Das Wiener Modehaus Tlapa schrieb vor vier Jahren negative Zahlen. Deshalb unterzog sich das 1873 gegründete Traditionsunternehmen einer Radikalkur – mit dem Ergebnis, dass es heute in neuem Glanz erstrahlt.
Für viele alteingesessene Familienbetriebe gilt: Der „Patriarch“ an ihrer Spitze prägt nicht nur ihre Kultur. Auch alle Prozesse sind auf ihn zugeschnitten. Und zeigt der Firmeninhaber aufgrund seines fortgeschrittenen Alters in den letzten Jahren seiner „Regentschaft“ nicht mehr den früheren Elan? Dann legt sich über das gesamte Unternehmen eine Art Patina. Die Folge: Das Unternehmen hat zwar weiterhin einen klangvollen Namen, doch dieser speist sich vorwiegend aus der Vergangenheit.
In einer solchen Situation befand sich Anfang 2008 auch das Modehaus Tlapa, Wien, als Norbert Disper dessen Geschäftsführung übernahm. Das Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt bereits einer Stiftung gehörte, schrieb negative Zahlen. Und außer seiner Stammkundschaft war auch seine damals 155-köpfige Belegschaft überaltert. Sie bestand weitgehend aus Mitarbeitern, die seit Jahrzehnten für das Modehaus arbeiteten. Entsprechend groß war ihre Identifikation mit Tlapa. Entsprechend verfestigt waren aber auch viele Routinen. Disper erläutert dies an drei Beispielen.
Beispiel 1: Personaleinsatzplanung. Eine solche gab es praktisch nicht. Zumindest gab es keine Einsatzplanung, die sich daran orientierte: Welche Manpower brauchen wir zu welchem Zeitpunkt im Unternehmen? Entsprechend hoch waren die Personalkosten. Ihr Anteil an den Gesamtkosten lag bei über 35 Prozent – also weit über dem Branchenschnitt.
Beispiel 2: Umgang mit Kunden. Überrascht registrierte der neue Geschäftsführer, dass die Standardformel zum Eröffnen von Kundengesprächen bei den Tlapa-Verkäufern lautet: „Kann ich Ihnen helfen?“ Und noch verdutzter war er, dass honorige Kunden zuweilen mit einem Knicks begrüßt wurden. Das schmeichelte zwar den schon ergrauten Kunden. Bei jüngeren Kunden löste ein so devotes Verkäuferverhalten aber Befremden aus.
Beispiel 3: Beziehung Unternehmensführung-Mitarbeiter. Vom ersten Tag an begrüßte Disper morgens die Mitarbeiter, denen er begegnete, per Handschlag und oft wechselte er mit ihnen einige Worte. Dies führte zu erstaunten Reaktionen wie „Machen Sie das jetzt jeden Tag?“. Denn die Mitarbeiter waren es nicht gewohnt, als Individuen wahrgenommen zu werden. Und noch ungewohnter war für sie, dass ein „Chef“ sie nach ihrer Meinung fragt.
Herausforderung: Den Umsatzrückgang stoppen
Bei Tlapa muss sich ein Kulturwandel vollziehen – das war Disper schnell klar. Zugleich lautete aber eine Vorgabe des Stiftungsvorstands: Das Geschäft darf Ende des Jahres keinen Verlust mehr aufweisen. Entsprechend groß war der Handlungsdruck, unter dem der neue Geschäftsführer stand. Deshalb dachte er: Jetzt gilt es zunächst mal durch Promotions und mithilfe eines auf Zusatzverkäufe abzielenden Verkaufstrainings den Umsatz zu puschen. Zugleich war er aber unsicher: Ist dies in der aktuellen Situation zielführend? Deshalb kontaktierte er die Mittelstandsberatung Nollens, Dessel & Kollegen, Soyen (Oberbayern). Mit deren Geschäftsführer Ulrich Dessel tauschte er sich über diese Frage aus. Beide kamen überein: Ein Verkaufstraining bringt in einer Situation, in der bereits erste betriebsbedingte Kündigungen erfolgten, wenig. Hierfür sind die Mitarbeiter zu verunsichert. Wichtiger ist es, ihnen endlich reinen Wein einzuschenken; des Weiteren, dass Disper für sich ermittelt: Auf welche Führungskräfte kann ich bauen?
Disper und Dessel verständigten sich auf einen mehrstufigen Fahrplan. Zunächst traf sich Disper mit dem Prokuristen und dem Verkaufsleiter zu einem Workshop, in dem er diesen seine Pläne und Erwartungen erläuterte. Ein Ergebnis war: Das Unternehmen trennte sich von dem Verkaufsleiter. Stattdessen wurde Hans Hubert Zwenig als rechte Hand des Geschäftsführers eingestellt. Denn Disper brauchte laut Dessel einen „geistigen Kompagnon, um das System zu ändern. Als Einzelkämpfer hätte ihn dieses geschluckt.“
Herausforderung: die Mitarbeiter ins Boot holen
Danach informierte Disper in einer Betriebsversammlung die Mitarbeiter über die Situation. In einer „Brandrede“ sagte er ihnen: Im Modehaus Tlapa müssen tiefgreifende Veränderungen erfolgen, damit es wieder zukunftsfit wird. Auch ein weiterer Personalabbau ist nötig. Auf diese Information reagierten die Mitarbeiter einerseits mit Wut und Enttäuschung, andererseits waren sie froh, erstmals offen über die Situation informiert zu werden.
Entsprechend wichtig war es nach den Entlassungen, die verbliebenen Mitarbeiter aufzufangen. Das geschah in Workshops, die Ulrich Dessel und sein Geschäftsführerkollege Rainer Nollens moderierten. In ihnen wurde unter anderem herausgearbeitet, dass die Vergangenheit – auch wenn ein großer Modernisierungsbedarf besteht – ein solides Fundament darstellt, um das neue Haus Tlapa aufzubauen. Das Ziel hierbei: die Mitarbeiter als Mitstreiter gewinnen. Nahezu zeitgleich fand ein Workshop der Geschäftsführung mit den Führungskräften statt mit dem Ziel, eine (engere) Beziehung zu ihnen aufzubauen.
Problem: Führungskräfte führen nicht
In den Workshops zeigt sich erneut: In dem Unternehmen werden Konflikte und Probleme unter den Teppich gekehrt statt sie aktiv anzugehen – auch weil viele Führungskräfte zwar gute Fachkräfte, aber keine echten Führungskräfte sind. Keine idealen Voraussetzungen, um die anstehenden Veränderungen geschwind zu meistern. Das wurde der Gesprächsführung zunehmend klar. Als Folge davon machte sich bei ihr Ungeduld breit. Ihre Neigung wuchs, endlich mal auf den Tisch zu hauen. Das erkannten Disper und Zwenig zum Glück rechtzeitig. Deshalb beschlossen sie, sich von Rainer Nollens coachen zu lassen. In den Coachingsitzungen reflektieren sie die Situation und ihr Verhalten. Zudem entwarfen sie Strategien, um mit den Gegenreaktionen umzugehen. „Denn es bringt nichts“, so Disper, „an Grashalmen zu zupfen. Dann wachsen sie auch nicht schneller.“
Im Frühjahr 2009 wurde eine Steuerungsgruppe gegründet, in der die Geschäftsführung, die Bereiche des Unternehmens und der Betriebsrat vertreten waren. Dieses Team sollte fortan das Bindeglied zwischen den Prozessbeteiligten sein und den Veränderungsprozess steuern. Währenddessen kamen immer wieder Gerüchte über weitere Entlassungen auf, was zusätzliche Unruhe produzierte – auch weil ein Teil der Führungsmannschaft zu wenig mit ihren Mitarbeitern kommunizierte.
Führungskräfte und Verkäufer werden geschult
Immer deutlicher zeigte sich: Viele Führungskräfte nehmen ihre Führungsaufgaben nur begrenzt wahr – teils aufgrund mangelnder Eignung oder Erfahrung, teils weil ihnen das Handwerkszeug fehlt. Deshalb wurde der aktuelle Entwicklungsstand der Führungskräfte mit einem Analyseinstrument ermittelt. Außerdem wurden Anforderungsprofile an die Stelleninhaber erstellt. Hierauf aufbauend wurde im August 2009 ein zweijähriges Führungskräfteentwicklungsprogramm gestartet. Dieses bestand aus vier fünftägigen Workshops pro Jahr. In ihnen wurde den Führungskräften das erforderliche Führungs-Know-how vermittelt. Außerdem erprobten sie dessen Anwendung in realen Führungssituationen.
Im September 2009 startete auch ein Trainingsprogramm für die Verkäufer. Hierfür wurden zunächst interne Trainer ausgebildet. Diese sollten ihre Kollegen schulen und zwar wie folgt: Einmal pro Monat schauen sich die Arbeitsteams einen Kurzfilm an, in dem ein verkaufsrelevantes Thema wie „Kundenansprache“ oder „Zusatzverkäufe“ erörtert wird. Danach sprechen die Mitarbeiter darüber, was dieses Thema für Tlapa bedeutet und wie es umgesetzt werden kann, bevor sie schließlich im Folgemonat täglich fünf Minuten beispielsweise die Kundenansprache trainieren – und zwar in Dreierteams. Ein Verkäufer mimt den Kunden, ein zweiter den Verkäufer. Und der Dritte? Er beobachtet das Geschehen und gibt den Kollegen Feedback. Das Ziel dieses Vorgehens: Das Training soll ein Teil des Arbeitsalltags werden. Und durch das regelmäßige Wiederholen soll bei den Verkäufern die erforderliche Verhaltenssicherheit entstehen.
Anfangs wurden in Teilen der Belegschaft Stimmen laut wie: „Erst entlassen sie aus Kostengründen Kollegen, und dann werfen sie das Geld für Trainings raus.“ Doch diese Stimmen wurden immer leiser, unter anderem weil die Belegschaft registrierte: Die Geschäftsführung betreibt kein blindes Costcutting. Sie arbeitet vielmehr gezielt daran, das Modehaus Tlapa zukunftsfit zu machen. Und in dieser Zukunft haben offensichtlich auch wir einen Platz – weshalb das Unternehmen in unsere Weiterbildung investiert. Diese Erkenntnis reifte bei der Belegschaft auch, weil die ergriffenen Maßnahmen erste Erfolge zeigten: Mitte 2009 war der Umsatzrückgang gestoppt, und das Unternehmen schrieb wieder schwarze Zahlen.
Eine Unternehmensvision wird entwickelt
Parallel zu den Umstrukturierungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen arbeitete die Geschäftsführung daran, ein Zukunftsbild für Tlapa zu entwerfen. In regelmäßigen Treffen mit Berater Dessel analysierten Disper und Zwenig die Stärken und Schwächen des Unternehmens, um die Kernkompetenz des Modehauses zu ermitteln. Heraus kam unter anderem: Das Unternehmen Tlapa ist und bleibt ein Modehaus. Außerdem: Es unterscheidet sich traditionell primär dadurch von seinen Mitbewerbern, wie es den persönlichen Kontakt mit den Kunden gestaltet. Des Weiteren: Die Kernzielgruppe von Tlapa sind Männer und Frauen, die mitten im Leben stehen und in der Regel 35 Jahre und älter sind.
Aus diesen Erkenntnissen leitete die Geschäftsführung die Mission „Wir machen Menschen schön“ ab und entwickelte hierauf aufbauend eine Vision sowie ein Leitbild für das Unternehmen. Deren Entwurf wurde im Spätherbst 2010 in Workshops zunächst mit den Führungskräften und dann mit den Mitarbeitern diskutiert. Gewisse Änderungen wurden integriert, bevor die Vision und das Leitbild verabschiedet wurden. Sie dienten fortan als Grundlage für die weiteren strategischen Schritte und Maßnahmen.
Der Auftritt von Tlapa wird modernisiert
So fragten sich die Geschäftsführung und der Steuerungskreis zum Beispiel: Wie muss das Modehaus Tlapa gestaltet sein, damit dies seiner Mission und Vision entspricht? Wie sollten die Schaufenster aussehen? Welchen Ersteindruck müssen die Besucher beim Betreten des Hauses haben? Wie sollte die Ware präsentiert werden? Entsprechend wurden der Innen- und Außenauftritt umgestaltet.
Überarbeitet wurde auch das Marketingkonzept. Unter anderem, weil die Verantwortlichen erkannten: Tlapa ist zwar ein alteingesessenes Unternehmen in Wien. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Wiener das Modehaus kennt und mit ihm ein positives Einkaufserlebnis verbindet. Und schon gar nicht bedeutet es, dass jemand, der zum Einkaufen in die Stadt geht, automatisch bei Tlapa vorbeischaut – zumal das Modehaus nicht in einer 1A-Lage liegt. Deshalb genügt es nicht, wie bisher nur die Stammkundschaft regelmäßig über das, was sich bei Tlapa tut, zu informieren. Das Modehaus muss offensiver am Markt agieren – und einen „Schuss frecher“, wenn es auch eine jüngere Klientel für sich interessieren möchte.
Deshalb schaltet Tlapa nun zum Beispiel Zeitungsanzeigen mit Texten wie: „Mode ist keine Frage des Alters! Inge (64) und Sonja (30) tragen Basler – dressed by Melinda Heiner, TLAPA-Modeberater.“ Dieser Anzeigentext, versehen mit passenden Fotomotiven, zeigt laut Geschäftsführer Disper deutlich, was Tlapa wichtig ist: der Dialog, die Kommunikation mit dem Kunden. Er zeigt aber auch, welche zentrale Rolle die Mitarbeiter für den Erfolg des Unternehmens spielen. Deshalb werden sie auch jetzt noch top-down geschult. Zudem fragen sie sich bei ihren Meetings regelmäßig: Was können wir wie noch besser machen? „Denn Qualität entsteht nicht zufällig“, betont Berater Dessel. „Sie ist das Ergebnis einer systematischen Arbeit und eines Sich-Bemühens Tag für Tag.“
Aufgrund der vielen Maßnahmen hat sich die Kultur von Tlapa radikal gewandelt. Sie zeichnet sich heute laut Einschätzung von Dessel durch eine „offene, direkte und ehrliche Kommunikation“ aus. Und was dem Modehaus wichtig ist: Die Besucher werden wie Gäste behandelt, und die Verkäufer kommunizieren mit ihnen auf Augenhöhe. Das honorieren die Kunden, was die gestiegene Besucherfrequenz und der gestiegene Umsatz beweisen.
Die gesamte Beratung war letztlich sinnlos. Das Geld für Herrn Dessel hätte man sich sparen können. Das Unternehmen Tlapa gibt es nicht mehr.