Das Undenkbare denken

Im Arbeits- und Geschäftsleben gehören Verhandlungen zum Alltag. Manche Verhandlungen nehmen wir vielleicht gar nicht als solche war. Im Grunde ist aber schon die Bitte an einen Kollegen eine kleine Verhandlung. Sie

  1. haben ein Anliegen oder Problem
  2. wissen, wer Ihr Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin ist
  3. überlegen sich, wie Sie Ihr Anliegen formulieren
  4. gehen davon aus, dass Ihrem Anliegen entsprochen wird oder
  5. rechnen mit Widerstand

All das findet im Kleinen täglich viele Male statt. Über die ersten drei Punkte machen wir uns auch meist hinreichend Gedanken, damit wir mit unserem Anliegen zum Ziel kommen.

Was aber, wenn wir auf Widerstand stoßen? Sind wir darauf gut vorbereitet, oder überlassen wir es dem Moment, wie wir reagieren werden? Vielleicht geben wir bei Widerstand sogar gleich auf?

Bei großen Verhandlungen (z.B. zwischen zwei Unternehmen oder Ländern) darf man diese Situationen nicht dem Zufall überlassen. Bevor es zu einem kompletten Stillstand – oder sogar Abbruch – kommt, können gute Verhandlungsführer einiges tun. Sie müssen allerdings die Zeichen rechtzeitig erkennen und das richtige Werkzeug zur Hand haben.

Zeit zu handeln

Es gibt einen Punkt während einer Verhandlung, an dem eine paradoxe Wendung eintritt: je mehr Zeit in die Verhandlung eines bestimmten Aspekts investiert wird, desto weiter entfernen sich die Verhandlungspartner voneinander. Auf beiden Seiten herrscht eine ohnmächtige Haltung. Gleichzeitig wird versucht, den eigenen Machtanspruch durchzusetzen. Das Ziel: der andere muss mir zuerst entgegenkommen. Die eigene Ohnmacht mit Demonstration von Macht zu beseitigen kann nur zu einer Blockade führen.

Außer es sitzt eine besonnene Person am Tisch, die auf diese Situation vorbereitet ist.

Es gibt zwei Situationen, die in Verhandlungen sehr großes Gespür der Verhandlungsführer und -führerinnen benötigen:

  1. Stillstand

Der Stillstand ist lähmend, aber nicht hoffnungslos. Genau darin liegt auch seine Gefahr: oft sind wir bereit, lange im Stillstand zu verharren, weil ja noch Hoffnung besteht. Oder aber wir nehmen unvorteilhafte Zugeständnisse in Kauf. Richtiger wäre es, den Stillstand als solchen zu erkennen, zu benennen und gezielt zu handeln. Das bedeutet z.B. auch, Hinhaltemanöver und leere Versprechungen nicht zu akzeptieren.

  1. Der drohende Abbruch

Ein Abbruch kündigt sich deutlicher an als ein Stillstand. Meist wird der Ton rau, bisweilen sogar aggressiv. Zynismus macht sich breit. Die Bereitschaft zuzuhören ist so gut wie gar nicht mehr vorhanden. Sie wollen eigentlich nur noch eines: weg vom Verhandlungstisch.

Mit den richtigen Werkzeugen sind Sie jetzt im Vorteil: Sie sind nicht hilflos, sondern können überlegt handeln. Damit übernehmen Sie automatisch die Führung. Wenn Sie jetzt auch noch empathisch agieren, haben Sie sogar das Vertrauen aller Beteiligten.

7 Wege um Verhandlungen zu retten

  1. Seien Sie vorbereitet und bereiten Sie andere vor
    Rechnen Sie mit holprigen Strecken und bereiten Sie sich ganz zu Beginn darauf vor. Überlegen Sie sich Maßnahmen, die Sie dann aus Ihrem Werkzeugkoffer holen können. Gruppenarbeit, Einzelgespräche, Pausen, Fragemethoden, Rollenwechsel…. Besprechen Sie diese Maßnahmen vorher. Nun ist es ja leider so, dass wir in Momenten unter Druck unsere Werkzeuge nicht parat haben, einfach nicht dran denken. Das gilt vor allem für neu erlernte Werkzeuge. Sie werden also einen Anker brauchen. Nehmen Sie z.B. ein grelles Post-It und schreiben ein dickes „?“ Das erinnert Sie daran, dass Sie ja ein paar Werkzeuge parat haben. Wenn Sie sich für eines entschieden haben, bitten Sie um eine kurze Pause. Machen Sie klar, dass Sie jetzt eine Zäsur im eigentlichen Prozess setzen und die Behebung des Stillstands im Fokus steht.
  2. Vertrauen wiederherstellen
    Wenn die Totalblockade erreicht ist, sollten sich alle wieder auf die ursprüngliche Vertrauensbasis besinnen. Gab es von Anfang an kein Vertrauen, dann ist es jetzt der Zeitpunkt, das nachzuholen. Versichern Sie sich, dass Sie alle das gleiche Ziel verfolgen.
    Ignorieren Sie nicht, dass sich alle gerade in einer schwierigen Situation befindet. Sprechen Sie das ganz deutlich aus. So können alle erkennen, dass sie gerade ein gemeinsames Gefühl teilen – nämlich einen Mangel an Vertrauen. So komisch das klingt – das verbindet.
  3. Respekt
    Bestehen Sie immer wieder auf einem respektvollen Umgang. Beleidigungen und Schreien sind tabu – das dürfte klar sein. Aber achten Sie auch auf Unterstellungen und Schuldzuweisungen. Auch Unterbrechungen sollten nicht toleriert werden. Benennen Sie, was Sie wahrnehmen und beharren Sie auf den Grundregeln einer respektvollen Gesprächsführung. Legen Sie vorher fest, was darunter fällt. Haben Sie ein besonderes Augenmerk auf das Verhalten gegenüber den weiblichen Teammitgliedern. Männer verniedlichen z.B. gerne das was Frauen beitragen „Das ist ja ganz nett, aber…“; „Das haben Sie aber hübsch ausgearbeitet“. So werden Beleidigungen als Komplimente verpackt. Auch wenn es schwer fällt: Sprechen Sie es an. Ganz besonders als Mann sollten Sie sich Ihrer Vorbildfunktion entsprechend verhalten und ganz klare Grenzen ziehen.
  4. Wer reden will, muss zuhören
    Wer an der Reihe ist, sollte sich der vollen Aufmerksamkeit der anderen sicher sein können. Mindestens aber der der Teamleitung. Machen Sie sich mit den Grundsätzen des aktiven Zuhörens So schaffen Sie die beste Basis dafür, dass auch der andere bereit ist, aufmerksam zuzuhören.

Geht es um einen team-internen Prozess, der ins Stocken geraten ist, sind auch die folgenden  Maßnahmen hilfreich:

  1. Ins Rampenlicht
    Gibt es vor allem zwischen zwei Personen im Team ein ständiges Hin und Her? Dann ist es eine gute Idee eine dritte Person dazwischen zu schalten. Sprechen Sie andere Kollegen/Kolleginnen an und bitten Sie um deren Einschätzung und Ideen.
  2. Raus mit der Sprache
    Jetzt ist vielleicht der Zeitpunkt, an dem alle Beteiligten ungefiltert ihre Gedanken wiedergeben dürfen. Notieren Sie alles sichtbar für alle. So können sich alle sicher fühlen, dass ihre Gedanken nicht verloren gehen. Zudem können so neue Verbindungen entstehen: Der Gedanke von Kollegin Hausner, bringt Kollege Wildmaier auf eine Idee. Teammitglieder, die sich vorher vehement widersprochen haben, können so plötzlich Gemeinsamkeiten entdecken.
  3. Keine Abstimmung
    Es ist in verfahrenen Situationen nur zu verständlich, wenn man zur Abstimmung greift. Die ist schnell erledigt und eine Lösung scheint somit erreicht. Trotzdem: eine Abstimmung lässt einen Teil des Team als Verlierer zurück. Dieser Teil hat ab jetzt keinen inneren Antrieb mehr für das Projekt zu arbeiten. Im schlimmsten Fall wird sogar eher Energie in die Verhinderung des Fortschritts gesteckt. Schlecht fürs Projekt und schlecht für die Atmosphäre im Team. Gehen Sie lieber nochmal einen Schritt zurück und arbeiten an den Gemeinsamkeiten. Ihr Ziel sollte ein Konsens sein – kein Kompromiss und schon gar keine Spaltung in Verlierer und Gewinner.

Auf eine Maßnahme möchte ich ganz besonders ausführlich eingehen: die Pause. Ich halte die Pause für besonders effektiv, um einen drohenden Abbruch zu verhindern. Allerdings muss sie gezielt eingesetzt werden. Ein einfacher Aufruf zum Kaffee trinken reicht nicht.

Auszeit – die Macht der Pause

Wenn es in schwierigen Verhandlungen knifflig wird, oder der Ton am Tisch aggressiv wird, muss man als Verhandlungsführer schnell einschreiten. Es braucht ein Werkzeug, dass allen Beteiligten hilft, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. An die einfachste Methode wird dabei viel zu selten gedacht: die Pause.

„Pausen werden ja sowieso gemacht: Kaffeepause, Mittagspause und wieder Kaffeepause. Wozu noch mehr Zeit verschwenden“.

Wird es schwierig, wollen wir schnell aus der Situation raus. Eine Pause würde unser Unwohlsein jedoch nur verlängern. Vielleicht befürchten wir auch, unsicher zu wirken, wenn wir nicht beinhart bleiben.

Aber: Nachdenken ist niemals und in keinem Fall ein Fehler. Gestehen Sie sich und den anderen ruhig zu, dass Sie die neue Situation erstmal bewerten wollen.

Setzen Sie die Pause also ganz bewusst ein und nutzen Sie sie auch bewusst.

Dazu beantworten Sie als Erstes zwei Fragen:

  1. Warum brauchen ich und mein Team jetzt eine Auszeit?
    Wurden Sie oder jemand aus Ihrem Team z.B. verbal attackiert? Werden plötzlich neue Forderungen gestellt? Stimmt die Chemie einfach nicht? Ist jemand in eine Fettnäpfchen getreten? Haben Sie das Gefühl, zu schnell Zugeständnisse gemacht zu haben und fühlen sich jetzt übervorteilt? Egal was es ist, benennen Sie es.
  2. Wie will ich nachher wieder an den Verhandlungstisch treten?
    Möchten Sie vielleicht bestimmte Fragen klären? Möchten Sie das schlechte Verhandlungsklima ansprechen (der rosa Elefant am Tisch, den alle sehen, aber niemand anspricht sorgt für Unsicherheit bei allen)? Möchten Sie nochmal einen Schritt zurück? Wollen Sie eine neue Person mit an den Tisch holen?

Arten der Auszeit

Sie haben verschiedene Möglichkeiten, eine Auszeit zu nehmen. Manche Auszeiten nehmen Sie nur für sich. Sie müssen dafür nicht mal aufstehen.

Mentale Auszeit

Sie stellen für sich im Stillen fest, dass etwas unstimmig ist, atmen bewusst durch und notieren kurz Ihre Eindrücke. Weil Sie sich schnell wieder einklinken wollen, brauchen Sie ein paar Punkte, an denen Sie sich orientieren. Empfehlenswert ist z.B. die APO-Strategie.

Annehmen: Sie nehmen die Situation an, ohne sie oder den Akteur zu bewerten Problembewusstsein: Sie verstehen das problematische Verhalten. Bitte nicht mit „einverstanden sein“ verwechseln.

Offene Frage: Sie stellen eine offene Frage und hören aktiv zu. Damit haben Sie gute Chancen z.B. aggressives Verhalten zu unterbrechen.

Zeitliche und räumliche Auszeit

Wenn die mentale Auszeit nicht hilft, können Sie natürlich auch kurz den Raum verlassen. Sollten Sie eine längere Auszeit für nötig halten, bitten Sie um eine allgemeine Pause. Sprechen Sie ruhig an, warum: Wenn Sie wahrnehmen, dass es hitzig zugeht – sagen Sie es. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Gegenüber verärgert zu haben – sagen Sie es. Zeigen Sie sich empathisch, indem Sie auch das Pausenbedürfnis der anderen wahrnehmen. Sie glauben gar nicht, wie gut der Satz ankommt „Das waren jetzt intensive 2 Stunden für Sie und mich. Ich glaube wir brauchen jetzt alle eine Pause.“

  1. Formulieren Sie was Sie wahrnehmen und begründen Sie so den Wunsch nach einer Pause. Sagen Sie, dass die Pause dazu dient, die Gedanken zu ordnen. Flüchten Sie sich nicht in ein dahingenuscheltes „Kaffeepause“. Bleiben Sie klar. So können alle sehen, dass Sie verstehen, was da gerade vor sich geht.
  2. Ziehen Sie sich – ev. mit Ihrem Team – zurück und besprechen Sie sich. Teilen die anderen Ihre Wahrnehmung? Warum sehen Sie die Verhandlung gefährdet? Welches Ziel möchten Sie nach der Pause erreichen (Nochmals auf Verhandlungskultur einigen? Bestimmte Fragen klären? Nochmal gemeinsames Ziel definieren? Wahrnehmung abgleichen?)
  3. Versierte Verhandler und Verhandlerinnen machen jetzt ein Übung, die sehr viel innere Sicherheit verlangt: sie versetzen sich in die Lage der anderen Seite und verstehen den Grund des Verhaltens. Bauen Sie keinesfalls ein Feinbild auf. Zu Beginn wird Sie das viel Überwindung kosten. Mit der Zeit wird es ein automatisierter Ablauf, den Sie einfach nur in Gang setzen müssen.

Wenn Sie zurück an den Verhandlungstisch gehen, können Sie sicher sein, dass auch Ihr Gegenüber die Zeit genutzt hat. Auf jeden Fall haben Sie Ihre Position als souveränen, professionellen Verhandlungspartner deutlich gemacht.

Autor: Prof. Göran Askeljung

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