Dr. Brigitte Wolter ist Management Coach mit Schwerpunkt in der Unterstützung in Phasen des Umbruchs und der Neuausrichtung. Im Interview mit Weiterbildungsmarkt.at erzählt sie, wie das Coaching Menschen helfen kann, ihre Bedürfnisse und Werte zu reflektieren und sich die Wechselwirkungen ihres Handelns bewusst zu machen.
Weiterbildungsmarkt.at: Wie lange sind Sie bereits im Coaching tätig? Wie sind Sie in den Bereich gekommen?
Dr. Brigitte Wolter: Ursprünglich wollte ich Lehrerin werden, doch daraus wurde nichts. Angesichts der damaligen Lehrerschwemme riet man mir in der Berufsberatung dringend davon ab. Ich habe mich aufgrund meiner Naturverbundenheit entschieden, Landwirtschaft mit Schwerpunkt Pflanzenbau zu studieren. Nach dem Studium führte mich der Weg zunächst in eine Agentur, die auf Werbung für den Landwirtschaftsmarkt spezialisiert war. Nachdem ich dort zwei Jahre lang Konzipieren und Umsetzen von Kommunikationsmaßnahmen gelernt hatte, wechselte ich als Kommunikationsmanagerin in die Pharmaindustrie.
In den folgenden 18 Jahren durfte ich an einer Vielfalt an Aufgaben und Herausforderungen weiter wachsen. Besonders meine Rolle als Führungskraft hat mich nachhaltig geprägt. Mir war immer klar, dass ich als Führungskraft nur mit einem starken, motivierten Team erfolgreich sein würde. In dieser Zeit wuchs mein Interesse für Persönlichkeitsentwicklung, speziell für Coaching. So kam es, dass in mir der Wunsch reifte, Coach zu werden und mich als Management Coach selbständig zu machen. 2003 setzte ich meine Idee in die Tat um. Bis es allerdings soweit war, bin ich durch einen ungemütlichen Abnabelungsprozess gegangen. Die Vorstellung, selbstständig zu sein, auf das sichere Gehalt zu verzichten, kein Team mehr um mich herum zu haben, das hatte doch etwas Bedrohliches. Andererseits spürte ich einen starken Druck zur Neuorientierung, der schließlich überhandnahm.
Weiterbildungsmarkt.at: Was ist Ihr Schwerpunkt im Coaching?
Dr. Brigitte Wolter: Zu mir kommen Klienten aus dem Management, die sich in Umbruchsituationen befinden. Manche haben sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie ohne Unterstützung nicht mehr herausfinden. Einige davon haben das Problem, sich zwischen ihren Führungs- und Managementaufgaben aufzureiben und sind auf dem direkten Weg in den Burn-out. Sie sehen den roten Faden nicht mehr, der ihnen Orientierung für berufliche und persönliche Entscheidungen gibt. Indem ich diesen Menschen einen Raum gebe, ihre Bedürfnisse und Werte zu reflektieren und sich die Wechselwirkungen ihres Handelns bzw. Verhaltens bewusst zu machen, helfe ich ihnen, sich neu zu verorten und authentischer zu leben. Dafür war es übrigens gut, dass ich am eigenen Leib erfahren habe, wohin Wertekonflikte führen können und wie – im wahrsten Sinne des Wortes – wertvoll es ist, wenn man wieder weiß, wo und wofür man steht. Deshalb biete ich zu Beginn und während eines Coachings Wertereflexion an. Letztendlich geht es immer um die Frage, was ist mir wichtig im Leben, was will ich denn überhaupt.
Weiterbildungsmarkt.at: Wie sieht das konktet aus?
Wenn Klienten von ihren Problemen mit anderen Menschen, Entscheidungen, Projekten, Strukturen etc. erzählen, versuche ich herauszufinden, ob diese personen- und / oder organisationsbedingt sind.
Es kann z. B. sein, dass eine Person, die in einem System (z.B. Unternehmen) nicht zurechtkommt, in einem anderen System positive Erfahrungen macht bzw. regelrecht aufblüht. Oder die Person verursacht wegen bestimmter Verhaltensweisen selbst das Problem, ist sich dessen aber nicht bewusst. Die Wahrheit liegt oft dazwischen. Systemische Umfeldanalysen und andere systemische Interventionen sowie Einstellungsmodulation gehören daher zum Kern meiner Arbeit. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um eine Neubewertung von Situationen und um die Frage, wie sich eine andere Sichtweise auswirkt. Das schafft eine gesunde Distanz zum Geschehen, weitet den Blick, fördert Achtsamkeit für sich selbst und andere und schließlich entlastet es. Zudem erachte ich es angesichts der Zunahme an Komplexität im Management als sehr wichtig, Klientinnen und Klienten darin zu üben, öfter in Wechselwirkungen anstatt wie gewohnt von A nach B zu denken.
Schließlich bilde ich Coaches aus. Hier ist es mir neben der Vermittlung anerkannter Coaching-Methoden und Techniken wichtig, die Coaches zu einer professionellen Haltung zu führen. Damit meine ich im Kern, dass die Coaches eine ethische Dienstleistungsauffassung annehmen, nach dem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip coachen, achtsam und verantwortungsvoll den Coaching-Prozess gestalten und wissen, wo ihre Grenzen sind.
Weiterbildungsmarkt.at: Was war in der letzten Zeit das Highlight in Ihrer Tätigkeit?
Dr. Brigitte Wolter: Jedes Mal, wenn es mir gelungen ist, in einem Menschen einen deutlichen Selbstbestimmungsschub zu erzeugen, macht mich das glücklich. Oder mitzuerleben, wie Coaching-SchülerInnen während der Coaching-Ausbildung einen Entwicklungssprung nach dem anderen vollziehen, ist eine erfüllende Erfahrung. Insofern erlebe ich ständig Highlights in meiner Tätigkeit. Als Coach sollte man den Erfolg seiner Arbeit jedoch nicht an den großen Durchbrüchen messen oder sich stimmungsmäßig davon abhängig machen. Jede noch so kleine Veränderung, die ein Klient vollzieht, ist wertvoll. Die Dinge müssen auch reifen: So machen Klienten Entwicklungsschritte, wenn das Coaching längst beendet ist. Mit etwas Glück erfährt man das später, wie in einem Fall, als ich fünf Jahre nach einem Coaching eine Danke-E-Mail vom einem Klienten erhielt, der davon erzählte, wie positiv sich das Coaching auf sein gesamtes Leben ausgewirkt hat. Solche Erlebnisse zählen natürlich zu den Sternstunden eines Coachs.
Weiterbildungsmarkt.at: Wo sehen Sie in Ihrem Thema noch Herausforderungen für die Zukunft, die es zu meistern gilt?
Dr. Brigitte Wolter: Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Entwicklung in der Führungskultur rückläufig ist. Der viel beschworene Führungswandel ist jedenfalls noch nicht überall angekommen. Andererseits können Unternehmen die immensen Herausforderungen unserer Zeit nur meistern, wenn sie ihre Mitarbeiter zu selbstverantwortlichem Handel ermutigen und in Entscheidungen einbeziehen. Klingt selbstverständlich, ist es aber längst noch nicht. So kommt es, dass sich Führungskräfte aufreiben, weil sie nicht genügend Aufgaben delegieren, sich im operativen Geschäft verzetteln und für Führungs- und Managementaufgaben keine Zeit mehr haben. Hier noch eine Work-Life-Balance hinzubekommen, bleibt für viele eine Illusion. Als Management Coach sehe ich mich öfter mit gescheiterten Lebensentwürfen konfrontiert, die von nicht erfüllten Bedürfnissen und nicht gelebten Werten herrühren. Das ist sicher auch ein gesellschaftliches Problem, wo wir uns alle fragen müssen, was Erfolg bedeutet und welchen Preis wir für unser auf quantitatives Wachstum getrimmtes System mit seinen Folgen für Mensch und Umwelt zahlen wollen.
Weiterbildungsmarkt.at: Was wollen Sie in Ihrem Thema noch erreichen?
Dr. Brigitte Wolter: Ein Buch zu schreiben ist eine starke Selbsterfahrung. Das habe ich gerade mit meinen Ratgeber für den Coach-Nachwuchs erlebt („Ich will Coach werden – Von der Idee zum Traumberuf“, erschienen im Budrich Verlag). Ich möchte gerne ein weiteres Buch schreiben, um auch über dieses Medium Impulse für werteorientiertes Handeln zu geben. Abgesehen davon schreibe ich leidenschaftlich gerne. Ein weiteres Herzensprojekt hebe ich gerade mit einer sehr geschätzten Kollegin aus der Taufe: Exklusive Gesprächszirkel für Menschen, die sich orientieren und fokussieren wollen. Ihnen Raum zum Nachdenken zu geben, damit sie sich auf hohem Niveau austauschen, reflektieren und innerlich zur Ruhe kommen können, ist der Sinn der Sache. Darauf freue ich mich schon sehr.
Weiterbildungsmarkt.at: Vielen Dank für das Interview
Dr. Brigitte Wolter