Beitragsbild Weiterbildungsmarkt.net

Viele Menschen bemühen sich ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sie sollten sich lieber fragen: Was sind meine Stärken? Denn nur, wer seine Talente schleift, wird irgendwann ein Profi.

„Ich bin ein Erbsenzähler.“ „Ich verliere rasch die Lust an Dingen.“ „Ich habe wenig Selbstvertrauen.“ Solche Aussagen hört man oft, wenn man Personen fragt, warum ihnen bestimmte Aufgaben und Situationen Probleme bereiten. Sie beschreiben dann so detailliert ihre Schwächen, dass man den Eindruck gewinnt: Diese Person hat nur Schwächen. Dabei zeigt ein Blick in ihren Lebenslauf: Sie ist zwar nicht Vorstand eines Konzerns. Doch im Großen und Ganzen hat sie ihr Leben mit Erfolg gemeistert – beruflich und privat.

Also stellt sich die Frage: Warum strotzt die Frau nicht vor Selbstvertrauen? Oder: Warum sagt der Mann nicht nonchalant: Okay, ich bin zwar kein brillanter Unterhalter, doch ein gefragter Ratgeber? Eine Ursache hierfür ist: Was wir gut können und tun, erachten wir oft als selbstverständlich. So erfüllt es viele Menschen zum Beispiel nicht mit Stolz, dass sie gut organisieren können. Entweder, weil ihnen diese Fähigkeit nicht bewusst ist, oder weil sie denken: Das kann doch jeder.

Keck wie Verona Pooth, klug wie Günther Jauch

Anders verhält es sich bei den Denk- und Verhaltensmustern, an denen wir uns regelmäßig stoßen. Hier fragen wir uns immer wieder: Warum bin ich nicht so schlagfertig wie Verona Pooth? Oder so gebildet wie Günther Jauch? Oder warum bin ich nicht so selbstsicher wie mein Kollege, der stets klar sagt, was er will? Endlos beschäftigen wir uns mit unseren Schwächen. Und wir verwenden unsere Energie vor allem darauf, diese abzubauen, statt unsere Stärken auszubauen. Das ist kein Zufall.

Viele Eltern betonen beim Erziehen ihrer Kinder stets deren Schwächen. Endlos nörgeln sie an ihnen herum „Konzentriere dich mehr“, „Sei ordentlicher“, „Jammere nicht gleich“. Und wenn sie zum Beispiel von der Schule mit einer Fünf in Mathe nach Hause kommen, dann steht für sie fest: „In Mathe musst du dich auf den Hosenboden setzen. Und wenn das nichts nützt, brauchst du Nachhilfe.“ Für die Eins in Englisch hingegen gibt es nur ein kurzes Lob. Dann ist das Thema abgehakt. Und schon gar nicht ziehen Eltern aus der mühelos erworbenen Eins den Schluss: „Hier liegen offensichtlich deine Talente. Also solltest du hier mehr tun.“

Stärken entdecken, Talente schleifen

Ähnliche Erfahrungen sammeln wir im Berufsleben. Auch hier registrieren wir oft: Unser Chef erachtet das, was wir gut machen, als selbstverständlich. Sei es, dass wir stets die Termine einhalten oder viel Eigeninitiative zeigen. Also verliert er kaum Worte hierüber. Stattdessen erörtert er mit uns, was nicht so gut lief. Nur selten bespricht er mit uns aber, warum wir eine Aufgabe gut erledigt haben und welche Fähigkeiten wir dabei zeigten. Und noch seltener, wie unser Arbeitsfeld aussehen sollte, damit wir unsere Stärken noch mehr entfalten können.

Deshalb ist es verständlich, dass viele Menschen vor allem danach streben, ihre Schwächen auszumerzen. Doch dieses Bemühen ist selten von Erfolg gekrönt. Denn wenn wir vor allem versuchen, unsere „Schwächen“ zu beheben, statt unsere Talente zu schleifen, entrinnen wir nie der Mittelmäßigkeit. Ein Michael Schumacher wäre nie der beste Formel-1-Pilot geworden, wenn er zugleich versucht hätte, den Nobelpreis in Physik zu erringen. Nur wenn wir unsere Energie auf unsere Stärken konzentrieren, werden wir mit der Zeit Spitzenkönner.

Hinter unseren „Schwächen“ stecken oft Stärken

Hinzu kommt: Die meisten Menschen haben weniger Schwächen als sie glauben. Viele sogenannte Schwächen entpuppen sich bei genauem Hinsehen als Stärken. So arbeitet zum Beispiel eine Person, die „zur Pedanterie neigt“, sehr gewissenhaft. Eine Eigenschaft, die nicht nur jeder Buchhalter braucht. Zur Schwäche wird dieses Verhalten nur bei Aufgaben, deren Lösung zum Beispiel eher Schnelligkeit als Genauigkeit erfordern.

Ähnlich verhält es sich mit den meisten „Schwächen“. Sie sind meist übertrieben ausgeprägte Stärken. So wird aus einer hohen Leistungsbereitschaft schnell blinder Ehrgeiz. Und aus Vorsicht resultiert oft mangelnde Entschlusskraft – wenn wir die falschen Aufgaben wahrnehmen. Hierfür ein Beispiel: Wenn ein Lotse mehrfach prüft, ob die Landebahn frei ist, bevor er einem Flugzeug die Landeerlaubnis erteilt, handelt er richtig. Denn eine Fehlentscheidung könnte Hunderte von Menschen das Leben kosten. Prüfen wir aber beim Kauf einer Hose zig Mal, ob sie uns passt, so ist dies eher ein Zeichen für mangelnde Entschlusskraft.

Oft genügen kleine Verhaltenskorrekturen

Dasselbe Verhalten kann also eine Stärke und eine Schwäche sein – je nachdem, wann wir es zeigen. Dies ist vielen Menschen nicht bewusst. Wenn sie immer wieder mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, verdichtet sich in ihnen irgendwann das Gefühl: Hier habe ich eine Schwäche. Dieses Gefühl wird mit der Zeit so stark, dass sie ihre Stärken aus dem Blick verlieren. Entsprechend unsicher werden sie. Dann ist oft ein neutraler Gesprächspartner nötig, der ihnen die Augen wieder öffnet – für ihre offensichtlichen Stärken und die Stärken, die sich hinter ihren „Schwächen“ verstecken. Hieraus ergeben sich neue Handlungsperspektiven.

Ein solches Augen-Öffnen ist auch fruchtbar, weil viele Menschen, die häufig gegen dieselben Barrieren stoßen, glauben: Ich muss mich radikal verändern. Wenn ihre Schwächen nur verdeckte Stärken sind, ist dies nicht nötig. Dann genügen oft kleine Verhaltenskorrekturen und schon meistern sie ihr Leben mit Erfolg.

Über die Autorin:

Doll, NikolaNikola Doll, Neustadt an der Weinstraße, ist Führungskräfte-Trainerin und -Beraterin sowie Coach für beruflich stark engagierte Personen.

Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie einen Kommentar:

Please enter your comment!
Please enter your name here