungsmarkt.at: Wo sehen Sie im Zeitmanagement noch Herausforderungen für die Zukunft, die es zu meistern gilt?
Franz J. Schweifer: So instabil wie die Gegenwart, so unwägbar wird auch Zukünftiges sein. Mit einem Bündel an Herausforderungen. Ich greife davon zwei heraus, die mir besonders virulent scheinen.
(1) Ein wachsendes Dilemma, das uns mehr denn je beschäftigen und herausfordern wird, hat der Schweizer Soziologe Peter Gross schon 1994 in seiner „Multioptionsgesellschaft“ vorweggenommen: Hier die drohende Endlichkeit der Ressource Zeit. Dort das immer üppigere Angebot am Buffet der Wahl- und Handlungsmöglichkeiten. Das vermeintliche Glück, dass so viele Türen offen stehen, entpuppt sich im öfter als Tyrannei der Wahl.
Einerseits sei die Möglichkeit des modernen Menschen liebste Wirklichkeit, so Gross, andererseits laute die moderne Form der Verzweiflung: sich abstrampeln im Meer der Möglichkeiten. Umso mehr werden wir also gefordert sein, eine kluge (Aus-)Wahl zu treffen und dosiert zu enthetzen. Weiterführendes dazu gibt es auch in den Fachbeiträgen: Zauberhaft entrümpeln und Enthetzen? Ja! Ein Plädoyer.
(2) In unmittelbarem Zusammenhang damit steht etwas, das kein Geringerer als Platon schon vor rund 2400 Jahren postulierte und an Aktualität nichts verloren hat: „Wir entscheiden unser Schicksal mit der Wahl unserer Götter.“
Die Götter (d.h. auch Werte-Maßstäbe) von heute mögen zwar andere sein, aber sie bestimmen ebenso maßgeblich unser Leben. Und zwar individuell wie kollektiv: seien es die profanen Götter Geschwindigkeit & Geld oder die Götzen More & More – etwa in Gestalt des gierigen Höher, Weiter, Schneller, Schriller. Oder wie es Karlheinz Geißler bereits 2000 in seinem gleichnamigen Buchtitel auf den Punkt brachte: „Alles. Gleichzeitig. Und zwar sofort. Unsere Suche nach dem pausenlosen Glück.“
Wir werden also besonders in dem Bewusstsein gefordert sein, dass offene wie verborgene Werte eine essentielle Kategorie unseres Lebens sind. Dass äußerlich sichtbares Handeln immer auch Ausdruck einer inneren Wertelandschaft ist. Dass unsere Wertelandschaft auch unsere „Zeitlandschaft“ prägt – und damit unser Zeitverhalten und unseren Lebensmodus steuert. Denn Werte sind ultimative Mitverursacher unseres Tuns oder Nichttuns, unseres Empfindens von Zeit-Glück oder Unglück.
Weiterbildungsmarkt.at: Abschließend noch ein Ausblick: Was sind für Sie noch weitere Entwicklungen?
Franz J. Schweifer: Einerseits kann ich nur einem Statement von Manfred Huemer, Personalchef der Greiner Packaging Gmbh, beipflichten, vernommen im Rahmen einer HR-Tagung 2012: „Der Wert Zeit wird in Zukunft sehr wichtig werden und damit meine ich auch das Abgrenzen von Zeit. Es wird immer wichtiger, dass man sich Zeit für sich selbst nimmt. Wir brauchen die Rahmenbedingungen, um das ermöglichen zu können.“ Passend dazu hatte ich damals das Vergnügen, einen Beitrag zum Thema „Vom Wettbewerb zum Wertbewerb“ einzubringen.
Andererseits möchte ich mehr denn je dem Thema Zeit- und Lebensqualität Aufmerksamkeit schenken. Im Bewusstsein, dass es nicht um die Menge, sondern um die Qualität der erlebten Zeit geht. Dass es nicht bloß darum geht, in die Breite zu leben, sondern vor allem in die Tiefe. Getragen von einem meiner wichtigsten Leitsätze: Die Seele braucht Zeit, sonst schrumpft sie. Und wohl gilt ebenso: Die Zeit braucht Seele, sonst schrumpft sie.“
Und es mag etwas großspurig klingen, jedenfalls ein wenig idealistisch. Aber es täte gut und machte Sinn, analog zum vielfach geforderten CSR-Bewusstsein (Corporate Social Responsibility) auch ein Bewusstsein für CTR © und PTR © zu entwickeln, d.h. für Corporate Time Responsibility bzw. Personal Time Responsibility. Individuell wie gesellschaftlich, persönlich wie unternehmerisch. Verbunden mit Scharfsinn, Achtsamkeit und Verantwortung für das Wertvollste, das wir haben. Oder korrekter: das uns gegeben wurde und wir nur geliehen haben. ZEIT.
Weiterbildungsmarkt.at: Vielen Dank für das Interview!
Weitere Informationen über Franz J. Schweifer
Aktuelle Publikation: (1) Ach du liebe Zeit (2) Zeit – Macht – Ohnmacht