In der Struktur eines Unternehmens spiegelt sich dessen Kultur wider. Das berücksichtigen viele Manager nicht beim Planen größerer Change-Vorhaben, weshalb die Projekte oft scheitern. Außerdem unterschätzen sie häufig, welch großen Einfluss die sogenannten „softs facts“ auf solche „hard facts“ wie den Umsatz und den Ertrag haben.
Unternehmen lassen sich mit solchen „hard facts“ wie Branche, Mitarbeiterzahl, Umsatz und Ertrag zwar beschreiben, doch nicht charakterisieren. Denn sie sagen wenig darüber aus, wie eine Firma „tickt“. Um dies zu ermitteln, benötigt man andere Informationen – zum Beispiel Infos darüber, von welchen Maximen sich die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit leiten lassen, wie sie Informationen aufnehmen und mit Kunden umgehen. Kurz: Man muss die Kultur des Unternehmens kennen.
Das wissen die meisten Unternehmensführer. Trotzdem unterschätzen sie oft, welche Chancen, aber auch Risiken, in den so genannten „soft facts“ für das Erreichen der Ziele schlummern. So kann zum Beispiel eine hoch motivierte Mannschaft (scheinbar) Unmögliches erreichen. Eine Belegschaft hingegen, die innerlich gekündigt hat, führt mittelfristig auch ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen in den Ruin.
Erfolgsfaktor und kein „Sozial-Gedöns“
Trotzdem wird in den meisten Betrieben keine bewusste Kulturarbeit betrieben, denn viele Unternehmensführer befassen sich ungern mit den „soft facts“ – zum einen weil sich diese Erfolgsfaktoren schwieriger als der Umsatz mit Kennzahlen erfassen lassen, zum anderen weil sie Kultrufragen (unbewusst) oft als „Sozial-Gedöns“ abtun, der viel Zeit und Geld kostet.
Eine Ursache hierfür ist: In der öffentlichen Debatte wird das Thema Unternehmenskultur häufig auf das Hegen und Pflegen der Mitarbeiter reduziert. So berichten zum Beispiel Zeitschriften unter dem Stichwort „Unternehmenskultur“ meist ausführlich über Programme zum Fördern der Mitarbeiter und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie suggerieren damit: Die Unternehmen mit den meisten und aufwändigsten Programmen dieser Art haben die „beste“ Unternehmenskultur.
Dabei wird übersehen: In solchen Programmen spiegelt sich zwar teilweise die Kultur eines Unternehmens wider, letztlich geht es aber um tiefer greifende Fragen. Zum Beispiel darum: Von welchen Normen und Werten lassen sich die Mitarbeiter und Führungskräfte bei ihrer Arbeit leiten? Und: Von welchen Grundeinstellungen ist die Zusammenarbeit geprägt? Denken die Mitarbeiter eher „Was mein Kollege tut, geht mich nichts an“ oder handeln sie nach der Maxime: „Wir sind ein Team. Also müssen wir kooperieren und uns wechselseitig informieren“? Oder wie geht das Unternehmen mit neuen Herausforderungen um? Werden sie verdrängt oder aktiv bearbeitet?
Kulturveränderungen erfordern Zeit
Viele Unternehmensführer sind zudem (zu Recht) überzeugt: Die Kultur eines Unternehmens lässt sich nur allmählich und mit einem hohen Energieaufwand verändern. Also verzichten sie im Alltag ganz auf einen entsprechenden Versuch, weil es nach ihrer Auffassung stets „Wichtigeres“ beziehungsweise „Dringlicheres“ zu tun gibt. Diese Haltung ist verständlich. Denn ebenso wie es seine Zeit dauert, Rennpferde zu züchten, dauert es auch seine Zeit, aus behördenähnlich agierenden Unternehmen kundenorientierte Dienstleister zu machen. Drei bis fünf Jahre muss man hierfür bei größeren Organisationen schon einkalkulieren. Denn um einen solchen (mentalen) Turn-around zu vollziehen, genügt es nicht, die Strukturen zu verändern. Das Unternehmen muss auch neue Formen der Zusammenarbeit fördern. Zudem müssen die Mitarbeiter neue Denk- und Handlungsmuster und -routinen entwickeln. Das erfordert seine Zeit.
Trotzdem sollte der Versuch nicht unterbleiben, die Unternehmenskultur zu gestalten. Denn anders lassen sich viele unternehmerische Ziele – wie zum Beispiel der „Technologie-“ oder „Serviceführer“ oder das „ertragsstärkste Unternehmen“ in der Branche zu werden – nicht erreichen.
Dran bleiben und Konsequenz zeigen
Doch Vorsicht! Nicht selten scheitert der Versuch, die Kultur zu verändern. Eine häufige Ursache hierfür: Die Unternehmensführer formulieren zwar entsprechende Entwicklungsziele, doch kaum sind sie verkündet, wenden sie sich anderen Dingen zu. Und die Aufgabe, die für die Veränderung nötigen Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten und umzusetzen? Diese delegieren sie an eine junge Führungskraft, die sich bewähren soll, oder eine Stabsabteilung.
Bei einem solchen Vorgehen kommt bei den Mitarbeitern die Botschaft an: Allzu wichtig kann das Ganze für unsere „Chefs“ nicht sein, sonst würden sie sich selbst darum kümmern. Fatal wird dieses Signal, wenn die Unternehmensführung zudem in der Folgezeit widersprüchliche Botschaften an die Mitarbeiter sendet. Das ist oft der Fall. Hierfür drei Beispiele:
- Der Vorstand eines Unternehmens verkündet „Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Kundenorientierung werden“; die Leistung der Bereiche misst er aber weiterhin rein am Ertrag.
- Ein Vertriebsleiter propagiert ein aktives Verkaufen. Er kontrolliert aber zum Beispiel nicht, ob seine Mitarbeiter Angebote nachfassen.
- Ein Bereichsleiter verkündet „Wir führen in jedem Quartal ein Mitarbeitergespräch, weil dies wichtig ist“. Doch wenn diese anstehen, verschiebt er sie regelmäßig oder lässt sie ganz ausfallen.
Wenn Unternehmensführer einen kulturellen Wandel wünschen, müssen sie dies durch ihr Verhalten dokumentieren. Sie müssen ihren Mitarbeitern die „neue“ Kultur vorleben. Hierfür ein Beispiel: Der Vorstand sagt „Wir wollen eine Vertrauenskultur entwickeln und künftig nicht mehr einen großen Teil unserer Arbeitszeit damit verschwenden, uns abzusichern“. Dann muss der Vorstand auch selbst zeigen, dass er bereit ist, Risiken einzugehen. Zudem darf er Mitarbeiter nicht an den Pranger stellen, wenn sie Fehler machen. Und er sollte durch symbolische Handlungen signalisieren: Fortan ist ein neues Verhalten gefragt.
Die richtigen Signale senden
Erneut ein Beispiel. Als Ferdinand Piëch vor vielen, vielen Jahren VW-Manager wurde, schnappte er sich angeblich nach seinem Amtsantritt einen Blaumann und stellte sich für einige Tage ans Fließband. Hierdurch signalisierte er den Mitarbeitern in der Produktion: Ich schätze eure Arbeit, und es ist mir wichtig zu erfahren, was euch antreibt und bewegt.
Um die Kultur eines Unternehmens oder Bereichs kennenzulernen, muss man sich nicht unbedingt ans Fließband stellen – auch wenn man die Bedeutung solcher symbolischer Handlungen nicht unterschätzen sollte. Es gibt systematischere Vorgehensweisen. Hilfreich beim Ermitteln der Kultur einer Organisation ist es zum Beispiel, sich zu fragen:
- Wie werden die Mitarbeiter in dem Unternehmen/Bereich primär motiviert? Über das Gehalt, Provisionen, Anerkennung, Druck, Information, Partizipation?
- Wie und nach welchen Kriterien werden neue Mitarbeiter ausgewählt und nach welchen Kriterien erfolgen Beförderungen?
- Wie ist der Umgang der Mitarbeiter im Unternehmen/Bereich? Eher partnerschaftlich oder hierarchie-betont? Sprechen sich die Mitarbeiter zum Beispiel mit „du“ oder „Sie“ an? Wie „offen“ sind die Türen der Vorgesetzten?
- Wie flexibel und „problemadäquat“ ist die Zusammenarbeit? Wie werden Projekte aufgesetzt? Welche Unterstützung erhalten sie? Wie konsequent werden Beschlüsse umgesetzt? Wie wird auf Zielabweichungen reagiert?
- Was wissen die Mitarbeiter über die Kunden und wie behandeln sie diese? Wie Bittsteller, Auftraggeber oder Partner?
- Was ist in dem Unternehmen/Bereich tabu? In welche Fettnäpfchen darf man keinesfalls treten?
Das Ziel all dieser Fragen ist es zu begreifen, wie das Unternehmen „tickt“. Denn nur so lässt sich erkennen, wo Veränderungen ansetzen sollten, damit die Entwicklungsziele und die unternehmerischen Ziele erreicht werden.
Drei Ebenen der Unternehmenskultur
Der US-amerikanische Organisationspsychologe Edgar Schein, einer der Väter der Organisationsberatung, unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich eine Unternehmenskultur manifestiert.
- Sichtbare, aber interpretationsbedürftige Symbole: Ist die Architektur modern oder klassisch? Werden Großraum- oder Einzelbüros bevorzugt? Wie kleiden sich die Mitarbeiter? Wie ist der Umgangston? Wie sind die Gehälter gestaffelt? Wie präsentiert sich das Unternehmen nach außen – in Stellenanzeigen, Broschüren, im Internet?
- Teilweise unsichtbare Normen: Gibt es schriftlich formulierte Unternehmensleitlinien? Werden diese im Alltag gelebt? Wie ist die Einstellung zu den Mitarbeitern? Werden sie eher zu gegenseitigem Verständnis oder zu Konkurrenzverhalten ermutigt? Sollen sie eher selbstständig arbeiten oder haben sie kaum Entscheidungsspielräume? Welche Geschichten über den Firmengründer oder Führungskräfte kursieren im Unternehmen? Was wird dabei als besonders gut, was als besonders schlecht dargestellt?
- Unsichtbare, meist unbewusste Basisannahmen: Dies sind selbstverständliche Annahmen, die nicht mehr hinterfragt werden. Sind die Menschen grundsätzlich eher gut oder schlecht? Welche Rolle spielt die Arbeit im Leben eines Menschen? Wie sollte sich der Umgang Mensch-Mensch sowie Mensch-Umwelt gestalten?
Alle diese Faktoren zu erfassen, erscheint auf den ersten Blick aufwändig – und ist zuweilen auch übertrieben. Trotzdem ist eine fundierte Kulturanalyse wichtig. Das zeigt sich unter anderem darin, wie häufig in Unternehmen zum Beispiel Projekte gestartet oder Umstrukturierungen vollzogen werden, ohne dass sich die erhofften Effekte einstellen. Eine häufige Ursache hierfür ist: In der Planungsphase wurde nicht ausreichend beachtet, dass sich in der Struktur eines Unternehmens ebenso wie in den firmeninternen Arbeitsbeziehungen dessen Kultur widerspiegelt. Deshalb setzen Strukturveränderungen, damit sie wirksam werden, meist auch eine Kulturveränderung voraus. Dasselbe gilt, wenn die strategischen Ziele sich ändern.
Den Veränderungsprozess gezielt steuern
Deshalb sollten Unternehmensführer, bevor sie in ihrer Organisation größere Veränderungsprojekte initiieren, die auch eine neue Kultur erfordern, analysieren: Wie tickt das Unternehmen aktuell? Denn nur dann kann der Change-Prozess so gestaltet werden, dass er nicht nur auf dem Papier, sondern auch real gelingt.
Hinzu kommt: Zum Steuern eines Change-Prozesses benötigt man Parameter, aus denen sich ablesen lässt: Hat sich etwas verändert? Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg? Sonst ist bei Bedarf kein korrigierendes Eingreifen möglich. Deshalb führen Unternehmen bei größeren Change-Vorhaben oft nach der ersten Kulturanalyse im Ein-, Zwei-Jahres-Rhythmus (abgespeckte) Folgeanalysen durch – beispielsweise in Form von Mitarbeiter- und Kundenbefragungen.
Diese Analysen haben auch die Funktion, Veränderungen sichtbar zu machen. Denn gerade weil Kulturveränderungen so lange dauern, haben die Beteiligten zuweilen das Gefühl: „Es bewegt sich nichts. Wir kommen nicht voran.“ Deshalb sollten auch kleine Fortschritte wahrgenommen, dokumentiert und gewürdigt werden, damit die Beteiligten nicht resignieren, sondern mutig weiter voran schreiten.
Über den Autor:
Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis (ilea), Esslingen bei Stuttgart, das Unternehmen bei ihrer Entwicklung zur Highperformance-Organisation unterstützt und begleitet. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit fast zwei Jahrzehnte als Führungskraft sowie Projektmanager in der (Software-)Industrie.
Guter Beitrag – mir gefällt auch das Beispiel mit der Vorbildwirkung sehr gut.
Cultural Change ohne Vorbildwirkung seitens der Führung kann ja nur scheitern. Differenziert sehe ich das Thema „gezielt steuern“. Was den Prozess selbst betrifft, kann mittels guter Projektstruktur/-architektur gesteuert werden, die tatsächlichen Inhalte der Veränderung selbst können von außen m.E. angeregt, aber nicht gezielt in eine vorher definierte Richtung verändert werden. Reinhard Krechler von http://www.beratekreis.at