Der sehnsuchtsvolle Blick aus dem Fenster verrät, wie gern man doch jetzt lieber draußen wäre, um sich mit etwas Bewegung vom täglichen, unendlich langen Online-Marathon zu erholen. So sehr das feierabendliche Sportprogramm auch baldige Milderung verspricht, es dauert halt noch ein paar Stunden. Im analogen Büroalltag kann man wenigstens aufstehen, sich kurz die Beine vertreten, vielleicht zur Teeküche gehen und spontan ein paar Worte mit Kolleginnen oder Kollegen wechseln. Im Zusammenhang mit digitaler Arbeit passiert es jedoch sehr häufig, dass Mitarbeitende von einem virtuellen Termin in den nächsten klicken.
Die Kalendereinträge reihen sich wie in einer Filmrolle aneinander. Pausen werden nur selten ausreichend berücksichtigt. Zu Kaffee oder Tee nebenbei Süßigkeiten und sonstige Snacks vor dem Bildschirm „vertilgt“. Man soll viel trinken? Also steht ausreichend Wasser bereit. In der Realität verbleibt besagte Flüssigkeit häufig an ihrem Platz. Während intensiver Diskussionen bietet es sich nicht gerade an, regelmäßig zu trinken und nach einigen Stunden hat man die Wasserflasche sowieso ausgeblendet. Von Bewegung ganz zu schweigen!
Achtung! Biologische Verschrottung vor dem PC
Das lange Sitzen verkürzt die Hüftbeuger, welche ihren Namen schon nicht mehr verdienen, da sie mittlerweile weniger für das Beugen der Hüfte, sondern viel mehr für das Abstützen des gesamten Rumpfes zuständig zu sein scheinen. Dieser ruht komprimiert auf dem Becken, während die leicht geneigte Haltung nach vorne die Lungen in eine Sparposition drängt. Aus mangelnder Notwendigkeit, sich über tiefe Atemzüge bemerkbar zu machen, ziehen sich die Atemorgane immer mehr zurück und verorten sich still irgendwo zwischen die Rippen. Die Knie befinden sich in ständiger Beugung und bilden das verbindende Element zwischen sich zurückbildenden Muskelpartien an Ober- und Unterschenkel. Zusammengefasst liest sich diese Beschreibung schon ein wenig wie eine biologische Verschrottung.
Dabei arbeiten wir im hypermodernen digitalen Zeitalter, mit allem, was für ein gesundes Leben notwendig ist. Doch davon, dass die Pulsuhr die Schritte zählt, sind diese noch nicht getan. Die Flasche Wasser gilt nicht als getrunken, solange sie nur neben dem Bildschirm steht. Letztlich zieht all das viele Konsequenzen nach sich. Und nicht erst seit dem Einzug der virtuellen Arbeit gehen, unabhängig ob im Büro oder im Homeoffice, immer mehr gesundheitliche Aspekte verloren – darunter vor allem das so wichtige Pausen- und Bewegungspotential.
Besonders im Online-Kontext herrscht vielfach die Meinung, dass man zwei oder drei Stunden mal eben absitzen könne, schließlich mache man anschließend ja Pause. Aber ist dem wirklich so? Die Erfahrung zeigt, dass sehr viele Mitarbeitende ununterbrochen im Online-Einsatz sind und die Pausen lediglich darin bestehen, sich ab und zu den nächsten Kaffee zu holen, oder eben zu der vorgeschriebenen Zeit des Arbeitgebers in die offizielle Mittagspause zu gehen. So ist und wird die Suche nach vielen kleinen Bewegungs- und Dehnungsfugen immer wichtiger, in denen sich regelmäßig kurze Übungen und aktive Sequenzen einbauen lassen.
Aktivierungsübungen und Bewegungsmomente
Die Arbeit am Bildschirm ist komprimiert, intensiv und sehr einseitig. Bei einem ständigen Blick auf geteilte Folien ist bereits nach 10 bis 15 Minuten die Aufnahmefähigkeit eingeschränkt, da sich eine gewisse passive Konsumhaltung einstellt. Hier empfiehlt es sich, nach einigen Info-Grafiken über eine Frage oder ein Bild die Anwesenden wieder in die aktive Teilnahme zu bringen. Beiträge können dann über den Chat geteilt werden, da im Folienmodus die Kameras meistens ausgeschaltet sind. Die Konzentration in einem virtuellen Meeting lässt spätestens nach 50 Minuten nach. Bei zweistündigen Meetings reicht sicherlich eine kurze Pause, bei längeren Besprechungen sollten die Pausen nach einem Abschnitt von 60 bis höchstens 90 Minuten schon etwa 10 Minuten dauern und können durch zahlreiche Aktivierungsübungen unterstützt werden. Diese gemeinsam durchzuführen, stärkt zudem das Gemeinschaftsgefühl und den Teamgeist.
Wer dabei die Übungen vorgibt, kann abwechselnd verabredet werden. Dabei reicht es schon, zusammen bewusst den Kopf zu kreisen, die Schultern lang nach hinten zu ziehen und dabei tief und ruhig zu atmen. Die Arme reagieren mit einem erlösenden kleinen Knistern in den Faszien, wenn sie nach oben gestreckt werden, während sich die Finger mit den Handflächen gefaltet zur Decke recken. Oder jeder der Anwesenden bringt über kleine Arbeitsaufträge zum Beispiel ein rotes/blaues Teil mit und zeigt es mit einer Erklärung, warum er/sie sich ausgerechnet dafür entschieden hat, in die Kamera, beschreibt den eigenen Schlüsselbund oder erzählt kurz von einer regionalen Besonderheit.
Augen auf … und zu
Auch für die Augen gibt es kleine Bewegungsmomente, die in den kurzen Pausen sehr gerne angenommen werden. Die ständige Fokussierung der Bildschirminhalte strengt vor allem unsere Augen sehr an und führt häufig zu Brennen und Jucken bis hin zu starker Augentrockenheit. Der Markt wird mittlerweile geradezu überflutet von entsprechenden Präparaten, um den akuten Bedarf bildschirmgeplagter Sehorgane zu decken. Die beginnenden ernsten Augenleiden werden einfache Übungen sicher nicht stoppen, jedoch tragen sie merklich dazu bei, die weitere Arbeit am Bildschirm besser bewerkstelligen zu können. Hierzu zählen – neben regelmäßigem Blinzeln – leichte Sequenzen, in denen die Augen die Tastatur abwandern oder nach und nach die Ecken des Bildschirms erfassen. Eine kurze Ansage dazu von einer Person aus dem Teilnehmerkreis, und das gemeinsame Nachmachen der Übung bei eingeschalteter Kamera wird zu einem sehr humorvollen Aspekt in den sonst oft von ernsten fachlichen Themen geprägten virtuellen Meetings.
Natürlich bietet es sich in längeren Pausen an, Bild und Ton einfach mal ganz abzuschalten. Um weiterhin mit der Gruppe in Verbindung zu bleiben, eignen sich kleine Aufgaben, über die in der Pausenzeit nachgedacht wird. Dazu können die Anwesenden aufgefordert werden, nach der Pause einen bestimmten Gegenstand zu einem vorher festgelegten Thema mitzubringen. Oder es kann sich dabei auch um Assoziationen handeln wie: „Wenn unser Projekt ein Fahrzeug wäre, wie würde es aussehen?“, oder „Mit welchem Werkzeug lässt sich unsere Arbeit am ehesten beschreiben?“. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Bei der Überlegung der Fragestellung ist nur wichtig, dass das Thema zu der Zielgruppe passt. Ansonsten fühlt sich die Gruppe nicht ernst genommen und reagiert mitunter verspannt – wodurch eher der gegenteilige Effekt erreicht wird.
Routinen aufbrechen
Auf welche Form auch immer die Gestaltung der Pausen fällt – jede noch so kleine Übung, die die pflichtgegebene Routine aufbricht, wirkt sich positiv auf die mentale Leistung und auf die Motivation der Mitarbeitenden aus. Davon profitieren nicht nur alle Anwesenden im virtuellen Raum. Letztlich tragen die positiven Effekte ihre Wirkung auch über das Ende der virtuellen Veranstaltung hinaus und gewinnen den zahlreichen Kalendereinträgen eine völlig neue Bedeutung ab. Nicht selten schafft es die eine oder andere Pausenübung aus dem virtuellen Kontext sogar in die reale Welt. Die Notwendigkeit dazu ist auf jeden Fall gegeben – eine schöne Herausforderung zum zwischenmenschlich kreativen Denken in einer digitalen Zeit.
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Über die Autorin:
Petra Motte arbeitet seit vielen Jahren als Trainerin, Beraterin, Coach und Mediatorin. In Südostasien sammelte sie über 10 Jahre lang internationale Erfahrungen, die sie inzwischen auf Konzern- und Unternehmensebene einbringt. Prozessoptimierung, ganzheitliches Change-Management, virtuelle Entwicklung oder interkulturelle Fragen – die große Leidenschaft von Petra Motte sind die Menschen, die hinter den Zahlen stecken.