Das Lieferkettengesetz zwingt aktuell viele Unternehmen sich systematisch mit ihrem Lieferantenmanagement zu befassen. Hierin ruht auch die Chance, im Markt ein nachhaltiges Profil zu zeigen.
Zum Jahreswechsel tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, in Kraft – zunächst nur für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigte. Indirekt sind aber allein in Deutschland Zehntausende von kleinen und mittleren Unternehmen betroffen. So zum Beispiel die Zulieferer und Dienstleister der großen Unternehmen.
Sie werden, prognostiziert Dr. Jens-Uwe Meyer, Vorstandsvorsitzender der Innolytics AG, Leipzig, im Laufe des nächsten Jahres Aufforderungen von ihren Kunden erhalten, Fragen zu beantworten wie:
- Wie kontrollieren Sie die Arbeitsbedingungen?
- Wie sehr beachten Sie die Umweltschutz-Belange?
- Was wissen Sie über Ihre Lieferanten, Dienstleister und Subunternehmer?
Die meisten Empfänger werden dies primär als bürokratisches Ärgernis empfinden. Doch dahinter steckt laut Christian Herlan, Vertriebsberater bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, mehr. Das Lieferkettengesetz steht für ihn für „einen tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaft: Weg von Profiten um jeden Preis, hin zu einem nachhaltigen, verantwortungsvollen Wirtschaften“. Unternehmen, die diesen Trend als Wettbewerbsvorteil nutzen wollen, bietet eine „systematische Beschäftigung mit ihren Lieferketten“ bzw. dem Lieferkettengesetz „die Chance, sich bei ihren Zielkunden als zuverlässiger, nachhaltig wirtschaftender Partner zu profilieren“ – gerade jetzt, „in einer Situation, in der viele Unternehmen erkannt haben, wie wichtig stabile Lieferketten für den Unternehmenserfolg sind“.
Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung werden wichtige Imagefaktoren
Hinzu kommt: Die Konsumenten bzw. Kunden achten heute verstärkt darauf, wie Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden. Das Mantra der 2010er Jahre „Hauptsache billig und verfügbar und zwar schnell“ gilt zwar immer noch, doch zwei weitere Faktoren kamen hinzu: „Hauptsache fair“ und „Hauptsache nachhaltig“ bzw. „… umwelt- und klimaschonend“. Entsprechend boomen zurzeit Produkte wie Hafermilch und Sojaschnitzel, Holzhäuser und Elektro-Autos.
„Was vor zehn Jahren eine Nische war, ist heute ein breites Kundenbedürfnis“, erklärt Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, die vor ihrer Beratertätigkeit unter anderem im Marketing der Konzerne Christian Dior und L´Oreal arbeitete. „Es gibt eine neue Konsumentenschicht, die in Fachkreisen ironisch ‚Generation Hafermilch‘ genannt wird.“ Diese „Generation“ besteht vor allem, doch nicht nur aus Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die in den Metropolregionen leben. Sie stellt an die Unternehmen Fragen, die für Unternehmer der alten Schule oft merkwürdig klingen:
- Kann man die Betonwand durch eine Wand aus nachhaltig produziertem Holz ersetzen?
- Ist Palmöl im Produkt – und wenn ja, wo kommt es her?
- Bezahlt das Unternehmen faire Löhne an seine Mitarbeiter und Entgelte an seine Zulieferer weltweit?
Das Preis-Leistungsverhältnis wird laut Liebermeister immer mehr zu einem „Preis-Leistungs-Fairness-und Nachhaltigkeitsverhältnis“.
Diese Entwicklung spiegelt sich im Lieferkettengesetz wider. „Wir empfehlen deshalb unseren Kunden einen Sichtwechsel“, erklärt Dr. Jens-Uwe Meyer, dessen Unternehmen Innolytics unter anderem Software zum Umsetzen der Anforderungen des Gesetzes entwickelt: „Nämlich das Lieferkettengesetz als zu Chance begreifen, um sich im Markt als verantwortungsvolles, nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen zu profilieren.“
Die Umsetzung: Die Pflicht als Kür verstehen
Doch wie kann ein Unternehmen diese Chance nutzen? Hierfür gibt es drei Wege.
- Weg 1: Unternehmen können sich nach Normen wie ISO 14001 (Umweltschutzmanagement) oder ISO 45001 (Arbeitsschutz) zertifizieren lassen, um zu zeigen, dass sie zumindest Teile der Auflagen des Lieferkettengesetzes erfüllen.
- Der Vorteil: Nimmt man die Dienste namhafter Zertifizierer wie des TÜV oder der Dekra in Anspruch kann man sich mit deren Siegel schmücken.
- Der Nachteil: Selbst für kleine und mittlere Unternehmen werden schnell Investitionen im vier- bis fünfstelligen Bereich fällig.
- Weg 2: Einen Nachhaltigkeitsbericht nach den Vorgaben des deutschen Nachhaltigkeitscodex (DNK) veröffentlichen.
- Die Vorteile: Die Dienste des DNK sind kostenlos, denn: Der Nachhaltigkeitskodex geht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück.
- Der Nachteil: Das Erstellen eines Nachhaltigkeitsberichts gemäß den Anforderungen ist zeit- und ressourcenaufwendig. Zudem kennt das Siegel zumindest außerhalb von Deutschland fast niemand.
- Weg 3: Sich von Anbietern wie EcoVadis oder der Innolytics AG auf Basis einer Selbstauskunft ein Compliance-Profil erstellen lassen, also eine fundierte Angabe darüber, welche Anforderungen man erfüllt. „Solche publizierten Selbstauskünfte“, erklärt Meyer, „sind zwar zunächst nur Versprechen der Unternehmen, diese kann aber aufgrund ihrer Veröffentlichung jeder einsehen, kritisch hinterfragen und kontrollieren. Deshalb haben sie eine starke Wirkung.“
Die sogenannte „Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit“ ist ein zentrales Prinzip von Normen wie der ISO 26000, die Grundsätze für verantwortungsvolle Unternehmen aufstellt. Die Innolytics AG bildet diese Norm, die auch Bestandteil des Lieferkettengesetzes ist, in seiner Software ab; EcoVadis hingegen hat eigene Standards. Vom Aufwand her ist das Innolytics-Tool das einfachste: Das Unternehmen füllt einen Fragebogen aus. Danach erhält es eine Sofortauswertung und kann das entsprechende Siegel in seine Webseite einbinden. Das Verfahren von EcoVadis ist zeitaufwändiger, unter anderem, weil bei ihm Dokumente hochgeladen werden müssen, die geprüft werden.
Sich glaubhaft ernsthaft mit den Lieferketten befassen
„Die Unternehmen müssen letztlich selbst entscheiden, welchen Ansatz sie verfolgen“, betont Vertriebsberater Herlan – „und zwar abhängig davon, in welchem Markt sie aktiv sind, wer ihre Zielkunden sind und wofür sie den Nachweis brauchen“. Zunehmend wichtig ist es aber, dass sie belegen können, dass sie sich mit solchen Themen wie Nachhaltigkeit und ‚Social responsibility‘, also soziale Verantwortung, auch bei der Auswahl ihrer Lieferanten ernsthaft befassen. Denn hieraus erwachsen immer größere Wettbewerbsvorteile.“
Über den Autor:
Lukas Leist, Darmstadt ist Wirtschaftsinformatiker. Er ist als freier Journalist auf Managementthemen spezialisiert.