In Zeiten enger werdender Fachkräftemärkte sehen sich mehr und mehr Unternehmen mit zwei Problemen konfrontiert: Mit immer größeren Schwierigkeiten, offene Stellen nachzubesetzen und mit steigender Fluktuation. Drei von vier Kündigungen erfolgen heute von Seiten der Mitarbeiter, Tendenz steigend.
Da Fluktuation nicht nur teuer und immer schwieriger zu kompensieren ist, fragen sich viele Unternehmen, wie sie verhindern können, dass noch weitere Mitarbeiter abwandern. Da die meisten von ihnen einmal motiviert angefangen haben, muss sich ihre Einstellung irgendwann nach Arbeitsantritt haben geändert. Einsicht ist von daher der erste Weg zur Mitarbeiterbindung: Nur wenn erkannt wird, wodurch sich die Wege zwischen Mitarbeiter und Unternehmen zu trennen begonnen haben, kann zukünftig etwas geändert werden.
Die Wirkung von Führung zeigt sich erst verzögert
Ein ehemaliger Kollege stellte gerne süffisant fest, dass es sofort auffalle, wenn die Reinigungskräfte einmal einen Tag nicht da sind, dass es aber nicht auffalle, wenn die Führungsriege für eine Woche außer Haus ist. Natürlich liegt der Witz in den unterschiedlichen Planungshorizonten und Wirkungszusammenhängen der beiden Berufsgruppen. Gleichzeitig weist er jedoch auf eine kritische Schwierigkeit von Führung hin: Ob diese gelingt oder nicht, zeigt sich erst verzögert. Durch diese Verzögerung fehlt Führungskräften aber auf neuronaler Ebene ein zentrales Element, um intuitiv zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Aus Fehlern lernt man also nicht immer und so wird, ohne sich darüber bewusst zu sein, schädliches Verhalten wiederholt und der nächste Mitarbeiter vergrault.
Genauso wie Führungskräfte ihre Krankenquoten mitnehmen, nehmen sie auch ihre Fluktuationsquoten mit. Da das Lernen aus Fehlern nicht funktioniert, stellt sich die Frage, wo am effektivsten angesetzt werden kann, um etwas zu verändern. Die Antwort liegt auf der Hand: Was machen Führungskräfte fast den ganzen Tag? Kommunizieren. Die Kommunikationskompetenz der Führungskraft bestimmt also maßgeblich darüber, wie erfolgreich es gelingt,
- die Belegschaft zusammenzuführen und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten.
- gesetzte Strategien umzusetzen.
- Konflikte zwischen Mitarbeitern beizulegen.
- Mitarbeiter für die Beteiligung an Change-Projekten zu gewinnen.
- neue Talente anzuziehen und im Gespräch für sich einzunehmen.
- die Firma in kritischen Situationen überzeugend nach außen zu vertreten.
- eine wertschätzende und agile Firmen-Kultur zu etablieren.
Die Bedeutung einer KLAREN Kommunikation
Da Kommunikation sich zu rund 80% im nonverbalen Bereich abspielt und durch die ihr zugrunde liegende Psychologie geprägt wird, sind es in der Regel eher subtile Einflüsse, die darüber entscheiden, wie gut Führung letztlich tatsächlich gelingt. Dazu kommen gruppendynamische Einflüsse und das oben beschriebene Problem des verzögerten Feedbacks. Ebenso greift weiterhin die alte Kommunikationsregel, dass der Empfänger die Botschaft macht – der Mitarbeiter entscheidet, als wie passend er die Führung empfindet. Erfolgreiche Kommunikation geschieht also nur in den seltensten Fällen aus Zufall, aber glücklicherweise gibt es einige grundlegende Stellschrauben, an denen man ansetzen kann, um sie in gelingende Bahnen zu lenken. Eine davon ist Klarheit.
Klarheit – die entscheidende Stellschraube
Ein treffendes Bonmot lautet, dass jeder Idiot die Dinge kompliziert machen kann, es aber nur dem Weisen gelingt, Kompliziertes einfach zu machen. Unnötige Informationen und Unklarheiten trüben die Kommunikation genauso wie Schmutz im Wasser den Blick auf den Grund eines Sees. Je höher der Grad der Klarheit, desto erfolgreicher also auch die Kommunikation und damit die Führung. Das ist oft leichter gesagt als getan, nicht umsonst steigt in unserer hochverdichteten Welt der Bedarf an Klärungshelfern in Form von Coaches, Beratern bis hin zu Therapeuten, die ihren Klienten helfen, Licht ins Dunkel zu bringen. In Anlehnung an die Themenzentrierte Interaktion von Ruth Cohn sollten Führungskräfte in Bezug auf vier Aspekte Klarheit erlangen, um erfolgreicher zu kommunizieren – und zwar über:
- den allgemeinen, gesellschaftlichen Rahmen
- das organisatorische Umfeld
- die einzelnen Mitarbeiter
- sich selbst
Klarheit über den Rahmen, in dem die Organisation agiert
Wer aktiv im Auge behält, wie sich die Märkte und die Gesellschaft entwickeln und welche Trends sich abzeichnen, kann deren Relevanz in Bezug auf die eigene Organisation und Führungsarbeit besser einordnen. Neben dem Austausch mit Branchenkollegen und Netzwerkpartnern aus angrenzenden Bereichen, kann unterschieden werden, ob es sich beim Rahmen um einen sogenannten roten oder blauen Ozean handelt. Im internationalen Bestseller „Der blaue Ozean als Strategie: Wie man neue Märkte schafft, wo es keine Konkurrenz gibt“ haben die beiden Autoren Chan Kim und Renée Mauborgne unterschiedliche Marktkonstellationen beschrieben, die den Marktteilnehmern übergeordnete Regeln vorgeben. Während rote Ozeane von starker Konkurrenz geprägt sind, zeichnen sich blaue Ozeane durch starke Wachstumsmöglichkeiten aus.
Um potenzielle blaue Märkte zu untersuchen, ist die online abrufbare Megatrend-Map des Zukunftsinstitutes sehr hilfreich: Diese zeigt strukturiert auf, welche großen Trends unsere Gesellschaft jetzt und in den nächsten Jahren prägen werden und welche Märkte dabei entstehen. (https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/die-megatrend-map/) Wichtig dabei ist, nicht einfach auf jeden Zug aufzuspringen. Achtsamkeitsübungen helfen, Ungewissheiten bei Marktentwicklungen auszuhalten und diese wertfrei auf sich wirken zu lassen, um mit der eigenen Intuition und ganzheitlichen Intelligenz in Kontakt zu treten.
Klarheit über das Unternehmen und das organisatorische Umfeld
Neben dem gesellschaftlichen Rahmen prägen der Sinn und Zweck einer Organisation, die Unternehmenskultur und die Strategie, mit der sie ihre Ziele verfolgt, das Miteinander. Der Fondsgründer Dr. Markus Elsässer unterscheidet dabei in seinem Buch „Des klugen Investors Handbuch“ auf einer grundlegenden Ebene zwischen Innovator und Imitator. Während für erstere wichtig ist, das kreative Potenzial ihrer Mitarbeiter freizusetzen, greifen letztere neue Entwicklungen auf und rollen sie im großen Maßstab aus. Die unterschiedliche Ausrichtung wirkt sich natürlich auf die Kommunikation und Führungsphilosophie aus. Apple und Microsoft sind hier zwei klassische Beispiele: Apple als Innovator brachte Neuigkeiten wie die Bedienung des PCs per Mauszeiger zuerst auf den Markt, Microsoft machte sie für Milliarden von Nutzern anwendbar.
Kommunikation wird durch die Struktur geformt, in der sie stattfindet. Neben klassischen Einflussgrößen wie der Unternehmensform und -größe hat der Autor Frederic Laloux (Reinventing Organizations) eine zusätzliche Größe entdeckt, welche die Unternehmenskultur und Kommunikation maßgeblich bestimmt. Laloux bezeichnet diese Größe als das Paradigma, das in einem Unternehmen vorherrscht und die Vorstellung prägt, was eine Organisation überhaupt ist. Aus dem Paradigma ergeben sich unterschiedliche Wege der Entscheidungsfindung und Mitarbeiterführung. Während das moderne Paradigma vieler Unternehmen die Organisation als Maschine versteht, in der die großen Rädchen bestimmen, wie sich die kleinen Rädchen zu drehen haben, versteht das postmoderne Paradigma die Organisation als Familie, in der es zwar ein Oberhaupt gibt, aber jedes Mitglied Mitspracherecht hat. Das evolutionäre Paradigma beschreibt die Organisation als selbstorganisierten lebenden Organismus, der nicht durch eine zentrale Instanz gesteuert werden kann, sondern in dem jedes Organ und Teil des Systems am besten weiß, was es an seiner Position zu tun hat, um Veränderungen bestmöglich zu begegnen. So kann in komplexen Umfeldern agiler gehandelt werden, während die Motivation der Mitarbeiter durch das höhere Maß an Eigenverantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten steigt.
Neben den beschriebenen Größen umfasst das organisatorische Umfeld auch die Gruppendynamik, die sowohl zwischen den einzelnen Abteilungen und Akteuren einer Organisation als auch innerhalb einzelner Teams wirkt. Hat sich ein klares Rollen-Status Gefüge gefunden? Herrscht eine psychologisch sichere Atmosphäre vor, in der die Mitarbeiter sich frei beteiligen können? Wie passt der Charakter der Gruppe zu den aktuellen und kommenden Herausforderungen der Organisation? Wie gut passen einzelne Mitarbeiter zur aktuellen Gruppe und stellen sie positive oder negative Außenseiter dar? Wie gut gelingt es, eine hohe Diversität in die Gruppe zu bringen und sie dennoch zusammenzuhalten? Je unterschiedlicher eine Gruppe ist, desto größer ist ihr kreatives Potenzial, desto höher sind aber auch die Anforderungen an eine kohärenzstiftende Kraft, welche die Unterschiedlichkeiten ausgleicht und verhindert, dass die Gruppe auseinanderfällt. Ein Warum-Workshop, in dem die Gruppe den Sinn der gemeinsamen Arbeit entdeckt, oder eine Zukunftswerkstatt, in der eine gemeinsame Vision für die Zukunft entwickelt wird, führt ein Team zusammen, stärkt es und erhöht die Bindung der einzelnen Mitarbeiter an Gruppe und Unternehmen.
Klarheit über den einzelnen Mitarbeiter
Wie beschrieben macht der Empfänger die Botschaft. Gut gemeint ist aus seiner Sicht aber leider nicht immer gut gemacht! Und was bringt die beste Absicht, wenn Inhalte missverstanden werden und der Mitarbeiter dem Unternehmen deshalb den Rücken kehrt? Im Fokus stehen also Fragen nach den Bedürfnissen, Motiven, Werten und Zielen der Mitarbeiter. In welcher Lebensphase befindet sich dieser, was sind die Herausforderungen, denen er sich gerade zu stellen hat? Darüber hinaus sollten Führungskräfte sich bemühen, die Ängste ihrer Mitarbeiter zu verstehen, denn auf der psychologischen Ebene hängt das zugeschriebene Charisma und damit die Bindungsstärke einer Führungskraft davon ab, inwiefern sie in der Lage ist, die Ängste ihrer Mitarbeiter zu kompensieren und aufzulösen.
Auf einer grundlegenden Ebene lassen sich dabei vier Ängste unterscheiden, die zu unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter und damit zu verschiedenen Kompensationsaufträgen für die Führungskraft führen. Die Angst eines Mitarbeiters vor Einsamkeit geht einher mit einer hohen Beziehungsorientierung und kann kompensiert werden, wenn der Zusammenhalt der Gruppe sowie Nähe und Harmonie zwischen den Mitarbeitern angestrebt werden. Die Angst vor fehlender Individualität und Bedeutung führt zu Autonomieorientierung und lässt sich durch Anerkennung und der Schaffung von Möglichkeiten der selbstbestimmten Arbeit ausgleichen. Mitarbeiter, die Angst vor Orientierungslosigkeit und Unbestimmtheit empfinden, entwickeln eine hohe Balanceorientierung und benötigen Ordnung, Sicherheit, klare Regeln und Zuverlässigkeit. Mitarbeiter, die dagegen zur Angst vor Gleichförmigkeit und Monotonie neigen, entwickeln eine hohe Stimulanzorientierung, der mit Abwechslung, Flexibilität und Spontanität passend begegnet werden kann. Natürlich gibt es Mischtypen und verschiedene Ausprägungen, aber in der Regel lässt sich eine dominante Strömung identifizieren und berücksichtigen.
Über die beschriebenen Aspekte hinaus führt am Thema Wertschätzung kein Weg vorbei: Eine Boston-Consulting-Studie mit global über 360.000 Teilnehmern belegte 2018 (https://www.bcg.com/publications/2018/decoding-global-talent), dass die Wertschätzung der eigenen Arbeit im D-A-CH Raum auf Platz 1 der Mitarbeiterbedürfnisse steht. Wie eine Studie der Initiative Kraftwerk Anerkennung, Prof. Dr. Reinhard Haller zitiert sie in seinem Bestseller „Das Wunder der Wertschätzung“ auf S. 181, zeigt, gibt es dabei erhebliche Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung (https://karrierebibel.de/wp-content/uploads/2014/04/KW-A_Ergebnisse_Umfrage_Anerkennung.pdf). Zwar waren 81% der Führungskräfte der Ansicht, sie gäben häufig Anerkennung, dem standen jedoch 60% der befragten Mitarbeiter entgegen, die die Wertschätzungsbereitschaft ihrer Führungskraft als sehr mäßig beurteilten. Die Folgen sind kaum zu kompensieren: Mangelnde Anerkennung führt bei 97,5% der Mitarbeiter zu sinkender Einsatzbereitschaft, bei 94% zu nachlassender Identifikation mit dem Unternehmen und bei 92% zur Gefahr einer erhöhten inneren Kündigung.
Klarheit über sich selbst
Neben den äußeren Einflüssen und den Gesprächspartnern braucht es immer noch zwei zum Tango. Damit steht und fällt das Gelingen der Kommunikation mit der Klarheit, die die Führungskraft über sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, Werte und Ziele hat. Welche Motive und Glaubenssätze prägen das eigene Selbstverständnis, wie wird die eigene Rolle definiert, und wie groß ist die Bereitschaft, die damit verbundenen Erwartungen zu erfüllen? Wie priorisiert die Führungskraft die verschiedenen Anspruchshalter, sowohl aus dem beruflichen als auch aus dem privaten Umfeld? In Bezug auf einzelne Mitarbeiter steht stets die Frage nach der Beziehung im Raum. Gerade bei schwierigen Mitarbeitern hilft es, diese einmal schriftlich für sich zu beantworten.
Bei schwierigen Mitarbeitern hat man teilweise den Eindruck, sie kämen von einem anderen Stern. Wie eine Nextpractice-Studie des BMAS zeigt, leben wir bei der Arbeit tatsächlich in sieben verschiedenen Wertewelten, die sich auf unsere Einstellung und unser Verhalten auswirken: Während 29% der Mitarbeiter einfach nur sorgenfrei von der Arbeit leben wollen, ist das Ziel von rund 15%, durch ihre Arbeit Wohlstand zu erreichen. 13% ist Work-Life-Balance wichtig und eine ebenso große Gruppe sucht den Sinn außerhalb der Arbeit. 11% wollen engagiert Höchstleistung erbringen, während bei weiteren 10% bei der Arbeit die Selbstverwirklichung im Mittelpunkt steht. Den letzten 9% ist es wichtig, in einer starken Solidargemeinschaft zu arbeiten. (https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-studie-wertewelten-a40.html)
Es liegt auf der Hand, dass eine Führungskraft, die engagiert Höchstleistung erzielen will, nur wenige Berührungspunkte mit einem Mitarbeiter hat, dessen Priorität auf der Work-Life-Balance liegt. Trösten sollte, dass es dem Mitarbeiter genauso geht. Zumindest gibt es ein verbindendes Thema! Mit dieser Klarheit kann in den Dialog getreten werden, um herauszufinden, welche Potenziale sich daraus ergeben und welche Erwartungen aneinander gestellt werden.
Mit verschiedenen Werte- und Zielübungen lassen sich der eigene Bezugsrahmen erweitern und die eigene Klarheit erhöhen. Auf der Seite des Nextpractice Institutes kann beispielsweise ein kostenloser Selbsttest zum Wertcheck „Arbeiten 4.0“ (https://www.nextpractice.de/arbeiten-4-0/) durchgeführt werden. Eine weitere Möglichkeit, um mehr Klarheit über die eigenen Glaubenssätze zu gewinnen, bietet ein Selbsttest zu den inneren Antreibern der Transaktionsanalyse (https://www.transaktionsanalyse-online.de/antreiber-test/). Wer mit einem Coach zusammenarbeitet, sollte mit ihm bei schwierigen Themen ein inneres Team erstellen: Seit Schulz von Thun diese Methode vor rund 30 Jahren zur Klärungshilfe entwickelt hat, hat sie sich bewährt.
Fazit: In Zeiten des Fachkräftemangels bildet die Kommunikationskompetenz der Führungskraft einen kritischen Faktor für die Zufriedenheit der Mitarbeiter und deren Bindung ans eigene Unternehmen. Neben der Notwendigkeit erhöhter Wertschätzung bestimmt die Klarheit der Führungskraft, wie gut Kommunikation und damit letztlich Führung gelingt.
Über den Autor:
Christian Bernhardt ist Hochschuldozent für nonverbale Kommunikation, Kommunikationspsychologie und Kommunikation im digitalen Raum. Der Fachbuchautor hält Vorträge und Hybrid-Trainings zu den Themen Recruiting sowie Wertschätzende Kommunikationskultur und berät dazu Unternehmen in Deutschland und der Schweiz.