Führungskräfte unterschätzen bei Veränderungsprojekten oft, wie schwer es ihren Mitarbeitern fällt, Gewohnheiten aufzugeben. Deshalb erwarten sie von ihnen Verhaltensweisen, zu denen diese noch nicht fähig sind. Und sie gewähren ihnen die nötige Unterstützung nicht.
Vielen Unternehmen fällt es schwer, Veränderungsprozesse in ihrer Organisation so zu gestalten, dass der erhoffte Nutzen für die Kunden, Mitarbeiter und Eigner entsteht. Das belegen zahlreiche Studien. Eine zentrale Ursache hierfür ist: Beim Planen und Durchführen von Changeprojekten beachten die Verantwortlichen oft nicht, dass sich in der Struktur sowie den Abläufen und Prozessen eines Unternehmens auch dessen Kultur widerspiegelt. Deshalb können diese vier Faktoren nicht losgelöst voneinander betrachtet und verändert werden.
Genau das wird aber häufig (unbewusst) versucht. Das heißt, die Aufmerksamkeit des Managements fokussiert sich auf ein, zwei der genannten Aspekte, während die anderen vernachlässigt werden.
Die vier Phasen eines Veränderungsprozesses
Ein weiteres Manko vieler Changeprojekte ist: Den Verantwortlichen ist nicht ausreichend bewusst, dass personale und organisationale Veränderungen meist das Resultat eines langwierigen Prozesses sind, bei dem man vier Phasen unterscheiden kann:
Phase 1: Verleugnung/Ablehnung. Werden die geplanten Änderungen publik, macht sich bei den Betroffenen meist Unruhe breit. Gerüchte kursieren und Hoffnungen sowie Befürchtungen werden geäußert, doch nur wenige Betroffene können sich schon auf die neue Zukunftsvision einlassen. Sie artikulieren vielmehr Ärger und Wut.
Phase 2: Widerstand. Nach dem ersten Schreck zeigen die Betroffenen oft Abwehrreaktionen – nicht nur in Form von (Arbeits-)Verweigerung, sondern zuweilen auch Mehrarbeit. Denn die Mitarbeiter wollenzeigen: „Die Veränderung ist nicht nötig. Es geht auch so.“ Zugleich führen sie zahlreiche Argumente ins Feld, warum die geplante Veränderung nicht zielführend ist. Entsprechend wichtig ist es, den Betroffenen nun zu vermitteln, dass der Wandel notwendig und unausweichlich ist.
Phase 3: Entdecken. Erkennen die Mitarbeiter „Es gibt kein Zurück“, akzeptieren sie die Veränderung allmählich – rational. Das heißt, sie trauern zwar noch dem Verlust des Alten nach, fragen sie sich aber zugleich: Was bedeutet der Wandel für mich? Welche Herausforderungen kommen auf mich zu? Kann ich sie bewältigen und, wenn ja, wie? Das können die Betroffenen in dieser Phase meist noch nicht einschätzen. Deshalb gilt es nun, die Betroffenen beim Aushalten dieses Zustands der Ungewissheit zu unterstützen und das Alte angemessen zu würdigen, damit die Mitarbeiter das Neue mit der Zeit auch emotional akzeptieren.
Phase 4: Commitment. Erst nachdem die erforderliche Trauerarbeit geleistet ist, können die Betroffenen den Blick in Richtung Zukunft wenden. Nun gilt es, ihre Neugier zu wecken und ihnen das erforderliche Wissen und Können zum Umgang mit dem Neuen zu vermitteln. Ermutigung und Geduld sind nun hilfreich sowie Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch. So entwickelt sich das Neue allmählich zur Normalität, zumal erste (Lern-)Erfolge Selbstvertrauen schaffen. Die Leistung des Systems steigt nun allmählich über das ursprüngliche Niveau.
Die (Projekt-)Verantwortlichen in Unternehmen unterschätzen oft, wie viel Zeit und Energie es seitens der Mitarbeiter erfordert, sich von vertrauten Strukturen und Verhaltensmustern zu verabschieden – schließlich vermitteln sie ihnen Sicherheit. Außerdem fußt auf ihnen ihr berufliches Selbstbewusstsein. Deshalb fordern die Verantwortlichen von den Mitarbeitern zuweilen ein Verhalten, zu dem diese noch nicht fähig sind. Und sie organisieren nicht die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen für ihr Team.
Sich als Führungskraft situationsgerecht verhalten
Wenn Führungskräfte Veränderungsprozesse auf der personalen Ebene gezielt steuern möchten, sollten sie sich zunächst fragen: In welcher Phase befindet sich der Mitarbeiter (beziehungsweise die Mitarbeitergruppe)? Danach sollten sie sich fragen, welche Unterstützung seitens ihrer Führung der Mitarbeiter braucht? Aufgrund der Antworten können sie sich für Interventionen entscheiden. Nachfolgend einige Beispiele für mögliche Interventionen der Führungskräfte in den vier Phasen einer persönlichen Veränderung.
Phase 1: Ablehnung
- die Mitarbeiter reden lassen und zur Reflexion anregen
- durch Fragen und Erkundungen die Ablehnung reduzieren
- Foren für das „Jammern und Klagen“ schaffen
- den Schock bearbeiten
- Verständnis und Mitgefühl zeigen (aber sich nicht gegen „die da oben“ verbünden)
- Worst-case-Szenarien entwickeln („Was passiert, wenn wir nichts tun?“)
- Informationen geben (Was geschieht wann warum …)
- Konfrontation („Ja, die Veränderung wird kommen.“; „Es geht nicht weiter wie bisher.“)
- ehrlich sein
Phase 2: Widerstand
- erkunden, was hinter den Reaktionen steckt (Zum Beispiel der Angst)
- Hypothesen bilden und äußern
- Unterstützung anbieten (Was können Sie selbst tun? Was kann ich für Sie tun?)
- Sicherheit geben, Angst reduzieren
- konstruktives Denken anregen (Was ist Ihr Ziel als Mitarbeiter? Ist dieses Ziel mit Ihrem aktuellen Verhalten erreichbar? Was gewinnen Sie durch die Veränderung, was geben Sie auf?)
- Informationen geben (Ziel, Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit der Veränderung)
- Bewahrung und Veränderung würdigen (Was spricht dafür, was dagegen?)
- als letztes Mittel: Konfrontation mit den Konsequenzen, Disziplinierung
Phase 3: Entdecken
- Perspektiven und Chancen aufzeigen
- Verbesserungspotenziale identifizieren
- Entwicklungsmaßnahmen einleiten, Aufgeschlossenheit erhalten
- Mitarbeiter unterstützen und Hilfe organisieren
- Informationen geben (Statusberichte, Teilerfolge kommunizieren)
- Leistungssteigerungen anerkennen
Phase 4: (Neues) Commitment
- Entwicklungs- und Leistungsziele vereinbaren
- Wissensmanagement (Erfolgsfaktoren und Fehler für andere Projekte nutzen)
- Kooperation in der Gruppe stärken
- Lob/Anerkennung („Gut so“, „Weiter so“; unerwartete Belohnungen)
- Informationen geben (Erfolge, Erfahrungen)
- Fördermaßnahmen einleiten
Die Komfortzone verlassen
Vielen Mitarbeitern gelingt es ohne eine Unterstützung seitens ihrer Führung nicht, den beschriebenen Veränderungsprozess zu durchlaufen. Sie bleiben in einer der ersten drei Phasen stecken. Denn die Mitarbeiter halten sich im Tagesgeschäft vorwiegend in der „Komfortzone“ auf. Sie tun also bevorzugt das, was sie (in ihren Augen) gut können und worin sie Routine haben. Bei Veränderungen müssen sie aber oft ihre Komfortzone verlassen und sich in die „Stretchzone“ begeben – also Dinge tun, die sie (so) noch nicht getan haben, aber tun oder erlernen könnten. Eigeninitiativ machen dies die meisten Mitarbeiter nicht oder nur in einem begrenzten Umfang. Deshalb müssen Führungskräfte in Veränderungsprozessen immer wieder an ihre Mitarbeiter appellieren: „Raus aus der Komfortzone – rein in die Stretchzone!“ Sie sollten zugleich aber vermeiden, dass diese in die „Panikzone“ geraten, weil sie sich überfordert fühlen oder überfordert sind.
Abhängig davon, in welcher Zone sich ein Mitarbeiter befindet und wohin er „bewegt“ werden soll, sind folgende Führungsinterventionen möglich:
Komfortzone è Stretchzone: Konfrontieren, Aktionen planen, Szenarien entwickeln, Aufgaben verändern, anspruchsvollere Ziele setzen, an Entscheidungen beteiligen, am Veränderungsprozess mitwirken lassen
Panikzone è Stretchzone: Ängste ernst nehmen, Sicherheit geben, bisherige Erfolge würdigen, Zukunftsszenarien entwickeln, Alternativen durchspielen, Perspektiven verändern
Die Beobachter ins Boot holen
Bei organisationalen Veränderungen gibt es neben Mitarbeitern, die den Wandel sofort begrüßen oder ablehnen, stets solche, die ihm eher neutral gegenüber stehen: die sogenannten „Fence-Sitter“, also Beobachter am Zaun. Häufig ist die Verteilung wie folgt:
- 20 Prozent „Veränderer“ – also Befürworter, die froh sind, wenn es endlich losgeht,
- 60 Prozent „Fence-Sitter“ – also Unentschlossene, die „neutral“ abwarten, auf welche Seite sie sich schlagen,
- 20 Prozent „Bewahrer“ – also Gegner der Veränderungen, die oft aktiv an deren Verhinderung arbeiten.
Führungskräfte fokussieren ihre Aktivitäten bei anstehenden Veränderungen meist auf die Bewahrer, also die Gegner der Veränderung. Sie versuchen diese zu überzeugen und zu überreden – mit den unterschiedlichsten Methoden. Zielführender wäre es, sich auf die Unentschlossenen zu konzentrieren. Denn sie bilden die Mehrheit und sind am leichtesten in ihrer Haltung zu beeinflussen – zum Beispiel, indem man sie in Kontakt mit den Befürwortern bringt.
Über den Autor:
Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer der international agierenden Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (D), für die weltweit 450 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten