Nicht umsonst gibt es in der Umgangssprache den Ausspruch „Fühlst du dich nicht gut?“. Wenn wir uns nicht spüren und unsere körperlichen Grenzen nicht direkt wahrnehmen, also keine körperliche Wahrnehmung in diesem Moment verspüren, wird es uns nicht gut gehen. Wie können wir also dafür sorgen, dass in einer Welt in der Bewegung und vor allem das Fühlen an sich nicht im Zentrum der Förderung steht?
Wie kamen die Leute auf die Idee der Bewegungsarbeit?
Die Bewegungsarbeit zielt darauf ab, die Körperwahrnehmung zu schulen und zu fördern. Dieser Gedanke des Körperschemas und dessen Stärkung kam zum ersten Mal in den 1920er Jahren in Europa auf. Bereits in dieser Zeit, wurde an dem Körperbewusstsein und der Korrektur von Haltungsschäden des Regelschulsystems gearbeitet.
Vorreiter in dieser Körperschulung waren zum Beispiel Elsa Gindler, Elfriede Hengstenberg und Heinrich Jacobi. Seit 1970 wurden diese Kurse nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen und die Körperarbeit in Deutschland und Österreich von Walter Plagge wieder ins Leben gerufen.
Das Thema der Bewegung und der Eigenwahrnehmung ist aktuell wie zuvor. Kinder die in Schulbänken, oder auf Sesseln sitzen, zeigen dass auffällige Verhaltensmuster in den Schulpausen aufgeregt herum zu springen, oder hysterisch zu schreien. Alles das sind Beispiele für eine nicht ausgeprägte Körperwahrnehmung und Überreizung. So beginnt bereits in der Schule eine verkrüppelte Körperhaltung und eine zu flache Atmung die mit der Krümmung des Rückens einhergeht. In der Schule werden meistens keine Maßnahmen dagegen ergriffen, außer dass die Kinder im Optimalfall andere Sessel zur Verfügung gestellt bekommen. Jedoch reicht dies nicht um wirklich das Körperbewusstsein zu ändern und den Kindern eine optimale Bewegungsentwicklung zu ermöglichen. Im Turnunterricht geht es im Normalfall um Leistung und um enormen Druck, da es um eine Benotung und eine Bewertung geht. Die meisten Spiele und Ballsportarten werden in diesem Zusammenhang immer mit Leistungsaktivitäten oder Wettkämpfen durchgeführt. Nicht für jedes Kind ist dies jedoch geeignet.
Der Leistungsdruck und das Körperbewusstsein
Viele Kinder entwickeln ein falsches Bild von ihrem eigenen Körper. Sie sehen sich als zu schwach, oder als Versager, da sie nicht in einer bestimmten Zeit beispielsweise ein Seil hinaufklettern konnten. Jedoch sagt diese Aussage mehr über die Art und Weise des Umgangs mit der Bewegung im Unterricht aus als über die tatsächliche Leistung des Kindes. Bereits Elsa Gindler beschrieb in ihren Arbeiten, wie sie sich mit einzelnen Kindern beschäftigte und deren Bewegungen beobachtete. Sie beobachtete einen Buben der ein Seil hinaufklettern musste und dabei komplett verkrampft war. Er konnte nicht atmen und sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot als er sich mit zitternden Armen dazu quälte die gewünschte Leistung zu erbringen. Ihn hatten die Drohungen seines Lehrers dazu gebracht zwar das Seil hinauf zu klettern, jedoch blieben diese Erfahrung als sehr negativ in Erinnerung und diese extreme Anspannung sowie die unterdrückte Atmung wirkten sich negativ auf die Entwicklung seines Körpers aus.
Viele Kinder durchleben seine Situation. Sie werden zu körperlichen Bestleistungen getrieben, ohne dass Rücksicht auf ihre körperliche Entwicklung genommen wird. Nicht für jedes Kind ist Leistung im Sport eine Gelegenheit um sich selbst wahrzunehmen und sich optimal zu entwickeln.
Auch im Erwachsenenalter vergessen die Menschen oft auf ihren Körper zu hören. Eine Überforderung ist damit unausweichlich. Sie hören nicht mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse und das was sie im Moment brauchen, sondern sie lassen sich von Stress und Druck der meistens durch Versagensangst entsteht dazu hinreißen sich selbst mit falscher Bewegung oder zu wenig Bewegung zu schaden.
Wie kann die Bewegungsarbeit umgesetzt werden?
Hier kann die Bewegungsarbeit und Wahrnehmungsarbeit entgegenwirken.
Da das Ziel der Bewegungsarbeit lautet, mit dem richtigen Körperbewusstsein die für den eigenen Körper passenden Bewegungen durchzuführen und bei der Durchführung dieser Bewegungen mit der richtigen Körperspannung zu arbeiten.
In der Bewegungsarbeit wird meistens in Gruppen gearbeitet. Mit Erwachsenen und mit Kindern gleichermaßen können Bewegungsabläufe geschult und optimiert werden.
Um diese Bewegungsabläufe aufzuschlüsseln und an einer einzelnen fehlerhaften, oder nicht passenden Bewegung zu arbeiten, werden Bewegungsparcours aufgebaut.
Ein Parcours kann zum Beispiel aus einer Kiste an die eine schräge montiert ist und darauf folgend eine Leiter mit einem Brett auf dem man hinunterrutschen kann bestehen. Es können danach zum Beispiel Kegel auf dem Boden stehen über diese die arbeitenden steigen können. Diese Parcours können im Robben auf dem Bauch, im krabbeln auf allen vieren, oder im Gehen vollführt werden. In der Arbeit mit den Kindern, können bereits sehr junge Kinder diesen Parcours auf dem Bauch überwinden. Sie werden dann mit der Zeit immer sicherer in ihren Bewegungen und sie entwickeln einen standfesten Umgang mit ihrer Umwelt. Später kommt dann der Bären Gang, welcher heißt, dass das Kind die Beine durch gesteckt hat, jedoch noch die Hände auf dem Boden hat um sich abzustützen.
Damit wird sich seine Bewegung im eigenen Tempo entwickeln und sein Muskelwachstum genau für die benötigten Bewegungen geschult werden.
Bei erwachsenen Menschen wird die Übung meistens aus dem Gehen heraus angefangen. Erwachsene Menschen haben meistens eine Hemmschwelle sich auf dem Boden zu legen, oder auf dem Bauch über Gegenstände zu robben. Genau deswegen wird zuerst das Gehen bearbeitet, dass der erwachsene Mensch am meisten für den Alltag benötigt. Hier können viele Probleme bereits an der Körperhaltung und an der Art wie Hindernisse überwunden werden, erkannt werden.
Wenn der Parcours im gehen bewältigt wurde und mehrfach durchlaufen wurde, werden erst andere Formen der Fortbewegung durchlebt. Es wird im Sitzen gearbeitet, welches bei der falschen Ausführung zu vielen Haltungsschäden führen kann. Deswegen ist es umso wichtiger an der richtigen Rückenhaltung und an der Position der Beine zu arbeiten. Es wird ausprobiert welche Möglichkeiten es gibt einen Sessel für sich im Sitzen bequemer zu gestalten. Auch wird beobachtet welche Sitzmöglichkeiten für die jeweilige Person am besten geeignet sind. Es wird experimentiert und ausprobiert wie sie sich am besten fühlen.
Die nächste Stufe ist das Liegen und das Robben auf dem Bauch. Viele Erwachsene haben Scheu davor sich auf dem Boden zu bewegen. Oft kommen genau an dieser Stelle viele Kindheitserinnerungen hoch und können im Rahmen der Gruppe bearbeitet werden. Die Teilnehmer an der Parcoursarbeit können die Hindernisse mit verschiedenen Oberflächen wieder neu wahrnehmen und bewältigen.
So können Bewegungsabläufe und die Wahrnehmung des eigenen Körpers in der Durchführung von Bewegungen gefestigt werden.
Auch das Thema der Atemübungen und der Entspannung wird in der Bewegungsarbeit bearbeitet. Es ist sehr wichtig neben der Bewegung auch die optimale Entspannung für die einzelne Person zu bieten. Die Teilnehmenden Personen sollen erfahren und lernen wie sie sich selbst die optimale Arbeitsumgebung und Bewegungsumgebung schaffen können. So ist es genauso wichtig auf das Ruhebedürfnis des Körpers zu achten wie auf den Bewegungsantrieb.
Die Umsetzung im Alltag
Die Geräte die für diese Zwecke zur Verfügung gestellt werden, können mit Haushaltsgegenständen nachgebaut werden. So können die Arbeiten am Parcours auch im privaten Bereich einfach in zum Beispiel einem Wohnzimmer durchgeführt werden.
Auch in Kindergärten und Kindergruppen kann diese Arbeit einfach umgesetzt werden, indem für einen bestimmten Zeitraum Sessel und Tische dafür genutzt werden einen Bewegungsparcours nachzustellen. Somit können Kinder auch ohne einen großen Bewegungsraum in der Genuss dieser Arbeit gelangen.
Die Entspannungsübungen können jederzeit durchgeführt werden. Zum Beispiel Atemübungen können gegen Asthma, oder in Stresssituationen sofort eingesetzt werden. Dies kann Erwachsenen wie Kindern die Arbeit und das Leben erleichtern.
Die Bewegungsarbeit in Unternehmen
Auf eine andere Weise an Probleme herangehen und zu lernen dass Hindernisse auf verschiedene Arten und Weisen bewältigt werden können machen die Bewegungsarbeit auch für Betriebe sehr interessant. Die Bewegungsarbeit kann als innerbetriebliche Gesundheitsvorsorge, oder als Training für Manager angesetzt werden.
Durch die einfache, und tägliche Umsetzung der Übungen kommt es zu weniger Krankenständen und zu motivierten ArbeitnehmerInnen. Dadurch dass die Mitarbeiter lernen auf ihren Körper zu achten und sich bewusster wahrzunehmen, schaffen sie unbewusst ein angenehmeres Betriebsklima für alle Beteiligten.
Über die Autorin:
Stefanie Holubek, diplomierte Montessori Pädagogin und diplomierte Bewegungspädagogin. Sie leitet das Weiterbildungsinstitut IPS – Institut für Persönlichkeitsentwicklung & Sozialkompetenz. Der Umgang mit den Menschen und die individuelle Entwicklung von Lernmöglichkeiten steht bei ihrer Arbeit im Vordergrund.
Weitere Informationen über das IPS – Institut für Persönlichkeitsentwicklung & Sozialkompetenz