Mitarbeiter müssen die Wertschätzung spüren

Wenn Unternehmen unter einem großen Handlungsdruck stehen, wird oft der Umgangston rauer. Der Respekt im Umgang miteinander sinkt also und die Mitarbeiter spüren die Wertschätzung ihrer Vorgesetzten nicht mehr. Das wirkt sich negativ auf ihre Motivation und Leistung aus.

Führungskräfte sollten einen wertschätzenden und von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang mit ihren Mitarbeitern pflegen. Das wird in fast allen Führungsseminaren betont. Doch im Arbeitsalltag spüren die Mitarbeiter oft wenig davon. In ihm herrscht nicht selten ein eher rauer Umgangston. Dies gilt insbesondere, dann,

  • wenn es im Gebälk des Unternehmens brennt – also zum Beispiel die Umsätze und Gewinne einbrechen – und
  • die Führungskräfte selbst unter einem hohen Druck stehen, was in den zurückliegenden zwei, drei Jahren coronabedingt und aufgrund der Folgen des Ukraine-Krieges gehäuft der Fall war.

Dann werden nicht selten sogar die einfachsten Benimm-Regeln, die im menschlichen Miteinander eigentlich gelten, vergessen.

Mangelnder Respekt hat viele Gesichter

Da geht zum Beispiel ein altgedienter Mitarbeiter in den Ruhestand, ohne dass zuvor ein Vorgesetzter mal vorbeischaut, ihm die Hand reicht und ein Wort des Dankes sagt. Oder: Da wird eine hochqualifizierte und -engagierte Fachkraft, die in einem Meeting sachliche Bedenken gegen die Planungen ihres Vorgesetzten äußert, von diesem vor versammelter Mannschaft angeraunzt: „Wollen oder können Sie nicht? In beiden Fällen sind Sie hier fehl am Platz.“ Oder: Da erhält eine Controllerin von ihrem Chef, der ein Zimmer weiter seinen Schreibtisch hat, zehn Minuten vor Feierabend per Mail die Anweisung, sie müsse bis zum nächsten Morgen eine Präsentation vorbereiten, obwohl dieser weiß: Sie muss ihr Kind pünktlich vom Hort abholen.

Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Die Anekdoten aus dem Betriebsalltag, die man als Trainer in Seminaren hört, ergeben hierfür einen großen Fundus. Und regelmäßig hört man, spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie von den Teilnehmern: „Das Klima in unserem Betrieb hat sich verschlechtert. Der Umgangston wird immer rauer.“ Und zwar nahezu unabhängig davon, auf welcher hierarchischen Stufe die Mitarbeiter im Unternehmen angesiedelt sind.

Den Letzten beißen oft die Hunde

Das fängt bei den sogenannten mittleren Führungskräften an. Sie sind um ihre „Sandwich-Position“ als Mittler zwischen den „Chefs ganz oben“ und den „Werkern“ auf der operativen Ebene nicht zu beneiden. Denn sie bekommen die Nervosität und Hektik, die in den Chefetagen vieler Unternehmen seit Ausbruch der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges herrscht, meist unmittelbar zu spüren.

Und weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen, geben sie diesen nicht selten ungefiltert an ihre Untergebenen weiter. Dabei gilt die Faustregel: Der Umgangston wird umso rauer

  • je weiter man in der Unternehmenshierarchie nach unten kommt und
  • je einfacher die Mitarbeiter aufgrund ihrer (geringen) Qualifikation) von den Unternehmen durch andere Personen zu ersetzen wären.

Denn noch gilt in vielen Unternehmen: Den Letzten beißen stets die Hunde. Oder wie es ein Personalvorstand mal smarter formulierte: „Unsere Top-Führungskräfte und -Spezialisten hofieren wir, den Rest unserer Kernmannschaft pflegen wir. Und das Fußvolk? Das sourcen wir entweder aus oder minimieren die Kosten.“

Schon lange existiert denn auch in den meisten (größeren, als Holding strukturierten) Unternehmen nicht mehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wie es sich früher einmal in solchen Begriffen wie die Siemens- oder Bosch-Familie artikulierte. Und in welchen Betrieben nennen sich die Mitarbeiter heute noch stolz wie früher zum Beispiel „Opelaner“? Nur in ganz wenigen Unternehmen ist dies noch der Fall! In deutlich mehr Unternehmen regiert heute – obwohl sie eine bereichs- und funktionsübergreifende Team- und Projektarbeit propagieren – das Einzelkämpfertum; zumindest wenn es hart auf hart kommt. Und Stresssituationen wie den aktuellen hat man nicht selten das Gefühl: Jeder ist primär mit dem eigenen Überleben beschäftigt.

Mitarbeiter fühlen sich als „Human-Kapital“

Das ist schade, doch teilweise verständlich, denn: Durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg und deren Folgen (wie Energiekrise, Inflation usw.)

  • ist der Veränderungs- und Handlungsdruck in vielen Unternehmen enorm gestiegen und
  • arbeiten weite Teile ihrer Belegschaft – zumindest psychisch – seit fast drei Jahren an ihrer Belastungsgrenze.

Oder anders formuliert: In vielen Unternehmen ist der Druck im „Kessel“ aktuell so hoch, dass das Betriebsklima immer rauer wird. Zugleich wird aber vom Management weiterhin betont: „Wir brauchen intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich eigeninitiativ und -verantwortlich für das Erreichen von dessen Zielen engagieren.“

Doch woher sollen diese kommen, wenn sich insbesondere in Kapitalgesellschaften bei den Mitarbeitern zunehmend das Gefühl verdichtet: „Wir werden nur noch als Human-Kapital gesehen, das je nach Bedarf mal gehätschelt und mal getreten oder mal auf- und abgebaut wird.“ Wenn Mitarbeiter einen solchen Widerspruch zwischen den öffentlichen Verlautbarungen und dem Betriebsalltag spüren, dann gehen sie emotional auf Distanz zum Unternehmen, und ihre Handlungsmaxime lautet wie bei den Kapitalgebern: Wie ziehe ich aus der Beziehung den größten Profit? Und wenn aus ihrer Warte das wechselseitige Geben-und-Nehmen nicht mehr stimmt? Dann verabschieden sie sich zumindest mental vom Unternehmen. Das heißt, ihre Leistung sinkt. Das ist gerade in Marktumbruchzeiten wie den aktuellen fatal, denn dann ist nicht selten von allen Beteiligten eine Mehrleistung nötig, um das Schiff Unternehmen auf Kurs zu halten.

Die Mitarbeiter müssen die Wertschätzung spüren

Nicht oft genug kann deshalb betont werden: Wenn in den offiziellen Verlautbarungen der Unternehmen immer wieder von einem partnerschaftlichen, von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang miteinander gesprochen wird, dann müssen die Mitarbeiter dies auch im Betriebsalltag spüren.

Dann ist es schlicht ein No-go, dass ein altgedienter Mitarbeiter ohne ein Wort des Dankes in den Ruhestand entlassen wird. Denn dann denken alle verbleibenden Mitarbeiter: „Dieses Schicksal droht mir auch einmal.“ Ebenso ist es ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn eine Fachkraft in einem Meeting sachlich begründete Einwände artikuliert, diese nicht ernst nimmt und den Mitarbeiter vor der versammelten Mannschaft maßregelt. Denn dann denken alle Anwesenden: „Ich halte künftig besser meinen Mund.“ Ebenso ist es ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn sie von einem Mitarbeiter kurzfristig Mehrarbeit erwartet, ihm dies einfach per Mail mitteilt. Dann sollte sie sich von ihrem Stuhl erheben und dies dem oder der Betroffenen persönlich sagen – oder zum Telefonhörer greifen, wenn sich der Mitarbeiter im Homeoffice befindet. Denn sonst denken alle Kollegen, die hiervon erfahren: „Meine bzw. unsere persönlichen Interessen, Ziele und Verpflichtungen interessieren hier offensichtlich niemand. Warum soll ich mich dann für das Unternehmen – mehr als es mir nützt – engagieren?“

Entsprechend reagieren die Mitarbeiter, wenn ihre Führungskraft, weil sie etwas möchte, plötzlich an das Wir appelliert. „Wir sollten …“, „Wir wollen…“, „Wir müssen …“ Dann sagen zwar alle mit den Lippen ja und täuschen das gewünschte Engagement vor, doch faktisch denken sie: „Und was habe ich davon? Die können mich mal.“

Respekt zeigt sich in vielen scheinbaren Kleinigkeiten

Denken Sie deshalb als Führungskraft bei Ihrer Führungsarbeit daran: Wie viel Respekt und Wertschätzung Sie Ihren Mitarbeitern entgegenbringen, zeigt sich für diese in vielen (scheinbaren) Kleinigkeiten. Es zeigt sich unter anderem darin,

  • wieviel Zeit Sie sich für Ihre Mitarbeiter nehmen und wie aufmerksam Sie ihnen zuhören,
  • ob Sie sich auch für sie als Mensch bzw. Privatperson interessieren,
  • wie kompromissbereit Sie bei Interessengegensätzen und Zielkonflikten zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern sind,
  • wie Sie auf Fehler und Versäumnisse von ihnen reagieren,
  • und, und, und….

Das sollten Sie sich gerade in solch stressigen Zeiten wie den aktuellen immer wieder vor Augen führen. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass Sie irgendwann nur noch von Ja-Sagern und Egoisten umgeben sind, die Engagement für die Bereichs- und Unternehmensziele zwar heucheln, doch nicht zeigen. Und dies wirkt sich auch auf Ihren beruflichen Erfolg aus, denn: Ihre Leistung wird von Ihren Vorgesetzten an der Leistung Ihres Teams gemessen.

Über die Autorin:

Liebermeister, BarbaraBarbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Ende August erscheint im GABAL-Verlag das neuste Buch der Vortragsrednerin und Managementberaterin „Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt“ sowie Betreiberin des Podcasts „Business Secrets“.

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