Gerd Langer hat vor einer Woche den Job des Logistikleiters übernommen. Er weiß gerade nicht, wo ihm der Kopf steht. Eine Flut von Aufgaben überschwemmt ihn. Ganz besonders stresst ihn die Erkenntnis, dass das Logistiklager zu klein ist, um den Ansprüchen der Geschäftsleitung gerecht zu werden. Eine Erweiterung ist aber nicht möglich und der Neubau ein Projekt, das nicht auf großen Zuspruch stoßen wird. Jetzt teilt ihm seine Assistentin mit, dass in der darauf folgenden Woche die Einweisung der Studenten stattfinden soll. „Praktikanten“ fragt er? „Nein, es geht um die Kooperation mit der Universität, die ihr Vorgänger in die Wege geleitet hat.“ Einer der Professoren hatte wohl die Idee, dass seine Logistik-Studenten ihre Arbeiten besser auf reale Probleme ausrichten denn auf Studienaufgaben, die sich der Professor ausdenkt. Der bisherige Logistikleiter war bereit, das zu unterstützen und bewegte die Geschäftsleitung, einen entsprechenden Kooperationsvertrag zu unterschreiben. Für Langer gibt es also keinen Ausweg, er muss diese halbtägige Veranstaltung durchführen und die Studenten mit Fragestellungen aus der Logistik versorgen. Für ihn ist das Verschwendung seiner Zeit und er verspricht sich davon gar nichts. „Wie sollen Studenten ohne Praxiserfahrung innerhalb so kurzer Zeit die spezielle Situation des Unternehmens erfassen. Und wenn sie dann mit ihren Theorien ankommen, sind diese doch eh nicht umsetzbar“, regt er sich auf. Am liebsten würde er einen seiner Mitarbeiter darauf ansetzen. Da das Thema aber so hoch aufgehängt ist, traut er sich das nicht. Zum Glück hat sein Vorgänger wenigstens schon ein paar Themen skizziert. Darunter auch der Raumengpass. „Lachhaft, wer ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass da nur ein Neubau in Frage kommt. Und den bekomme ich nicht durch.“
Typisch Mann, werden jetzt einige Frauen denken. Meinen, immer, dass sie alles besser wissen. Tatsächlich überschätzen Männer tendenziell ihre eigenen Fähigkeiten und unterschätzen gleichzeitig die Fähigkeiten anderer Menschen. Deshalb übersehen sie Kooperationschancen. Frauen hingegen haben häufig weniger Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten als in die ihrer Umwelt. Deshalb sind sie offen für Zusammenarbeit, verpassen dabei aber oft, ihre Ideen auch überzeugend auszudrücken und durchzusetzen.
Ist DIE Kooperation weiblich?
Kooperativ zu sein, gilt eindeutig als weibliche Charaktereigenschaft. Das bestätigten John Gerzema und Michael D’Antonio, die Autoren des Buchs „The Athena Doctrine“, in einer Befragung von 32.000 Menschen in 13 Ländern weltweit. Sie baten die Teilnehmer 125 Charaktereigenschaften als männlich, weiblich oder neutral einzuordnen. Kooperativ zu sein, wurde als weibliche Tugend eingestuft. Tatsächlich belegen auch zahlreiche andere Studien, dass die Frauen häufig bevorzugen, in Teams zu arbeiten – während die meisten Männer bevorzugen, eigenverantwortlich zu handeln. Bemerkenswert ist, dass in Gerzemas und D’Antonios Studie weitere 32.000 Menschen gefragt wurden, welche Eigenschaften sie mit der „idealen modernen Führungskraft“ verbinden. Kooperativ zu sein, gehört danach zu den zehn wichtigsten Charakterstärken einer zeitgemäßen Führungskraft. Haben männliche Führungskräfte jetzt ausgedient? Sicher nicht. Vielmehr ist dies ein starkes Zeichen an Unternehmen, welches Arbeitsklima sich sowohl Männer als auch Frauen wünschen und welche Verhaltensweisen Führungskräfte in den Vordergrund stellen müssen, um diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Kooperativ zu sein, erzeugt nicht nur ein besseres Arbeitsklima. Kooperation ist der Nährboden für Kreativität und Innovation. Nur durch die kooperative Zusammenarbeit aller Beteiligten können die immer komplexer werdenden Aufgabenstellungen erfolgreich bewältigt werden.
Wenn wir unsere Kooperationsfähigkeit verbessern möchten, beginnt das bei der inneren Haltung. Die Gründe, warum Frauen Kooperation dem Wettbewerb vorziehen, geben uns da wertvolle Hinweise. Die Wirtschaftswissenschaftler Peter J. Kuhn und Marie-Claire Villeval haben sich damit ausführlich beschäftigt. In ihrer 2013 erstellten Studie fanden sie heraus, dass Frauen durchschnittlich weniger Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, dafür aber mehr Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kollegen haben. Frauen gehen also natürlicherweise davon aus, dass in einem kooperativ geprägten Umfeld ihre Ergebnisse durch die Zusammenarbeit mit anderen potenziert werden. Die Frage, inwieweit sich das für sie materiell lohnt, steht dabei im Hintergrund. Das lässt sich auch gut mit der Realität abgleichen. Frauen sind im Non-Profit-Bereich deutlich überrepräsentiert und im Finanzbereich oder in den Führungspositionen großer Unternehmen eher unterrepräsentiert.
Auch Männer kooperieren… wenn es sich (für sie) lohnt!
Obwohl die Studie zeigt, dass Männer dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu über- und die ihrer Kollegen zu unterschätzen und sie sich deshalb häufiger für Einzelarbeit entscheiden, zeigt sich auch, dass Männer sehr wohl kooperieren können. Nämlich dann, wenn es sich für sie lohnt. In einem Versuch durften die Beteiligten wählen, ob sie im Team oder alleine arbeiten möchten. Deutlich mehr Frauen als Männer entschieden sich für die Teamarbeit. Im nächsten Schritt führten die Wissenschaftler eine Belohnung für exzellente Teamarbeit ein und erhöhten sie Schritt für Schritt. Bei 10 % gab es Gleichstand, das heißt die Zahl der Männer, die sich unter diesen Umständen für Teamarbeit entschieden, erreichte ungefähr das gleiche Niveau wie bei den Frauen.
Welche Entwicklungsfelder ergeben sich daraus?
Um erfolgreich zu kooperieren, müssen wir die Grundhaltung pflegen, dass unser eigener Beitrag genauso wichtig ist, wie der der anderen Teammitglieder. Dabei sollten wir nicht in die Falle der Expertengläubigkeit treten. Gerade der frische oder unkonventionelle Blick eines Anfängers oder einer fachfremden Person kann Fallen aufzeigen oder neue Kreativität entfachen. Die Studenten in unserem zu Beginn geschilderten Praxisbeispiel schlugen den Einsatz einer Signal-Technik vor, die man in Parkhäusern nutzt, um freie und besetzte Parkplätze anzuzeigen. Das System hat die Nutzung des vorhandenen Raumes so verbessert, dass auf den Neubau vorläufig verzichtet werden kann. Das Logistiklager von Herrn Lange wurde als Best Practice Beispiel für alle Unternehmensstandorte definiert und Herr Lange steht vor der Geschäftsleitung ziemlich gut da.
Warum sich eine multiperspektivische Sichtweise lohnt
Überprüfen Sie ihre Haltung. Tendieren Sie dazu, Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und Ihre Ideen sehr spät oder gar nicht zu teilen? Oder gehen Sie grundsätzlich davon aus, die richtige oder bessere Lösung zu haben und stellen diese in den Mittelpunkt der Kommunikation? Hier das richtige Maß zu finden, wird auch die Haltung dazu beeinflussen, inwieweit Kooperation sich lohnt. Sobald wir verstehen, dass eine multiperspektivische Sichtweise in der Regel sowohl zu verträglicheren als auch zu nachhaltig besseren Entscheidungen führt, hören wir auf, den Ertrag von Kooperation rein materiell zu betrachten. Es fällt uns leichter, Zeit und Aufmerksamkeit zu investieren, ohne sofort auf den Outcome zu schielen und uns von der Frage ablenken zu lassen, ob sich unser Invest auch wirklich lohnt.
Kooperationen sind dann besonders erfolgreich, wenn die Ziele und Erwartungen der Beteiligten frühzeitig klar definiert werden, eine gemeinsame Vision entwickelt und in regelmäßigen Abständen evaluiert wird, ob die Zusammenarbeit noch diesen Vereinbarungen entspricht. Ist das nicht der Fall, braucht es den Mut, diese Abweichung anzusprechen, die daraus entstehenden Konflikte zu bewältigen und die Zusammenarbeit wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Unterm Strich braucht es also sowohl weibliche als auch männliche Fähigkeiten, damit Kooperation gelingt.
Buchtipp:
Ulrike Stahl: So geht WIRTSCHAFT! Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ.
Über die Autorin:
Ulrike Stahl ist Rednerin, Autorin und Expertin für das neue WIR im Business. Wie geht erfolgreiche Zusammenarbeit in einem agilen und globalen Umfeld? Wie entwickeln wir eine WIR-Kultur für uns selbst, in unseren Unternehmen und unter unseren Mitarbeitern? Darüber schreibt und redet sie mit internationaler Erfahrung und Begeisterung. Sie ist Autorin des Buches „So geht WIRTSCHAFT! Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ.“ – laut Handelsblatt eines der besten Wirtschaftsbücher – und des internationalen Bestsellers „Ignite Your Female Leadership.“ Als Design Thinking Coach und Coach für Top Teams ist sie am Puls der Zeit und genau das macht ihre Vorträge so packend und lebensnah.