Will man Trendforschern, Berichten und Medien glauben, so wird Achtsamkeit zu einem der Schlüsselbegriffe in den kommenden Jahren. Hier Teil 2 einer Spurensuche und kritischen Betrachtung.
Was hat Achtsamkeit möglicherweise mit McKinsey zu tun? Und was mit Selbstwirksamkeit oder dem Gewissen? Fragen, denen hier nachgegangen wird, ergänzt durch eine unorthodoxe Frage, die zum Praxistest herausfordert. Plus abschließende Hinweise für die Pflege von Achtsamkeit in der Praxis.
Ein neuer Optimismus – oder McKinsey reloaded?
Zukunftsforscher wie Horx klingt jedenfalls optimistisch. So würden bereits in vielen großen Unternehmen Achtsamkeits-Trainer gar die McKinsey-Horden verdrängen. Abgesehen von hippen Mindful-Apps, -Magazinen (Happinezz, Flow etc.) oder hochpreisigen Praxiskursen „Achtsamkeit für Manager“.
Nun, das scheint doch etwas überzeichnet. Denn harte Rechner werden sich wohl kaum so mir nichts, dir nichts von vergleichsweise weichen Trends fortspülen lassen. Dem zum Trotz zitiert Horx eine große deutsche Tageszeitung: „Wenn selbst Mercedes seinen Mitarbeitern Mail-Zwangspausen und digitalen Urlaubs-Absentismus verordnet, dann ist das Thema Achtsamkeit in der Mitte der Wirtschaft angekommen.“
Oder lässt sich mit weicher Achtsamkeit nicht doch wieder hart kalkulieren? Fortsetzung Zitat oben: „Der Pharmakonzern Genentech startete unlängst ein ehrgeiziges Mindfulness-Programm für seine Mitarbeiter. Intel und SAP erhöhten mit einem ähnlichen Programm die seelische Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter. Bei diesen Programmen geht es nicht nur um Yoga oder Rückengymnastik. Es geht um die kognitive Selbst-Wirksamkeit.“
Klingt per se vernünftig, fast gutmenschlich. Ein neuer Altruismus? Oder doch eine instrumentalisierte Mindfulness-Variante? McKinsey reloaded durch die achtsame Hintertür?
Achtsamkeit als neue Selbstwirksamkeit
Achtsamkeit läuft Gefahr, nebst Nachhaltigkeit zum neuen, beliebten und beliebigen Nebelwort zu werden. Achtsamkeit hat jahrtausendealte Wurzeln in asiatischer Spiritualität bzw. Meditationspraxis – und ist mitunter im Heute als profane, harte Handlungspraxis gelandet. Eine, von der man einen unmittelbar verwertbaren Zweck einfordert. Hier reicht wohl nicht der Platz, um die diffuse Vielfalt an Zugängen und Absichten zu diskutieren.
Aber die Horx´schen Ansicht, Achtsamkeit sei ohne Selbstwirksamkeit nicht zu verstehen, klingt plausibel. Oder wie er es ausdrückt: „Achtsamkeit schaut nach innen, ohne das Außen zu vernachlässigen.“
Dieser Zugang mag Mut geben und inspirieren: um in einer überfüllten und überreizten Außenwelt die eigene Innenwelt wieder neu zu ordnen, um sich zu besinnen und sich seiner selbst zu vergewissern. Vergewissern hat auch mit unserem Gewissen zu tun, das Immanuel Kant als „inneren Gerichtshof“ bezeichnete. Eine vortreffliche Metapher.
D.h. hier sind wir auf uns selbst zurückgeworfen, um im Inneren gewissenhaft zu (über-)prüfen, zu neuen Einsichten zu gelangen, unsere Ängste und Erwartungen zu reflektieren, aus dem Scheitern zu lernen, zur Ruhe zu kommen. Oder um „komische“, unorthodoxe Fragen zu beantworten, wie etwa jene aus karrierebibel.de:
All das durchaus auch mit dem Fokus, sich im Außen stimmig und selbstwirksam zu erleben. Ohne in eine neue Hyper-Betriebsamkeit zu verfallen. Sondern sich etwa zu entkoppeln vom unaufhörlichen Müssen-Müssen. Hin zum Können-Können. Oder zum Seinlassen-Können. Zum Enthetzen.
Denn nicht die Zeit macht uns fertig, sondern das Tempo. Aber Achtung! Ein achtsamer Umgang könnte zeitheilsam sein und sinnvoll entschleunigen. Aha-Effekte nicht ausgeschlossen.
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Mehr über die Pflege von Achtsamkeit in der Praxis, inkl. Übungen, ist nachzulesen im Buch Ach du liebe Zeit (S. 139ff.).
Über den Autor:
Mag. Dr. Franz J. Schweifer ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching. Training. Consulting.“ in Mödling b. Wien. Als Temposoph, Zeitforscher, FH-Lektor, Managementtrainer & Coach mit über 20 Jahren Beratungserfahrung hat er sich v.a. auf ZEIT-spezifische Themen und Widersprüche spezialisiert. Und das auf gesellschaftlicher, unternehmerischer wie persönlicher Ebene.
Aktuelle Publikation: (1) Ach du liebe Zeit (2) Zeit – Macht – Ohnmacht
Weitere Informationen über Franz J. Schweifer
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