Die gesetzlichen Krankenkassen stehen unter einem hohen Veränderungsdruck. Deshalb startete Bundesinnungskrankenkasse Gesundheit Dortmund, kurz BIG direkt gesund, einen umfassenden Transformationsprozess. Von ihm erntet sie nun die ersten Früchte.
Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) stehen unter einem hohen Veränderungsdruck – aufgrund folgender Megatrends:
- Politik: eine steigende Zahl politischer Vorgaben
- Demografie: Immer weniger gesunde Versicherte finanzieren immer mehr kranke Beitragszahler.
- Medizinischer Fortschritt: Diagnostik und Therapie werden ausgebaut und kommen zu den bisherigen Leistungen hinzu.
- Finanzierung: Die Einnahmen der GKV sind an die Grundlohnentwicklung gebunden; die Leistungsausgaben steigen jedoch stärker. Hinzu kommt die politisch gewollte Übernahme versicherungsfremder Leistungen.
- Digitale Transformation: Unter anderem muss eine alle Akteure im Gesundheitswesen umfassende Telematik-Infrastruktur aufgebaut werden, beispielsweise um den „Kundenwunsch“ elektronische Patientenakte (ePA) und elektronisches Rezept (eRezept) zu erfüllen.
- Wettbewerb: Internationale Konzerne drängen mit digitalen Gesundheitsprodukten auf den Markt. Deshalb besteht die Gefahr, dass die deutschen Krankenkassen für ihre Versicherten zunehmend an Bedeutung verlieren.
Deshalb beschloss die Bundesinnungskrankenkasse Gesundheit Dortmund, kurz: BIG direkt gesund, die 1996 als erste Direktkrankenkasse Deutschlands gegründet wurde und heute bundesweit über 520.000 Versicherte betreut, 2021, einen Transformationsprozess zu starten, um ihre Marktposition zu stärken und langfristig ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Dieser Prozess sollte ein strategisch gezielt geführter Prozess sein, der
- die Digitalisierungspotenziale effektiv nutzt und
- die Mitarbeitenden und Führungskräfte partizipativ einbezieht.
Der Transformationsprozess gliederte sich in drei Phasen.
Phase 1 – Strategieentwicklung
Die BIG direkt gesund hatte schon vor Beginn des Projekts ihre strategische Ausrichtung bestimmt und kommuniziert. Allerdings war ihre Umsetzung nicht optimal, unter anderem weil die Strategie für die Mitarbeitenden zu wenig greifbar war. Zudem änderten sich die Rahmenbedingungen weiter. Deshalb wurde ein neuer, kompakter Ansatz bei der Strategieentwicklung verfolgt. Das Besondere an ihm war:
- Entwicklung der Strategie durch das Managementteam im Dialog mit ausgewählten Mitarbeitenden, die über die erforderlichen Skills verfügen
- Herausfordernde Zielsetzung durch eine kurze Taktung: Entwicklung der Strategien in maximal Monat in nur vier Workshops mit den Themen:
- Herausforderungen bestimmen
- strategische Handlungsfelder ableiten und beschreiben
- strategische Ziele entwickeln
- Wirkungszusammenhänge erläutern
Im Ergebnis wurden die in Grafik 1 genannten vier strategischen Ziele definiert. Diese sollten allen Mitarbeitenden die künftige Ausrichtung des Unternehmens aufzeigen.
Strategische Ziele der BIG direkt gesund
Phase 2 – Strategieumsetzung
2.1 auf der Managementebene: Ableitung von Bereichsstrategien und -zielen
Alle Bereiche wurden aufgefordert, aus den strategischen Zielen Bereichsziele abzuleiten, Potenziale zu identifizieren und die erwarteten Ergebnisse bei deren Ausschöpfung zu benennen. Ergänzt wurde das Vorgehen durch eine systematische Betrachtung der Risiken, die mit der Potenzialausschöpfung verbunden sind; zudem wurden die Chancen beschrieben, die sich für das Unternehmen ergeben. Den Abschluss bildete die Darstellung von KPI (Key Performance Indicator) sowie eine Benennung der Anforderungen mit Blick auf die Ressourcen des Unternehmens.
2.2 auf der Ebene der Mitarbeitenden: AG Change/Markenpositionierung
Die Transformation sollte bei allen Mitarbeitenden ankommen. Deshalb wurde die AG Markenpositionierung gebildet. Ihre Aufgabe war es, das Wertversprechen der Markenpositionierung an die Versicherten in die Organisation zu tragen und für die Umsetzung in der täglichen Kommunikation mit den Kunden zu sorgen.
Für die Kaskadierung wurde das Tool Dialog-Box genutzt. Diese strukturierte Moderationsvorlage hat den Vorteil, dass Inhalte zur gleichen Zeit in allen Organisationseinheiten nach dem gleichen Muster diskutiert und die Ergebnisse dieser Diskussion gesichert werden. Die Dialog-Box als Moderationsvorlage wurde von der AG Markenpositionierung entwickelt und allen Führungskräften vorgestellt. Die Team- und Bereichsleiter wurden für die Moderation von Workshops mit ihnen geschult.
Aus diesen Workshops, die über einen Zeitraum von 10 Wochen in allen Organisationsteilen durchgeführt wurden, entstanden knapp 170 Projekte, die auf die Verbesserung der Kommunikation mit den Kunden abzielen. Ein Projekt war die Neukonfiguration des Wissensmanagementsystems, mit dem Ziel, dass die Kundenberater schneller und gezielter auf die Fragen und Anliegen der Versicherten eingehen können, getreu der Maxime: Das Wissen wird an einer Stelle gebündelt, es steht aber allen überall und jederzeit zur Verfügung.
Phase 3 – Einführung eines Leadership Modells
Die Führungskräfte sorgen letztlich dafür, dass die Ziele einer Transformation von allen Mitarbeitenden verstanden und akzeptiert werden. Deshalb wurde bei der Führungskräfteentwicklung auf ein Modell der transformationalen Führung zurückgriffen, das vier Dimensionen des Führungshandelns unterscheidet:
Dimension 1 „Leading the business“. Sie verlangt von den Führungskräften, die Strategie auf den eigenen Bereich anzuwenden, strategische Ziele zu erläutern und die Mitarbeitenden in den Prozess der Transformation einzubeziehen. Dies erfordert das Vermitteln einer inspirierenden Vision. Für das Aktivieren der Mitarbeitenden ist es entscheidend, dass diese verstehen, warum es in ihrem Interesse liegt, an der Transformation ihrer Kasse mitzuwirken. Das erfordert, die Herausforderungen zu kommunizieren, vor denen die GKV steht, und die Strategie gut zu erläutern, mit der ihnen begegnet werden soll. Ein BIG-Picture hilft den Führungskräften dabei, die mitunter komplexen Zusammenhänge den Mitarbeitenden verständlich zu machen.
Dimension 2 „Leading the Organization“. Sie setzt auf die Managementkompetenz der Führungskräfte, also ihre Fähigkeit, klare Rollen und Verantwortlichkeiten zu definieren. Zudem setzt sie auf solche bewährten Tools wie Zielvereinbarungen und Feedback und verlangt eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Mit Blick auf die Digitalisierung und Automatisierung stellt ein professionelles Projektmanagement einen zentralen Erfolgsfaktor dar. Dabei lautet ein Ziel auch, effiziente Prozesse sicher zu stellen und das System zu stabilisieren.
Dimension 3 „Leading People“. Sie beinhaltet solch bekannte Beziehungsaspekte der Führung wie Respekt und Wertschätzung. Die Kommunikation spielt hierbei die entscheidende Rolle. Transformationale Leader tauschen sich gerne mit Menschen aus; sie wissen, was ihre Mitarbeitenden beschäftigt und sie sorgen dafür, dass diese wissen, was sie selbst beschäftigt. Bei einer transformationalen Führung kommt es darauf an, dass die Mitarbeitenden ihrer Führungskraft folgen wollen. Dies erfordert es, sie in ihrer Entwicklung herauszufordern und zugleich sicherzustellen, dass sie hierbei erfolgreich sind.
Dimension 4 „Leading Myself“. Sie zielt auf die Vorbildfunktion der Führungskräfte ab – fachlich und menschlich. Transformationale Leader zeichnen sich durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung aus. Sie haben ein positives Verhältnis zu Veränderungen und sehen sowohl die Chancen als auch Risiken, die mit ihnen verbunden sind. Wechselseitiges Feedback ist ein elementarer Bestandteil dieses Führungsstils, der auf die ansteckende Wirkung von Engagement und Leistung setzt.
Ergebnisse im Transformationsprozess
Alle Mitarbeitenden haben verstanden, dass der Transformationsprozess eine fortlaufende Veränderung darstellt. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Kasse mit dem eingeschlagenen Weg erfolgreich ist. Durch eine Fokussetzung auf das Ziel Effizienz gelang es der BIG direkt gesund, den Versicherten für das Jahr 2023 einen unterdurchschnittlichen Zusatzbeitragssatz (ZBS) anzubieten. Zuvor war dieser leicht überdurchschnittlich. Dadurch erhöhen sich die Chancen des Vertriebs, neue Mitglieder zu gewinnen.
Die Servicequalität hat sich entscheidend verbessert. In der KUBUS Studie GKV 2022 wurde die BIG direkt gesund als zweitbester Servicedienstleister in Deutschland prämiert. Im Jahr zuvor wurde Platz 6 erreicht. Auch deshalb wuchs der Versichertenbestand im zweiten Halbjahr 22 bezogen auf das Gesamtjahr um etwa ein Prozent. Diese Ergebnisse zeigen, dass im Projektverlauf eine breite Aktivierung der Mitarbeitenden gelang und es sich lohnt, einen Transformationsprozess auf breiter Front anzugehen.
Ausblick
Das bestätigte die BIG direkt gesund in ihrer Entscheidung, in dem Transformationsprozess die nächsten Entwicklungsschritte zu gehen. So wird aktuell zum Beispiel das neue Führungsmodell in Workshops, Trainings und Coachings auf alle Führungsebenen übertragen. Zudem werden in der Organisation neue, digitale Formate für die Kommunikation mit und zwischen den Mitarbeitenden implementiert. Aufgrund dieser Aktivitäten und der bereits erzielten Erfolge fühlt sich die Kasse nun gut für die Zukunft und die Herausforderungen gerüstet, die unter anderem aufgrund der bekannten Finanzierungsprobleme in der GKV, noch aus sie zukommen werden.
Über die Autoren:
Peter Kaetsch ist Vorstandsvorsitzender der Bundesinnungskrankenkasse Gesundheit Dortmund, kurz: BIG direkt gesund, die 1996 als erste Direktkrankenkasse Deutschlands gegründet wurde. Diese hat heute über bundesweit über 520.000 Versicherte und beschäftigt über 920 Mitarbeitende.
Alexander Pifczyk ist Seniorberater der Management- und Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist auf die Themenfelder Personal- und Organisationsentwicklung sowie Change und Transformation spezialisiert.