Nach New Work kommt die New Company Succession
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Es gibt nur noch wenige der echten „alten“ Gründerväter (gendern erübrigt sich an dieser Stelle, weil eher wenige Frauen diese Rolle erfüllten), die ihr ganzes Herzblut in ihr Unternehmen steckten. Sie verschrieben nicht nur sich selbst komplett dem Geschäft – auch ihre Familien mussten ihr Leben danach ausrichten. Kein Wunder, dass viele Söhne und Töchter, inzwischen sogar die Enkelkinder, kein Interesse daran hatten und haben, in diese großen Fußstapfen zu treten, so viel Verantwortung zu übernehmen, das schwere Erbe zu schultern. Zumal sich inzwischen die Zeiten und Ansprüche geändert haben, an sich selbst und von anderen. Steht tatsächlich der Verkauf im Raum, bleiben Fragen offen wie „Kann all das Herzblut überhaupt gerecht vergütet werden?“ und „Warum ist der Inhaber oft erst so (zu) spät bereit, wirklich loszulassen?“ Manchmal ist das Lebenswerk viel zu abhängig von einer Person. Obwohl man das von jüngeren Gründern im Startup-Bereich ebenfalls kennt. Lässt man alle diese Überlegungen, Zweifel und Möglichkeiten zu, kann die Nachfolgeregelung mit Agilität tatsächlich frischen Wind bekommen!

Die steigende Unternehmermüdigkeit hat sicher auch mit der Vielzahl an Krisen zu tun, der sich Unternehmer in den letzten Jahren gegenübersahen und die sie auch heute noch zu wechselnden Themen bewältigen müssen. Hat hier ein Mensch die alleinige Verantwortung, ist es nicht verwunderlich, dass bei aller Leidenschaft von zeitweisen Erschöpfungszuständen über das anhaltende Fatigue-Syndrom bis zum dauerhaften Burnout alles vertreten ist. Viele ältere Unternehmer fragen sich inzwischen: „Muss ich mir das weiterhin antun?“ Bei der nachwachsenden und -rückenden Generation klingt es eher so: „Soll ich mir das je antun?“. Von Bäckern bis zu Ärzten stehen alle vor der gleichen Herausforderung: Wenn keiner mehr die Nachfolge übernehmen will, wer soll das Unternehmen oder die Praxis weiterführen? Schließlich hat man ja nicht all die Jahre umsonst gekämpft! Im Ernstfall stehen Arbeitsplätze und damit Existenzen auf dem Spiel – Menschen, für die sich gerade die klassischen Unternehmer hierarchisch geführter Firmen verantwortlich fühlen, ja die für sie zur Geschäfts-Familie gehören.

Anders als bisher … neue Rahmenbedingen schaffen

Woher also die neue Unternehmer-Generation nehmen, wenn immer weniger das Risiko eingehen wollen? Wie die Existenz des Unternehmens sichern, wenn immer mehr den Aufwand scheuen? Es hilft übrigens nichts, genau darüber zu klagen. Ebenso wenig über die angebliche Bequemlichkeit und mangelnde Leistungsbereitschaft der jungen Leute. Vielmehr müssen wir uns spätestens jetzt überlegen: Wie können die Rahmenbedingungen sich ändern, damit Menschen wieder Lust darauf haben, unternehmerisch tätig zu werden? Ob Verkauf, Fusion oder Neustart, bei der innovativen und agilen Unternehmensnachfolge gibt es kein besser oder schlechter, sondern nur ein anders als bisher, wie das Beispiel von Tim Wetjen zeigt. Als Brandmanager (und nicht wie drei Generationen vor ihm als Fahrlehrer) führt er zusammen mit seinem Vater die ACADEMY Fahrschulen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Lange Zeit hatte auch er – wie viele Unternehmerkinder – nicht vor, in das Familienunternehmen einzusteigen, trotzdem oder gerade deswegen sagt er inzwischen: „Es fühlte sich irgendwann richtig an, dass ich Teil des Unternehmens werde. […] Mich trieben immer schon die Fragen um: Wie schaffen es Unternehmen, sich neu zu erfinden? […] In Gesprächen mit meinem Vater haben wir beide gemerkt, dass meine Überlegungen und Ideen für die Fahrschule Gold wert sind.“[1]

Tragfähiges Konzept für die Unternehmer-Zukunft

Neben dieser – wenn auch nicht klassischen – Übergabe an die nächste Generation, sprich zentralen Nachfolge innerhalb der Familie, gibt es unzählige weitere Modelle, ein Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Management-Buy-Out (MBO) oder Employee-Buy-Out (EBO) ermöglichen eine verteilte Eigentümerschaft. Für viele durchaus ein sehr positiver Aspekt, wenn es darum geht, grundsätzlich unternehmerisch tätig zu sein. Schließlich ermöglicht dieses „nicht-alleine-an-der-Spitze-stehen“, sich mit jemandem auszutauschen, der das oftmals drückende Gefühl der Verantwortung für das Unternehmen und die Beschäftigten kennt, die Sorgen, wenn finanzielle Probleme zu lösen und Mitarbeiter schwer zu finden sind oder Kunden ausbleiben. Gut, wenn wir dann jemanden an unserer Seite wissen, dem wir uns anvertrauen können, der uns, wenn wir das Business einmal als sehr schwarz und schwer empfinden, aufbaut und uns Mut macht, jeden Tag als neue Chance wahrzunehmen. Natürlich gilt diese positive Stütze, dieser Gegenpol in beide Richtungen.

Verbunden mit einem höheren Grad an Selbstorganisation kann MBO/EBO neben der Lösung der Nachfolgefrage auch insgesamt zu einer Transformation des Unternehmens beitragen und so ein tragfähiges Konzept für eine starke Unternehmer-Zukunft sein. Apropos Zukunft … spannend ist in diesem Zusammenhang das System DAO, eine dezentrale autonome Organisation, bei der keine Person oder Gruppe mehr bestimmt, sondern deren Verwaltung auf einem quelloffenem Programmcode beruht, der als Geschäftsordnung auf einer Blockchain eingebettet ist. Entscheidungen treffen also alle Mitglieder der Organisation, die gleichzeitig Investoren sind.[2] Wenn aktuell für viele auch noch Zukunftsmusik, so sollten wir zumindest ein paar Klänge davon heute durchaus hören und uns die Möglichkeiten bewusstmachen. Wir können einiges davon sicher nicht nur für eine gute und gesunde Nachfolge nutzen.

Damit Geist und Idee weiterleben können

Nicht immer gelingt eine Nachfolge so, wie es sich der Gründer vorstellt. Tatsache ist, wird die Übernahme falsch oder zu spät angegangen, ist das Thema gar tabu, kann das schnell zur existenziellen Unternehmenskrise führen. Vollkommen ungeregelt ist oft sogar die Insolvenz nicht weit entfernt. Für manche Unternehmer ist allein der Gedanke, dass das eigene Unternehmen – ob heute oder irgendwann in der Zukunft – verkauft (also in fremde Hände gegeben) wird, unvorstellbar. Sie wollen ihr Lebenswerk am liebsten für die Ewigkeit sichern. Manchmal steht dem sogar eine Weitergabe innerhalb der Familie, vor allem im Erbfall verbunden mit der Gefahr einer Zerschlagung, im Weg. Nicht nur menschlich, sondern auch (steuer-)rechtlich befinden wir uns hier auf schwierigem Terrain. Oft der Moment, in dem über eine Stiftung nachgedacht wird. Neben dem dauerhaften Erhalt des Unternehmens, können die Nachkommen abgesichert (Familienstiftung) und/oder ein gemeinnütziger Zweck (gemeinnützige Stiftung) unterstützt werden, ggf. auch beides durch eine sogenannte Doppelstiftung. Dem Sinn ist damit oft ebenfalls in doppelter Hinsicht Genüge getan: ein gemeinnütziger Zweck profitiert zukünftig vom Erfolg des Unternehmens und zugleich ist die Kultur bzw. der Purpose für längere Zeit fast wie in Stein gemeißelt, weil an einer Stiftungssatzung nur sehr schwer etwas zu ändern ist.

Ein Beispiel dafür, dass und wie der ursprüngliche Geist und die Idee eines Unternehmens weiterleben kann, ist das 1918 gegründete Hamburger Handelshaus Hüpeden & Co. (GmbH & Co.) KG. Mit Produktschwerpunkten in den Bereichen Lebensmittel und textile Gewebe, befinden sich die Märkte des traditionellen Unternehmens in Europa, Asien, Afrika, Ozeanien und Südamerika. Spannend macht das Unternehmen seine ungewöhnliche Nachfolgestrategie: „Die meisten Unternehmer vererben oder verkaufen, andere installieren ein externes Management. Keiner aber gibt seine Anteile an seine Kollegen und Nachfolger vergleichsweise günstig [Anm. des Autors: zum Nominalwert] ab. Die Hüpeden-Gesellschafter schon. Das Ziel: der Erhalt des Unternehmens als Einheit. Und so halten die geschäftsführenden Gesellschafter ihren Unternehmensbesitz wie Treuhänder. Keiner von ihnen kassiert am Ende seines Berufslebens einen Gewinn aus Anteilsverkauf. Und keiner von ihnen wird sich jemals um den aktuellen Firmenwert streiten. Das hält zusammen […] Und dann kommt ein Satz, der christlich klingt, aber letztlich gut durchdachte Hamburger Kaufmannsdenke ist. […] „Wer will, dass es mit der Firma weitergeht, muss abgeben.“[3] Nachfolge neu gedacht!

Unabhängig von Gründern und/oder Inhabern

Eines ist sicher: Wir müssen bei der Nachfolgethematik weg vom veralteten Bild des patriarchischen Firmengründers samt Unternehmer-Familien-Stammbaum über vier oder fünf Generationen. Schon heute gibt es immer mehr Unternehmen, gerade Startups, die zu zweit, zu dritt oder mit noch mehr Gründungsmitgliedern starten und damit dem Gebilde Unternehmen von Anfang an eine andere strategische, wirtschaftliche und vor allem menschliche Ausrichtung geben. Weg vom Gedanken, dass ein Einzelner, in der Vergangenheit eben der Gründer nebst Familie, das Unternehmen als Eigentum besitzt, hin zur Idee, an einem erfolgreichen Business lieber die Menschen zu beteiligen, die genau diesen Erfolg tagtäglich verursachen. Das Thema Selbstorganisation und der Wunsch nach mehr Freiheit und Eigenverantwortung vieler Menschen spielen dabei natürlich eine entscheidende Rolle. Durch eine dezentrale Struktur, verteilte Führung und verteilte Entscheidungskompetenz sind Unternehmen nicht mehr abhängig von einem Gründer oder Eigentümer, sondern all das ist auf viele Mitinhaber, die über Jahre hinweg Aktien zu einem guten Preis erwerben können, verteilt – und das Unternehmen so letztlich zukunftssicher aufgestellt. Nachfolger zu suchen, erübrigt sich, weil diese aus den eigenen Reihen kommen – unabhängig von Namen oder Herkunft.

Fazit: Wollen Unternehmen dem schon heute vorherrschenden Anspruch der Menschen nach mehr Unabhängigkeit gerecht werden, dann sollten sich im ersten Schritt auch die Unternehmen an sich vom Eigentümer und/oder Gründer unabhängiger machen. Neben dieser Herausforderung, treffen bei der Nachfolgethematik zwei weitere Probleme aufeinander: Ja, natürlich soll ein erfolgreiches Businessmodell weitergetragen werden in die nächste Generation, allerdings wird dies für eine Einzelperson immer schwieriger. Zum einen, weil immer weniger Leute dieses Risiko eingehen und die Verantwortung – zumindest nicht alleine – übernehmen wollen. Zum anderen, ist es auch finanziell nicht attraktiv bzw. gar nicht mehr zu stemmen. Die Firmen sind schlichtweg zu teuer, als dass es sich lohnen würde, als Einzelner einzusteigen oder auch nur die Hälfte oder ein Drittel zu übernehmen. Was wir brauchen sind also neue gedankliche Ansätze rund um die agile Unternehmensnachfolge – nach New Work sozusagen eine New Company Succession!

Über den Autor:

Timm UrschingerTimm Urschinger ist Mitgründer und CEO von LIVEsciences. Nach dem Studium sowie einigen Jahren bei einem bekannten Pharma-Konzern in der Schweiz und im Consulting beschloss er ein eigenes Unternehmen zu gründen. Seine Erfahrung im Management globaler Programme und Transformation hat in ihm die Leidenschaft geweckt, pragmatische und innovative Lösungen zu entwickeln – für das eigene Unternehmen und für Kunden. Neue Organisationsmodelle wie Teal spielen dabei eine ebenso große Rolle wie die Selbstführung und dass Menschen endlich wieder Sinn und Spaß im Berufsleben erfahren.

[1] https://www.arbeitsagentur.de/faktor-a/arbeitswelt-gestalten/das-erfolgsrezept-familie?

[2] https://blockchainwelt.de/dao-dezentrale-autonome-organisation-was-ist-das/

[3] https://www.deutsche-bank.de/ms/results-finanzwissen-fuer-unternehmen/geschaeftsstrategie/03-2019_nachfolge-neu-gedacht.html

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