Viele Top-Manager befassen sich ungern mit dem Thema Unternehmenskultur – weil es hierbei in ihren Augen so stark „menschelt“. Doch bei der Kulturentwicklung geht es primär um Fragen, die auch einen starken Einfluss auf so harte Erfolgsparameter wie den Ertrag und Marktanteil haben.

Die meisten Unternehmensführer wissen, welch großen Einfluss die sogenannten „Soft facts“ auf die „Hard facts“, also die betriebswirtschaftlichen Zahlen, haben. Ihnen ist bewusst, dass eine hoch motivierte Mannschaft scheinbar Unmögliches erreichen kann. Eine Belegschaft hingegen, die innerlich gekündigt hat, führt mittelfristig auch wirtschaftlich gesunde Unternehmen in den Ruin.

Entsprechend groß ist oft ihr Wunsch, die Unternehmenskultur zu verändern. Zum Beispiel in die Richtung, dass die Mitarbeiter

  • bereichsübergreifend stärker als Team agieren,
  • aus Erkenntnissen schneller Entscheidungen ableiten und umsetzen oder
  • bei ihrer Arbeit stärker die Bedürfnisse der Kunden beachten.

Kulturentwicklung ist kein „Sozial-Klimbim“

Trotzdem wird in den meisten Betrieben keine bewusste Kulturarbeit betrieben, denn viele Unternehmensführer befassen sich ungern mit den Soft Facts. Zum einen weil sich diese Faktoren schwieriger als der Umsatz mit Kennzahlen erfassen lassen. Zum anderen weil sie – unbewusst – Kulturfragen oft als „Sozial-Klimbim“ erachten, der viel Zeit und Geld kostet.

Das liegt auch daran, dass im öffentlichen Diskurs über das Thema Unternehmenskultur meist primär über die Programme der Unternehmen zur Förderung der Mitarbeiter und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen wird. Dadurch entsteht der Eindruck: Die Unternehmen mit den aufwändigsten Programmen dieser Art haben die beste Unternehmenskultur.

Dabei wird übersehen, dass sich in solchen Programmen zwar teilweise die Kultur eines Unternehmens widerspiegelt, letztlich geht es aber um tiefer gehende Fragen. Zum Beispiel:

  • Von welchen Normen lassen sich Mitarbeiter und Führungskräfte bei ihrer Arbeit leiten?
  • Von welchen Grundeinstellungen ist die Zusammenarbeit geprägt? Und:
  • Wie geht das Unternehmen mit neuen Herausforderungen um? Werden sie verdrängt oder aktiv bearbeitet?

Kulturveränderung erfordert „ihre“ Zeit

Viele Unternehmensführer sind zudem überzeugt: Die Kultur eines Unternehmens lässt sich nur langsam und mit einem hohen Aufwand verändern. Also verzichten sie im Alltag ganz auf den Versuch, weil es nach ihrer Auffassung „Wichtigeres“ und „Dringlicheres“ zu tun gibt. Das ist verständlich. Denn es dauert seine Zeit bis zum Beispiel aus einem behördenähnlich agierenden Unternehmen ein kundenorientierter Dienstleister wird. Drei bis fünf Jahre sollte man hierfür bei größeren Organisationen einkalkulieren. Denn um einen solchen Turn-around zu vollziehen, genügt es nicht, die Strukturen zu verändern. Die Mitarbeiter müssen auch neue Denk- und Handlungsroutinen entwickeln. Das erfordert seine Zeit.

Trotzdem sollte gerade in unserer von rascher Veränderung geprägten Zeit der Versuch, die Unternehmenskultur aktiv zu gestalten, nicht unterbleiben. Denn anders lassen sich unternehmerische Ziele wie der Technologie- oder Serviceführer oder das ertragsstärkste Unternehmen in der Branche zu werden, nicht erreichen.

Die richtigen Signale aussenden

Häufig formulieren Unternehmensführer zwar solche Entwicklungsziele, doch kaum sind sie verkündet, wenden sie sich anderen Dingen zu. Und die Aufgabe, die erforderlichen Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten und umzusetzen, delegieren sie zum Beispiel an eine Stabsabteilung. Bei den Mitarbeitern kommt deshalb die Botschaft  an: So wichtig ist das Ganze unseren „Chefs“ nicht, sonst würden sie sich selbst darum kümmern. Fatal wird dieses Signal, wenn das Top-Management in der Folgezeit widersprüchliche Botschaften an die Mitarbeiter sendet. Dies ist oft der Fall. Hierfür zwei Beispiele:

  1. Der Vorstand eines Unternehmens verkündet „Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Kundenorientierung werden“; die Leistung der Bereiche misst er aber weiterhin rein am Ertrag.
  2. Ein Bereichsleiter verkündet „Ihr müsst eigenverantwortlicher entscheiden und handeln.“ Im Alltag kontrolliert aber weiterhin gefühlt jeden Handgriff der Mitarbeiter.

Wenn Unternehmensführer einen Kulturwandel wünschen, müssen sie dies auch durch ihr Verhalten dokumentieren. Hierfür ein Beispiel: Der Vorstand sagt „Wir wollen eine Vertrauenskultur entwickeln und nicht mehr 20 Prozent unserer Zeit dafür verschwenden, uns abzusichern“. Dann muss der Vorstand auch selbst zeigen, dass er bereit ist, Risiken einzugehen. Zudem darf er Mitarbeiter nicht an den Pranger stellen, wenn diese Fehler machen.

Den Changebedarf gezielt ermitteln

Beim Versuch, die Kultur eines Unternehmens oder Bereichs zu analysieren, sind unter anderem folgende Fragen hilfreich:

  • Wie werden die Mitarbeiter in dem Unternehmen/Bereich primär motiviert? Über die Entlohnung, öffentliche Anerkennung, Druck, Partizipation?
  • Nach welchen Kriterien werden neue Mitarbeiter ausgewählt und erfolgen Beförderungen?
  • Wie ist der Umgang der Mitarbeiter miteinander? Eher partnerschaftlich oder hierarchie-bestimmt?
  • Wie sehen und behandeln die Mitarbeiter die Kunden? Wie Bittsteller, Auftraggeber oder Freunde?
  • Was ist in dem Unternehmen/Bereich tabu? In welche Fettnäpfchen darf man keinesfalls treten?

Das Ziel solcher Fragen ist es zu begreifen, wie das Unternehmen tickt. Denn nur so lässt sich erkennen, wo Veränderungen ansetzen sollten, um die Entwicklungsziele und somit auch unternehmerischen Ziele zu erreichen.

Vorsicht bei Umstrukturierungen

Besonders wichtig ist es, sich mit solchen Fragen zu befassen, wenn Organisationen um- oder neu strukturiert werden sollen, zum Beispiel um deren Agilität zu steigern und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern. Sonst ist die Gefahr des Scheiterns groß – zum Beispiel, weil Bereiche vorschnell zusammengefasst werden, deren Kulturen nicht harmonieren. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn in dem einen Bereich eher eine „Beamtenmentalität“ herrscht, während im anderen „Unternehmertypen“ dominieren. Oder wenn in dem einen Bereich nach dem Befehl-Gehorsam-Prinzip  geführt wird, während im anderen die Mitarbeiter große Entscheidungsspielräume haben.  Dann sollten die Kulturen in den Bereichen vor deren Zusammenschluss zunächst angenähert werden – außer der Kultur-Crash ist gewollt.

Die drei Ebenen der Unternehmenskultur

Der Organisationspsychologe Edgar Schein, einer der Väter der Organisationsberatung, unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich eine Unternehmenskultur manifestiert.

  • Sichtbare, aber interpretationsbedürftige Symbole: Ist die Architektur modern oder klassisch? Werden Großraum- oder Einzelbüros bevorzugt? Wie kleiden sich die Mitarbeiter? Wie kommunizieren sie miteinander – primär persönlich oder per Mail? Wie ist die Gehaltsstruktur? Wie präsentiert sich das Unternehmen nach außen – in Stellenanzeigen, im Internet?
  • Teilweise unsichtbare Normen: Gibt es Leitlinien oder eine formulierte Vision? Wird diese im Alltag gelebt? Wie ist die Einstellung zu den Mitarbeitern? Wird eher der Teamspirit oder das Konkurrenzdenken gefördert? Wie groß sind die Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter? Welche Geschichten über die Firmengründer und Top-Manager kursieren im Unternehmen? Was wird dabei als gut bzw. schlecht dargestellt?
  • Unsichtbare, meist unbewusste Basisannahmen: Dies sind selbstverständliche Annahmen, die nicht hinterfragt werden. Ist der Mensch grundsätzlich eher gut oder schlecht? Welche Rolle spielt die Arbeit im Leben eines Menschen? Wie sollte der Umgang mit der Natur und Umwelt sein?

All diese Faktoren zu erfassen, ist aufwändig – und manchmal auch übertrieben. Wie wichtig aber eine fundierte Kulturanalyse ist, zeigt sich darin, wie oft zum Beispiel bei Umstrukturierungen sowie Projekten zum Erhöhen der Agilität die erhofften Effekte ausbleiben.

Den Veränderungsprozess gezielt steuern

Deshalb sollten Unternehmensführer, bevor sie Veränderungsprozesse initiieren, die auch eine Kulturveränderung erfordern, zunächst analysieren, wie ihr Unternehmen zurzeit tickt, Denn nur dann kann der Changeprozess so gestaltet werden, dass er auch real gelingt. Außerdem werden zum Steuern dieses Prozesses Parameter benötigt, aus denen sich ablesen lässt: Befinden wir uns (noch) auf dem richtigen Weg? Sonst ist bei Bedarf kein korrigierendes Eingreifen möglich.

Über den Autor:

Georg KrausDr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

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