Agile Leadership braucht eine Lean Kultur

Beim Verankern einer Kultur in Unternehmen, die auf eine kontinuierliche Veränderung und Verbesserung abzielt, spielen die Führungskräfte eine Schlüsselrolle. Entsprechend systematisch sollte ihre Kompetenz weiterentwickelt werden.

Unternehmen müssen die Qualität ihrer Leistung kontinuierlich erhöhen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Problem hierbei ist: Ihr Management kann in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt top-down immer schwieriger erkennen,

  • inwieweit sich die Kundenwünsche und -bedürfnisse gewandelt haben und
  • was nötig ist, um aus Kundensicht Qualität zu produzieren.

Also müssen die Mitarbeiter lernen, selbst zu erkennen, was es zu tun gilt, um Qualität zu produzieren, und alleine oder im Team die nötigen Initiativen zu ergreifen.

Das haben in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Unternehmen erkannt. Entsprechend viele Projekte wurden von ihnen – unter den unterschiedlichsten Überschriften – gestartet, um

  • mehr Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene, auch Shopfloor-Ebene genannt, zu verlagern und
  • das Streben nach Qualität in den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern.

Dabei lautete ein übergeordnetes Ziele stets: Das Unternehmen soll bereichs- und funktionsübergreifend schneller und flexibler – oder neudeutsch „agiler“ – auf Marktveränderungen und Veränderungen der Kundenwünsche und -bedürfnisse reagieren.

Viele Veränderungsinitiativen versanden

Das ist ein erstrebenswertes Ziel! Doch bei vielen dieser Projekte, die letztlich auf eine Veränderung der Unternehmenskultur abzielten, stellten die Unternehmen nach einiger Zeit fest: Wir haben zwar unsere Mitarbeiter zum Beispiel im Umgang mit den Lean-Methoden und -Tools geschult. Zudem steht das Einführen von Lean in den Zielvorgaben unserer Führungskräfte. Doch leider bleiben die erhofften Ergebnisse aus. Zwar haben wir punktuelle Verbesserungen erzielt, ein grundlegender Wandel vollzog sich in unserer Organisation jedoch nicht. Und in den Meetings? Dort werden zwar oft der Lean-Gedanke und das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung beschworen, doch im Betriebsalltag sind sie nicht spürbar. Vielmehr schlafen, weil wir die Köpfe der Mitarbeiter nicht erreicht haben, unsere Veränderungsinitiativen immer wieder ein – zumindest wenn wir top-down nicht viel Zeit und Energie investieren, um den Prozess am Leben zu erhalten.

Eine Ursache, warum viele Unternehmen diese Erfahrung sammeln, ist: Sie unterschätzen anfangs oft,

  • welch große Anstrengung es erfordert, einen Kulturwandel in einer Organisation herbeizuführen, und
  • wie viel Ausdauer und Geduld es bedarf, bis bei den Mitarbeitern ein neuer Mindset entsteht und dieser sich in deren Köpfen verankert hat.

Eine neue Unternehmenskultur schaffen

Beim Start von Projekten, die auf das Schaffen einer neuen Unternehmenskultur abzielen, hegen Unternehmen oft die Illusion: Um die angestrebten Ziele zu erreichen, genügt es, die erforderlichen Instrumente zu implementieren und einige ausgewählte Mitarbeiter im Umgang mit ihnen qualifizieren. Dass dies eine Illusion ist, haben inzwischen viele Unternehmen erkannt. Deshalb suchen sie nach neuen Wegen, wie sie trotzdem das Ziel erreichen, eine Kultur der kontinuierlichen Veränderung und Verbesserung in ihrer Organisation zu schaffen. Denn hieran führt kein Weg vorbei.

Aus folgenden Gründen: In vielen Unternehmen ist aufgrund der Globalisierung, des rasanten technischen Fortschritts und der raschen Veränderungen, die sich in ihrem Markt vollziehen, der Change-, sprich Innovationsbedarf so groß, dass er in Top-down-Projekten allein nicht mehr befriedigt werden kann – auch weil die Mitarbeiter zunehmend in netzwerkartigen Strukturen arbeiten. Deshalb kann der Change- und Innovationsbedarf immer schwieriger zum Beispiel durch eine zentrale Organisationsentwicklungsabteilung erfasst werden. Also muss sich die Initiative zur Innovation und zum Produzieren von Qualität auf die Bereichs- und Prozessebene verlagern.

Entsprechendes gilt für den Lern- und Entwicklungsbedarf, der aus dem Changebedarf resultiert. Auch er ist in vielen Unternehmen so groß, dass er mit top-down organisierten Personalentwicklungsmaßnahmen immer schwieriger gedeckt werden kann. Zudem ist er so individuell, dass er zentral, also zum Beispiel durch die Personalabteilung, immer schwieriger erfasst werden kann. Also muss sich auch die Initiative zum Aufbau der zum Produzieren von Qualität erforderlichen Kompetenz und zum Befriedigen des hiermit verbundenen Lernbedarfs stärker auf die Bereichs- und Prozessebene verlagern.

Mitarbeiter müssen „Selbstentwickler“ werden

Viele Personalmanager erkannten diese Entwicklungslinien bereits vor Jahren. Und unter dem Stichwort Employability formulierten sie die These: Die Mitarbeiter müssen Selbstentwickler werden. Das heißt, sie müssen lernen,

  • selbst zu erkennen, wo bei ihnen ein Entwicklungsbedarf besteht, und
  • diesen entweder selbst oder mit selbstorganisierter Unterstützung zu befriedigen.

Und die operativen Führungskräfte? Sie müssen zu Persönlichkeiten heranreifen, die diese Lern- und Entwicklungsprozesse bei ihren Mitarbeitern fördern und so dazu beitragen, dass

  • die Performance ihres Bereichs kontinuierlich steigt und
  • das Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren kann.

Thematisiert wurde dieser Sachverhalt in Personalerkreisen meist theoretisch. Konkrete Konsequenzen wurden hieraus selten gezogen und wenn dann primär im Bereich Führungskräfteentwicklung. So haben inzwischen viele Unternehmen in ihren Führungsleitlinien verankert, ihre Führungskräfte sollen Coachs ihrer Mitarbeiter sein, also Entwicklungsprozesse bei ihnen fördern und so dazu beitragen, dass diese auch künftig über die benötigte Kompetenz verfügen.

Führungskräfte stoßen an ihre Grenzen

Das ist ein richtiger Ansatz. Er führt jedoch unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu einer Mehrbelastung der ohnehin stark belasteten Führungskräfte. Denn zum einen sind sie oft nicht ausreichend für diese Aufgabe qualifiziert, und zum anderen haben ihre Mitarbeiter häufig noch nicht das Bewusstsein verinnerlicht, dass sie ihre Kompetenz kontinuierlich weiterentwickeln müssen. Und schon gar nicht verfügen sie über die Kompetenz, die aufgrund veränderter Anforderungen bei ihnen entstehenden Entwicklungsbedarfe eigenständig zu erkennen und zu befriedigen.

Die Folge: Die Führungskräfte müssen im Arbeitsalltag noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Außerdem müssen sie regelmäßig korrigierend und unterstützend eingreifen, weil die Leistung der Mitarbeiter nicht mehr den Kunden- und Marktanforderungen entspricht. Oder anders formuliert: Das Streben nach einer kontinuierlichen Kompetenz- und somit Qualitätsverbesserung ist noch kein stabiler Prozess. Er muss stets aufs Neue angestoßen werden, was viel Zeit und Energie seitens der Führungskräfte erfordert und ihr Gefühl des Überlastetseins forciert.

Lean Leadership: ein möglicher Lösungsweg

Diesen Zusammenhang haben einige Unternehmen erkannt. Deshalb stellen sie ihre Personal- und Führungskräfteentwicklungskonzepte grundlegend in Frage und feilen an neuen Konzepten, um dieses Dilemma zu lösen. Dabei orientieren sie sich oft am Lean Leadership-Development-Modell. Dieses unterscheidet in der Kompetenzentwicklung von Führungskräften vier Stufen.

Stufe 1: Sich als Führungskraft selbst entwickeln. Dahinter steckt die Annahme, dass künftig eine Kernkompetenz von Führungskräften ist, das eigene Verhalten und Wirken zu reflektieren und die eigene Performance systematisch zu erhöhen.

Stufe 2: Andere Menschen coachen und entwickeln. Die zweite Kompetenz-Stufe besteht in der Fähigkeit, als Führungskraft andere Personen so zu entwickeln, dass diese ihrerseits die Kompetenz erwerben, ihr Verhalten und ihr Wirken zu reflektieren und eigene Lernprozesse zu initiieren.

Stufe 3: Das tägliche Sich-Verbessern (Kaizen) unterstützen. Hier geht es darum, Gruppen von Mitarbeitern (Teams, Abteilungen, Bereiche) in eine Richtung auszurichten und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu sichern.

Stufe 4: Eine Vision schaffen und die Ziele abstimmen. In die letzte Entwicklungsstufe sind idealerweise alle Führungskräfte und die gesamte Organisation eingebunden. Nun geht es darum, das „Silo-Denken“ zu überwinden und alle Aktivitäten so aufeinander abzustimmen, dass die übergeordneten Unternehmensziele erreicht werden.

Von einer Führungskräfteentwicklung, die sich an diesem Kompetenz-Modell orientiert, versprechen sich die Unternehmen, dass sich die Innovationskraft ihrer Organisation erhöht; außerdem, dass sie sukzessiv zu einer Entlastung der Führungskräfte führt – und zwar in dem Maße wie ihre Mitarbeiter die Kompetenz entwickeln, eigenständig ihr Verhalten und Wirken zu reflektieren und sich zu entwickeln. Insofern sehen die Unternehmen hierin auch eine Maßnahme, einem Burn-out ihrer Führungskräfte vorzubeugen.

Auf dem Weg zur lernenden, agilen Organisation

Zudem erhoffen sich die Unternehmen hiervon, dass hierdurch mittelfristig ihre Agilität steigt. Dies erachten sie für nötig, weil sie und somit auch ihre Führungskräfte und deren Bereiche in der VUKA-Welt permanent vor neuen Herausforderungen stehen – zum Beispiel aufgrund der vielen Veränderungen, die sich im Unternehmen selbst sowie in dessen Umfeld unter anderem aufgrund der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft vollziehen.

Um diesen Veränderungen zeitnah Herr zu werden, streben aktuell immer mehr Unternehmen nach einer höheren Agilität, um beispielsweise ihre Reaktionsgeschwindigkeit auf Marktveränderungen zu erhöhen. Und von ihren Führungskräften fordern sie, ihre Mitarbeiter agil zu führen. Dabei wird leider oft übersehen: Ein solcher Führungsstil, der weitgehend auf Selbstorganisation und Eigenverantwortung baut, setzt einen gewissen Reifegrad der Mitarbeiter, aber auch Führungskräfte voraus. Denn faktisch können im Betriebsalltag nur die Mitarbeiter ohne Vorbehalte agil geführt werden,

  • die bereits eine hohe Routine beim Bewältigen ihrer Aufgaben haben und bei denen das Engagement stimmt, und/oder
  • die zum Beispiel in Teamstrukturen eingebunden sind, die gewisse bei ihnen noch vorhandene fachliche und motivationale Defizite unterstützend ausgleichen.

Alle anderen benötigen eine Unterstützung. Entsprechend groß muss die Verhaltensflexibilität der Führungskräfte sein.

Entsprechendes gilt für agile Teams, die weitgehend eigenständig und -verantwortlich arbeiten. Auch sie erfordern einen gewissen Reifegrad der Mitglieder. Und diesen gilt es seitens der Unternehmen bzw. ihrer Führungskräfte bei den Mitarbeitern und Teams zunächst zu entwickeln.

Hierfür bietet das Lean Leadership-Development-Modell einen geeigneten Ansatz, da es beim Entwickeln der Unternehmenskultur den Hebel zunächst bei den Führungskräften ansetzt, die als Coaches bzw. Befähiger und Ermächtiger ihrer Mitarbeiter fungieren sollen (Stufe 1). Hierauf aufbauend wird dann

  • den Mitarbeitern das Bewusstsein vermittelt, dass die Notwendigkeit, sich zu verändern und regelmäßig die eigenen Denk- und Handlungsmuster zu überprüfen, künftig ein integraler Bestandteil des Arbeitsalltags ist und
  • sukzessiv ihr Selbstbewusstsein gestärkt „Irgendwie schaffe ich …“ bzw. „… schaffen wir das schon“, so dass sie neue Herausforderungen beherzt angehen und sich eigenständig die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen, um auch künftig Qualität zu produzieren.

So wird allmählich bei den Mitarbeitern und Teams die Kompetenz aufgebaut, die für ein agiles, das heißt flexibles und weitgehend eigenständiges und -verantwortliches Arbeiten nötig ist. Zudem wird in dem Unternehmen Schritt für Schritt eine Kultur verankert, bei der das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung im Zentrum des individuellen und kollektiven Handels steht.

Über die Autorin:

Kudernatsch, DanielaDr. Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung KUDERNATSCH Consulting & Solutions in Straßlach bei München, die Unternehmen beim Umsetzen ihrer Strategie im Betriebsalltag unterstützt. Sie ist Autorin des Buch „Hoshin Kanri: Policy Deployment durch agile Strategieumsetzung“.

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