Wie verarbeiten und bewältigen Menschen Veränderungen? Das wissen die (operativen) Führungskräfte von (Dienstleistungs-)Unternehmen meist nicht. Deshalb fällt es ihnen schwer, ihren Mitarbeitern in Veränderungsprojekten die erforderliche Unterstützung zu gewähren.
Den Service verbessern, die Bearbeitungszeiten verkürzen, die Produktivität steigern und den Ertrag (wieder) erhöhen. Vor diesen Herausforderungen stehen heute fast alle Dienstleistungsunternehmen – unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Finanz-, Gesundheits- oder Industriedienstleister handelt. Denn ihr Markt ist weitgehend gesättigt und entsprechend scharf ist der (Verdrängungs-)Wettbewerb.
Entsprechend viele Veränderungs- beziehungsweise Changeprojekte laufen heute in den meisten Dienstleistungsunternehmen – oft parallel. Deshalb haben die Verantwortlichen schon viel Erfahrung mit dem Managen solcher Projekte gesammelt. Trotzdem werden bei Projekten oft nicht die gewünschten Wirkungen erzielt – primär aus folgenden Gründen:
Den Verantwortlichen ist häufig nicht ausreichend bewusst, dass sich die initiierten Veränderungen nicht nur auf die Bereiche auswirken, in denen die Abläufe, Prozesse und Strukturen geändert werden. Sie wirken meist breiter. Deshalb treten oft Widerstände in Bereichen auf, die sie nicht im Fokus haben.
Die Verantwortlichen reflektieren bei strategischen Veränderungen im Vorfeld oft nicht ausreichend die Auswirkungen auf die Struktur und Kultur des Unternehmens. Sie übersehen, dass in jeder Organisation die Dimensionen Strategie, Struktur und Kultur wie Zahnräder ineinander greifen müssen. Sonst arbeitet das System mit reduzierter Kraft.
Operative Führungskräfte spielen Schlüsselrolle
Die meisten Dienstleistungsunternehmen steuern heute Veränderungsprozesse auf der strukturellen Ebene routiniert. Den Umgang mit deren Auswirkungen auf der kulturellen Ebene betrachten die Verantwortlichen aber oft als lokale Führungsaufgabe – also zum Beispiel als Aufgabe der Team- und Abteilungsleiter auf der Bereichsebene oder der Leiter der Niederlassungen und Filialen. Teilweise zu Recht! Denn in der Regel informiert die Unternehmensspitze die Belegschaft eher allgemein über die angestrebten Veränderungen. Die Führungskräfte vor Ort hingegen müssen ihren Mitarbeitern im Dialog vermitteln, warum diese nötig sind und was diese für ihren Arbeitsalltag bedeuten. Außerdem müssen sie ihren Mitarbeitern das Gefühl vermitteln, dass die Veränderung möglich ist, und diese beim Entwickeln neuer Denk- und Verhaltensmuster begleiten. Also haben die operativen Führungskräfte eine Schlüsselrolle für den Erfolg von Changeprojekten.
Vielfach wird in Dienstleistungsunternehmen der Umgang mit den Auswirkungen der Veränderungen aber nicht nur als lokale Führungsaufgabe betrachtet, sondern auch bagatellisiert. Das heißt, gemäß der Maxime „Die machen das schon“ wird beim Planen der Projekte nicht mitbedacht:
- Wie bereiten wir die Führungskräfte auf diese Aufgabe vor und
- wie unterstützen wir sie hierbei?
Somit sieht das Projektdesign zum Beispiel auch keine Veranstaltungen vor, bei denen die Führungskräfte vorab darüber informiert werden:
- Was ist geplant?
- Was kommt auf uns zu?
- Mit welchen Reaktionen müssen wir als Führungskräfte aufgrund der geplanten Veränderungen sowie unserer Kultur und Mitarbeiterstruktur rechnen? Und:
- Wie sollten wir darauf reagieren?
Die Folge: Die Führungskräfte sind rat- und hilflos, wenn die Mitarbeiter sie nach der offiziellen Ankündigung der Veränderungen mit Fragen bestürmen und mit ihren Ängsten und Bedenken konfrontieren.
Außerdem sieht das Projektdesign zum Beispiel keine kollegialen Beratungsgruppen vor, in denen sich die Führungskräfte im Verlauf des Projektes über ihre Erfahrungen austauschen. Die Folge:
Die Führungskräfte haben oft das Gefühl „Nur ich kämpfe mit dem Problem …“, obwohl ihre Kollegen vor derselben Herausforderung stehen. Und:
Erfolgreiche Lösungsansätze auf der Abteilungs- oder Filialebene werden im Kollegenkreis nicht kommuniziert.
Operative Führungskräfte (mental) unterstützen
Da solche Unterstützungsmaßnahmen fehlen, fühlen sich die operativen Führungskräfte oft im Stich gelassen. Also entwickeln sie selbst Widerstände gegen das Projekt – auch weil sie sich überfordert fühlen. Zu Recht! Denn wenn sie nicht wissen, wie Veränderungsprozesse verlaufen, können sie auch nicht einschätzen, welche Reaktionen zu erwarten sind. Und schon gar nicht können sie adäquat reagieren, wenn ihre Mitarbeiter das entsprechende Verhalten zeigen.
Folglich ist es wichtig, im Vorfeld von Veränderungsprozessen, den Führungskräften zu vermitteln,
- wie solche Prozesse in der Regel ablaufen,
- welche Verhaltensmuster Mitarbeiter in den sieben Phasen eines Veränderungsprozesses meist zeigen und
- welches Führungsverhalten in ihnen zielführend ist.
Welches Verhalten ist wann angesagt?
Die sieben typischen Phasen eines Veränderungsprozesses lassen sich wie folgt kurz beschreiben:
Phase 1: Erste Gerüchte über die geplanten Veränderungen verursachen Unruhe und Sorge in der Organisation – noch bevor diese offiziell verkündet wurden. In dieser Phase ist es wichtig, als Führungskraft mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen beziehungsweise mit ihnen im Gespräch zu bleiben und Spielregeln für den Umgang mit der unklaren Situation zu vereinbaren.
Phase 2: Mit der offiziellen Bekanntgabe zum Beispiel der geplanten Umstrukturierung wird die Notwendigkeit der Veränderung definitiv. Hoffnungen und Befürchtungen werden geäußert, doch noch kaum jemand ist in der Lage, sich auf die neuen Zukunftsvisionen einzulassen. Zuhören, Informieren und Verständnis zeigen sind, nun gefragt.
Phase 3: Nach dem ersten Schreck zeigen die Betroffenen Ärger und Wut. Die Folge sind Abwehrreaktionen, die zuweilen sogar zu mehr Produktivität führen. Denn die Mitarbeiter wollen zeigen: „Die Veränderung ist nicht nötig. Es geht auch so.“ Jetzt gilt es ihnen zu vermitteln, dass der Wandel trotzdem notwendig und unausweichlich ist.
Phase 4: Ist die Veränderung rational akzeptiert, setzen sich die betroffenen Mitarbeiter damit persönlich auseinander: Was bedeutet die geplante Veränderung für mich? Welche Herausforderungen kommen auf mich zu? Kann ich sie bewältigen und wenn ja wie? Dies können die Betroffenen in dieser Phase meist noch nicht genau einschätzen. Deshalb gilt es jetzt, die Betroffenen beim Aushalten dieses Zustands der Ungewissheit zu unterstützen.
Phase 5: Der Tiefpunkt ist erreicht, wenn den Betroffenen klar wird: Es gibt kein Zurück. Damit das Neue auch emotional akzeptiert wird, ist es wichtig, das Alte zu würdigen. Die Mitarbeiter brauchen Zeit und einen Raum für ihre Trauer und das Abschiednehmen – zum Beispiel in Workshops und Einzelgesprächen.
Phase 6: Erst nachdem dieser Prozess vollzogen ist, richtet sich die Energie auf das Neue. Nun gilt es, Neugier zu wecken und den Mitarbeitern das erforderliche Wissen und Können zum Umgang mit dem Neuen zu vermitteln. Ermutigung und Geduld sind nun hilfreich; ebenso Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch.
Phase 7: Das Neue wird allmählich zur Normalität und erste Lernerfolge schaffen Selbstvertrauen. Die Folge: Die Leistung des Systems steigt über das ursprüngliche Niveau. Nun gilt es, den Prozess zu bewerten: Was lief nicht so gut? Was hat sich bewährt? Aus diesen Erfahrungen kann und sollte jeder Einzelne und die Organisation lernen, damit künftige Veränderungen noch besser bewältigt werden.
Wenn die (operativen) Führungskräfte die typischen Phasen eines Veränderungsprozesses kennen, können sie ihre Mitarbeiter besser beim (mentalen) Bewältigen der neuen Herausforderungen unterstützen. Dadurch steigt auch ihr Selbstbewusstsein als Führungskraft. Zudem wächst ihre Fähigkeit, Veränderungsprozesse zu begleiten. Hierdurch erhöht sich wiederum die Kompetenz des Dienstleistungsunternehmens, mit Veränderungen professionell umzugehen. Das zahlt sich bei Folgeprojekten aus.
Über den Autor:
Michael Reichl ist einer der beiden Geschäftsführer des Trainings- und Beratungsunternehmens im-prove, Schwäbisch-Gmünd, das (Dienstleistungs-)Unternehmen bei Changeprojekten unterstützt und Change-Berater und -unterstützer ausbildet.