Projekte sind heute häufig so komplex und ihr Umfeld ist so dynamisch, dass die tradierten (Projekt-)Managementmethoden eine Ergänzung brauchen. Das haben viele Unternehmen erkannt. Unklar ist ihnen jedoch oft: Wann ist in Projekten das alt-bewährte Vorgehen und wann eher ein agiles Vorgehen angesagt?
Wann ist bei Projekten ein agiles Vorgehen angesagt und wann sind die bewährten Projektmanagement-Methoden zu bevorzugen? Das ist vielen Unternehmen sowie Projekt- und Changemanagern unklar. Eine Orientierungshilfe beim Beantworten dieser Frage ist die von dem Professor für Management an der Hertfordshire Business School in Großbritannien Ralph Douglas Stacey entwickelte Stacey-Matrix.
Der Stacey-Matrix liegt die Annahme zugrunde, dass bei einem Projekt sowohl die Ziele, die zu erreichen sind, als auch der bestmögliche Weg dorthin mehr oder weniger klar oder unklar sein können. Abhängig davon gilt es vier Entscheidungssituationen zu unterscheiden.
Einfach, kompliziert, komplex oder gar chaotisch?
Eine (Management-)Entscheidung ist der Stacey-Matrix zufolge einfach, wenn außer dem Ziel (und den Lösungsanforderungen)n auch der Weg dorthin klar ist – zum Beispiel, weil das Unternehmen schon Routine im Lösen entsprechender Aufgaben hat. Dann ist folgendes Handeln angesagt. Anschauen, einordnen, ableiten, reagieren. Sind jedoch das Was und/oder das Wie teilweise unklar, dann wird es kompliziert. Dann empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Anschauen, analysieren, reagieren. Und wenn neben den Zielen (und Lösungsanforderungen) auch der Weg dorthin unklar ist – zum Beispiel, weil die Herausforderung neu ist? Dann ist die Entscheidungsfindung komplex, und es empfiehlt sich folgendes Vorgehen: probieren, anschauen, reagieren, erneut probieren, anschauen, reagieren usw. – also in iterativen Schleifen arbeiten, um sich dem Ziel allmählich zu nähern. Und chaotisch wird die Entscheidungsfindung, wenn neben den Zielen und Anforderungen auch der Weg völlig unklar ist. Zum Beispiel weil das Unternehmen zwar weiß „Wir müssen uns für die Zukunft wappnen“, jedoch nur darüber spekulieren kann:
- Wie entwickelt sich in den kommenden zehn Jahren unser Markt?
- Welche Problemlösungen sind dann möglich?
- Welche Anforderungen stellen dann unsere Kunden?
Dann ist vorübergehend nur ein scheinbares Sich-durchwursteln und Starten von Versuchsballons, also agieren und reagieren, möglich – bis man eine gewisse Klarheit gewonnen hat und aus der chaotischen Entscheidungssituation zunächst eine komplexe und dann eventuell eine komplizierte wurde.
Die Stacey-Matrix ist ein wirkungsvolles Instrument, um zu einer ersten Einschätzung eines Projekts oder Vorhabens zu gelangen; außerdem zu einer Entscheidung darüber, welches Vorgehen mit hoher Wahrscheinlichkeit zielführend ist. Ist die Entscheidungssituation „einfach“ oder „kompliziert“ kommt man in der Regel mit Standardprozessen und Lean-Ansätzen weiter. Ist sie hingegen „komplex“ oder gar „chaotisch“, sollte man sich agiler Methoden bedienen.
Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, jedoch gestaltbar
Ausgearbeitet wird dieser (Projekt-)Management-Ansatz in dem von Saras D. Sarasvathy, Professor an der University of Virginia (USA), entwickelten Effectuation-Ansatz. Er wurde für Situationen und Konstellationen entwickelt, in denen Entscheidungen nicht auf Basis einer kausalen Logik, die auf begründeten Vorhersagen beruhen, getroffen werden können.
Der Effectuation-Ansatz geht davon aus: Die Zukunft ist nur bedingt vorhersehbar. Sie kann jedoch durch Vereinbarungen zwischen autonomen Akteuren aktiv gestaltet werden. So zum Beispiel, wenn ein Unternehmen entscheidet: Wir setzen bei unserer Produktentwicklung auf die Trends Vernetzung oder Miniaturisierung. Dann reduziert sich die Unklarheit, weil gewisse Basisentscheidungen über das Ziel und die Anforderungen, die die Problemlösungen erfüllen müssen, getroffen wurden.
Ebenso verhält es sich, wenn das (Projekt-)Management, weil noch keine belastbaren Zukunftsaussagen möglich sind, zum Beispiel entscheidet: Wir investieren versuchsweise den Betrag X in die Entwicklung der Technologie A und den Betrag Y in die Entwicklung der Technologie B, weil wir noch nicht wissen, welche Technologie sich durchsetzt, wir aber auf keinen Fall den technologischen Anschluss verlieren möchten. Dann plant das Unternehmen sozusagen ausgehend von den Ressourcen die Zukunft und die zentrale Frage lautet: Was ist der maximale Betrag, den wir verschwenden können, sollten unsere Versuche nicht von Erfolg gekrönt sein? Auch das reduziert die Unklarheit.
Vier Entscheidungs- und Handlungsprinzipien
Saras D. Sarasvathya formulierte folgende vier Prinzipien zur Entscheidungsfindung in Situationen der Ungewissheit:
- das Prinzip der Mittelorientierung: Es besagt, dass die verfügbaren Mittel und Ressourcen bestimmen, welche (veränderlichen) Ziele angestrebt werden – und nicht umgekehrt.
- das Prinzip des leistbaren Verlusts: Es besagt, dass der Verlust oder Einsatz, den das Unternehmen verschmerzen kann, ohne zum Beispiel seine Existenz zu gefährden (und nicht der erwartete Ertrag), bestimmen, welche Gelegenheiten wahrgenommen und welche Schritte unternommen werden.
- das Prinzip der Umstände und Zufälle. Es besagt, dass unerwartete Ereignisse, Geschehnisse sowie Umstände als Hebel zur Veränderung genutzt und in Innovationen und unternehmerische Gelegenheiten transformiert werden.
- Das Prinzip der Vereinbarung und Partnerschaft. Es besagt, dass Partnerschaften mit Personen oder Organisationen eingegangen werden, die bereit sind, trotz der bestehenden Ungewissheit verbindliche Vereinbarungen zu treffen und eigene Mittel in die Kreation von Gelegenheiten zu investieren, so dass die Erfolgsaussichten steigen und die Erfolgsrisiken für die einzelnen Partner sinken.
Ziel: Gemeinsam etwas ganz Neues schaffen
Basierend auf diesen vier Prinzipien entwickelte Saras D. Sarasvathya das dynamische Effectuation-Modell. Es zielt darauf ab, eine Vielzahl von Personen oder Organisationen in einer von Ungewissheit geprägten Situation auf neue Wege oder Ziele einzuschwören, so dass gemeinsam etwas ganz Neues geschaffen werden kann.
Dieses (Projekt-)Managementmodell stellt vieles auf den Kopf, was Führungskräfte sowie (Projekt- und Change-)Manager gelernt und verinnerlicht haben – beispielsweise das Credo: Je exakter und detaillierter ein Projekt im Vorfeld geplant wird, umso wahrscheinlicher und schneller erreicht es sein Ziel. Zumindest bei Projekten und Vorhaben, bei denen die Entscheidungssituation komplex oder gar chaotisch ist, ist dies fraglich.
Sich von starren Plänen verabschieden
Das klassische Projektmanagement ist es zudem gewohnt, dass das Ziel vorgegeben ist und Projekte ausgehend von ihm sozusagen rückwärts geplant werden – mit Meilensteinen, um den Projektfortschritt zu kontrollieren. Ist das Ziel jedoch unklar oder steht es unter Vorbehalt, was für viele Projektmanager hochgradig verunsichernd, ist, dann erfolgt die Planung ausgehend von den vorhandenen Ressourcen – und man schaut mal, wie weit und wohin man kommt.
Auf ein unklares Ziel zuzusteuern und sich immer wieder kritisch zu fragen, ob man sich (noch) auf dem richtigen Weg befindet – ein solches Vorgehen lässt sich mit den tradierten Managementmethoden, die sich vor allem auf definierte Maßnahmenpläne mit hinterlegten Meilensteinen und Kennzahlen stützen, schwer vereinbaren. Das gilt insbesondere dann, wenn auch die Methoden und Verfahren, um das Ziel zu erreichen, in keinem Verfahrenshandbuch stehen, sondern agil, also situativ und kontextabhängig entschieden wird, welcher Lösungsansatz gewählt wird.
Situativ über das Vorgehen entscheiden
Eine Verschwendung von Ressourcen und ineffektiv wäre es, einfach lösbare Probleme und Aufgaben agil anzugehen. Anders ist es, wenn die Entscheidungssituation kompliziert, komplex oder gar chaotisch ist. Dann ist es hilfreich, sich vor dem Start eines Projektes zum Beispiel mit Hilfe der Stacey-Matrix bewusst zu machen, welchen Charakter das Vorhaben hat, um sich anschließend für ein mehr oder weniger agiles Vorgehen zu entscheiden. Wird ein Projekt jedoch unreflektiert agil angegangen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns hoch. Zudem sagen die Beteiligten dann anschließend: Agilität funktioniert nicht.
Agilität setzt also voraus, dass die Projektbeteiligten das Denken verinnerlicht haben: Abhängig vom Charakter eines Projekts und davon, wie klar die Ziele und Anforderungen sowie der Lösungsweg sind, ist ein unterschiedliches Vorgehen bei der Projektplanung, -gestaltung und -durchführung nötig. Dieses Bewusstsein gilt es zu entwickeln.
Über die Autorin:
Katja von Bergen arbeitet als Unternehmens- und Managementberaterin für die international agierende Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Sie ist auf die Themenfelder Changemanagement, Projektmanagement und Unternehmensentwicklung spezialisiert.