Krisenzeiten bzw. Marktumbruchzeiten bieten Unternehmensführern die idealen Voraussetzungen, um in ihren Unternehmen die nötigen Veränderungen zu realisieren. Denn in ihnen ist für alle Betroffenen einsichtig: „Es muss etwas geschehen, sonst….“ Trotzdem regt sich gegen die geplanten Veränderungen oft Widerstand.
Alltag in vielen Unternehmen. Kaum verkündet dessen Management „Wir müssen unsere Struktur …“ bzw. „… Strategie ändern“ regt sich in ihnen Widerstand. Nicht nur, weil Mitarbeiter befürchten, sie könnten ihren Arbeitsplatz verlieren, sondern auch, weil viele bangen: Mit der Veränderung
- werden Privilegien abgebaut und
- ändern sich die gewohnten Arbeitsinhalte, -abläufe und -strukturen.
Schnell wird dann der Vorwurf laut:
- „Unsere ‚Chefs‘ haben nur noch den Profit vor Augen.“ Und:
- „Unser Management pflegt einen autoritären Führungsstil.“
Dass solche Vorwürfe laut werden, ist verständlich. Denn jede Veränderung stellt Gewohntes in Frage. Folglich löst sie Unsicherheit aus. Trotzdem ist es erschreckend, welch massiven Ängste, geplante Änderungen bei Mitarbeitern oft erzeugen. Dies ist auch in Versäumnissen der Vergangenheit begründet.
Harmonie- statt Entscheidungskultur
In „guten Zeiten“ neigen Unternehmen dazu, konfliktträchtige Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben, denn alle Unternehmen haben, bildhaft gesprochen, genug zu fressen. Also besteht für ihre Spitzenmanager kein Anlass
- als Lenker ihrer Unternehmen deren Strategien und Strukturen zu hinterfragen,
- als oberste Führungskräfte über die Effektivität der Führungskultur ihrer Unternehmen nachzudenken und
- als oberste Entscheider sich offensiv den Konflikten zu stellen, die jede Kultur-, Struktur-, Strategieänderung mit sich bringt.
Die Folge: In den Unternehmen entwickelt sich keine „Entscheidungskultur“, in der Zukunftsfragen aktiv angegangen werden. Stattdessen macht sich eine „Harmoniekultur“ breit, in der jeder versucht, (Interessens-)Konflikte zu vermeiden.
Übersehen wird dabei:
- Jede Entscheidung enthält ein Konfliktpotenzial, weil sie stets andere Lösungswege verwirft.
- Jede unternehmerische Entscheidung ist eine Zukunftsentscheidung und somit mit Risiken verbunden.
- Zukunftsentscheidungen können, weil sie die Zukunft gedanklich vorwegnehmen, meist nicht im Konsens, sondern nur mit Macht entschieden und umgesetzt werden.
- Ein Nicht-Einscheiden ist oft folgenschwerer als ein partielles Fehl-Entscheiden, denn mit dem Nicht-Entscheiden geht ein Verzicht auf ein aktives Gestalten der Zukunft einher.
Unternehmen sind Zweckgemeinschaften
Weil in manchen Unternehmen in den zurückliegenden Jahren notwendige Zukunftsentscheidungen – zum Beispiel in Zusammenhang mit der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft – nicht, zu spät oder nicht konsequent genug getroffen wurden, gerieten sie in folgende fatale Situation: Ihre Mitarbeiter vergaßen, dass jeder „Organismus“ auf Dauer nur überleben kann, wenn er sich weiterentwickelt. In ihnen machte sich zudem eine Denk- und Verhaltensstruktur breit, die außer Acht lässt, dass Unternehmen Zweckgemeinschaften sind, deren oberstes Ziel es ist, Gewinn zu erwirtschaften. Diesem Ziel ordnen sich alle anderen Funktionen unter.
Dies verdrängten auch manche Führungskräfte. Deshalb mutierten sie von Orientierung und Halt bietenden Vorgesetzten zu „Coaches“, die sich einseitig um die Entwicklung ihrer Mitarbeiter kümmerten. Sie vergaßen, dass ihre Kernaufgabe lautet, sicherzustellen, dass ihre Mitarbeiter so (zusammen)arbeiten (können), dass die Aufgaben erfüllt und die gesteckten Ziele erreicht werden – was übrigens auch in einem Umfeld gilt, in dem den Mitarbeitern zwecks Zielerreichung die größtmöglichen Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden. Auch dies ist kein Selbstzweck. Das vergessen leider zuweilen Führungskräfte und Mitarbeiter.
Krisen machen klar, was wirklich wichtig ist
In einem von solchen Denk- und Verhaltensmustern geprägten Umfeld wirkt es „autoritär“, wenn Führungskräfte Leistung und sofern nötig ein verändertes Verhalten fordern. Dies ist aber nicht autoritär. Es stellt vielmehr häufig ein Rückbesinnen auf die Haupt- bzw. Kernaufgabe der Führungskräfte im Zweckverband Unternehmen dar.
Bewusst werden solche Fehlentwicklungen Unternehmensführern oft erst, wenn Markanteile wegbrechen und/oder die Erträge sinken – zum Beispiel, weil
- neue Mitbewerber auf den Markt drängen oder
- der technische Fortschritt neue Problemlösungen möglich macht oder
- die Kundenbedürfnisse sich gewandelt haben oder
- das Unternehmen schlicht zu träge wurde.
Entsprechend panikartig ist dann oft ihre Reaktion. Initiierten sie zuvor kaum Veränderungen, wollen sie plötzlich über Nacht alles umkrempeln – ein Phänomen, das man aktuell zum Beispiel in der Finanz-, Automobil-, Energie- und Chemiebranche (nebst Zulieferern) oft konstatiert. Wurden zuvor Entscheidungen (wenn überhaupt) weitgehend nach dem Konsensprinzip getroffen, wird plötzlich nur noch mit Macht entschieden. Viele Spitzenmanager verfallen also von einem Extrem ins andere. Entsprechend verunsichert sind ihre „Untergebenen“ und entsprechend massiv sind nicht selten ihre Widerstände.
Dabei bieten gerade Krisenzeiten die idealen Voraussetzungen, um Veränderungsprozesse effektiv zu gestalten, denn in ihnen treten die Versäumnisse der Vergangenheit offen zutage. Folglich kann den Mitarbeitern recht einfach vermittelt werden, warum eine Veränderung nötig ist. Ähnlich ist es, wenn Märkte zusammenbrechen oder sich neu formieren. Dann vollzieht sich in ihnen ein Paradigmenwechsel und das Heer der Anbieter gruppiert sich neu. Folglich ergeben sich hieraus auch neue Chancen für die Unternehmen. Auch dies kann den Mitarbeitern vermittelt werden.
Veränderung mit Macht vorantreiben
Zumindest wenn folgende Voraussetzung erfüllt ist: Die Unternehmensleitung erkennt die Chancen, die sich aus der Krise oder Marktveränderung ergeben, und packt sie gegen alle Widerstände beim Schopf. Denn eines zeigen alle Turn-around- und Transformationsprojekte in Unternehmen: Sie sind nur erfolgreich, wenn die oberste Führungsebene die ihr verliehene Macht konsequent nutzt, um
- die nötigen Entscheidungen zu treffen und
- die damit verbundenen Prozesse zu initiieren.
Die oberen Führungskräfte müssen zudem ihre gesamte Autorität in die Waagschale werfen, um bei den Mitarbeitern für die Veränderung zu werben, so dass jedem deutlich wird: Wir wollen und müssen diesen Prozess durchlaufen.
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist: Die Spitzenmanager müssen viel Zeit und Energie darauf verwenden, ihre Mitarbeiter über den Inhalt ihrer Entscheidungen sowie über deren Motive und Auswirkungen zu informieren. Dass sich trotzdem oft Widerstand regt, ist verständlich, denn: Bei allen Veränderungsprozessen gibt es neben Gewinnern auch Verlierer – zumindest Personen und Bereiche, die sich als solche empfinden. Deshalb spielt in den mit ihnen verbundenen Entscheidungsprozessen stets auch die Machtfrage eine zentrale Rolle.
Verständlich ist vor diesem Hintergrund, dass den oberen Führungskräften, wenn sie die ihnen verliehene Macht aktiv nutzen, zuweilen ein „autoritäres“ Vorhalten vorgeworfen wird. Schließlich bedeutet „sich verändern“ meist, sich von liebgewonnenen Denk- und Verhaltensmustern zu verabschieden. Es ist aber nicht „autoritär“, wenn Führungskräfte ihre gesamte Autorität, Macht und Entscheidungskompetenz in die Waagschale werfen, um Veränderungen voranzutreiben. Indem sie dies tun, nehmen sie nur ihre Aufgabe wahr.
Über den Autor:
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.