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Unternehmen geraten immer häufiger in die Situation, dass sie wissen: Wir müssen etwas grundsätzlich ändern,  um langfristig erfolgreich zu sein. Sie können aber weder das zu erreichende Ziel exakt bestimmen, weil die Zukunft ungewiss ist, noch können sie den Weg dorthin beschreiben, weil sie sozusagen Neuland betreten. Dann stößt das klassische (Projekt-)Management an seine Grenzen.

Die Firmen müssen agiler werden – also schneller und flexibler. Das hört man derzeit überall. Dies wollen die meisten Unternehmen jedoch schon lange. Spätestens seit der Lean-Gedanke, Organisationen müssen stets effektiver und effizienter werden, in ihnen Einzug hielt, ist dieses Ziel zumindest als Absichtserklärung weit verbreitet – nachhaltig umgesetzt wurde sie bisher jedoch selten.

Befassen sich deshalb so viele Unternehmen zurzeit mit dem Thema Agilität? Hoffentlich nicht! Denn es greift zu kurz, wenn man das agile Gedankengut auf die Vokabeln „schneller und flexibler werden“ reduziert, und es wäre schade, wenn dieser interessante, weil zukunftsweisende Managementansatz durch wilden Aktionismus verheizt würde.

Was bedeutet Agilität im Unternehmenskontext? Googled man den Begriff, stößt man rasch auf das „Agile Manifest für Softwareentwicklung“, das 2001 einige Vorreiter in den USA gemeinsam verfassten und veröffentlichten. In ihm sind 12 Prinzipien für die Softwareentwicklung formuliert. Sie basieren auf folgenden vier Axiomen:

  • Menschen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
  • Eine funktionierende Software (Problemlösung) ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation.
  • Die Zusammenarbeit mit dem Kunden (in dem Projekt) ist wichtiger als Aushandeln von Verträgen. Und:
  • Ein Reagieren auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines vorab formulierten Plans.

Dahinter steckt die Erkenntnis: Die Welt und somit die Projekte in den Unternehmen werden stets komplexer. Deshalb stehen die Unternehmen an einer Schwelle, an der die alten (Projekt-)Managementmodelle und -methoden nicht mehr ausreichen. Das Unternehmensumfeld ist so „VUCA“ (volatility, uncertainty, complexity and ambiguity), also volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig, geworden, dass die tradierten (Projekt-)Managementmethoden zwar noch ihre Berechtigung haben, sie benötigen aber eine Ergänzung. Es geht also nicht um ein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als-auch“.

Eine einfache oder eine chaotische Entscheidungssituation?

Wann ist jedoch ein agiles Vorgehen und wann sind Lean- und Standardprozesse angesagt? Hierzu hat der Professor für Management an der Hertfordshire Business School in Großbritannien Ralph Douglas Stacey geforscht und die Stacey-Matrix entwickelt. Sie ist eine Orientierungshilfe beim Beantworten dieser Frage.

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Die horizontale Achse der Stacey-Matrix ist die Wie-Achse. Sie steht für den Weg, wie eine Aufgabe zu lösen oder eine Herausforderung zu meistern ist, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Die vertikale Achse hingegen ist die Was-Achse. Sie steht für die Ziele, die es zu erreichen gilt, und die Anforderungen, die die Problemlösung erfüllen muss. Bei einem Projekt oder Vorhaben können sowohl die Ziele und Anforderungen, die zu erreichen beziehungsweise zu erfüllen sind, als auch der bestmögliche Weg hierzu mehr oder weniger klar oder unklar sein.

Unterschiedliche Entscheidungssituationen erfordern unterschiedliches Handeln

Der Stacey-Matrix zufolge ist eine (Management-)Entscheidung einfach, wenn außer dem Ziel und den Lösungsanforderungen auch der Weg dorthin klar ist – zum Beispiel, weil das Unternehmen schon viel Routine im Lösen entsprechender Aufgaben hat. Dann ist folgendes Handeln angesagt. Anschauen, einordnen, ableiten, reagieren. Sind jedoch das Was und/oder das Wie teilweise unklar, dann wird es kompliziert. Dann empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Anschauen, analysieren, reagieren. Und wenn neben den Zielen und/oder Lösungsanforderungen auch der Weg dorthin sehr unklar ist – zum Beispiel, weil die Herausforderung neu ist und das Unternehmen noch keine Erfahrung mit dem Lösen vergleichbarer Aufgaben gesammelt hat, also Neuland betritt? Dann ist die Entscheidungsfindung komplex, und es empfiehlt sich folgendes Vorgehen: probieren, anschauen, reagieren, erneut probieren, anschauen, reagieren usw. – also in iterativen Schleifen arbeiten, um sich allmählich dem Ziel, das oft noch nicht definitiv feststeht, zu nähern. Und chaotisch wird die Entscheidungsfindung, wenn neben den Zielen sowie Anforderungen auch der Weg völlig unklar ist? Zum Beispiel weil das Unternehmen zwar weiß „Wir müssen uns für die Zukunft wappnen“, jedoch nur darüber spekulieren kann:

  • Wie entwickelt sich in den kommenden zehn Jahren unser Markt?
  • Welche Problemlösungen sind dann technisch möglich?
  • Welche Anforderungen stellen dann unsere Kunden?

Dann ist vorübergehend nur ein scheinbares Sich-durchwursteln und Starten von Versuchsballons, also agieren und reagieren, möglich – bis man eine gewisse Klarheit gewonnen hat und aus der chaotischen Entscheidungssituation zunächst eine komplexe und dann eventuell eine komplizierte wird.

Die Stacey-Matrix ist ein wirkungsvolles Instrument, um zu einer ersten Einschätzung eines Projektes oder eines Vorhabens zu gelangen; außerdem zu einer Entscheidung darüber, welches Vorgehen und welche Methoden mit hoher Wahrscheinlichkeit zielführend sind. Ist die Entscheidungssituation „einfach“ oder „kompliziert“ kommt man in der Regel mit Standardprozessen und Lean-Ansätzen weiter. Ist sie hingegen „komplex“ oder gar „chaotisch“, sollte man sich agiler Methoden bedienen.

Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber gestaltbar

Ausgearbeitet wird dieser (Projekt-)Management-Ansatz in dem von Saras D. Sarasvathy, Professor an der University of Virginia (USA), entwickelten Effectuation-Ansatz. Er wurde für Situationen und Konstellationen entwickelt, in denen Entscheidungen nicht auf Basis einer kausalen Logik, die auf begründeten Vorhersagen der Zukunft basieren, getroffen werden können, weil belastbare Prognosen aufgrund der hohen Unsicherheit nicht möglich sind.

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Der Effectuation-Ansatz geht davon aus: Die Zukunft ist nicht oder nur bedingt vorhersehbar. Sie kann jedoch durch Vereinbarungen zwischen autonomen Akteuren aktiv gestaltet werden. So zum Beispiel, wenn ein Unternehmen entscheidet: Wir forcieren die Entwicklung einer bestimmten Technologie. Oder: Wir erschließen uns einen bestimmten Markt. Oder: Wir setzen bei unserer Produktentwicklung auf die Trends Nachhaltigkeit, Vernetzung oder Miniaturisierung. Dann reduziert sich die Unklarheit, weil gewisse Basisentscheidungen über das Ziel und die Anforderungen, die beispielsweise die Problemlösungen erfüllen müssen, getroffen wurden. Ebenso verhält es sich, wenn das (Projekt-)Management, weil noch keine belastbaren Zukunftsaussagen möglich sind, zum Beispiel entscheidet: Wir investieren versuchsweise den Betrag X in die Entwicklung der Technologie A und den Betrag Y in die Entwicklung der Technologie B, weil wir noch nicht wissen, welche Technologie sich durchsetzt, wir aber auf keinen Fall den technologischen Anschluss verlieren möchten. Dann plant das Unternehmen sozusagen ausgehend von den vorhandenen Ressourcen und Mitteln die Zukunft und die zentrale Frage lautet: Was ist der maximale Betrag, den wir verschwenden können, sollten unsere Versuche nicht von Erfolg gekrönt sein oder unsere Annahmen/Prognosen sich als unzutreffend erweisen? Auch das reduziert die Unklarheit.

Vier Entscheidungs- und Handlungsprinzipien

Saras D. Sarasvathya nahm in empirischen Studien Erfolgsmodelle unter die Lupe und leitete daraus folgende vier Prinzipien zur Entscheidungsfindung in Situationen der Ungewissheit ab:

  • das Prinzip der Mittelorientierung: Es besagt, dass die jeweils verfügbaren Mittel und Ressourcen bestimmen, welche (veränderlichen) Ziele angestrebt werden – und nicht umgekehrt.

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  • das Prinzip des leistbaren Verlusts: Es besagt, dass der Verlust beziehungsweise Einsatz, den das Unternehmen verschmerzen kann, ohne zum Beispiel seine Existenz zu gefährden (und nicht der erwartete Ertrag), bestimmen, welche Gelegenheiten wahrgenommen werden beziehungsweise welche Schritte in einem Vorhaben tatsächlich unternommen werden.

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  • das Prinzip der Umstände und Zufälle. Es besagt, dass unerwartete Ereignisse, Geschehnisse, Umstände sowie Zufälle als Hebel zur Veränderung genutzt und in Innovationen und unternehmerische Gelegenheiten transformiert werden.

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  • Das Prinzip der Vereinbarung und Partnerschaften. Es besagt, dass Partnerschaften mit Personen oder Organisationen eingegangen werden, die bereit sind, trotz der bestehenden Ungewissheit verbindliche Vereinbarungen zu treffen und eigene Mittel in die Kreation von Gelegenheiten zu investieren, so dass die Erfolgsaussichten steigen und die Erfolgsrisiken für die einzelnen Partner sinken.

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Ziel: Gemeinsam etwas ganz Neues schaffen

Basierend auf diesen vier Prinzipien entwickelte Saras D. Sarasvathya das dynamische Effectuation-Modell. Dieses zielt darauf ab, eine Vielzahl von Personen oder Organisationen in einer von Ungewissheit geprägten Situation auf neue Wege oder Ziele einzuschwören, so dass gemeinsam etwas ganz Neues geschaffen werden kann.

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Dieses (Projekt-)Managementmodell ist eine Herausforderung für das tradierte Managementdenken. Denn es stellt vieles auf den Kopf, was Führungskräfte sowie (Projekt- und Change-)Manager  gelernt und verinnerlicht haben – beispielsweise das Credo: Je genauer und detaillierter ein Projekt im Vorfeld geplant wird, umso wahrscheinlicher und schneller erreicht es sein Ziel. Zumindest bei Projekten und Vorhaben, bei denen die Entscheidungssituation komplex oder gar chaotisch ist, ist dies fraglich.

Sich von starren Plänen mit Meilensteinen verabschieden

Das klassische Projektmanagement ist es zudem gewohnt, dass das Ziel vorgegeben ist und Projekte ausgehend von diesem sozusagen rückwärts geplant werden – mit Meilensteinen, um den Projektfortschritt zu kontrollieren. Ist das Ziel jedoch unklar oder steht es unter Vorbehalt, was für viele Projektmanager ungewohnt und hochgradig verunsichernd, ist, dann erfolgt die Planung ausgehend von den vorhandenen Ressourcen und Mitteln – und man schaut mal, wie weit und wohin man damit kommt.

Ein solches (Verfahrens-)Modell setzt voraus, dass Führung (Entscheidungs-)Macht zum Beispiel an die Projektbeauftragten abgibt, und sie es auch aushält, wenn diese ungewohnte oder unkonventionelle Lösungswege beschreiten – schließlich soll ja etwas ganz Neues geschaffen werden. Aber auch bei den (Projekt-)Mitarbeitern, die es gewohnt sind, dass die Führung ihnen klare Zielvorgaben macht, ist ein Umdenken nötig. Sie müssen lernen, mit einem vorübergehenden Führungsvakuum zu Recht zu kommen – so lange bis belastbare (Zukunfts-)Aussagen möglich sind, und die chaotische oder komplexe Entscheidungssituation somit kompliziert oder einfach wird.

Auf ein unklares Ziel zuzusteuern und sich immer wieder kritisch zu fragen, ob man sich (noch) auf dem richtigen Weg befindet – ein solches Vorgehen lässt sich mit den tradierten Managementmethoden, die sich vor allem auf definierte Maßnahmenpläne mit hinterlegten Meilensteinen und Kennzahlen stützen, nur schwer vereinbaren. Das gilt insbesondere dann, wenn auch die Methoden und Verfahren, um das Ziel zu erreichen, in keinem Verfahrenshandbuch beschrieben sind, sondern agil, also situativ und kontextabhängig entschieden wird, welcher Problemlösungsansatz gewählt wird.

Eine Verschwendung von Ressourcen und wenig zielführend und effektiv wäre es, einfach lösbare Probleme und Aufgaben agil anzugehen. Anders ist es, wenn beispielsweise aufgrund des dynamischen Umfelds die Entscheidungssituation kompliziert, komplex oder gar chaotisch ist. Dann ist es hilfreich, sich vor dem Start eines Projektes zum Beispiel mit Hilfe der Stacey-Matrix bewusst zu machen, welchen Charakter das Vorhaben hat, um sich anschließend für ein mehr oder weniger agiles Vorgehen zu entscheiden. Wird ein Projekt jedoch unreflektiert agil angegangen, ohne dass den Beteiligten die Notwendigkeit hierfür bewusst ist, ist nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns hoch, sondern auch, dass die Beteiligten anschließend sagen: Agilität funktioniert nicht. Das heißt: Agilität setzt voraus, dass die Projektbeteiligten das Denken verinnerlicht haben, dass abhängig vom Charakter eines Projekts und davon, wie klar die Ziele und Anforderungen sowie der Lösungsweg sind, bei der Projektplanung, -gestaltung und -durchführung ein unterschiedliches Vorgehen angesagt ist.

Agilität vorleben und viral kommunizieren

Doch wie können solche agilen Denkmuster unter die Leute gebracht und in den Köpfen von Menschen verankert werden? Nicht durch eine Anordnung von oben „Ihr müsst künftig flexibler, agiler agieren“. Eine solche Einstellung und Haltung kann sich nur viral in Unternehmen verbreiten. Eine höhere Agilität setzt also eine Viragilität in der Kommunikation voraus. Die Erkenntnis, dass ein agiles Vorgehen bei gewissen Aufgaben und Problemstellungen zielführender ist als ein Sich-entlang-hangeln an definierten Projektplänen, muss sich wie ein Virus in der Organisation verbreiten.

Nichts ist in der digitalen Welt von heute schneller und effektiver als eine virus-artige Verbreitung von Information. Doch wie verbreiten sich Viren? Die WHO (World Health Organisation) hat einen Leitfaden zur Prävention, also zum Verhindern der Ausbreitung von Epidemien entwickelt. Er umfasst folgende Elemente:

  • frühe Erkennung der Virus-Träger,
  • Isolation der Träger von allen anderen Personen,
  • Aufbau schützender Barrieren, um eine Übertragung auf Kontaktpersonen zu verhindern, und
  • Stärkung des Immunsystems.

Was bedeutet dies im Umkehrschluss, wenn man möchte, dass sich zum Beispiel ein agiles Denken nebst der damit übereinstimmenden Einstellung und Haltung möglichst schnell und virus-artig verbreitet? Dann lauten die erste Maxime ebenfalls: frühe Erkennung der Träger, also der bereits „Infizierten“. Die weiteren Maximen lauten jedoch:

  • Bringe die Träger in Kontakt mit möglichst vielen (potenziellen) Unterstützern.
  • Verbinde und vernetze die bereits „Infizierten“ und ihre potenziellen Unterstützer und baue die Barrieren für eine Übertragung/Infizierung ab. Und:
  • Schwäche die Widerstandskraft der tradierten Kultur durch einen Support der „Infizierten“ und eine aktive Kommunikation des Erfolgs ihres Vorgehens.

Viragil vorzugehen, bedeutet also zum Beispiel: Einzelne Mitglieder oder Teilbereiche einer Organisation starten einfach mal ein entsprechendes (Klein-)Projekt, um den Virus Agilität zu verbreiten – also das angestrebte Verhalten oder Vorgehen vorzuleben und hierfür ein Vorbild zu sein. So funktioniert auch die virale Kommunikation im Netz: Einer macht es vor, andere mögen es und folgen dem Beispiel, so dass dieses eine immer größere Wirksamkeit entfaltet. Seien Sie also „viragil“ – gehen Sie mit gutem Beispiel voran und infizieren Sie andere Menschen.

Über die Autorin:

von Bergen, KatjaKatja von Bergen arbeitet als Unternehmens- und Managementberaterin für die international agierende Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Sie ist auf die Themenfelder Changemanagement, Projektmanagement und Unternehmensentwicklung spezialisiert.

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