Ein Team zu führen, geht stets mit einer sehr großen Verantwortung einher. Über die Jahre hinweg wurden immer wieder neue Ansätze ausprobiert. Nachdem sich der autokratische Führungsstil mit einer teamorientierten Gesellschaft nicht mehr vereinbaren ließ und auch abflachende Hierarchien ein Vorgehen von oben nach unten (Top-Down) nach unserem sozialen Verständnis nicht mehr effektiv und praktikabel war, brauchte es andere Wege. So haben sich Führungsansätze durchgesetzt, die sich an situativen Begebenheiten, individuellen Fördermöglichkeiten und emotionalen sowie empathischen Aspekten orientieren. Immer mehr kommt in diesem Zusammenhang die systemische Gesprächsführung zur Anwendung. Häufig wird dann die Frage gestellt, was diese Art der Kommunikation beinhaltet und was sie so besonders macht.
Systemisch miteinander verknüpft – wie ein Mobile
Bei der Kommunikation in einem Team spielen viele Aspekte eine Rolle: die individuellen Persönlichkeiten, die jeweils zugeteilten und gelebten Rollen, die räumlichen Begebenheiten, der Ausbildungsgrad und vieles mehr. Wären diese Aspekte als Mobile dargestellt, kreisten sie fortwährend umeinander. Nach dem systemischen Gedanken stehen all diese genannten Aspekte im Einklang zueinander und können nur gemeinsam, gleichzeitig und ganzheitlich betrachtet werden. Würde man einen dieser Aspekte innerhalb eines Mobiles verschieben, wurde gleichzeitig das gesamte Gebilde aus dem Gleichgewicht geraten. Das Systemische kümmert sich sozusagen um jedes einzelne Teil, so dass es wieder in einem Verhältnis zu den anderen Teilen steht. In der systemischen Gesprächsführung geht es demzufolge nicht nur um den Dialog zwischen zwei Menschen, sondern um die Berücksichtigung des gesamten anhängenden Systems mit all seinen Aspekten, die zu der aktuellen realen Situation geführt haben.
Die systemische Gesprächsführung ist mehr eine Haltung als eine Technik. Es geht darum, die jeweilige Wirklichkeit einer Person so zu akzeptieren, wie sie ist – und zwar nach der Beschreibung der betreffenden Person selbst. Es hat sich dafür der Begriff Wirklichkeitskonstruktion etabliert, um zu verstehen, dass die Wirklichkeit der einen Person nicht mit der Wirklichkeit der anderen gleichzusetzen ist, auch wenn beide sich in einem Raum befinden und gerade dasselbe erleben. Zu sehr sind diese Situationen des Erlebens abhängig von dem, was jede Person mitbringt, die Geschichte sowie das soziale Umfeld, der Bildungsstatus, die Emotionen, vielleicht erfahrene Enttäuschungen und vieles mehr. All das spielt bei der persönlichen Wahrnehmung eine Rolle und wird in der systemischen Gesprächsführung sorgfältig miteinbezogen. Dazu werden alle Punkte nacheinander sozusagen „abgeklopft“.
Systemische Fragen als Werkzeuge
Eine bewährte Technik in der systemischen Gesprächsführung sind die systemischen Fragestellungen. In der Schule werden meistens die Fragetechniken gelehrt, die in unserer deutschen Sprache üblicherweise zur Verfügung stehen, um gewisse Informationen zu gewinnen. Dazu zählen zum Beispiel offene und geschlossene Fragen, reflektierende Fragen, Suggestivfragen oder die beliebten W-Fragen, mit denen ganz kurz prägnante Inhalte geprüft werden. Bei den systemischen Fragen ist die Absicht eine andere. Es geht nicht nur darum, schnell Antworten zu bekommen oder eine Situation bzw. eine Aufgabe zu lösen, sondern die Befindlichkeiten des Befragten und die komplexen Zusammenhänge dahinter zu erfahren.
Bei den zirkulären Fragen geht es beispielsweise kreisförmig im sozialen System der befragten Person umher: „Was würde Ihr Kollege dazu sagen?“, „Wie wäre die Reaktion Ihrer direkten Vorgesetzten?“, „Wie würde Ihre Familie das finden?“, „Was würden Ihre Freunde davon halten?“.
Bei sogenannten Skalierungsfragen kann der Befragte auf einer Skala von 0 bis 10 seine Befindlichkeiten ausdrücken, wie sehr er bei einer Sache zustimmt oder diese ablehnt. Auf diese Weise lässt sich schnell ein Meinungsbild entwickeln. Thematisch sind der Fantasie hier keine Grenzen gesetzt. Es kann sich auch um Abstufungen von Farben, von Temperaturen, von Gefühlen oder Bildern handeln, um diese Art der Fragetechnik zum Beispiel auch Kindern zugänglich zu machen.
Eine weitere Möglichkeit ist die ressourcenorientierte Frage. Hier richtet sich die Frage darauf, was bisher zu der angestrebten Lösung geführt hat: „Was hat Ihnen damals geholfen, als Sie in einer ähnlichen Situation waren?“, „Mit welchen Mitteln konnten Sie damals dieses oder jenes Projekt gut abschließen und wer hat Sie dabei unterstützt?“.
All diese Fragetechniken haben eines gemeinsam: Sie richten sich einzig und allein auf die möglichen Ressourcen des Befragten. Es geht niemals darum, dass der/die Fragende Lösungsansätze vorschlägt aus denen der/die Befragte auswählen kann. Eine systemische Gesprächsführung zielt immer darauf ab, eine Person zu ihren eigenen möglichen Lösungen zu führen, indem man sie mit ihren eigenen Ressourcen verbindet. Oftmals liegt die Lösung ja schon zum Greifen nah, es fehlt lediglich die mentale Verbindung dazu. Diese wird mit der systemischen Gesprächsführung hergestellt.
Eine andere beliebte Herangehensweise ist die sogenannte Wunderfrage. Dabei wird ein Szenario beschrieben, was denn wohl passieren würde, wenn sich über Nacht alles verändern würde, keine finanziellen Einschränkungen bestünden und man sich am nächsten Tag alles wünschen könnte, was man denn wollte. Die Antwort fällt häufig sehr „klein“ aus und stößt bei Führungskräften nicht selten auf Verwunderung. Denn oft sind es gar nicht die großen Dinge, die Mitarbeitende in diesem Moment brauchen, sondern kleine unscheinbarer Mittel und Werkzeuge, mit denen sie ihre Arbeit wesentlich effektiver oder kreativer gestalten könnten. Natürlich kann die Wunderfrage auch enorme Ausmaße annehmen, das kommt auf den jeweiligen Kontext an.
Auch paradoxe Fragen sind ein Mittel der systemischen Intervention. Hier wird mit einer besonderen Art der Fragestellung absichtlich Verwirrung gestiftet, um das Dilemma der befragten Personen zu verdeutlichen: „Und Sie wollen sich weiterhin von Ihrer Kollegin so ärgern lassen?“, „Wie intensiv dürfen Ihre Kopfschmerzen denn noch werden?“. Mit dieser paradoxen Intervention erreicht man im ersten Moment einen geschockten Impuls bei der Person, weil niemand damit rechnet, auf diese Art und Weise angesprochen und regelrecht provoziert zu werden. Und eben weil es paradox ist, führt es dann erst recht dazu, dass die Person über die Situation nachdenkt und in der Regel recht schnell einlenkt und beteuert, nicht länger in dieser unzufriedenen Situation verharren zu wollen. Daran lässt sich anschließend gut anknüpfen, um die Lösungsfindung gemeinsam mit dem Gegenüber weiterhin systemisch gut begleiten zu können.
Aktives Zuhören als zugewandte Kommunikation
Neben zahlreichen Frageformen und -arten, geht mit der systemischen Gesprächsführung auch das aktive Zuhören einher. Im Mittelpunkt steht dabei, wirklich bewusst zuhören zu können und dies auch zu signalisieren. Wir können nicht nicht hören, also gehen wir häufig davon aus, dass unser Gegenüber doch mitbekommt, was wir sagen und vergessen dabei, dies auch zu zeigen. Das aktive Zuhören hingegen verdeutlicht, dass alle Informationen zudem gut angekommen sind. Nachfragen, Bestätigungen oder auch Äußerungen des Staunens geben dem Gespräch eine ganz neue Dimension und Tiefe.
Ein Lösungsassistent von außen
Alles in allem schafft die systemische Gesprächsführung einen sehr tiefgreifenden Einblick in das Umfeld der betreffenden Personen. Es werden alle Zusammenhänge offengelegt, ebenso sämtliche Verknüpfungen und Verkettungen, so dass häufig erst dann die Komplexität eines Dilemmas deutlich wird. Wenn jemand in seinem eigenen System „gefangen“ ist, kann er keine Perspektive von außen einnehmen, oder bildlich gesprochen: Das Boot lässt sich nicht von den Menschen anschieben, die in ihm sitzen! Natürlich muss nicht immer zwangsläufig ein Dilemma vorliegen, um systemische Gespräche zu führen. Auch in normalen Alltagsgesprächen erreicht man eine sehr tiefgreifende Nuance, wenn systemische Aspekte hinzukommen. Das Gegenüber fühlt sich ernster genommen, viel mehr angenommen und ist daher umso mehr bereit, an einer eigenen Lösung zu arbeiten.
Längst hat die systemische Gesprächsführung den Hafen von Coaching, Mediation oder therapeutischen Interventionen verlassen und im Rahmen abflachender Hierarchien und menschenbewussten Managements auch in Unternehmen und Teams Einzug gehalten. Immer mehr ist die Rede von systemischer Lösungsorientierung. Parallel dazu haben sich die agilen Methoden wie Scrum oder Design Thinking fest in den Werkzeugkoffern der Führungskräfte etabliert. Der systemische Ansatz bringt ein neues Gefühl in die Führungsaufgabe. Es ist eine zugewandte Führungslinie erkennbar, die für die Mitarbeitenden die Möglichkeit schafft, ein ganzheitliches und nach allen Seiten abgeklärtes Vertrauensverhältnis aufzubauen. Sich dieser Aufgabe und der damit verbundenen Verantwortung zu widmen und bewusst zu werden, ist die Aufgabe der Führungskräfte unserer Zeit. Vertrauen und Zuversicht sind Werte, die ein Team durch besondere Zeiten tragen – so wie gerade jetzt!
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Über die Autorin:
Petra Motte arbeitet seit vielen Jahren als Trainerin, Beraterin, Coach und Mediatorin. In Südostasien sammelte sie über 10 Jahre lang internationale Erfahrungen, die sie inzwischen auf Konzern- und Unternehmensebene einbringt. Prozessoptimierung, ganzheitliches Change-Management, virtuelle Entwicklung oder interkulturelle Fragen – die große Leidenschaft von Petra Motte sind die Menschen, die hinter den Zahlen stecken.