Der Beratungsmarkt wird immer nervöser und zappeliger. Diesen Eindruck gewinnt man seit einigen Jahren, wenn man als Marktteilnehmer das Verhalten zahlreicher Anbieter in diesem Markt beobachtet.
Im Beratungsmarkt gab es schon immer Trend- und Modethemen – so wie bis vor etwa drei Jahren zum Beispiel das Thema Agilität, auf das sich gefühlt fast alle Beratungsanbieter stürzten. Doch spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa im Frühjahr 2020 kann man sich als Marktbeobachter oft des Eindrucks nicht erwehren: Viele Berater laufen aktuell nur noch irgendwelchen Trends und Moden hinterher, und deren Lebenszyklen werden – ähnlich wie im Fast-Fashion-Bereich – immer kürzer.
Seit Corona steckt der Beratungsmarkt in einer Dauerkrise
So wurden zum Beispiel unmittelbar nach dem corona-bedingten Lockdown im März 2020 von Beratern gleich welcher Couleur sehr stark Manuskripte zum Thema Krise bzw. Krisenmanagement nachgefragt, um neue Produkte von ihnen zu diesem Themenkomplex zu promoten. Das freute uns, denn wir hatten aus der Zeit der Finanzkrise 2008/9 noch zahlreiche solcher Manuskripte in unserem digitalen Archiv, die wir mit einer minimalen Überarbeitung sehr kurzfristig zum Beispiel Zeitschriften-Redaktionen anbieten konnten – meist als erste Anbieter, da man damals noch nicht mit ChatCPT zumindest Rohtexte für Artikel generieren konnte.
Entsprechend gut liefen unsere Krisen-Artikel: Sie wurden uns von den Redaktionen (speziell von Fachzeitschriften, die kurzfristig lockdown-bedingt ihre Heftplanung über Bord werfen mussten) sozusagen wie warme Semmeln aus der Hand gerissen. Doch nur für zwei, drei Monate! Dann waren plötzlich Artikel zum Thema „Remote arbeiten“ bzw. „Arbeiten im Homeoffice“ gefragt. Diese zu erstellen, erforderte von uns (und den Berater, für die wir die Artikel schrieben), schon etwas mehr Hirnschmalz, denn diese Themen waren auch für uns weitgehend neu.
Viele neue Themen poppten im Beratungsmarkt auf
Etwa ab Jahresbeginn 2021 wollten dann nicht selten dieselben Berater, sich zu den Themen „hybride Teams führen“ und „New Work“ einen Namen machen. Also begannen wir im Dialog mit ihnen, solche Texte zu verfassen – sei es für Zeitschriften, Blogs oder die Social Media.
Doch spätestens nach der Ahrtal-Katastrophe im Juli 2021, als die Folgen des Klimawandels auch hierzulande immer stärker spürbar wurden, verspürten viele Berater die Notwendigkeit, sich als Experten für das Thema „Nachhaltigkeit“ zu profilieren. Also trudelten bei uns immer mehr Anfragen ein, Artikel hierzu zu schreiben, in denen es unter anderem darum ging, wie man bei der Strategie- und Unternehmensentwicklung die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales miteinander verknüpfen kann.
Nicht hinter jedem Modethema steckt ein großer Markt
Doch die Nachfrage nach diesem Thema war von sehr, sehr kurzer Dauer. Vermutlich, weil das Gros der Berater, beim Versuch entsprechende Produkte zu vermarkten, registrierte: Mit dem Begriff Nachhaltigkeit schmücken sich zwar viele Unternehmen gerne auf ihren Webseiten und in ihren öffentlichen Verlautbarungen, um ihre „Social responsibility“ zu zeigen oder ein „greenwashing“ zu betreiben, doch diesbezügliche Beratungsleistungen kaufen sie nicht. Also wandte sich die Aufmerksamkeit der Anbieter im Beratungsbereich einem neuen allgemeineren Thema zu, nämlich Transformation – auch stimuliert durch den Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 und seiner Folgen wie Energiekrise, steigende Inflation usw..
Beratern fehlt oft die Kompetenz zum Bearbeiten ihrer neuen Themen
Also schrieben wir fortan zahlreiche Artikel zu diesem Thema, wobei wir im Gespräch mit den Beratern oft registrierten: Diese können uns nicht einmal sagen, was einen Transformationsprozess von einem Changeprozess unterscheidet. Faktisch versehen sie ihre Standardprodukte, die sie seit Jahren anbieten, nur mit einem anderen Label – ähnlich wie dies ihre Kunden im B2B-Bereich oft bezogen auf solche Themen wie „Nachhaltigkeit“ tun.
Das Thema Transformation bzw. das Managen solcher Projekte entpuppte sich denn auch im Arbeitsalltag insbesondere vieler Einzel-Berater als zu komplex und vielschichtig. Deshalb wurden sie mit ihm nie so recht glücklich. Also griffen nicht wenige von ihnen, nachdem das Unternehmen OpenAI im Dezember 2022 sein Programm ChatGPT zur allgemeinen kostenlosen Nutzung freigeschaltet hatte, gerne sogleich das nächste Modethema auf: Künstliche Intelligenz. Folglich schrieben wir in den zurückliegenden Monaten zahllose Artikel, Blogbeiträge, Werbetexte usw. zu diesem Thema, auch weil sich gefühlt jeder zweite Berater dazu berufen fühlte, zumindest so ein Produkt wie einen Impulsvortrag zum Thema KI auf den Markt zu bringen.
Das neuste Trendthema am Horizont: Turnaround
Seit zwei, drei Monaten scheint aber auch dieser Hype allmählich wieder abzuebben. Also wenden sich nicht wenige Berater mal wieder einem neuen Thema zu, nämlich Turnaround (und zum Teil Sanierung). Zumindest werden entsprechende Texte vermehrt bei uns angefragt. Und zwar umso stärker,
- je häufiger in den Medien verkündet wird, wie schlecht es angeblich im weltweiten Vergleich um die deutsche Wirtschaft steht, weshalb die Zahl der Insolvenzen steigt, und
- je lauter die Wirtschaftsverbände in dieses Klagelied einstimmen bzw. dieses befeuern, in der Regel mit dem Ziel, für die von ihnen vertretenen Unternehmen mehr Fördergelder und Subventionen vom Staat zu erhalten (und ihnen die Risiken abzunehmen, die mit jedem unternehmerischen Handeln verbunden sind).
Marketing-Agenturen freuen sich über das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel
Solche Marketingunterstützer für Berater wie wir, die PRofilBerater, beklagen den immer häufigeren Themenwechsel nicht. Nein, sie freuen sich darüber, wenn die Beratungsunternehmen ähnlich wie die Modehäuser in immer kürzeren Zeitabständen neue Produkte in ihr Marketing-Schaufenster stellen oder ihrer Organisation sogar ein ganz neues Kleid verpassen. Denn für sie bedeutet dies stets (sofern die Unternehmen im Marketingbereich nicht schon stark auf KI-Tools setzen), neue Aufträge zum Schreiben von Artikeln und Blog-Beiträgen, zum Überarbeiten von Webseiten und zum Generieren neuen Contents für die Social Media.
Frage: Ist den Beratungsanbietern ihre Kernkompetenz noch bewusst?
Berater müssen nicht nur bei ihrem Marketing, sondern auch bei ihrer Produktentwicklung auf die veränderten Rahmenbedingungen in ihren Märkten reagieren – daran besteht kein Zweifel. Doch zuweilen fragen wir uns angesichts des Themen-Hoppings, das nicht wenige Beratungsunternehmen betrieben:
- Ist denen überhaupt noch ihre Kernkompetenz bewusst?
- Verlieren sie diese nicht zunehmend aus dem Auge?
Zudem fragen wir uns, wie sich diese Beratungsanbieter je den Ruf „Experte für …“ aufbauen möchten, wenn sie gefühlt alle Halbjahre ein neues Thema in ihr Marketing-Schaufenster stellen statt ein Thema, das ihrer Kernkompetenz entspricht, über Jahre hinweg in all seinen Facetten konsequent und nachdrücklich zu bearbeiten.
Nicht nach jedem scheinbaren Strohhalm greifen
Das sagen wir Beratern, Coaches usw. auch oft in unseren Beratungen. Doch nicht selten haben wir speziell bei Anbietern,
- die primär dem Soft-Skill-Bereich zuzuordnen sind und
- deren Leistungen aus Unternehmenssicht eher „Nice-to-have“ als „output-relevant“ sind,
den Eindruck, wir stoßen bei ihnen hiermit auf eine eher geringe Resonanz – auch weil sie, so unser Eindruck, unter den Turbulenzen, die seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht nur im Beratungsmarkt bestehen, in den zurückliegenden Jahren am stärksten gelitten haben.
Entsprechend verunsichert sind sie. Deshalb sind sie nach einer Marketingberatung zwar nicht selten wild entschlossen „Ich bearbeite künftig meinen Markt wieder mit Ausdauer und System“, doch kaum sitzen sie zuhause allein wieder in ihrem Büro, werden sie erneut unsicher. Und flüstert ihnen dann ein Vögelchen einen neuen Trend ins Ohr, stürzen sie sich sofort auf ihn – aus Angst, sie könnten eine Chance verpassen. Das heißt, den Beratungsanbietern fehlt das nötige Selbstbewusstsein (und zuweilen auch Können), um ihr definiertes Marktsegment bzw. Geschäftsfeld aktiv und selbstbewusst zu bearbeiten. Deshalb schlingern sie bezüglich ihrer Marketing- und Vertriebsstrategie wie ein Rohr im Wind.
Autor: Bernhard Kuntz